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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Steinschlag, gefährliche Windböen und bizarre Schluchten

N 28°00’54.8’’ E 102°50’34.4’’
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    Datum:
    25.04.2016

    Tag: 302

    Land:
    China

    Provinz:
    Sichuan

    Ort:
    Zhaojue

    Breitengrad N:
    28°00’54.8’’

    Längengrad E:
    102°50’34.4’’

    Tageskilometer:
    115 km

    Gesamtkilometer:
    16.639 km

    Luftlinie:
    77.39 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    15.4 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    49.6 km/h

    Fahrzeit:
    7:27 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt / unbefestigter Untergrund

    Maximale Höhe:
    2.300 m

    Gesamthöhenmeter:
    33.099 m

    Höhenmeter für den Tag:
    2.285 m

    Sonnenaufgang:
    06:34 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:39 Uhr

    Temperatur Tag max:
    24°C

    Temperatur Tag min:
    14°C

    Aufbruch:
    07:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    21:30 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Nach dem erfolgreichen Einbau eines neuen Bremssystems kann unsere Reise heute endlich weitergehen. Diesmal sitzen wir bereits um 7:00 Uhr im Sattel und lassen unsere Bikes über das teils steile Dauergefälle 800 Meter in die Tiefe rollen. Damit die Bremsflüssigkeit nicht wieder zu kochen beginnt, halten wir alle 500 Meter an, um dem System eine Chance auf Abkühlung zu geben. (Dieser Text steht im Zusammenhang mit der Story „Durch Selbstverschulden knapp am Unglück vorbei“ Dort beschreibe ich den von mir verursachten Montagefehler unserer Bremse. Auch sind die folgenden Zeilen nicht auf eine fehlerhafte Bremse zurückzuführen, sondern auf die Überladung unserer Bikes. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass wir von den Magurabremsen absolut begeistert sind und diese uns ohne jegliche Übertreibung schon mehrfach vor schlimmen Situationen bewahrt haben) „Autsch! Ist verdammt heiß“, sage ich, als ich vorsichtig die Bremszange berühre. „Ziehst du auch beide Bremsen gleichzeitig?“, frage ich Tanja. „Klar.“ „Dann versuch ein bisschen mehr mit der Vorderbremse zu arbeiten. Das entlastet die Rückbremse. Sie ist viel heißer als die Vorderbremse. Wichtig ist auch, dass du beide Bremshebel ab und zu kurz loslässt. Oder von links auf rechts wechselst. So haben die Bremsscheiben die Chance sich ein wenig abzukühlen“, empfehle ich. Unterdessen wir am Straßenrand darauf warten unsere Bremsen abkühlen zu lassen, ziehen schwere Brummis mit qualmenden Reifen an uns vorbei. Vor jedem Reifen der Brummis hängt ein Schlauch an dem eine Düse angebracht ist. Während solcher extremen Talfahrten spritzt daraus ständig Wasser auf die Bremstrommel. Auf diese Weise beugen sie einem Überhitzen der Bremssysteme vor. „Das können wir auch“, denke ich mir, weshalb ich ab sofort bei jedem Stopp unsere Bremszangen mit einem Spritzer aus den Trinkflaschen kühle. Tatsächlich dampft und zischt es als der Wasserstrahl darauf trifft. „Halten das die Bremsen aus?“, fragt Tanja. „Na wenn es plötzlich regnet oder wir durch Pfützen fahren, werden sie ebenfalls dem Wasser ausgesetzt“, antworte ich.

Immer wieder ziehen sich mächtige Bodenschwellen quer über die Straße. Für uns bleiben die oftmals schlecht oder nicht angekündigten Speedbraker eine Gefahr. „Achtung!“, brülle ich, reiße beide Bremsen, um mein Rad auf Schrittgeschwindigkeit zu bringen. Langsam rollen nun die Reifen über den Betonbuckel. Wegen unserer schneckenartigen Talfahrt entdecken wir am Straßenrand eine Felshöhle in der doch tatsächlich Menschen wie noch vor Jahrhunderten leben. „Geschafft!“, rufe ich als wir ohne weitere Zwischenfälle im Tal ankommen. Sogleich saugt uns wieder eines der schwarzen Löcher in sich ein. Bereits routiniert haben wir unsere Lichter eingeschalten und die Atemschutzmasken übers Gesicht gezogen. Auch in den zehn, teils vier Kilometer langen, von Abgasen verseuchten Tunnel, die heute vor uns liegen, ist die Beleuchtung ausgefallen. Außerhalb der dunklen Bergdurchfahrten sind die steilen Bergflanken direkt an die Straße gerückt. Immer wieder sehen wir massive Stahlnetze die den Steinschlag von der Straße fernhalten sollen. Viele der künstlich gebauten Barrieren wurden durch das Herabstürzen gewaltiger Gesteinsbrocken völlig zerstört. Stählerne Stützpfeiler sind wie Wachskerzen im Australischen Sommer verbogen. Stahlnetze, voller Geröll, wölben sich über die Straße. Wir radeln unter der tonnenschweren Last hindurch. Jeden Augenblick können die zum bersten gespannten Stahlseile reißen. Mir kommt es so vor, als hinge die Last der Steine am seidenen Faden. Ständig lässt der Berg kleine Brocken auf die Straße rieseln. Hier zu fahren ist vergleichbar mit Russisch Roulett. Es ist eine Frage der Zeit, oder es unterliegt dem Gesetzt der Serie, von einem fallendem Stein erwischt zu werden. Ständig blicken wir nach oben, um einer eventuell heranrauschenden Gefahr rechtzeitig ausweichen zu können. Laut dem Englischlehrer Richard wurden auf dieser Strecke erst kürzlich sechs Ingenieure von einer Steinlawine erwischt. Immer wieder durchradeln wir Abschnitte die von Geröll geräumt werden. An manchen Stellen haben fallende Brocke eine tiefe Mulde im Asphalt hinterlassen oder die Leitblanke mit sich fortgerissen. Auf einigen Teilstrecken gibt es keinen Asphalt mehr. Unsere Bikes holpern durch Mulden, Geröll und über Schotter. Wasser sickert neben uns durch den Fels und sammelt sich in großen Pfützen. Da wir nicht wissen wie tief die braune Brühe ist rollen wir höchst angespannt hindurch. An einer Biegung versuchen wir die gefährliche Passstraße zu filmen. „Ihr müsst weiter. Der Steinschlag!“, warnt uns ein vorbeifahrender Lastwagenfahrer nach oben deutend. Weil gegen Mittag die Sonne die Hänge aufgewärmt hat, scheint der Steinschlag jede Minute schlimmer zu werden. Die Landschaft ist trotz der latenten Gefahr malerisch, einfach atemberaubend schön. Immer wieder steige ich vom Rad, um die einmalige Natur zu fotografieren. Der Jinsha River verlässt uns mit einem Bogen in nordöstlicher Richtung, während wir weiter nach Südwesten fahren. Auf den Berghängen entdecken wir kleine, mit blauem Wellblech gedeckte Hütten. „Ob dort auch die Yi leben?“, fragt Tanja, das 9 Millionenköpfige Volk meinend, welches in den Provinzen Sichuan, Yunnan, Guizhou und Guangxi lebt und zu den 56 anerkannten Nationalitäten Chinas zählt.

Wir halten, um wieder ein paar Aufnahmen zu schießen. Durch mein Teleobjektiv erkenne ich, dass es Hütten von Bergarbeitern sind, die wie Schwalbennester an den steilen Hängen kleben. In dieser Region bohren sich Menschen unter unmenschlichen Bedingungen in die Gebirgshänge, um graues Gestein ans Tageslicht zu schaffen. Etwas weiter die Straße hinunter scheppert und raucht es. Hunderte von Metern über unseren Köpfen entlädt ein Fuhrwerk seine steinerne Ladung auf eine Rampe. Mit ohrenbetäubendem Lärm poltert sie in ein Flusstal. Schwer arbeitende Bergleute halten die Rampe mit Spaten und Schaufeln frei. Dann landet das Gestein auf einem Förderband und fällt in eine eiserne Maschine, die das Innere des Berges zerkleinert. Hustend flüchten wir von der wabernden Staubwolke, die unter zischenden Geräuschen aus dem verrosteten, archaisch wirkenden Eisending entweicht. Kaum sitzen wir im Sattel, begrüßen wir ein paar Menschen die offensichtlich zum Volk der Yi gehören. Meist sind sie bunter gekleidet als die Chinesen, tragen oftmals eine außergewöhnliche Haartracht und sprechen etwa 30 verschiedene Sprachen die mit dem Chinesisch nichts gemein hat. Seit der Stadt Leibo treffen wir häufiger auf die Yi als auf Chinesen. Ihr Volk geht auf die antiken Qiang zurück die auch als Ahnen der Tibeter und der Naxi gelten. Es ist ein altes Volk die ursprünglich aus dem südöstlichen Tibet kommen und ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. in diese Region auswanderten. Einige von ihnen sind sogar bis nach Thailand immigriert, wo sie heute noch leben. „Hello!“ rufen uns ein paar Yi-Männer freundlich zu, die gerade ein Pferd beladen. „Hello!“ erwidern wir ihren Gruß.

Die Bergschluchten werden immer enger. Die steilen Felswände links und rechts von uns scheinen so nahe zurücken, als wollten sie uns zerdrücken. „Unglaublich!“, rufe ich meinen Kopf in den Nacken legend, um ihre vom gleißenden Licht umrandeten Abbruchkannten zu entdecken. Wasserfälle lassen ihr weiße Gischt in die Tiefe stürzen. Manchmal verdunstet sie auf halben Weg, bildet eine nebelartige Wolken, die sich an den Felswänden festsaugt. Die Sonne blinzelt aus einer hohen Wolkenwand hervor, schießt ein paar gleißende Strahlen in die feuchte Nebelschwade unter ihr, worauf die sich aufbäumt und wie in Zeitlupe verdunstet. Braune, rissige, vom Zahn der Zeit angefressene Felswände, bedrängen das schmale, von Menschenhand geschaffene Band auf dem wir uns bewegen. Starker Wind bläst über unseren Köpfen, biegt Sträucher und Bäume, lässt noch mehr Steine als vorher in die Tiefe stürzen. Rechts neben uns windet sich ein Gebirgsfluss durch das enge Tal. Plötzlich sehe ich ihn, einen fallenden Felsbrocken, der unweit von uns mit einem dumpfen Schlag in den Fluss kracht. Der Widerhall echot von Felswand zu Felswand. „Lass uns hier bitte ohne Schaden zu nehmen durchkommen“, sende ich ein Stoßgebet in den Himmel und spüre zunehmende Unsicherheit. Es ist eine faszinierende Fahrt, einer Fahrt zwischen den Naturgewalten, dessen unermessliche Schönheit Leben und Vergehen zur gleichen Zeit ausstrahlt.

Der Wind wird stärke. Manche Böen verirren sich jetzt bis zu uns herunter. Rechts von uns geht es in das weit unter uns liegende Flussbett. Die Straße hat meist keine Leitplanke. Nur eine Schritt daneben und man würde in das braune Hochwasser stürzen. Weil die Windstöße immer öfter kommen und absolut unberechenbar sind, halten wir uns in der Mitte des unbefestigten Weges. Nur so sind wir uns sicher nicht von einer plötzlichen Böe in die Tiefe geschleudert zu werden. „Mein Akku ist leer!“, ruft Tanja. Wir halten an und setzen heute zum fünften Mal Neue ein. Noch liegen 40 Kilometer vor uns. Kaum hundert Meter weiter fällt mein Blick auf die Anzeige des Bordcomputers. Ich muss zweimal hinsehen, um meinen Augen trauen zu können, denn der vermeintlich vollgeladene Stromsammler ist halb leer. „Was zeigt deine Anzeige?“, frage ich Tanja. „Drei Balken!“, antwortet sie. „Dann waren zwei der Akkus nicht vollgeladen“, meine ich und frage mich wie das geschehen konnte. Umgehend halten wir an um zu beraten. „Hast du sie nicht geladen?“, fragt Tanja. „Ich bin mir sicher alle Akkus geladen zu haben. Aber nach dem Zwischenfall mit den Bremsen…? So wie es aussieht muss ich die Zwei in der Aufregung um die Bremsen vergessen haben. Nicht zu fassen“, meine ich ein wenig niedergeschlagen. „Und schaffen wir es mit eineinhalb Akkus noch bis zu unserem heutigen Zielort?“ „Wenn wir mit unseren GoalZero-Batterien (Notfallbatterien die bei gutem Wetter über Solar geladen werden. Von uns auch als Jokerbatterien bezeichnet, über die wir auch einen Boschakku halb voll laden können) zwei Boschakkus laden, sollte es kein Problem sein“, antworte ich. Sofort öffne ich die Anhängerbox, um einen leeren Akku an die GoalZero anzuschließen. Tanja füllt indes Wasser in Ajacis Schüssel damit er seinen Durst stillen kann. „Die GoalZero ist ebenfalls leer!“, rufe ich Tanja zu als eine starke Windböe unsere Räder erfasst. Blitzartig springe ich hoch, halte mein Bike und bewahre es davor in die Schlucht zu stürzen. „Puuuhhh“, stöhne ich. Tanja fährt ihr Ross sofort ein paar Meter weiter und lehnt es gegen einen Felsen. In diesem Moment hämmert eine weitere Böe in das Tal, ergreift Ajacis Blechschüssel und schleudert sie in den Abgrund. „Nein!“, ruft Tanja. „Vielleicht ist sie auf einem Felssims hängen geblieben“, vermute ich an die Kannte der Straße tretend, um nach unten zu sehen. „Da, schau! Sie liegt tatsächlich auf einem Felsvorsprung“, freue ich mich. „Ich hole sie.“ „Pass bloß auf, dass du nicht ausrutscht“, mahne ich, mich wieder um die Batterien kümmernd. „Da ist die Schüssel“, sagt Tanja übers ganze Gesicht strahlend, als sie Minuten später wieder aus der Schlucht klettert. „Und was ist mit den Jokerbatterien?“, will sie wissen. „Schlechte Neuigkeiten. Weil wir sie den ganzen Winter nicht mehr genutzt haben hat sich eine von beiden total entladen.“ „Das heißt wir können nur einen Akku laden?“ „Ja, können wir. Das reicht uns aber nicht um bis nach Zhaojue zu kommen.“ Dunkle Gewitterwolken formieren sich um die Bergspitzen. Die ersten fetten Tropfen fallen. „Wir müssen hier weg“, mahnt Tanja zur Eile. „Ja“, gebe ich ihr recht und steige in den Sattel.

Nachdenklich sitze ich auf meinen Bock und stelle die verschiedensten Rechnungen an wie wir mit unserer Restenergie von eineinhalb Akkus es vielleicht doch noch schaffen können. Wir schalten in einen tieferen Modus, um Strom zu sparen. Als wir um die nächste Bergkette biegen bleiben die bösen Wolken im Gebirge hinter uns hängen. Dann, um 17:00 Uhr, erscheint eine kleine Ortschaft. „Lass uns hier etwas essen und Akkus laden“, schlägt Tanja vor, auf ein kleines Straßenrestaurant deutend. Kurzerhand parken wir unsere Roadtrains davor. Der Wirt lässt mich unseren Viererstecker in die Dose stecken. Während wir auf unser Essen warten laden nun vier Akkus. Es dauert nur Minuten bis sich unsere Anwesenheit in dem Yi-Dorf herumgesprochen hat. Alte Männer mit dunklen Turbanen, in blauen Filzumhängen, an den lange Zotteln hängen, stehen staunend vor unseren Superbikes. Junge Menschen diskutieren, deuten auf die Akkus, die auf dem Tisch im Restaurant liegen und gleichzeitig auf den kleinen Boschmotor. Sie lachen, bieten uns Zigaretten an die wir als Nichtraucher dankend ablehnen. Nachdem wir nun acht Monate Chinesisch gehört haben klingt ihre Sprache für uns fremdartige. „Dürfen wir ein Selfie mit euch machen?“, verstehen wir und stellen uns gut gelaunt zu Verfügung. In dieser Sache unterscheiden sie sich in keiner Weise von den Chinesen die nach wie vor überall, an allen Ecken und Enden, ein Foto von den Ausländern besitzen möchten. Ein Mann am Nebentisch möchte uns zum Essen einlanden. Um ihn nicht zu beleidigen lehnen wir mit größter Höflichkeit ab. Es hilft nichts. Der Yi lässt sich davon nicht abbringen und zahlt das gesamte Mittagessen und die Getränke. Sofort stehe ich auf und hole aus unserem Anhänger eine Postkarte auf der Tanja und ich mit Rädern abgelichtet sind. Mit beiden Händen, so wie es die Höflichkeit erfordert, überreiche ich die weitgereiste Fankarte. Der Mann strahlt, bedankt sich mehrfach und zeigt sein Geschenk herum. Auch andere wollen jetzt so eine Karte von uns haben. „Sorry, wir besitzen davon nicht viele“, sage ich. Unser Gönner schenkt uns ein offenes Lachen. Dann verabschiedet er sich und verlässt das Restaurant. „Verblüfft über soviel Gastfreundschaft sitzen wir etwas betreten da. Gerne hätte ich dem Yi mehr gegeben als ein Foto von uns, aber wer weiß, vielleicht ist das Bildchen für ihn tatsächlich ein angemessenes Gegengeschenk? Ich denke an den Taxifahrer in Chengdu, der unseren 100-Yuanschein nicht wechseln konnte und uns die Fahrt schenken wollte. Selten dass einem so etwas auf unserer Erde widerfährt.

Nach einer Stunde sind die Akku zu einem Drittel voll. Wenn nicht mehr all zu viele Berge kommen müssten wir es damit schaffen“, sage ich sie in die Anhängerbox packend. Wir verabschieden uns von der kleinen Menschengruppe und verlassen den Ort. Sofort führt die Straße nach oben. Die Anzeige des gerade eben geladenen Stromsammlers bricht von sieben auf drei Kilometer zusammen. Die Sonne steht schon tief als wir den zweiten im Restaurant geladenen Akku einsetzen. Wieder ist er nach drei Kilometer leer. Inzwischen befinden wir uns auf einer Höhe von über 2.000 Meter. Das GPS sagt mir, heute schon mehr als 2.000 Höhenmeter überwunden und 100 Kilometer hinter uns gebracht zu haben. Eine super Leistung, jedoch sind wir noch lange nicht am Ziel. Wir legen den letzten vollen Akku Nummer sechs ein, den wir uns bis zum Schluss aufgehoben haben. Bis zum Ziel sind es noch ca. 18 Kilometer. Kalter Wind bläst uns in den Rücken. Wir halten an und ziehen unsere Windstopperjacken über. Danach geht die Fahrt weiter. Vor uns windet sich die Straße plötzlich in wilden Serpentinen nach oben. „Oh nein! Siehst du das?“, fragt Tanja und deutet auf den unerwarteten Berg. „Das schaffen wir nie!“, ruft sie. „Wieviel ist bei dir noch drin?“, frage ich. „11 Kilometer und bei dir?“ „15 Kilometer!“ Erst glauben wir an eine Art Fata Morgana als kurz vor dem Berg ein weiteres Dorf auftaucht. „Da müssen wir laden!“, ruft Tanja. Ich strample weiter dem Berg entgegen und überlege ob wir es doch noch schaffen können. „Wenn es ab der Bergspitze flach, oder sogar nach unten geht, reicht die Ladung“, fliegt mir ein Gedanke durch den Kopf. „Was ist denn los mit dir? Warum hältst du nicht an?“, ruft es hinter mir. Ich ziehe die Bremsen. „Weiß nicht. Könnte mir vorstellen unser Ziel noch zu erreichen.“ „Und wenn nicht? Dann hängen wir bei Dunkelheit irgendwo dort in den Bergen fest. Selbst wenn wir einen Platz für unser Zelt finden. Was machen wir dann morgen?“, argumentiert Tanja. „Okay“, bin ich überzeugt, wende und fahre zurück zum kleinen Dorf. Auf einem größeren betonierten Platz ziehen wir erneut die Bremsen. Einfache Hütten säumen die Fläche. An einem winzigen Krämerladen frage ich ob wir unsere Akkus laden dürfen. Der Mann schüttelt den Kopf. Tanja reicht ihm 10 Yuan. (1,34 €) Ein Lächeln zuckt über sein Gesicht. Schnell ist der Viererstecker in der Dose und lädt erneut vier unserer Kraftspeicher. Auch hier versammelt sich in Windeseile eine große Menschenschar um uns. Die Sonne ist schon lange untergegangen. Frauen und Kinder sitzen um ein Pappkartonfeuer. Ein Eisengestell umfasst einen Wok, in dem Kartoffeln kochen. Eine Yi-Frau bietet uns einen Platz am wärmenden Feuer an. Kinder rennen um unsere Bikes, fassen alles an und scheuchen Ajaci herum. „Ajaci, komm her und mach Platz“, befreit Tanja unseren treuen Vierbeiner, der sich zufrieden grunzend neben dem kleinen Feuer niederlässt. Nach 30 Minuten beschwert sich der Ladenbesitzer. „Strom ist teuer“, verstehen wir. Obwohl wir wissen, dass 10 Yuan mehr als genug sind, um die Kosten zu decken alle unsere Akkus voll zu bekommen, reicht Tanja ihm eine weitere 5 Yuan-Note. (0,67 €) Ein erneutes Grinsen huscht über das Gesicht des Mannes. Inzwischen ist es 20 Uhr und stockdunkel. Noch immer stehen Kinder vor unseren Bikes. Obwohl wir hundemüde sind bleiben wir wachsam. Schnell ist etwas aus den Radtaschen verschwunden. Obwohl die Leute hier nicht den Eindruck machen etwas stehlen zu wollen. Aus einer Lautsprecherbox im Geschäft nebenan, dröhnt plötzlich laute Musik über den in der Finsternis liegenden Betonplatz. Die Kartoffeln sind indes gekocht. Jeder der Anwesenden isst eine davon. Auch uns wird die Erfrucht angeboten die wir aus Höflichkeit ablehnen. Es ist 20:30 Uhr als die Batterien zu ein Drittel voll sind. „Damit sollten wir bis zur Stadt kommen“, sage ich und nehme sie vom Netz. Als wir aufbrechen tanzen die Frauen schon seit geraumer Zeit zu der aus den Lautsprechern hämmernden Musik. Sie schwingen ihre Beine im Takt, laufen im Kreis, trennen sich um einen neuen Kreis zu bilden. Ohne Zweifel ist es ein traditioneller uralter Tanz der Yi. „Zaijia“, verabschieden wir uns auf Chinesisch. „Zaijian“, hallt es zurück.

Unsere Scheinwerfer fressen sich durch die Dunkelheit. Im dritten Gang geht es die Steigung nach oben. Um Energie zu sparen lasse ich Ajaci neben mir laufen. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team. Tanja hängt zurück. Ich halte an. Der starke Lichtstrahl ihrer Lampe tanzt den Berg hinauf. Tiefes Hundegebell dringt aus einem Weiler neben der Straße. Die Schwärze der Nacht wirkt wegen dem wolkenverhangenen Himmel gespenstisch. Der Höhenmeter klettert auf 2.100 Meter. Der Akku zeigt noch eine Reichweite von sieben Kilometer. Ich bin beruhigt, da wir noch die geladenen Akkus aus dem Krämerladen in der Box haben. Wir nehmen eine Kehre nach der anderen, als plötzlich ein starker Lichtstrahl wie ein Leuchtfeuer über den Bergrücken schweift. „Der kommt sicherlich aus der Stadt“, denke ich weiter strampelnd. Bei 2.300 Meter scheinen wir den höchsten Punkt erreicht zu haben. Ich bleibe stehen und warte schwer atmend auf Tanja. „Sind wir oben?“, fragt sie neben mir anhaltend. „Denke schon.“ Tatsächlich führt ab jetzt eine nagelneue, breite Asphaltstraße nach unten. Einige Fahrzeuge kommen uns entgegen und erhellen mit ihren Scheinwerfern den Wald am Straßenrand. Schilder tauchen auf, die ersten Häuser, dann führt uns eine breite Brücke über einen Fluss in die Stadt Zhaojue. Nach einem 14 ½ Stunden Tag, 115 Tageskilometern und 2.300 Höhenmetern erreichen wir um 21:30 Uhr unsere Bleibe…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH http://roda-computer.com/ Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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