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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 3

Tiefe Beziehung zwischen Mensch und Tier

N 23°22’32.9“ E 150°24’01.3“
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    Tag: 255-260 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 646-651

    Sonnenaufgang:
    05:32-05:36

    Sonnenuntergang:
    18:48-18:46

    Gesamtkilometer:
    6897 km

    Temperatur - Tag (Maximum):
    36°/39° Grad, Sonne ca. 52°/59°

    Temperatur - Nacht:
    24°/25°

    Breitengrad:
    23°22’32.9“

    Längengrad:
    150°24’01.3“

Paradise Lagoons-Camp — 26.01.2003 – 31.01.2003

Es ist schon eigenartig wie schnell sich die Stimmungen im Leben ändern. Vor wenigen Tagen waren wir erschöpft aber glücklich nach 6897 Laufkilometern Paradise Lagoons erreicht zu haben. Es war eines der seltenen Triumphgefühle welches uns auf einer Wolke schweben hat lassen. Nur kurz allerdings, denn gleich am nächsten Morgen war Sebastian schwer krank. Sein Zustand verbessert sich an manchen Tagen ein wenig und lässt uns zuversichtlich sein. Doch wenig Stunden später liegt er wieder stöhnend auf dem Boden. Sein Leiden bedrückt uns derart, dass wir kaum einen Funken Freude in uns spüren. Es ist schwer zu erklären warum uns das so mitnimmt. Viele Menschen würden sagen, es ist doch nur ein Kamel. Oder, ihr solltet ein Kamel nicht vermenschlichen und euch von seiner Krankheit nicht so mitnehmen lassen. Doch als Tierliebhaber können wir es nur schwer ertragen egal welches Tier leiden zu sehen. Noch dazu hat sich in den letzten vier Jahren eine tiefe Beziehung zwischen unseren Kamelen und uns aufgebaut. Wir sind zusammen durch dick und dünn gelaufen. Wir haben Buschfeuer, Flutkatastrophen, Zyklonen und vieles mehr überlebt. Ohne die Hilfe unserer Kamele wäre und ist so eine Expeditionsreise nicht möglich. Unser Leben hängt da draußen in der Wildnis von einander ab. Wenn einer unserer Boys krank wird geht es nicht mehr weiter und wenn einer stirbt ist auch unser Leben in Gefahr.

Wir sind über die Jahre und gemeinsamen Erlebnissen zu einem unzertrennlichen Team und Familie zusammengeschweißt. Ist nur einer der Familienmitglieder krank oder fühlt sich unwohl sind automatisch alle anderen davon betroffen. Da unsere jetzige Familie aus sechs Kamelen, einen Hund und zwei Menschen besteht, ist natürlich die Chance einer Verletzung oder eines auszukurierenden Leidens groß. Das ist schon schlimm genug, doch diesmal ist es schlimmer. Ohne Zweifel kämpft Sebastian um sein Leben. Stirbt er, stirbt auch ein Teil in uns. Die Ironie des Schicksals ist für mich oft kaum zu begreifen. Bald 7000 Kilometer haben wir alles dagegen getan was in unsere Macht stand, um zu vermeiden, dass einer unserer Jungs giftige Pflanzen erwischt. Jetzt, drei Tage vor der Küste, hat sich unser Leitkamel mit irgendetwas schwer vergiftet. Ich muss mich beherrschen nicht in einen Wutausbruch gegen mich und den Rest der Welt auszubrechen. Doch was bringt es mir? Was bringt es Sebastian oder meiner lieben Tanja, wenn ich deprimiert in der Ecke sitze? Das Leben geht weiter, auch wenn Sebastians Leben hier zu ende gehen sollte. Jeden Abend bete ich um seine Errettung, um seine baldige Genesung und frage Mutter Erde warum uns jetzt, zu so einer glücklichen Stunde, so eine Bürde aufgelegt wird? Auf der anderen Seite können wir natürlich froh sein, dass wir selbst noch am Leben sind. Das Hardie, Jafar, Istan, Edgar und Jasper wohl auf sind und nicht ebenfalls von den giftigen Pflanzen gefressen haben.

In der Entdeckungsgeschichte Australiens sind viele Kamele durch den Verzehr von giftigen Pflanzen ums Leben gekommen. Einige Expeditionen haben bis zu 20 und mehr Kamele verloren. Auch so mancher Abenteurer und Forscher musste für seine Abenteuerlust mit seinem eigenen Leben bezahlen. Bisher waren wir stolz bald alle unsere Mates heile durch das Land gebracht zu haben. Das Goola vor zwei Jahren an einer Lungenentzündung gestorben ist und Max vor ca. acht Monaten von wilden Kamelen in einen Zaun getrieben wurde, sind neben diesem Stolz schlimme Erinnerungen. Da draußen geschehen schnell unvorhergesehene Ereignisse die zum Tod führen. Obwohl wir im Outback ein Teil der Elemente waren, mit der Natur verschmolzen sind und ein Gespür für aufkommende Gefahren entwickelten, schlägt das Schicksal manchmal zu. Geben und Nehmen, Leben und Tod, Freude und Trauer, alles liegt so dicht beieinander. Man kann es nicht abwenden und trennen. Manchmal glaube ich, dass alles was geschieht nicht per Zufall geschieht. Das alles was geschieht einen Sinn hat, auch wenn ich diesen im Moment nicht begreife. Im Nachhinein aber resultieren selbst aus unangenehmen und schmerzhaften Erfahrungen positive Lernerfolge.

Ich zerbreche mir den Kopf, um den Sinn von Sebastians Krankheit zu erkennen. „Habe Geduld. Du hast doch viele Lehren in den Wüsten bekommen. Geduld war einer deiner großen Lernaufgaben. Hast du Erlebnisse und Erfahrungen immer noch nicht umgesetzt? Hast du immer noch nicht verstanden?“ ,höre ich die mir vertraute Stimme in meinem Inneren. Ich bin überrascht über diese Stimme, denn seit Wochen habe ich sie nicht mehr vernommen. Mit dem Erreichen der menschlichen Zivilisation erschien es mir, als würden die Stimmen der Wüste und Mutter Erde immer leiser und weniger, doch jetzt auf einmal ist sie klar zu hören. „Hat Sebastians Krankheit einen Sinn?“ ,frage ich. „Aber natürlich. Auch wenn du es im Augenblick nicht verstehst. Alles was geschieht macht Sinn, auch wenn es den Menschen sinnlos erscheint. Alle Geschehnisse sind ein kleiner Teil eines großen Prozesses der für euch Menschen nicht immer überschaubar ist. Alles hängt zusammen, ist miteinander verbunden. Auch wenn es schwer zu verstehen ist. Aber zu diesem Zeitpunkt möchte ich in dieses Thema nicht tiefer einsteigen. Es wäre zu früh für dich. Du musst noch viel lernen und erleben. Später wirst du diese Prozesse besser verstehen,“ „Ich würde sie am liebsten jetzt, in diesem Augenblick verstehen. Aber ich weiß, du wirst gleich sagen ich solle mich in Geduld üben.“ „Ja, das hätte ich dir jetzt geraten.“ „Hm, ich arbeite daran. Aber ich hätte noch eine Frage…?“ „Ich freue mich über jede Frage.“ „Durch Sebastians Krankheit fühlen wir uns recht unglücklich. Auf der anderen Seite finde ich es sehr schade kurz vor dem Ziel, kurz vor einem Höhepunkt in unserem Leben so unglücklich zu sein.“ „Sebastians Krankheit soll euch nicht unglücklich machen. Ganz im Gegenteil kann sie ein Zeichen sein. Es hilft ihm nicht weiter wenn ihr beide traurig und deprimiert seit. Ganz im Gegenteil wäre es besser zuversichtlich und positiv zu reagieren. Ihr dürft sogar lachen und ausgelassen sein. Natürlich ist es aber wichtig euer Bestes für ihn zu tun. Wenn ihr euer Bestes tut könnt ihr euch selbst nie Vorwürfe machen. Selbst wenn er sterben sollte könnt ihr euch immer im Spiegel betrachten und mit aufrechten Gang ins weitere Leben schreiten, denn ihr habt getan was ihr tun konntet. Es ist nicht eure persönliche Schuld wenn das Schicksal zuschlägt. Also nehme diesen Zustand als eine weitere Lernaufgabe. Vor allem, nehmt Dinge für die ihr nichts könnt nicht persönlich. Das baut nur Schuldgefühle auf die hier nichts zu suchen haben. Wenn ihr alles gebt, das Beste für ihn, andere und natürlich auch für euch, wird es keine Schuldgefühle geben. Was auch immer geschieht. Lebt euer Leben. Es ist großartig. Lernt von den Erlebnissen und akzeptiert Geschehnisse die ihr nicht ändern könnt…“

Lange stehe ich an dem Stacheldrahtzaun, sehe auf die Lagune und denke über das lautlose Gespräch nach. In den letzten Monaten hatte ich viele solcher Unterhaltungen mit der Wüste oder Mutter Erde. Mittlerweile gehören sie für mich zu meinem Leben. Auch wenn solche inneren Dialoge anstrengend sind freue ich mich jedes Mal, denn bisher waren die Ratschläge zu hundert Prozent positiv. Zweifelsohne durchströmen mich nach solchen Gesprächen angenehme Gefühle und zweifelsohne helfen sie mir entstandene Verwirrungen in meinem Gehirn zu entwirren, Zusammenhänge besser zu verstehen und eine Situation klarer zu sehen. Trotzdem fällt es mir nicht leicht solche Ratschläge augenblicklich in die Praxis umzusetzen.

Da Sebastian schon seit acht Tagen nichts mehr säuft oder frisst beratschlagen wir uns mit dem Tierarzt ob wir ihn an den Tropfer hängen sollen. „Ich hatte bisher noch nie ein Kamel künstlich ernähren müssen. Ich muss den Zoo in Sydney anrufen. Hoffentlich können die mir weiterhelfen,“ sagt Peter.

Tanja setzt sich am Abend ans Telefon, um in gesamt Australien nach Tierärzten zu suchen die sich mit Kamelen auskennen. Sie ist erfolgreich und findet Ärzte in Tasmanien, Perth, Alice Springs und Brisbane. Leider ist der eine im Urlaub, der andere befindet sich gerade auf einer Geschäftsreise, doch der Tierarzt von Brisbane ist sofort bereit sich mit unserem Arzt in Verbindung zu setzten.

Am nächsten Tag meint Peter wir sollen Sebastian Tabletten gegen Magengeschwüre verabreichen und 10 Liter Wasser mit einer kleinen Handpumpe in sein Maul spritzen. Unter großen Aufwand schaffen wir es tatsächlich die in Weißbrot gewickelten Tabletten in Sebastians Maul zu stopfen. Er möchte sie sofort wieder ausspucken, weshalb ich ihm die Lippen solange zuhalte, bis er das Zeug schluckt.

Am Abend scheint er tatsächlich an ein paar Sträucher herumzunippen, doch am nächsten Morgen ist sein Zustand schlimmer als je zuvor. „Ob die Tabletten daran schuld sind?“ ,fragt Tanja. Ich weiß nicht. Entweder sind es die Tabletten oder das Wasser,“ antworte ich. Wir rufen Peter an. „Lasst das Wasser weg und gebt ihm auf jeden Fall die Tabletten mindestens zweimal am Tag,“ empfiehlt er.

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