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Russland/Pilz Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Süße Stimmen rufen

N 55°54'35.7'' E 095°06'25.5''
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    Tag: 17

    Sonnenaufgang:
    04:58 Uhr

    Sonnenuntergang:
    22:28 Uhr

    Luftlinie:
    50.11 Km

    Tageskilometer:
    75.92 Km

    Gesamtkilometer:
    11045.82 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt / schlecht

    Temperatur – Tag (Maximum):
    17 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    13 °C

    Temperatur – Nacht:
    9 °C

    Breitengrad:
    55°54’35.7“

    Längengrad:
    095°06’25.5“

    Maximale Höhe:
    438 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    290 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    11:25 Uhr

    Ankunftszeit:
    19:40 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    13,72 Km/h

Um 8:30 Uhr verlassen wir die bequemen Betten. Draußen regnet es wieder in Strömen. “Hätten doch schon gestern aufbrechen sollen”, lamentiere ich weil es seit unserem Aufenthalt in Sibirien der erste sonnendurchflutete Tag war. Trotzdem können wir hier nicht länger bleiben. Schließlich wollen wir ja auch vorankommen. Nach dem Frühstück tragen wir unsere gesamte Ausrüstung ins Paterre. “Dobre utra”, (Guten Morgen) begrüßen uns zwei Frauen freundlich, die gerade daran sind, mit nach Chemie riechender Farbe dem Zimmer gegenüber einen neuen Anstrich zu verpassen. “Dobre utra”, antworten wir gut gelaunt. Unten im Reich des Drachens hat es einen Schichtwechsel gegeben. “Dobre utra”, (Guten Morgen) begrüßen uns ebenfalls zwei Damen äußerst freundlich. “Charoscho spat?”, (Haben sie gut geschlafen?) fragen sie. “Otschin charascho”, (Sehr gut) antworten wir uns über die wohltuende Freundlichkeit freuend. Als wir unsere Räder beladen beobachten uns die Frauen der Gastiniza interessiert. “Da ßwidanja!”, (Auf wieder sehen) rufen wir ihnen zu als wir uns wenig später auf die Räder schwingen und die Unterkunft hinter uns lassen. An einer der wenigen Ampelkreuzungen stoppen wir unsere Züge. Ein etwa acht Jahre alter Junge knattert wild mit seinem kleinen Fahrrad vorbei. In seinen Speichen hat er mit Wäschezwickern Spielkarten befestigt damit sein Motor auch richtige Geräusche von sich gibt. Stolz dreht er sich nach uns um. “Haben die mich auch wirklich gesehen”, scheint er sich zu fragen. Dann gibt uns die völlig verrostete Ampel den Weg frei. “Da ßwidanja Tanja!”, (Auf wieder sehen Tanja) ruft eine Frau hinter ihrem Obststand freundlich winkend. “Das war doch die Frau die mir beim Einchecken in die Gastiniza geholfen hat”, sage ich. “Ja, das war sie”, bestätigt Tanja der Frau zuwinkend. Dann nimmt die erste Ansteigung unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Nach acht Kilometer erreichen wir wieder die Hauptstraße. Es regnet wie üblich und das Thermometer steht heute am zweiten Juli bei 13 Grad.

Siebeneinhalb Stunden später, um ca. 19:00 Uhr greifen die dunklen Nebelarme der Gewitterwolken noch immer nach uns. Links und rechts wird die Straße vom finsteren, ja fast unheimlich wirkenden Wald begrenzt. Bei dem Gedanken darin ein Camp für die Nacht aufschlagen zu müssen graust es mich. Ich kann das Zeckenheer regelrecht hören, wie sie wie die griechischen Meeresnymphen mit süßen Stimmen nach uns rufen. “Kooommt! Kommt doch zu uns! Lasst uns euer leckeres Blut saugen.” Nur das die sibirischen Zecken nicht wie die griechischen Sirenen Vogelleiber, sondern kleine Zeckeleiber besitzen und anstatt Frauenköpfe winzige Fresszangen. “Huaa, schau dir den nassen, tropfenden und dunklen Wald an. Da möchte ich jetzt nicht rein”, sage ich und muss mich erst gar nicht an den Rahmen meines Rades binden. Der griechische Held Odysseus hatte zwar keinen Fahrradrahmen an dem er sich festband, um nicht von dem verlockenden Gesang der Sirenen angezogen zu werden, sondern einen Schiffsmasten. Aber das ist in diesem Moment egal. Mein Schiff ist mein Intercontinental und unser Meer ist die sibirische Taiga. “Nach der Überlieferung ertränkten sich doch die Sirenen aus Wut im Meer weil sie Odysseus nicht bekommen konnten?”, fragt Tanja. “Glaube schon”, antworte ich amüsiert. “Wäre gut wenn die Zecken kollektiven Selbstmord begehen würden weil sie uns jetzt nicht beißen können”, antwortet sie, worauf wir herzhaft lachen.

Um 19:40 Uhr, nach 75 Tageskilometer und 464 Höhenmeter über die Hügellandschaft und durch meist sehr schlechtes Wetter, entdecke ich einen schönen Campplatz. Vor uns liegt eine blühende Blumenwiese, umrandet von der endlosen Taiga. “Ob wir da runter kommen?”, frage ich, denn zwischen der Wiese und der Straße liegt eine steile Böschung. Weil Tanja das leichtere Rad besitzt, versucht sie es zuerst. Es sieht regelrecht atemberaubend aus wie sie ihren Lastenkahn das etwa drei Meter hohe Gefälle hinunter schiebt. “Das geht mit deinem Rad nicht. Warte, ich komme und halte deinen Anhänger”, meint sie, legt ihr Rad ins Gras und hilft mir meinen Bock von der Straße zu bringen. Als wir alles heile in der sibirischen Sommerwiese haben schieben wir unsere Roadtrains durch das dichte und hohe Gras. Hinter einem Baumgrüppchen finden wir einen idyllischen Ort für die Nacht. Pilze wachsen hier in großer Zahl. Sobald wir unser Zelt aufgestellt haben verziehen sich die Gewitterwolken nahezu vollständig. Wärmende und helle Strahlen lassen den Abend unvergesslich schön werden. Nur die Moskitos sind und bleiben eine Plage. Zum Schutz ziehen wir uns ein Moskitonetz über den Kopf und sprühen uns mit Insektenmittel ein.

Als wir das von Tanja am Frankfurter Flughafen so vehement verteidigte Sesammuss von Rapunzel auf frisches Brot streichen und wir heißen Tee dazu trinken, reitet ein Hirte auf einem großen dunklen Pferd vorbei. Sein Hund inspiziert unser Lager wird aber mit einem kurzen Pfiff zurückbeordert. “Wo er wohl hin möchte?”, fragt Tanja. “Er wird dort am Waldrand seine Rinderherde haben”, vermute ich weil ich ab und an ein leises Muhen vernommen habe.

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