Schmaler Track – 2,7 Milliarden Jahre altes Gestein
N 68°41’49.3’’ E 015°26’49.7’’Datum:
05.10.2020
Tag: 064
Land:
Norwegen
Ort:
Sortland
Tageskilometer:
100 km
Gesamtkilometer:
5607 km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt / Unbefestigt
Brückenüberquerungen:
5
Sonnenaufgang:
07:19
Sonnenuntergang:
18:14
Temperatur Tag max:
14°
Temperatur Nacht min:
9°
Aufbruch:
12:00 Uhr
Ankunft:
16:00 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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„Und wie sieht es aus?“, fragt Tanja, wie ein kleiner Löwe gähnend. „Wie sieht was aus?“ „Na das Wetter.“ „Gut sieht es aus. Die dunklen Wolken von gestern Abend haben sich verzogen. Auf uns wartet ein wunderbarer Reisetag“, sage ich und verlasse die Terra, um den Gastank zu prüfen. „Mist, der Tank ist fast leer! Hoffe in der Stadt Sortland gibt es eine LPG-Tankstelle“, rufe ich. „Heißt das, wir können nicht mehr kochen und heizen?“, klingt Tanjas Stimme durch ein gekipptes Fenster nach draußen. „Für heute sollte es noch reichen, aber wenn wir keine LPG-Tankstelle finden, gibt es spätestens ab morgen kalte Küche.“ „Oder wir kochen am Lagerfeuer“, dringt es erneut durch den Fensterspalt. „So wie im australischen Outback“, antworte ich lachend.
Bevor wir die heutige Strecke in Angriff nehmen, gehe ich wie vor jedem Start einmal um die Terra, um zu prüfen, ob alle Fenster, Klappen und Türen geschlossen sind. Nach meinem kurzen Check steige ich wie bald jeden Tag mit euphorisch Vorfreude in die Fahrerkabine. „Fertig?“, frage ich den Motor anlassend. „Fertig“, antwortet Tanja. „Alle Schränke und Türen geschlossen?“ „Yeap“, höre ich eine ebenfalls gut gelaunte Stimme. „Mal sehen, was uns die heutige Offroadstrecke bringt. Bin echt gespannt“, sage ich, lege die Geländeuntersetzung und den ersten Gang ein und steure unser mobiles Heim auf den Track, der laut Karte den Namen Fv975 trägt. „Wird eng“, sagt Tanja ein paar Hundert Meter weiter, als die Büsche und Bäume ihre Äste in den Weg strecken und mit unangenehmem Quietschen an der Kabine entlangstreifen. „Mist! Wir hätten vielleicht doch auf der asphaltierten Straße bleiben sollen“, überlege ich, als sich plötzlich dünne Bäume über den Pfad beugen. „Kommen wir durch?“, frage ich im Schritttempo unter dem Laubdach durchfahrend. „Auf meiner Seite sieht es gut aus, aber dort vorne wird’s knapp. Am besten, ich steige aus und schau mir das von außen an“, schlägt Tanja vor, schnappt sich ein Walkie Talkie und klettert aus der Fahrerkabine. „Stooop!“, höre ich nur 50 weiter Tanjas Warnruf. „Was ist los?“ „Der Ast auf der linken Seite liegt vor dem Dach der Fahrerkabine. Am besten, du steigst mal aus und siehst dir das selber an.“ „Muss ich absägen“, entscheide ich wenig später und hole die kleine Handsäge, die ich seit unserer Russlandtour im Fahrerhaus verstaut habe. Auf den kommenden hundert Meter bin ich gezwungen, immer wieder auszusteigen und in den Weg hängendes Gestrüpp und Äste abzusägen. Wassergefüllte Löcher, grobe Steine und Äste lassen uns nur langsam vorankommen. „Wenn das auf die kommenden 50 Kilometer so bleibt, brauchen wir Tage“, fluche ich, mich für diese Strecke entschieden zu haben. „Du wolltest ein bisschen Abenteuer und wenn Mutter Natur es dir schenkt, fluchst du.“ „Ich fluche nicht, ich schimpfe nur ein wenig“, rechtfertige ich mich. Urplötzlich weicht der Wald zurück und gibt den Blick auf eine Meeresenge frei, an dessen anderen Ufer sich die Berge der drittgrößten Insel Norwegens Langøya in einen wolkenverhangenen Himmel strecken. „Wunderschön hier“, schwärmt Tanja. „Wunderschön und sehr einsam“, bestätige ich die Terra behutsam über den holprigen Pfad steuernd. Rechts von uns trennen uns vom Zahn der Zeit rundgeschliffene Felsen und überdimensional große Kieselsteine vom Meer. Kaum sichtbare winzige Wellen kräuseln sich auf dem in diesem Augenblick friedlichen Meerbusen, über dem die Wolken ein stückweit aufreißen, sodass die Sonne ein paar rosafarbene Strahlen zu uns herunterschickt. Der grobe Untergrund des kaum befahrenen Pfades weicht einer von Menschen angelegten Schotterpiste. Ein verlassenes Holzhaus taucht zu unserer Linken auf. Die rote Farbe, mit der die einstigen Bewohner ihr Heim vor vielen Jahren anstrichen, ist von dem rauen Wetter Nordnorwegens nahezu vollständig weggefressen worden. Unter den Resten des ebenfalls roten Blechdachs flattern Fetzen der Isolierung im leichten Wind. Mit ein wenig Fantasie könnte man meinen, dass uns dort oben unterm Dach eine greise Frau zuwinkt. Ich halte kurz an, um ein Foto zu schießen. Beim Näherkommen bemerke ich, dass das einst schöne Häuschen auf einen steinernen Sockel errichtet ist. In vielen Teilen der Vesterålen gehört der Untergrund zum Urgestein der Erde und ist über 600 Millionen Jahre alt. In der Kommune Bø auf der westlich von uns liegenden Insel Langøya wurde sogar eines der ältesten Gesteine der Welt gefunden, welches vor 2,7 Milliarden Jahren durch vulkanische Aktivität entstand. „Ob der Erbauer des Hauses wusste, auf welch geologischer Sensation er sein Heim errichtete?“, frage ich, als wir unsere interessante Fahrt fortsetzen. Immer mehr halb zerfallene oder von Wind und Wetter angenagte Holzhütten zeugen davon, dass diese Region einstmals besiedelt war. Direkt auf dem steinigen Ufer kauert eine kleine Holzhütte, die erst kürzlich mit gelb, rot, grün, weißen Punkten bemalt wurde. Offensichtlich dient sie während der Sommermonate Kindern als Abenteuerspielplatz…