Ssssssdag höre ich das Profil einschlagen
N 22°44’10.8’’ E 127°16’34.5’’Tag: 124 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
04:56
Sonnenuntergang:
17:35
Luftlinie:
20,8
Tageskilometer:
27
Temperatur - Tag (Maximum):
34 Grad
Breitengrad:
22°44’10.8’’
Längengrad:
127°16’34.5’’
Einfach-Camp — 17.10.2001
Als wir Jasper laden bemerken wir an der Stelle an der der hintere Teil des Sattels aufliegt eine faustgroße Geschwulst. „Sieht nicht gut aus,“ sage ich und untersuche die Druckstelle näher. „Er war heute schon so schlecht gelaunt als ich ihn von seinem Busch losgebunden habe,“ sagt Tanja. „Ich muss mir den Sattel noch mal genau ansehen. Irgendetwas drückt ihn auf die Knochen. Auf jeden Fall müssen wir ihm ab heute Myoton verabreichen,“ schlage ich vor. „Wie lange?“ „Zwei Wochen. Bis dahin müsste die Geschwulst reif sein und das Eiter herausgeflossen sein,“ meine ich nachdenklich. Dann bearbeite ich seinen Sattel an der Druckstelle mit dem Hammer und versuche genau dort eine Mulde in das Stroh zu klopfen. Natürlich untersuchen wir auch alle anderen Kamele auf Druckstellen, besonders Edgar und Max. Sorgfältig berühre ich die kritischen Körperteile, doch beide reagieren bis jetzt noch nicht. Nachdem wir dann die Tiere beladen haben brechen wir wieder um ca. acht Uhr auf. Die Sprechfunkgeräte funktionieren an diesem Morgen sehr gut und erleichtern uns die Arbeit mit den Kamelen. Die Hinterbeine von Edgar und Max zittern immer noch aber nicht mehr so schlimm wie gestern. Meine Kreislaufstörungen sind durch das Weglassen der Voltarensalbe wie weggeblasen und mir fällt das Laufen heute viel leichter. Der schmale Weg vor uns ist kaum noch passierbar. Der Jahrhundertregen der letzten Saison hat ihn wie ein Flussbett ausgespült. Immer wieder müssen wir ihn verlassen und über das Spinifex laufen.
Ungewöhnliche Zeit für einen Angriff
Es ist zwölf Uhr Mittags als ich rein zufällig nach Süden blicke. „Sieh mal Tanja, da kommt ein Kamel auf uns zu.“ „Ja, der scheint es aber eilig zu haben.“ „Er wird wie all die anderen die wir tagsüber getroffen haben nur neugierig sein und bald das Weite suchen,“ plaudere ich unbesorgt und führe unsere Karawane weiter. „Denis, der meint es ernst. Er rennt direkt auf unsere Karawane zu,“ warnt mich Tanja die ihre Augen auf ihn geheftet hält. Ich sehe noch mal zur Seite und erschrecke als ich bemerke wie nah er uns in der kurzen Zeit gekommen ist. Tatsächlich galoppiert er in rasender Geschwindigkeit in unsere Richtung. Noch nie haben wir auf dem bisherigen Trip so etwas erlebt. Zu dieser heißen Mittagsstunde liegen Kamele normalerweise irgendwo im Schatten und dösen vor sich hin. Manche grasen auch friedlich aber noch keiner hat es gewagt uns während des Marsches und noch dazu außerhalb der Brunftzeit am helllichten Tag anzugreifen. „Kamele udu,“ befehle ich ihnen stehen zu bleiben. „Husch down Sebastian. Komm mach schnell. Husch down,” rufe ich den jetzt ohne Zweifel angreifenden Bullen im Auge behaltend. „Beeil dich,“ ermahnt mich Tanja als ich die Marlin aus dem Futteral reiße und gleichzeitig entsichere. Sofort rase ich den jetzt vielleicht noch 100 Meter von uns entferntem Tier entgegen. „Lass ihn nicht zu nah heran!“ ,ruft Tanja als ich die Waffe anlege. Er ist in diesem Augenblick noch ca. 80 Meter von mir entfernt. Ich ziele auf seine Hüfte, doch durch seine schnelle Bewegung ist es nicht leicht ihn tödlich zu treffen. „Wummm, donnert es und ich höre wie die Kugel in das Opfer schlägt. Augenblicklich steigt das Tier wie ein Pferd auf die Hinterbeine und ändert seine Richtung. „Ich habe ihn getroffen! Er ist nur angeschossen. Lauf mit der Karawane weiter, ich folge dem Bullen!“ ,rufe ich Tanja zu und springe im gleichen Atemzug über das Spinifex. „Schalt dein Sprechfunkgerät ein!“ ,höre ich Tanja noch rufen. 20 Meter weiter bleibe ich wieder stehen. Der Kamelbulle ist jetzt schon ca. 200 Meter entfernt. Ich konzentriere mich und jage dem verwundeten Tier zwei weitere Kugeln hinterher. Ssssssdag! Ssssssdag höre ich die Profile in den Flüchtenden einschlagen, doch er rast weiter. Wieder nehme ich die Verfolgung auf, hetze 50 Meter weiter und ziele erneut. Ssssss höre ich das Geschoss die Luft durchdringen, doch es fehlt der Aufschlagslaut. Noch mal schieße ich und diesmal höre ich ganz klar den eigenwilligen Einschlag. Ich habe ihn ohne Zweifel viermal getroffen und er rast immer noch weiter in die endlose Wüste. Plötzlich sehe ich in meiner wilden Hatz wie der Bulle zu Boden geht. Wenige später befinde ich mich schwer atmend neben ihm. Mindestens eine der Kugeln hat ihn tödlich getroffen. Um sicher zu gehen gebe ich ihm einen Gnadenschuss ins Gehirn. Dann nehme ich das Walky Talky vom Gürtel. Entsetzt bemerke ich das ich während der Hetzjagd die Antenne verloren habe. „Tanja kannst du mich hören?“ „Nicht gut aber ich empfange dich. Hast du ihn von seinen Leiden befreien können?“ „Ja, er ist tot. Ich habe aber auch eine schlechte Nachricht. Bei der Jagd muss ich die Antenne vom Funkgerät verloren haben. Ich laufe bis zu dem Punkt zurück wo ich seine Verfolgung aufnahm.“ „Okay ich warte hier auf dich.“ Langsam, die Augen auf den Boden gerichtet, folge ich meiner Spur. Enttäuscht erreiche ich den beschriebenen Ort. „Tanja empfängst du mich noch?“ „Ja.“ „Ich habe sie nicht gefunden und gehe noch ein Stückchen dem ausgewaschenen Track entlang.“ „Denk daran das du kein Wasser dabei hast.“ „Ja,“ antworte ich und wische mir den Schweiß von der Stirn. Ich versuche meine Gedanken auf die kleine Antenne zu konzentrieren und hoffe immer noch sie zu finden. 20 Minuten stapfe ich den Pfad entlang und entdecke nichts anderes als unsere Fußspuren und Kamelkot. „Tanja hörst mich noch?“ ,spreche ich ins Funkgerät doch es bleibt stumm. Geknickt kehre ich um. Erst haben sie sich nicht laden lassen, dann waren die Sicherungen durchgebrannt und jetzt habe ich die Antenne verloren. Anscheinend soll es so sein, denke ich mir als ich Tanja nach einer Stunde wieder erreiche. „Nichts,“ antworte ich schulterzuckend und trinke erst mal wie ein Verdurstender aus meinem Wasserbeutel. „Ich werde Jo anfunken. Vielleicht kann sie mit Ray Kontakt aufnehmen.“ „Was soll das bringen?“ „Ray hat doch gesagt, dass er uns auf dem Weg nach Kiwirrkurra noch mal aufsuchen möchte. Wenn Jo Alcom anruft und die per Kurier eine Antenne nach Port Hedland schicken, könnte sie uns noch erreichen.“ „Wie soll denn das funktionieren? Rays Camp ist 1000 Kilometer von Port Hedland entfernt,“ fragt Tanja verwundert. „Ray bekommt immer wieder einmal von Port Hedland Nachschub. Vielleicht klappt es ja das die Antenne dort in zwei Tagen eintrifft und jemand rein zufällig genau zu dieser Zeit sein Straßenarbeiter-Camp aufsucht,“ meine ich nachdenklich. „Das wäre wirklich eine Aneinanderreihung von Zufällen,“ antwortet Tanja. „Ja das stimmt, aber ich glaube das wir die Sprechfunkgeräte in dem vor uns liegenden Seengebiet dringend benötigen.“ „Können wir nicht etwas anderes als Antenne nutzen?“ „Vielleicht, aber wir haben keinen Draht dabei,“ antworte ich und so verbringen wir den Nachmittag um eine Lösung zu finden.
Zeichen der Überschwemmung nicht mehr zu übersehen
Links und rechts des seit langem nicht mehr benutzten Weges zieht sich abgestorbenes Spinifexgras hin welches in etwa hundert Meter Entfernung von saftig bewachsenen Sanddünen begrenzt wird. „Die gesamte Gegend hier war vor nicht all zu langer Zeit total überschwemmt. Ray hat gesagt wir sollen mit unseren Tieren unter keinen Umständen durch abgestorbenes Spinifex laufen,“ sage ich auf die graubraunen Flächen deutend. „Warum nicht?“ „Das ist oftmals sumpfiger Untergrund und alles was sich darauf bewegt versinkt in Morast und Matsch.“ „Was ist wenn vor uns plötzlich ein überschwemmtes Gebiet auftaucht und links und rechts von diesem schmalen Track ist alles von graubraunen Spinifex begrenzt?“ ,möchte Tanja wissen. „Dann müssen wir wieder umkehren und solange laufen bis wir eine Stelle finden die nicht überschwemmt ist. Aber frage mich nicht, wir werden sehen wenn es soweit ist,“ antworte ich und hoffe nicht in die von Tanja beschriebene Situation zu kommen. Zwischen unseren Gesprächen über die Funkgeräte, der kommenden Seenlandschaft und vielem mehr checken wir immer wieder einmal die neuen Sättel. „Edgars Sattel ist in Ordnung. Der Zwischenbalken von Max liegt bald auf seinem Rücken auf. Den musst du dir mal ansehen,“ sagt Tanja. Bei meiner Inspektion stelle ich fest, dass auch Hardies und Jaspers Sattel bedenklich nach unten gerutscht sind. „Hardie muss ich unbedingt heute Abend reparieren. Es ist ein anstrengender Job für den ich mindestens zwei Stunden benötige,“ stöhne ich.
Um 14 Uhr, nach sechs Stunden Laufzeit, finden wir direkt neben dem Weg einen Busch der uns genügend Schatten spendet. Da der Track nicht mehr befahren wird nutzen wir ihn um die Kamele nieder zu huschen und zu entladen. In Rekordzeit ist die Ausrüstung zum Schutz vor der Sonne unter den Satteltaschen verstaut und unser Camp aufgebaut. Durch den Weg und einer unbewachsenen Sandfläche unter und vor dem Busch muss ich kein Spinifex beseitigen und kann somit viel Kraft und Zeit sparen. Gleich nach meiner Navigationsarbeit hebe ich mit Tanja Hardies Sattel in den Schatten des Busches und beginne ihn zu zerlegen. Man muss sich die Polsterung des Afghanpacksattel wie ein großes U vorstellen welches waagrecht auf seinem Rücken aufliegt und mit dem offenen Ende zu seinem Kopf zeigt. Die offene Stelle wird mit einem Holzbalken zusammengehalten. Im Laufe der Zeit verdichtet sich die Strohfüllung wodurch der Verbindungsbalken nach unten rutsch und auf das Rückrad des Kameles drücken kann. Dies darf unter keinen Umständen geschehen, denn das Holz würde unter dem Ladegewicht eine schwere Verletzung verursachen.
Nachdem ich das Verbindungsstück ausgebaut habe kürze ich mit einer kleinen zusammenlegbaren Säge den Balken um ca. zwei Zentimeter und setze ihn wieder ein. Die Sonne geht bereits unter und die Moskitos übernehmen die Herrschaft als Hardies Sattel wieder einsatzbereit ist. Müde, ausgepumpt und abgespannt schlichte ich mir so schnell es geht das Abendessen rein und flüchte mit Tanja in unser Zelt.