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Mongolei/Ulzii gibt auf Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Ulzii wird es zu kalt

N 49°37'317'' E 100°18'655''
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    Tag: 66

    Sonnenaufgang:
    07:13

    Sonnenuntergang:
    19:05

    Luftlinie:
    11,76

    Tageskilometer:
    17

    Gesamtkilometer:
    768

    Bodenbeschaffenheit:
    Steine/Schotter

    Temperatur – Tag (Maximum):
    15°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    10°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 8°

    Breitengrad:
    49°37’317“

    Längengrad:
    100°18’655“

    Maximale Höhe:
    1700 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    10:15

    Ankunftszeit:
    17:45

Der heutige Tag versöhnt uns mit sporadischem Sonnenschein. Immer wieder spitz der Stern durch die Wolken und wärmt unsere Körper. Wir stehen erst um 8:30 Uhr auf. Alle sind guter Stimmung. Wahrscheinlich schon deswegen weil wir heute unser erstes Etappenziel, die Stadt Mörön, erreichen werden. Bilgee kocht zu meiner Freude Nudelsuppe mit Schaf und danach noch Mantuu (Hefeklöse). Tanja und ich bereiten einen großen Topf Griesbrei mit Rosinen, den wir auch gleich alle zusammen als erstes verdrücken. Dann esse ich zwei Humpen Schafnudelsuppe und danach noch zwei Hefeklöse mit Marmelade bestrichen. Dazu drei Tassen Milchtee. Völlig überfressen würde ich mich am liebsten gleich wieder ins Zelt verkriechen. „Ein wenig Schlaf würde mir jetzt gut tun. Mit solch einem dicken Bauch reitet es sich äußerst schlecht. Aber ehrlich gesagt ist mir das lieber als zu hungern“, lache ich mein Pferd sattelnd.

Wegen unserer Kocherei und anschließenden Schlemmerei kommen wir erst um 12:30 Uhr los. Wieder überqueren wir zwei Pässe. Bilgee und Ulzii unterstützen Bor in dem sie wieder Seile an der Deichsel des Pferdewagens befestigt haben. Im Sattel sitzend führen sie das Seil unter dem Oberschenkel und arretieren es mit der Faust. An dem Ovoo (Wohnsitzt von Schutzgottheiten) angekommen, bläst uns wie gewohnt kalter Wind entgegen. Trotzdem friere ich heute nicht. „Liegt bestimmt an dem vielen Essen“, sage ich zu Tanja die sich zum Schutz vor der Kälte ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zieht. Wir blicken in ein riesiges Tal. Das Weideland sieht völlig vertrocknet aus und zeugt wie schon die letzten Wochen von der starken Überweidung. „Hinter diesem Berg befindet sich die Stadt Mörön“, sagt Ulzii euphorisch. Wir sind überrascht jetzt doch schon vor unserem Etappenziel zu stehen. Ebenfalls gut gelaunt schießen wir ein paar Fotos der imposanten Landschaft. Bilgee und Ulzii unterhalten sich lange Zeit am Pferdewagen. „Worüber sprechen die denn so lange?“, wundert sich Tanja. „Keine Ahnung. Vielleicht sind auch sie von dem Anblick überwältigt“, antworte ich.

Auf dem Weg ins Tal sprechen wir darüber ein paar Kilometer vor der Stadt ein Camp aufzuschlagen. Somit ist gewährleistet heute nicht in die Dunkelheit zu kommen. Aus unserer Erfahrung macht es keinen Sinn am späten Nachmittag mit Pferden in eine Stadt zu reiten. Noch ist nicht geklärt wo wir dort unterkommen und wie wir Futter für unsere Pferde bekommen. „Was meint Bilgee wo wir in diesem Tal unser Lager aufschlagen sollen?“, frage ich Ulzii. „Ich habe ihn schon gefragt aber er antwortet nicht“. Wie er antwortet nicht?“, möchte ich verwundert wissen. „Weiß nicht“, höre ich die eigenwilligen Worte von Ulzii. „Die werden sich doch nicht kurz vor dem Ziel gestritten haben“, geht es mir durch den Kopf. Im Laufe der letzten Monate habe ich gelernt erstmal abzuwarten. „Es wird sich schon regeln“, überlege ich. Eine halbe Stunde später frage ich aber erneut nach. „Kein Wasser“, antwortet Bilgee auf das Land vor uns deutend. „Ulzii, du wohnst doch hier. Gibt es denn kein Wasser vor der Stadt?“, frage ich. „Doch, wir können hinter Mörön am Fluss campen“, empfiehlt er. „Hinter Mörön? Dann trinken wir die Abwässer der Stadt. Das ist keine gute Idee. Wir sollten vor der Stadt campen“, schlage ich vor. Ulzii reagiert mit einem tiefen Schweigen. Bilgee hält den Pferdewagen an und sucht mit seinem Fernglas das Tal ab. An einem Berghang entdeckt er ein Glitzern. „Wasser“, sagt er und gibt mir seinen Feldstecher. „Sieht gut aus. Ist nur die Frage ob es genug für uns ist?“, sage ich. „Was meinst du? Sollen wir zur Stadt reiten oder an der Wasserstelle am Berghang unser Lager aufschlagen?“, verstehe ich Bilgee. Ulzii reitet aus nicht nachvollziehbarem Grund ein paar hundert Meter von uns entfernt. „Was macht er dort?“, fragt Tanja. „Hat er wie so oft nicht gesagt“, antworte ich mein GPS einschaltend um die Entfernung zur Stadt festzustellen. Obwohl wir von hier schon den Stadtrand erkennen können zeigt das GPS zehn Kilometer an. „Wir nehmen die Wasserstelle dort drüben“, entscheide ich zum Berghang zeigend.

„Wo reitet ihr hin?“, fragt Ulzii überraschend gut drauf als er uns entgegenkommt. „Wir nächtigen an dem Bächen dort drüben“, sage ich worauf sein anfängliches Lächeln wieder verschwindet. „Wahrscheinlich dachte er wir reiten heute noch in die Stadt“, sagt Tanja. „Dann sieht er seine Familie erst morgen. Ist doch kein Problem“, entgegne ich. Als wir unser Lager aufschlagen kommt Ulzii mit ernstem Gesichtsausdruck auf mich zu. „Ich habe gerade mit meiner Familie telefoniert. Mein Vater liegt im Krankenhaus“, erklärt er recht geknickt. „Was hat er denn?“, möchte ich wissen. „Weiß ich nicht. Die Verbindung ist abgebrochen. Ich muss ihn heute noch besuchen“. „Ist in Ordnung. Aber bitte komm zurück um deine Nachtwache zu halten“, antworte ich, worauf er wieder mit nachhaltigem Schweigen reagiert. Da uns Ulzii auf dem Trip häufig wie ein verwöhnter kleiner Junge vorkam, der immer macht wozu er gerade Lust hat, ist sein Schweigen nicht schwer zu deuten. Nach mehreren versuchen bekommt Tanja eine Verbindung zu Saraa. „Hallo Saraa. Wir befinden uns etwa zehn Kilometer vor Mörön.“ „Oh, das ist schön. Dann kommt ihr morgen?“ „Ja morgen werden wir da sein. Hast du eine Idee ob wir bei dir bleiben können?“ „Vielleicht. Ich spreche noch mal mit meinen Mann. Wir müssten eine Jurte für euch aufbauen.“ „Das klingt gut“, antwortet Tanja erleichtert da die Übernachtungsfrage noch immer völlig ungeklärt ist. Als sie noch fragen möchte ob es in der Stadt Futter für unsere Pferde gibt, bricht die Verbindung wieder ab. Es dauert allerdings nicht lange als bis wir eine SMS von ihr empfangen. „Tanja, Denis! Bitte passt diese Nacht besonders gut auf eure Pferde auf. In der Umgebung um Mörön gibt es viele Pferdediebe!!!“ „Dachte wir können das mit unseren Nachtschichten etwas lockerer sehen aber unter diesen Bedingungen müssen wir besonders wachsam sein“, meine ich. Mittlerweile hat Ulzii wieder Telefonkontakt zu einem seiner Brüder gehabt. Sein Vater hat sich bei einem Autounfall am Knie verletzt. Es ist geschwollen. Ansonsten ist er wohlauf. „Wenn du heute deinen Vater besuchst, komm bitte wieder zurück. Wir brauchen dich für die Wachschichten. Du hast die SMS von Saraa gelesen. Es ist also sehr wichtig. Es ist auch nicht möglich deine Schichten auf Bilgee zu übergeben. Vier Stunden sind nach so einem harten Tag zuviel für einen Mann.“, bitte ich ihn. „Ich weiß nicht ob mich mein Bruder abholt“, antwortet er. „Aber wenn er dich abholt komm bitte zurück“, sage ich eine ungute Ahnung verspürend.

Weil Ulzii mit Telefonieren beschäftigt ist machen wir uns ohne ihn auf die Suche nach Feuerholz. Da wir uns hier in Stadtnähe befinden und das gesamte Tal völlig abgegrast ist finden wir kein Brennmaterial. Mit dem Fernglas findet Bilgee auf einem Hügel zwei Pferdepfähle. „Die holen wir uns morgen. Heute kommen wir mit den paar Resten die wir zusammenglauben zurecht. Außerdem haben wir ja auch ein bisschen Holz im Pferdewagen“, schlägt er vor.

Guten Mutes, es bis zu unserem ersten Etappenziel geschafft zu haben, sitzen wir um unsere Feuerstelle und erzählen uns lustige Episoden die wir auf der Reise zusammen erlebt haben. Ulzii erzählt dabei immer wieder wie kalt es ihm war obwohl er auf dem Trip meist das Gegenteil behauptete. Hüjten, hüjten, hüjten“, („Kalt, kalt, kalt, kalt“) wiederholt er meinen Witz, worauf wir wegen meiner eigenwilligen Aussprache uns die Bäuche vor Lachen halten. „Meinst du er geht heute seinen Vater besuchen?“, fragt Tanja später. „Ich weiß nicht. Ihm ist die Dringlichkeit seiner Anwesenheit bewusst. Er wird uns schon nicht im Stich lassen“, antworte ich zuversichtlich.

Nach einer von Tanja zubereiteten kräftigen Nudelsuppe mit Zwiebeln gehen wir ins Bett. Da Ulzii die erste Schicht von 22:00 Uhr bis 24:00 Uhr hat sitzt er in der Apside seines Zeltes und leuchtet mir seiner Stirnlampe gewichtig die Gegend ab. „Er macht seinen Job heute besonders gewissenhaft“, freue ich mich, öffne den Reißverschluss unseres Zeltes und schlüpfe hinein. „Huaaa hüjten, hüjten, hüjten“, (kalt, kalt, kalt, kalt) sage ich zu Tanja da das Thermometer schon um diese Zeit -8°C anzeigt. Wir möchten gerade in unsere Schlafsäcke schlüpfen als wir den Motor eines Autos vernehmen. „Kommt das zu uns?“, wundert sich Tanja. „Hört sich so an.“ „Also wird Ulzii doch von seinem Bruder abgeholt.“ „Sieht so aus“, meine ich. Kaum hält das Auto in unserem Lager an kommt Ulzii zu unserem Zelt und ruft mich. „Was gibt es Ulzii?“ „Mein Bruder ist da. Ich gehe jetzt in die Stadt.“ „Ist okay. Wann kommst du wieder?“ „Ich komme nicht wieder.“ „Was? Und was ist mit deiner Wachschicht?“ „Die übernimmt Bilgee für mich.“ „Ulzii, wir haben dir doch gesagt das eine Doppelwachschicht viel zu lang ist. Das ist Bilgee gegenüber nicht fair. Er hatte heute einen harten Tag mit den Pferdewagen und zwei Pässen.“ „Ich hatte auch einen harten Tag“, antwortet er, worauf ich den Reißverschluss öffne um ihn anzusehen. „Du weißt, dass gerade heute die Wachschicht wichtig ist. Du hast doch Saraas SMS gelesen. Du musst zurückkommen.“ „Ich komme nicht zurück. Außer ihr zahlt mir das Taxi.“ „Das Taxi? Wenn du gehst dann musst du auch aus eigner Kraft wieder kommen. Dein Vater liegt doch nicht im Sterben. Er hat ein geschwollenes Knie.“ „Denis, Denis, Denis. Du hast gesagt ich kann gehen.“ „Ja. Wir haben aber auch gesagt, dass du wieder kommen musst.“ „Ich komme nicht wieder.“ „Ulzii, wir brauchen dich.“ „Fuck! Fuck! Fuck!“, erschreckt uns sein ungehaltenes plötzliches Fluchen. „Mein Trip ist hier zu Ende. Das ist für euch ein noch viel größeres Problem. Ich komme nicht mit nach Tsagaan Nuur. Mir wird es viel zu kalt“, sagt er, dreht sich um und steigt zu seinem Bruder ins Auto. Zitternd vor Kälte sitze ich wie geprügelt da und versuche zu verdauen was uns Ulzii gerade um die Ohren geschlagen hat. Da wir ihn während der gesamten Zeit wie einen Bruder behandelt haben können wir sein Verhalten nicht verstehen. Es trifft mich sehr. Dachte ich wir wären ein Team. Dachte ich einer für alle, alle für einen. Aber ich habe falsch gedacht. Ulzii hat die Heimatstadt gesehen und ist regelrecht davongerannt. Psychisch nachvollziehbar, menschlich aber eine Katastrophe. „Wir schaffen es auch ohne ihn“, meint Tanja zuversichtlich. „Wenn uns Bilgee jetzt nicht auch noch einbricht, schon.“ „Das ist nicht seine Art.“ „Denke du hast Recht.“ „Wir sollten die Wachschicht unter uns aufteilen“, schlägt Tanja vor. „Ja, das sollten wir“, sage ich noch immer zitternd vor Kälte. Bevor Ulzii uns beschimpft und verlassen hat war es mir noch richtig warm. Jetzt hingegen fühle ich mich als wäre ich ein einziger Eiszapfen. Schon interessant wie die Psyche das körperliche Empfinden beeinflussen kann.

„Ich gehe raus und erkläre Bilgee das wir uns die Wachschichten teilen“, schlägt Tanja vor und schlüpft in die Kälte. Da ich noch Einiges zu schreiben habe übernehme ich die Zeit von 21:00 bis 24:30 Uhr. Tanja von 24:30 Uhr bis 3:20 Uhr. Bilgee von 3:20 Uhr bis 6:00 Uhr. Ab 6:00 darf sich einfach kein Dieb blicken lassen.

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