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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Abrupter Aufbruch? – NGO ist gegen eine Visaverlängerung

N 51°33'337'' E 099°15'341''
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    Tag: 276

    Sonnenaufgang:
    06:05

    Sonnenuntergang:
    20:36

    Gesamtkilometer:
    1341

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    2°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 6°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 25°C

    Breitengrad:
    51°33’337“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Die Nacht war mit minus 25 °C wieder furchtbar kalt. Weil tagsüber die Schneemassen schmelzen und in den Boden eindringen gefriert dieser nachts. Unsere Isomatten und Filzdecke liegen also nach wie vor auf blankem Eis. Nicht mal der Deel, den wir als weitere Unterlage auf die Matten gelegt haben, scheint zu helfen. Bibbernd stehen wir auf um unserer täglichen Routine nachzukommen.

Ich löffle gerade meinen Frischkornbrei, der mir nach all den Monaten gelinde gesagt auf den Senkel geht, als Tsaya und Ultsan sich durch den niedrigen Eingang unseres Tipis drücken. Da sie um diese Tageszeit zu zweit erscheinen ist uns sofort bewusst das irgendetwas im Busch oder in diesem Fall besser ausgedrückt im Eis ist. „Gibt es Neuigkeiten?“, frage ich. „Ja. Wir haben uns soeben entschieden aufzubrechen. „Was? Trotz des schlechten Wetters? Okay. Na das ist ja wunderbar“, sage ich. „Ja, finden wir auch. Es ist also gut wenn ihr sofort mit dem Packen beginnt. Es geht um spätestens 13:00 Uhr los“, meint Tsaya, worauf ich mich an dem gerade in den Mund geschobenen Frischkornbrei beinahe verschlucke. „Um 13:00 Uhr? Oh man! Das ist ja in drei Stunden!“, meine ich den Löffel in die Schüssel fallen lassend. „Ja. Alle Männer sind sich einig. Wir holen nur noch unsere Rentiere die gerade beim Fressen im Wald sind und dann geht es los.“ „Das geht nicht. Unsere Naraa schafft das nicht“, wendet Tanja ein. „Denis und Bilgee können ja schon mal den ersten Trip zusammen unternehmen. Dann wisst ihr wo sich das Camp befindet und könnt mit Naraa später nachkommen“, meint Tsaya. Dann erheben sich unsere Nachbarn und eilen zu ihrer Baishin, um mit dem Packen zu beginnen.

„Oh weh. Erst können sie sich über Wochen nicht entschließen zu gehen und dann treffen sie ihren Entschluss innerhalb von Minuten. Aus den Tuwa soll einer schlau werden“, stöhnt Tanja. „Am besten du gehst sofort zu Bilgee und informierst ihn. Er soll so schnell als möglich die Pferde bringen. Ich beginne hier schon mal mit dem Abbau der Technik“, schlage ich vor, worauf Tanja in ihren Deel schlüpft und aus dem Tipi eilt. Kaum ist sie fort hebt sich der Eingangsstoff erneut. „Äh, Denis?“, sagt Tsaya als ihr Kopf unter dem Leinen hervorscheint. „Ja?“ „Falscher Alarm. Wir brechen erst morgen auf.“ „Was? Erst morgen? Tanja ist bereits unterwegs um Bilgee Bescheid zu geben.“ „Dann schreib ihr eine SMS.“ „Tsaya, dort unten auf der Lichtung gibt es keinen Handyempfang“, antworte ich, schlüpfe nun ebenso in eine Jacke und haste Tanja hinterher. Sie ist gerade mit Bilgee im Gespräch als ich angestapft komme. „Falscher Alarm. Es geht es morgen los“, sage ich. „Ja können die sich denn nie entscheiden?“, fragt Tanja fast erleichtert. „Sieht so aus. Es gibt keine Zeit in der Mongolei und vor allem nicht bei den Tuwa“, meine ich.

„Bilgee hat sich sogar entschieden gewehrt heute aufzubrechen. Naraa ist noch viel zu schwach. Außerdem geht ihm mittlerweile auch das Hin und Her auf die Nerven. Er kann das Wort vielleicht nicht mehr hören“, erzählt Tanja als wir wieder zum Camp stapfen. „Wir hätten Naraa zurücklassen können.“ „Ja, dann hätte ich den ganzen Tag auf sie achten müssen und keiner wäre im Camp gewesen wenn sie wieder in einen Graben gefallen wäre. Da bringe ich sie allein nie raus. Das ist keine gute Lösung“, entgegnet Tanja. „Ich weiß. Aber was hätten wir tun sollen?“ „Das Frühjahrscamp entpuppt sich zu einer echten Herausforderung“, antwortet sie. „Wer hätte das gedacht? Wir sollten uns nun überlegen wie wir das morgen organisieren. Naraa sollte auf jeden Fall hier bleiben. Das heißt du müsstest trotz aller Risiken auf sie achten. Ich werde mit Bilgee einen Teil der Ausrüstung ins Frühjahrscamp bringen und dabei den Weg mit dem GPS tracken. Wir bauen dort das große Zelt auf, legen alles hinein und reiten noch am gleichen Tag zurück. Dann bist du nicht lange alleine, wir wissen wo sich das Camp befindet und können uns solange Zeit lassen bis Naraa wieder fit ist“, schlage ich vor. „Genau, so machen wir es. Ein guter Plan“, sagt Tanja.

Am späten Nachmittag checke ich nochmal die Lage. „Und? Gibt es irgendwelche Meinungsänderungen? Oder geht es morgen tatsächlich los?“ „Gamba, Ovogdorj und Tso unternehmen morgen ihren ersten Gepäcktrip. Wir bleiben. Für uns ist der Freitag ein schlechter Tag. Wir reiten am Samstag oder am Sonntag. Je nachdem“, erklärt Tsaya. „Was? Der Freitag ist ein schlechter Tag? Wie meinst du das?“, frage ich erneut verblüfft. „Jede Familie hat einen schlechten Reisetag. Und jeder ist eventuell ein anderer. Unserer ist der Freitag. Da ziehen wir unter keinen Umständen um. Aber für euch ist das ja kein Problem. Ihr könnt ja den anderen folgen.“ „Werden sie auf uns warten. Rentiere sind doch relativ schnell. Ich weiß nicht ob wir mit unseren schwer beladenen Pferden da mithalten können“, wende ich ein. „Ihr könnt doch den Spuren folgen.“ „Wenn noch überall Schnee liegt ja. Ansonsten wird es eventuell nicht leicht sein den Spuren zu folgen. Besonders wenn es über Gestein geht“, antworte ich und frage mich wie diese neue Herausforderung zu lösen ist. Nach einem Gespräch mit Bilgee kann ich ihn davon überzeugen Gamba zu fragen wie der Weg beschaffen ist. Wir erfahren das Gamba gestern morgen schon den ersten Gepäcktrip unternommen hat und erst heute Abend zurückkommt. „Ich werde um 19:00 Uhr ins Camp reiten und mit ihm reden“, verspricht unser Pferdemann mit dem ich mich mittlerweile freundschaftlich verbunden fühle. Ein Gefühl welches sich bei mir nicht so schnell einstellt und somit etwas ganz besonderes bedeutet.

„Der Weg ist kein Problem. Wir können ihn auch ohne die Tuwa finden“, höre ich die positive Nachricht. Trotzdem entscheide ich mich morgen mit den Tuwa zu reiten, um den Umzug fotografisch dokumentieren zu können. Zumindest ist das der Plan.

Im Verlauf des Abends hören wir davon das ein weiteres Rentier geboren wurde. Leider wurde es in der Nacht von einem der Hunde gefressen. Es war angeblich eine Totgeburt. „Wir haben es an den Nippeln der Mutter festgestellt. Sie waren noch hart.“ „Und daran könnt ihr eine Totgeburt feststellen?“ frage ich ungläubig. „Ja“. Da ich den immer hungrigen Camphunden mittlerweile alles zutraue, könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass sie in der Nacht das arme Ding einfach gefressen haben. Aber die Tuwa scheinen davon nichts hören zu wollen weshalb ich es darauf beruhen lasse und nicht weiter frage.

NGO ist gegen eine Visaverlängerung

Bevor wir uns in der kalten Zeltburg für die Nacht niederlassen bekommen wir einen der seltenen Mobiltelefonkontakte zu Saraa. Auf einmal kann sie für unsere Visaverlängerung nicht mehr garantieren. Die Mitglieder der NGO haben sich plötzlich dagegen entschieden. Weil alle Anträge bereits ausgefüllt und eingereicht waren und die Einwanderungsbehörde unsere Verlängerung akzeptierte aber uns mitteilte sie frühestens sieben Tage vor Ablauf abzustempeln, können wir Saraas Aussage nicht nachvollziehen. Wir sind uns sicher, dass da wieder irgendetwas Mongolisches im Busch steckt. Später erfahren wir die fadenscheinigen Gründe. Sraaa hat sich für ein lokales politisches Amt nominieren lassen. Das sehen die NGO-Mitglieder kritisch und wollen sie als ihre Vorsitzende stürzen. Sie kann sich nicht politisch engagieren und gleichzeitig ein soziales Projekt leiten, heißt es. Abgesehen davon wird ihr der Vorwurf der Korruption gemacht. „Tanja und Denis sind deine Leute. Du treibst mit ihnen Geschäfte die nichts mit der NGO zu tun haben“, ist eine der Anklagen. Nun, wir können nicht leugnen das Saraa für ihre Hilfe an uns bisher schon relativ viel Geld verdient hat. Das steht aber auf einem anderen Blatt und ist ihre Privatsache. Da man in der Mongolei häufig sehr schnell neidisch aufeinander ist und sich gegenseitig nicht unbedingt etwas gönnt, haben die NGO-Mitglieder doch glatt unser Engagement übersehen. Die Mitgliedsbeiträge die wir für die NGO entrichteten, die Gefängnisfenster die wir bezahlten, Spende für ein krebskrankes Kinder, die Sonnenbrillenaktion für die Tuwa und einiges mehr wurde einfach unter den Tisch gekehrt und geht in der Ränke um den Vorsitz einer Wohltätigkeitsorganisation einfach unter. Zwischenzeitlich stehe ich solchen NGO’s und so einigen Hilfsorganisationen kritisch gegenüber. Oftmals dienen sie der persönlichen Beweihräucherung, der Befriedigung des eigenen Egos oder auch dem galanten Wirtschaften in die eigene Tasche. Gerade in Ländern wir der Mongolei oder anderen strukturschwachen Ländern verschwinden regelmäßig Spendengelder. Plötzlich fahren Politiker große Autos die nicht zu ihren Gehältern passen. Auf einmal leben Drahtzieher und Organisatoren solcher Hilfsorganisationen in schönen Häusern. Häufig geht es gar nicht darum Bedürftigen zu helfen sondern selbst gut dazustehen. Leider werden solche NGOS’s und Hilfsorganisationen als Deckmäntelchen missbraucht. Wer sein Geld dorthin spendet und nicht die Zeit oder Energie besitzt die Organisation mit eigenen Augen zu besichtigen und zu prüfen braucht sich nicht wundern wenn die Spende einfach verschwindet und nicht dort ankommt wo sie ankommen soll. Mir ist aber auch klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist den Weg seiner Spende zu verfolgen. Schließlich sollte man auch vertrauen. Aber genau dies wird manchmal missbraucht. Ein Teufelskreislauf der anscheinend zu uns Menschen gehört wie der Sonnenauf- und Untergang zu unserer Mutter Erde. Wie auch immer. Nach einer weiteren Besprechung haben sich 62 % der NGO-Mitglieder dann doch für eine Visaverlängerung entschieden. Mal sehe was das heißt, da wir uns in einem Land befinden in dem das Wort oder ein Versprechen nicht all zu große Bedeutung besitzt. Ein Land in dem nichts und doch alles geht.

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