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Mongolei/Vor Mörön Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Unerwartet – Nächtlicher Besuch

N 49°42'773'' E 100°11'497''
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    Tag: 373

    Sonnenaufgang:
    05:48

    Sonnenuntergang:
    21:02

    Gesamtkilometer:
    1722

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    27°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    22 °C

    Temperatur – Nacht:
    10 °C

    Breitengrad:
    49°42’773“

    Längengrad:
    100°11’497“

    Maximale Höhe:
    1492 m über dem Meer

Schon seit Tagen wehre ich mich dagegen unsere Nachbarn zu fragen wie viel Geld sie für das Wasser haben möchten welches sie für uns und unsere Tiere seit einem Monat aus der Erde pumpen. Es geht uns dabei natürlich nicht um die paar Euro die wir gerne bezahlen, sondern um eine eventuell überzogene Preisforderung. Diese würde wieder ein trübes Licht auf die phantastische Zeit werfen die wir zusammen verbrachten. Ehrlich gesagt bin ich mittlerweile richtige süchtig nach Harmonie, Liebe und Ehrlichkeit. Zu gerne möchten wir Rezindorj und Gadimaa in guter Erinnerung behalten. Wenn die Beiden uns auch am Ende unseres Zusammenlebens fair behandeln möchten wir ihnen meine Autobatterie als Geschenk überreichen. Mit 85.000 Tugrik (52,- €) ist sie das zehnfache des Wasserpreises wert und wäre ein wunderbares Dankeschön an die Familie. „Oglooniimend“, (Guten Morgen) begrüßen wir Gadimaa und Rezindorj ihre Jurte betretend. Sofort reicht uns Gadimaa frischen gesalzenen Milchtee, getrockneten Käse, Kekse, Weißbrot, Sahnelappen und Zucker. Wir bedanken uns und greifen verhalten zu. „Ide, ide“, (esst, esst) fordert uns Gadimaa mit ihrer lauten Stimme auf mehr zu nehmen. Nach den angemessenen Anstandsminuten sagt Tanja; „Wir werden euch bald verlassen und in Richtung Erdenet aufbrechen. Wir möchten uns für eure Gastfreundschaft bedanken. Es war eine angenehme Zeit hier bei euch in dem fruchtbaren Tal.“ Kaum hat Tanja gesprochen stehe ich auf und reiche Rezindorj eine Dose mit Schnupftabak. Tanja schenkt Gadimaa und Tochter Dalai je ein kleines Parfüm. Die drei Kinder die in der Jurte herumspringen bekommen Süßigkeiten. Unsere Gastgeber bedanken sich herzlich. Nach ein paar Schweigeminuten sagt Tanja; „Vielen Dank auch für das Wasser für uns und unsere Tiere. Was bekommt ihr dafür?“ Gadimaa und Rezindorj sehen sich einen kurzen Augenblick an. „Für das Wasser? Nichts. Wir bekommen nichts“, antwortet Gadimaa. „Nichts?“, frage ich weil ich glaube mich verhört zu haben. „Ügüj wir bekommen nichts“, wiederholt sie klar und deutlich. Tschin setgeleesee bajrlalaa“, (Herzlichen Dank) bedanken wir uns wie aus einem Munde. Weil wir diese Großzügigkeit in solcher Form bisher selten erlebten fällt uns ein Stein vom Herzen. Ich habe eine regelrechte Gänsehaut und Tränen treten in meine Augen. „Vielen, vielen Dank“, wiederhole ich noch mal. Mein Herz beginnt regelrecht zu beben. Es fühlt sich so an als würde sich eine schützende Hand darunter schieben, um es zu halten. Ein unglaublich angenehmes Gefühl. Sicherlich ist das Wasser kein riesiges Geschenk oder sehr wertvoll im herkömmlichen Sinne aber für uns hat es Symbolcharakter welches zu einem wichtigen Zeitpunkt kommt. Es ist der Moment an dem ich fast den Glauben an die Menschheit, zumindest der mongolischen Menschheit verloren hatte. Und nun werden wir derart überrascht. „Brauchst du eine Autobatterie? Ich habe eine fast neue, sehr gute Batterie die für die Pferdereise zu schwer ist. Wir würden sie dir gerne schenken“, frage ich Rezindorj. „Eine Autobatterie? Aber ja, die kann ich gut gebrauchen.“ „Ich hole sie schnell aus unserem Zelt“, sage ich und laufe energiegeladen los. Wenige Minuten später reiche ich ihm das 20 Kilogramm schwere Teil. Rezindorj murmelt ein paar Worte und stellt sie weg. „Du hattest mehr Begeisterung erwartet?“, fragt Tanja. „Hm, na ja ein paar Worte zumindest. Aber was soll’s. Das ist schon in Ordnung“, antworte ich. Wieder werden wir aufgefordert uns auf das Bett zu setzen und abermals schenkt uns Gadimaa Tee in die Keramikschalen. Dann gehen Rezindorj und Gadimaa zu ihrem Altar auf dem sie Buddha huldigen, öffnen das Vorhängeschloss einer bemalten Truhe und holen etwas heraus. „Ein Geschenk“, sagt Rezindorj breit grinsend und reicht mir eine edle Flasche Wodka die in einem speziellen Karton verpackt ist. „Für mich?“, frage ich. „Aber ja“, sagt Rezindorj noch immer grinsend. Nochmals bedanke ich mich und wieder stellen sich meine Haare am ganzen Körper auf. Gadimaa tritt nun an Tanja heran und überreicht ihr, ebenfalls ihre Mundwinkel zu einem breiten Lachen nach oben gezogen, eine edle Schachtel mit holländischen Plätzchen, eine Flasche Orangensaft und Trockenfleisch für die Reise. Nun sitzen wird etwas beschämt da. Noch vor einer halben Stunde dachten wir die Beiden würden uns mit einem zu hohen Wasserpreis übervorteilen und nun das. Was soll man dazu sagen? Es gibt auch verdammt nette Mongolen. Wahrscheinlich sogar viele davon. Hatten wir nur eine Pechsträhne? Wir wissen zwar von der Tradition bei einem Geschenk ein Gegengeschenk machen zu müssen, jedoch ließen sich unsere Gastgeber dabei nicht lumpen. Sie waren sehr großzügig. Wahrscheinlich ergibt es auch in diesem Fall keinen Sinn die Situation zu analysieren. Man muss nicht allem auf dem Grund gehen. Als Reisender erfährt man Unangenehmes, sehr häufig aber auch Angenehmes. Wichtig ist es den Unterschied zwischen den Völkern und ihren Kulturen zu akzeptieren. Hat man damit Schwierigkeiten sollten man besser Zuhause bleiben. Und trotzdem sind Tanja und ich nur Menschen. Menschen die Angst bekommen wenn mitten in der Nacht dunkle Gestalten vor dem Zelt stehen und Pferde stehlen wollen. Wir sind Menschen die sich ärgern wenn sie belogen oder betrogen werden aber auch freuen wenn ihnen Gutes widerfährt. Dieses Buch, welches sich jeden Tag mit neuen Erfahrungen und Erlebnissen füllt, ist ein besonderes Dokument da es im Augenblick oder kurz nach dem Erlebten niedergeschrieben wird. Es sind also alle Emotionen ob Höhen oder Tiefen ungeschminkt geschildert. Ich nehme dabei kein Blatt vor dem Mund und schreibe ehrlich was ich denke oder fühle auch wenn man mir eventuell die eine oder andere Äußerung krumm nehmen könnte. Darauf kann und möchte ich keine Rücksicht nehmen. Mir ist wichtig unsere Reisen und Expeditionen so wie wir sie erleben festzuhalten.

Nächtlicher Besuch

23:45 Uhr. Ich liege unterm Vordach des Vorzeltes und blicke auf die Regenwolken die sich ab und zu über den vollen Mond schieben. Immer wenn der Wolkenvorhang sich öffnet erhellt fahles Licht das Hochtal. Die Berge, die uns umgeben, erscheinen wie Silhouetten die sich von der bedrohlich wirkenden Dunkelheit abheben. Schafe und Ziegen blöken und meckern. Rezindorj und Gadimaa haben ihre Herde wie bald jede Nacht in das aus Holz errichtete Gehege neben ihrer Jurte getrieben. Irgendetwas hat sie aus den Schlummer gerissen. Aufgeregt wimmeln sie durcheinander. Ich lausche gebannt in die Nacht. Ein Hund bellt aufgeregt. Es ist der bissige Köder von Ilchelaugsuren, den er jedes Mal wenn wir ihn besuchen an die Kette hängen muss. „Ob er etwas Ungewöhnliches entdeckt hat?“, frag ich mich. Da die Hunde unserer Nachbarn aber häufig und meist grundlos bellen verwerfe ich den Gedanken. Kühe und Jaks muhen oder geben eigenartige Grunzlaute von sich. Das Knattern eines Mopeds wird vom leichten Wind über das Tal herangetragen. Ich setze mich auf und sehe wie sich das schwache, gelbe Licht des Scheinwerfers durch die Nacht frisst. Dann verkümmert der Lichtstrahl mehr und mehr bis er sich im Nichts aufzulösen scheint. Nach einem langen Tag lasse ich mich wieder leise seufzend auf die Isomatte nieder, blicke noch eine Weile auf das Wolken- und Lichtschauspiel des Himmelszeltes und schließe die Augen.

Eine leichte Vibration verspürend öffne ich meine Lieder. Nicht wissend woher sie kommt konzentriere ich mich und bündle meine Sinne. Das Beben wird lauter, immer lauter. Mogi beginnt zu bellen. „Eine Herde“, kreuzt der erleuchtende Gedanke meine Gehirnwindungen. Dann vernehme ich Stimmen deren Klangwellen durch die klare Nacht bis an meine Ohren gelangen. Ich richte mich auf, kann aber nichts sehen. Mogi blickt nach Osten. Nun ums Zelt blickend sehe im gleißenden Lichtkegel meiner Stirnlampe eine große Pferdeherde herangaloppieren. Das Beben des Bodens ist jetzt real, keine Einbildung mehr. Vielleicht 100 Pferdeleiber jagen etwa 50 Meter hinter unserem Zelt vorbei. „Was ist das?“, fragt Tanja. „Eine Pferdeherde“, antworte ich. Dann sehe ich die zwei Männer die für die Jagd durch die Nacht verantwortlich sind. Mit lauten Rufen treiben sie die Tiere an uns vorbei. Ich hetze ihnen einen Lichtstrahl hinterher der unsere Wachsamkeit signalisieren soll. Nur Sekunden später reißen die Hirten an den Zügeln ihrer Reittiere und galoppieren direkt auf uns zu. „Zwei Männer! Sie kommen!“, rufe ich Tanja zu die wie von der Tarantel gestochen mit Pfeffergas in der Hand und Stirnlampe aus dem Zelt schießt. „Wau! Wau! Wau!“, gebärdet sich unser Wachhund wie verrückt. Seine Kette klirrt, zieht aber den Eisenpflock nicht aus den Boden. Nur einige Meter vor uns reißen die Männer erneut an den Zügeln worauf die Pferde sich aufbäumend zum Stehen kommen. Der Augenblick ist skurril. Man könnte meinen zwei Raubritter des dunklen Mittelalters sind durch ein Zeitloch galoppiert, um uns mit ihren blank gezogenen Schwertern zu köpfen. Die Mongolen sind von unseren Stirnlampen geblendet und heben zum Schutz ihre Hände vors Gesicht. „Drauf lassen“, sage ich zu Tanja überflüssigerweise, den gleißenden Lichtkegel nicht von ihren Gesichtern nehmend. Einer der etwa 20 Jahre jungen Männer feuert uns mit fester Stimme eine Frage entgegen. „Ich verstehe dich nicht!“, antworte ich mich nach dem Steinhaufen neben dem Zelteingang bückend.

Das Problem in dieser Situation ist, nicht zu wissen ob die beiden Männer uns wohl oder feindselig gesonnen sind. Die Wahrscheinlichkeit normale Hirten vor uns zu wissen ist groß. Doch um diese Uhrzeit? Wer treibt um 24:00 Uhr eine Pferdeherde von A nach B? In diesem Fall sind unsere Erfahrungen geradezu vernichtend ungünstig für die beiden nächtlichen, unangemeldeten rauen Gesellen. Sollten sie vom Pferd steigen werde ich Mogi von der Kette lassen und einen Stein werfen. Doch was ist wenn es keine Diebe sind und der Stein treffen sollte? Es bleibt keine Zeit diese Fragen zu erörtern. Wieder hämmert der Mann eine Frage heraus. Seine Stimme ist hart. Nicht passend zu einem freundlichen Besucher um 24:00 Uhr. „Ich verstehe dich nicht!“, antworte ich mit rauer Stimme, im aggressiven Tonfall, der den Beiden zeigen soll besser nicht vom Pferd zu steigen. „Wau! Wau! Wau!“, kläfft Mogi die Zähne fletschend. Erneut gibt der Fremde hartnäckig etwas von sich, erneut pariere ich ebenfalls hartnäckig mit einer ärgerlichen Antwort, die den Jungs unmissverständlich zeigt sie anzufallen falls sie etwas Böses im Schilde führen. „Lass uns gehen“, sagt der Zweite plötzlich. Es dauert nur ein Augenzwinkern als die Pferde wie von Sporen gezündet in der Nacht verschwinden und der davon galoppierten Herde folgen. Das laute Lachen der Störenfriede flattert wie Brandungswellen heran nur um in der Dunkelheit zu versickern.

„Meinst du das waren potentielle Diebe?“, fragt Tanja. „Wer soll das wissen. Möglicherweise waren es nur junge hitzköpfige Hirten. Fakt ist, die Zeit ihres Besuches war eigenartig. „Man oh man, in diesem Land kommt man nicht zur Ruhe. Mein Herz schlägt mir noch immer bis zum Hals“, meint Tanja sich wieder in die Schlafkabine zurückziehend, während ich mich abermals auf meine Wachposten begebe und lange brauche um einzuschlafen.

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