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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Tuya hat sich für die Welt entschieden

N 51°33'337'' E 099°15'341''
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    Tag: 277

    Sonnenaufgang:
    06:03

    Sonnenuntergang:
    20:37

    Gesamtkilometer:
    1341

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    2°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 6°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 20°C

    Breitengrad:
    51°33’337“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Bei strahlenden Sonnenschein und plus 6 °C soll es heute endlich ins Frühjahrscamp gehen. Bei den Tuwa herrscht geschäftiges Treiben. Gamba und Purvee brachten ihre Rentiere bereist um 7:00 Uhr morgens zum Fressen in den Wald. Ein sehr gutes Zeichen weil sie die Tiere normalerweise erst um ca. 10:00 Uhr in den Forst treiben. Es ist 11:00 Uhr als Bilgee noch immer nicht im Camp ist. „Wahrscheinlich nimmt er nach dem ständigen blinden Alarm den heutigen Aufbruchstermin nicht mehr für ernst“, überlegt Tanja. Da die Tuwa grundsätzlich nicht aufeinander warten bin ich nervös. „Wenn wir nicht wollen das sie ohne uns gehen muss er jetzt unbedingt kommen. „Kannst du ihn holen? Ich muss weiter packen“, frage ich Tanja. „Okay“, sagt sie und macht sich auf dem Weg. „Beeilt euch!“, rufe ich ihr hinterher. „Ja, ja, machen wir.“

Nachdem ich das Meiste in vier großen Seesäcken und vier Kuriertaschen verstaut habe beginne ich das große Zelt abzubauen. Jedoch rechnetet ich nicht damit das die Zeltheringe durch die massiven Nachtfröste und dem oftmaligen täglichen Tauwetter wie einbetoniert im Boden festsitzen. Verzweifelt ziehe ich am Ersten und scheitere kläglich. Ich hole eine Zange, um mehr Hebelkraft zu besitzen, doch der Zeltnagel bleibt von meiner Aktion völlig unberührt. Ich überlege eine Weile und komme auf die Idee die Aluminiumnägel mit kochendem Wasser aus dem Boden zu tauen. Umgehend hole ich unseren Wasserkessel dessen Inhalt auf dem Ofen siedet. Ich begieße den Zelthering und rüttle an ihm herum bis er langsam zu wackeln beginnt. Mit enormen Kraftaufwand bringe ich das nun verbogene Ding aus der Erde. Ich blicke auf die Uhr. „10 Minuten um so ein Scheißding aus dem gefrorenen Boden zu bringen. Das kann doch nicht wahr sein?“, fluche ich vor mich hin und begebe mich zum Nächsten. Trotz Heißwasser und allen Trick bleibt der dumme Spannhaken im Grund. Sein Kollege ist etwas nachsichtig mit mir und in fünf Minuten draußen, aber wiederum zur Unbrauchbarkeit verbogen. Noch mindestens 20 solcher Zeltnägel sind im Eis betoniert. Tsaya kommt mit einer großen Axt, um mir zu helfen. Als sie einen herausgemeißel hat kann man das total zerstörte Teil nur noch in die Tonne werfen. „Bitte vorsichtig, ich habe kaum Ersatz dabei. Wenn alle Zeltnägel zerstört sind können wir dieses Stoffhaus nicht mehr aufbauen“, warne ich sie freundlich. Tanja ist mittlerweile seit einer Stunde weg und ich habe gerade mal fünf Nägel aus den Boden gerackert. Gamba beginnt bereits mit dem Beladen seiner Rentiere. „Es kann doch nicht wahr sein das nach der ewigen Warterei mich heute die verdammten Zeltnägel und der nicht kommende Bilgee vor dem Umzugstrip abhalten?“, grummle ich in mich hinein. Um 13:00 erscheinen die beiden. „Sorry, wir mussten die Pferde erst einfangen“, sagt Tanja mit den Schultern zuckend. „Na das hätte Bilgee doch wie gestern vereinbart schon heute morgen tun können“, antworte ich. „Er hat es aber nicht gemacht. Was soll ich sagen? So wie ich ihn verstanden hatte glaubte er tatsächlich nicht an diesen Aufbruch“, erklärt sie. Nach über zwei Stunden Schwerstarbeit konnte ich bis auf drei der Zeltnägel alle aus dem Eis zerren. Ein Drittel davon ist unbrauchbar und meine Kräfte sind für heute aufgebraucht. Mit letzter Anstrengung hebe ich die schweren Seesäcke mit Bilgee auf die Pferderücken, während Naraa neugierig herumläuft alles beschnuppert und zu unserer Belustigung ihren großen Kopf in die Tipiöffnung steckt, um zu sehen was Tanja so treibt.

Tso, der heute auch einen Gepäcktrip unternimmt, verlässt mit seinen Rentieren gerade das Camp. Gamba rüttelt noch mal an einem verladenen Ofenrohr. In diesem Augenblick steige ich in den Sattel. „Schau mal! Naraa!“, ruft Tanja als ein grünlicher Schwall Wasser aus ihr herauskommt. „No problem. Dsügeer dsügeer“, (Ist okay) meint Bilgee sich nicht darum kümmernd. Tanja schnappt ihm am Arm und führt ihn zu Naraa. Sie nimmt ihren buschigen Schwanz zur Seite und als aus dem Muttermund ein kleines Stückchen eines Fohlens zu sehen ist ruft Bilgee; „Denis hol die Kamera!“ Sofort springe ich ins Tipi, um die Foto- und Flimkameras zu holen. Naraa sitzt nun auf beiden Hinterbeinen und hat die Vorderbeine wie bei einer Comicfigur von sich gestreckt. Dann legt sie sich zur Seite und ehe wir uns versehen erscheinen zwei dünne, lange, spinnenähnliche Beinchen. Gebannt verfolgen wir die Geburt des Neuankömmlings, darauf hoffend das es lebt. Im Augenwinkel sehe ich wie Gamba seinen Rentierzug in Bewegung setzt und im Wald verschwindet. Auch dieser Umzugstag ist in letzter Minute vereitelt.

Bilgee hilft Naraa bei der Geburt und zieht das Kleine vorsichtig an den Vorderbeinchen. Es popt heraus und liegt im kalten Schnee. Nur noch die Hinterbeine befinden sich im warmen Mutterleib. Die Fruchtblase ist geplatzt und bedeckt in Fetzen das nasse Fell des Fohlens. Bilgee bläst es in die Ohren und Nüstern. Es bewegt sich nicht. Ein Schreck fährt durch meine Glieder. Dann aber eine Regung und der übergroße Kopf dreht sich ein Stückchen wie in Zeitlupe. „Es lebt! Wir nennen es Tuya (Arktisches Licht)“, ruft Tanja leise. Ich ziehe die Hinterbeinchen gar heraus. Zitternd vor Kälte liegt unser Nachwuchs im Schnee, während eiskalter Wind über seinen nassen Körper bläst. „Na du hättest dir auch besseres Wetter aussuchen können, um dieser Welt guten Tag zu sagen“, meine ich flüsternd. Umgehend holen wir eine Decke, um den Kleinen darauf zu betten. „So, jetzt kann dir der böse kalte Schnee nichts mehr anhaben“, sage ich. Naraa beugt ihren Kopf nach hinten und begutachtet was da aus ihrem Bauch geschlüpft ist. Sofort beginnt sie ihr Kind abzuschlecken. Da sie sehr schwach ist hoffen wir darauf das sie ihr Baby annimmt. Bilgee meint, dass es vorkommt, das schwache Stuten aus Selbstschutz ihr Kind ablehnen. Das wäre natürlich fatal. Vor allem hier in der Taiga wo es keine weiteren Stuten gibt der man das Baby unterschmuggeln oder zumindest Milch abzapfen kann. „Ich brauche Salz“, sagt Bilgee worauf ich sofort eines aus dem Tipi hole. Er streut es über das nasse Fell von Tuya. Naraa scheint das zu schmecken denn sie schleckt eifrig an ihrem Söhnchen.

Tsaya und Ultsan, die bei der Geburt mit anwesend sind meinen; „Ihr könnt ja trotzdem losreiten und Naraa und ihr Baby dalassen.“ „Das machen sie unter keinen Umständen. Ich lasse doch jetzt nicht unseren Pferdemann gehen und bleibe mit unserem Nachwuchs alleine. Ich hatte noch nie ein Fohlen und weiß gar nicht was ich tun soll falls etwas schief geht? Nein die beiden bleiben da“, antwortet Tanja bestimmt. „Keine Sorge. Ich hatte nie daran gedacht dich mit unserem Jungen jetzt alleine zu lassen. Wir sehen die nächsten Tage wie er sich entwickelt. Erst wenn sich die Lage stabilisiert bringe ich das Gepäck ins Camp. Laut Gamba soll der Track einfach zu sehen sein. Mit oder ohne Schnee“, beruhige ich sie.

Da Tuya noch immer am gesamten Körper zittert wie Espenlaub entscheiden wir uns ihn ins Tipi zu tragen. Zumindest solange bis er trocken ist. Wir legen ihn neben dem Ofen ab. Er atmet stoßweise und schnell wie ein Fisch. „Ob das normal ist?“, frage ich besorgt. Tanja trocknet ihm mit einem unserer Geschirrtücher das nasse Fell. Der Kopf des Neuankömmlings liegt auf ihren Schoß. Es ist ein aufregender und sehr schöner Moment. Wenn man bedenkt was Naraa alles durchgemacht hat kommt mir Tuyas Geburt wie ein Wunder vor.

„Es ist hier drinnen zu warm und draußen zu kalt. Der Wechseln Warm Kalt ist für Tuya ungesund. Wir sollten ihn wieder raus tragen. „Denke das ist eine weise Entscheidung“, gebe ich Bilgee Recht worauf wir den Kleinen wieder in die Kälte bringen und auf eine Decke neben seine Mutter legen. Schon 30 Minuten nachdem Tuya das Licht der Welt erblickt hat möchte er aufstehen. Es ist lustig anzusehen wie ihn dabei seine Beinchen wegknicken. Seine fast weißen, weichen Hufe werden schon etwas dunkler. „Sie werden jetzt schon härter“, sage ich sie abtastend. Nach vielleicht zwei Stunden helfen wir dem kleinen Hengst auf die Beine. Er steht da und schwankt. Dann fällt er um. Wieder helfen wir ihm hoch. „Steht da wie ein Betrunkener“, sage ich da er hin und herschwankt und offensichtlich noch große Schwierigkeiten mit seinem Gleichgewichtssinn hat. Nach dem dritten Versuch steht er allerdings für einige Zeit selbständig. Bilgee führt ihn an die Zitzen. Sofort beginnt er zu saugen. „Naraa hat keine Milch“, trifft uns Bilgees Feststellung wie ein Faustschlag. „Was? Naraa hat keine Milch? Wie soll Tuya das Überleben?“, frage ich erschrocken. „Wir müssen ihm etwas zufüttern?“, antwortet er. „Außer Trockenmilch besitzen wir nichts. Und die besteht nicht aus Milch sondern aus irgendeinem schlechte Öl und Zusätzen. Die Milch ist derart schlecht das selbst ich sofort Durchfall davon bekomme. Das können wir dem Hengstchen unter keinem Umstände füttern“, beschließe ich. „Tuya ist mindestens zwei Wochen zu früh geboren. Das ist der Grund warum Naraa noch keine Milch hat.“ „Die Milch wird schon noch einschießen. Das ist doch nichts Außergewöhnliches das Mütter erst nach ihrer Geburt Milch produzieren“, sagt Tanja. „Eben, das glaube ich auch. Sie bekommt bestimmt noch Milch“, gebe ich ihr Recht. Gebannt beobachte ich dann die Zitzen von Naraa die durch das ständige Saugen des Kleinen größer und größer werden. „Da sieh hin. Die sind schon richtig fett. Da kommt bestimmt schon Milch raus“, sage ich zu Bilgee.

Wegen dem kalten Wind nähen Bilgee und Tanja aus Schafsfellresten ein kleines Mäntelchen und ziehen es Tuya über dann ziehen wir uns ins Tipi zurück. Wir trinken heißen Tee und beratschlagen die weiteren Schritte. Plötzlich taucht Hadaas Kopf in der Tipiöffnug auf. „Ich gratuliere euch zu eurem Nachwuchs“, sagt er und grinst dabei über beide Backen. „Das müssen wir feiern“, sagt er zu Bilgee mit einem verschmitzten Lächeln. Bilgee erhebt sich und verlässt das Tipi. „Denke die Saufen jetzt einen“, meine ich an Tanja gewandt. „Meinst du?“ „Bin mir da ganz sicher.“ „Der kann doch jetzt nicht tinken? Bilgee muss heute Nacht auf unseren Kleinen achten“, sagt sie und geht den beiden hinterher währen ich ins Freie trete und auf Tuya und ihre Mutter aufpasse. „Sie trinken tatsächlich“, meint Tanja ihren Kopf aus der kleinen scheibenlosen Fensterluke der Baishin streckend. „Ich trinke mit und spucke das Gesöff in den Teebecher“, grinst sie und zeigt mir das blecherne Gefäß. „Gut“, antworte ich. „Sie fragen warum ich hier sitze und nicht du? Ich habe gesagt weil du auf unseren Nachwuchs achtest“, erklärt sie weiter. „Denken bestimmt du stehst unter meiner Fuchtel.“ „Egal, Hauptsache ich muss diesen Fusel nicht trinken“, antworte ich, worauf ihr Kopf wieder im inneren der Blockhütte verschwindet.

Eine halbe Stunde später kommen Tanja und Bilgee wieder. „Ist nicht so schlimm. War nur eine Flasche“, beruhigt mich Tanja. „Gut. Das hast du gut gemacht“, antworte ich. Dann machen wir die Pferde fertig damit sie Bilgee wieder auf die Lichtung treiben kann. Von der Last ihrer Ladung haben wir sie schon lange befreit. „Soll ich Tuya tragen?“, fragt sie Bilgee. „Ügüj. (nein) Er wird seiner Mutter folgen“, sagt er. „Ist ein weiter Weg“, stelle ich fest und frage mich ob unser Kleiner mit den 1 ½ Kilometern zum Bilgeecamp nicht überfordert ist? Tanja scheint das Gleiche durch den Kopf zu gehen denn sie nimmt Tuya hoch, um ihn zu tragen. „Lass das Bilgee machen. Er ist doch viel zu schwer“, mahne ich. „Ach was. Das geht schon“, antwortet sie davonstapfend. „Lass ihn laufen! Er wird seiner Mutter folgen!“, ruft Bilgee bereits vorausschreitend. Tanja setzt Tuya wieder auf seine Beinchen. Wie eine zarte Blumen im Wind wackelt der kleine Hengst seiner Mutter hinterher. Naraa ruft immer wieder und wartet. So macht uns er Taigajunge bereist drei Stunden nach seiner Geburt einen aus meiner Sicht seinen ersten Gewaltmarsch. „Ich hoffe Bilgee weiß was er tut“, flüstere ich und laufe zum Tipi zurück. Dabei fällt mir auf das Naraas Nachgeburt von den Camphunden restlos verschlungen wurde.

Von den Anstrengungen des Tages fix und fertig beginne ich die Ladung erneut auszupacken. Nach 30 Minuten erscheint Tanja wieder im Tipi. „Und? Wie ist es gelaufen? Hat er es geschafft?“, frage ich. „Du wirst es nicht glauben aber Tuya scheint ein echter Surviver zu sein. Er hat zwar etwas gebraucht aber es war kein Problem ihn bis zur Lichtung zu bringen.“ „Sehr gut“, antworte ich so müde das ich im Stehen schlafen könnte.

In dieser Nacht schlafen wir zum Ersten Mal in unserem Tipi. Tanja bekommt das Bett welches ich mal für Bilgee baute und ich richte mir ein Lager auf dem schmutzigen Boden ein. Da es hier drin furchtbar eng ist und ich vor Erschöpfung kaum noch denken kann gibt mir Tanja ein paar Ideen wie ich mein Bett einrichten soll. So lege ich unsere große, schwere Doppelfilzmatte zusammen und lege sie neben dem Kanonenofen auf den Boden. Dann blase ich meine Isomatte auf, um sie auf der Filzmatte zu platzieren. Dann stopfe ich meine Kleidung am Kopfende neben Tanjas Pritsche, ziehe meine vor Dreck strotzenden Hose und Jacke aus und schlüpfe in den Schlafsack. Natürlich nicht ohne meine Freundin die Wärmflasche mit hinein zu nehmen. „Oh man, war das ein Tag“, stöhne ich meinen schmerzenden Oberkörper niederlassend. „Ja, ein außergewöhnlicher Tag. Und jetzt besitzen wir Nachwuchs. Ist ein wunderschönes Fohlen“, sagt Tanja. „Ohne Zweifel der schönste Hengst in der gesamten Mongolei“, meine ich. „Sicherlich“, flüstert Tanja mit einem Lächeln in der Stimme.

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