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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Schlagartige Veränderung

N 47°53'423'' E 017°34'613''
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    Tag: 56

     

    Sonnenaufgang:
    06:29 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:59 Uhr

     

    Luftlinie:
    55,29 Km

     

    Tageskilometer:
    76,50 Km

     

    Gesamtkilometer:
    1422,36 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    22,1 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    15,5 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    8,8 °C

     

    Breitengrad:
    47°53’423“

     

    Längengrad:
    017°34’613“

     

    Maximale Höhe:
    124 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    10:00 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    18:15 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    15,59 Km/h

Ich fühle mich nicht gerade in einem Stimmungshoch. Wahrscheinlich hängt das vom Wetter ab. Die wunderschönen Spätsommertage sind auf einmal spurlos verschwunden. Der Marktplatz von Hainburg liegt feucht, kalt und trist zwischen den Häusern. “Wenigsten hat der Regen aufgehört”, brummle ich meinen Anhänger packend, den wir bei unserer Ankunft ins Zimmer geschleppt hatten.

Das einfache und lieblose Frühstück mit den latschigen Brötchen, den sauren Kaffee und den zu kurz gekochten Eiern trägt auch nicht dazu bei mir ein Lächeln abzuringen. “Wenigsten ist das Zimmer günstig”, sagt Tanja. “Ja, und wenigstens ist der Pole, der hier den gesamten Laden schmeißt, nett”, meine ich um auch etwas Positives zu äußern. “Kaum zu glauben, er ist gleichzeitig Koch, Barmann, Kassier und Rezeptionnist.” “Stimmt, nur sollte er besser seine Kocherei einstellen. Wenn ich an das Fischfilet denke wird mir jetzt noch schlecht”, entgegne ich meinen Magen reibend. “Wie weit müssen wir heute eigentlich?”, wechselt Tanja das Thema. “Keine Ahnung wie es mit den Übernachtungsplätzen in der Slowakei aussieht. Zeltplätze sind kaum in der Karte eingetragen. Wir werden sehen”, antworte ich. Während Tanja dann die restlichen Satteltaschen aus unserem Zimmer holt mache ich die Räder fertig und bestelle die Rechnung. “Was? Wieso 100 Euro? Sie hatten doch von 25 Euro für das Doppelzimmer gesprochen?”, frage ich erschrocken auf die erschreckende Zahl sehend die mir auf dem weißen Zettel entgegen start. “Mir leit tun. Ich ihnen hätte sagen sollen 25 Euro pro Person”, antwortet der Allroundmann. Zähneknirschend lege ich die 100 Euro auf den Tresen. Die zwei Tage hier in Hainburg waren viel teurer als es unser Budget zulässt. Klar, sobald wir in einem Zimmer untergebracht sind können wir nicht mehr kochen und müssen Essengehen. Seit Zeiten des Euros ist das häufig eine kostspielige Angelegenheit. Wir können nur hoffen, dass die kommenden Länder nicht weitere Löcher in unsere Expeditionskasse reißen.

Wir lassen Hainburg hinter uns und strampeln zum ersten Mal während dieser Reise in ein für uns völlig unbekanntes Land. Schon von weitem erkennen wir die Hauptstadt der Slowakei die sich eng an die Donau schmiegt. Bis zur Gründung der Tschechoslowakischen Republik hieß die Stadt Pressburg. 1919 wurde sie nach den Namen des slawischen Herrscher Breslaw umbenannt und heißt seitdem Bratislava.

Ein Militärfahrzeug steht vor den Grenzgebäuden. Soldaten beobachten mit dem Fernglas das andere Donauufer. Wie immer bei Grenzübergängen vermitteln uns solche Bilder eine unangenehme Stimmung. Ohne Zwischenstopp jedoch rollen wir an der österreichischen Grenze vorbei. Die Zollbeamten der Slowakei werfen nur einen kurzen Blick in unsere Pässe und ehe wir uns versehen befinden wir uns auf dem Weg in die eindrucksvoll wirkende Stadt. Über eine 431 Meter lange Hängebrücke gelangen wir in die Metropole. Es ist heute der kälteste Tag seit unserem Aufbruch vor ca. 9 Wochen. “Ich muss mir eine lange Hose anziehen”, sagt Tanja und lehnt ihr Rad an eine Betonmauer. Die Menschen hier sind schon winterlich gekleidet. Jeder trägt Jacken, Mäntel, Anoraks und lange Hosen. Orientierungslos schieben wir unsere Räder durch ein dichtes Häusermeer. “Ich habe keine Ahnung wo sich die Altstadt befindet”, meine ich etwas verunsichert. Auf grobem Kopfsteinpflaster holpert uns eine rote Touristenbummelbahn entgegen in der eine Handvoll englisch sprechende Touristen sitzen und sich etwas über die Stadt erzählen lassen. “Wir heften uns einfach an ihre Fersen. Solche Dinger fahren nur da herum wo es etwas zu sehen gibt”, stelle ich freudig fest. Nach kurzer Zeit finden wir einen Bankautomaten. Da heute Sonntag ist versuche ich mein Glück ihm etwas Geld abzufordern. Ich stecke meine Kreditkarte in den Schlitz und es dauert nicht lange bis er sie wieder ausspuckt. “Pass bloß auf. Nach dem dritten Mal frisst er sie”, warnt mich Tanja. Konzentriert gebe ich noch einmal meine Geheimzahl ein und drücke diesmal auf den richtigen Knopf. Da ich nicht weiß wie die slowakische Krone zum Euro steht wechsle ich nur einen kleinen Betrag. Dann radeln wir weiter. Ein Passant spricht uns in gutem Deutsch an und zeigt uns die Richtung in die Altstadt. “Wo kommen sie denn her?”, fragt uns ein Herr ebenfalls in perfektem Deutsch. Wir erzählen unsere Geschichte worauf er sich als Restaurator vorstellt der schon seit 40 Jahren in Berlin wohnt. “Ich habe mir hier eine 300 Quadratmeter große Wohnung gekauft. Wäre sie hergerichtet könnten sie dort gerne übernachten”, bietet er uns an. “Wenn sie erlauben würde ich sie gerne ein Stück begleiten”, schlägt er dann vor und informiert uns über seine Stadt: “Das ist das berühmte Michaelertor. In diesem Gebäude hat einmal Wolfgang Amadeus Mozart als junger Mensch musiziert. Dort oben in der Burg tagt der slowakische Nationalrat und hier an der Universität habe ich promoviert. Wissen sie überhaupt warum die Hörnchen so gebogen sind? Das kommt noch von den Türken. Es ist nichts anderes als der türkische Halbmond”, erklärt er ohne Unerbrechung. Wir sind angetan von seinem Wissen und verabschieden uns eine ½ Stunde später von ihm. Auf dem Weg zur Donau halten wir vor einem kleinen Kaffee, um vor der Weiterfahrt einen Cappuccino zu trinken. “Bitte sperren sie ihre Räder ab”, warnt uns der junge Besitzer. Kaum nehmen wir auf einen der Stühle Platz kommt unser Stadtführer herein. “Darf ich mich setzen?”, fragt er höflich. “Natürlich”, antworte ich und erfahre auf diese Weise noch mehr über Bratislava und die bewegte Vergangenheit.

Auf dem perfekt ausgebauten Damm kommen wir dann sehr gut voran. Zu unserer Linken weitet sich die Donau immer mehr zu einem mächtigen Stausee der trotz heftigster Proteste fertig gestellt wurde. Das aus der Stalinzeit stammende Staustufenprojekt bedeutet die Zerstörung der Aulandschaft und des sensiblen Ökosystems zwischen dem ungarischen Dunakiliti und dem slowakischen Polkovicovo. “Unglaublich was Menschen schaffen und gleichzeitig zerstören können”, rufe ich Tanja zu die hinter mir radelt. Staunend über das aus drei Staudämmen bestehende Megaprojekt treiben wir unsere Räder weiter. Viele Bewohner Bratislavas nutzen den Weg, um am heutigen Sonntag ihre Hunde auszuführen, Rad zu fahren, oder vor allem sich auf den Skatern fortzubewegen. Alle paar Kilometer gibt es schattige Plätze für die heißen Tage. Einige der Verkaufsbuden sind bereits geschlossen doch an vielen von ihnen bekommt man immer noch Getränke und ein paar Speisen serviert. Etwa 15 Kilometer außerhalb der Stadt hören die Freizeitaktivitäten urplötzlich auf. Wir überqueren eine der drei Staustufen und blicken über das künstliche Meer. Starker Wind bläst uns über die große Wasserfläche entgegen. Einsam kämpfen wir uns Kilometer für Kilometer weiter voran. Unterhalb des Dammes führt eine Straße entlang. “Lass uns da runter gehen. Dort ist es windgeschützter!”, rufe ich gegen den Wind ankämpfend.

Durch den ereignisreichen und langen Tag sind wir erschöpft. Trotzdem müssen wir weiter. Die erste Übernachtungsmöglichkeit gibt es erst in Gabcikovo. Zum ersten Mal sind wir gezwungen die Beleuchtung unserer fahrbaren Untersätze einzuschalten. Immer wieder brausen Autos und auch Lastwägen an uns vorüber. Die Fahrer sind überraschend rücksichtsvoll und halten genügend Abstand. Tanja leidet unter Schulterschmerzen. Am Vormittag sind ihre beiden Hände so stark eingeschlafen, dass sie kaum noch Gefühl darin verspürte. “Ich besitze keine Kraft mehr um den Löffel zu halten”, hatte sie mich erschreckt als wir in dem Kaffee saßen. Jetzt beginnen ihre Knie zu rebellieren. Meine Hände schlafen schon seit Beginn unserer Reise ständig ein und das rechte Handgelenk scheint sich zu entzünden. Alle paar Kilometer versuche ich die Handgelenke zu lockern und schüttle die Hände hin und her. Wenn das Blut wieder hindurchfließt löst sich Gott sei Dank die Taubheit. Meinem Rücken geht es zusehend schlechter. Keine Ahnung ob das von dem vielen Gepäck oder der ungewohnten Haltung auf dem Rad kommt. Trotz unserer vorsichtigen Herangehensweise an den Radsport tauchen immer mehr Schwierigkeiten auf die wir in dieser Form nicht einkalkulierten. Obwohl die Sättel zum Beispiel sehr gut sind und wir uns bisher keinen Wolf fuhren fühlt sich mein Steißbeinende so an als wäre es blau geschlagen. Manchmal kann ich kaum noch darauf sitzen. Jetzt als wir auf einer ewig geraden Straße mit etwa 20 Kilometer pro Stunde dahinradeln kreuzen unendlich viele Gedanken meinen Kopf. Es gibt nicht die geringste Garantie dafür unser weitgestecktes Ziel zu erreichen. Jede Stunde kann es zu Ende sein. Das Wichtigste ist unsere Gesundheit und wir können nur hoffen, dass sich unsere jetzt mehr und mehr aufkommenden körperlichen Herausforderungen nicht  verstärken.

Mit unseren letzten Kraftreserven strampeln wir unsere Böcke die steile Dammauffahrt hoch. Obwohl ich mich schon lange an die beißenden Schmerzen in den Oberschenkeln gewöhnt habe, und diese ohne Zweifel auch besser geworden sind, muss ich bei solchen Steigungen immer wieder die Zähne zusammenbeißen. Es beginnt zu Dämmern. Kalter Wind bläst uns auf der Dammhöhe durch die Knochen. Kinder stehen in kleineren Gruppen an dem Stahlgeländer und sehen in die Fluten. Ein paar Soldaten schlendern am Gehweg entlang. Autos klappern an uns vorbei. Viele von ihnen gehören zur Marke Skoda. Obwohl die Slowakei zur E.U. gehört spüren wir hier die Vergangenheit des Ostblocks. Schnaufend und mit brennenden Lungen treten wir unsere Stahlrösser über das gigantische Kraftwerk. Die Wellen des Sees werfen sich gegen die 18 Meter hohe Staustufe. Um Spitzenenergien zu gewinnen werden die Schleusen zweimal am Tag geöffnet. Die über 17 Kilometer aufgestaute Donau ergießt sich dann in die acht Turbinen des Speicherkraftwerkes. Um dieses gewaltige Projekt umsetzen zu können mussten 150 Millionen Kubikmeter Erde und 4.600 Hektar Auwald und Wiesen weichen.

Wir grüßen die ernst dreinblickenden Sicherheitsposten und brausen auf der anderen Seite des Kraftwerkes wieder die Straße hinunter. Die letzten Sonnenstrahlen blitzen gerade durch ein paar dichte Wolken. Der Hänger holpert über die Straßenrillen. Teilweise verfallene Industrieanlagen gähnen uns an. Auf einem Hinweisschild entdecken wir in drei Sprachen “Zimmer frei.” “Nein, ich kein Zimmer”, sagt die freundliche junge Frau und schickt uns zu einer anderen Pension. Die Häuser an denen wir vorbeifahren sind fast alle neu. Die Gegend sieht nicht arm aus. Der beißende Geruch von Kohle schwängert plötzlich die abendliche, kalte Luft. Einige der Menschen heizen offensichtlich bereits zu dieser Jahreszeit. Vor der Pension stelle ich mein Rad ab. Die unfreundliche Frau zeigt mir ein Zimmer. “Euro 11, nicht Frühstück dabei”, sagt sie etwas mürrisch in gebrochenem Deutsch. Erschrocken über das Preisleistungsverhältnis schieben wir unsere Drahtesel zur anderen Straßenseite. Ein Hotel lädt dort zur Übernachtung ein. Im nahen Restaurant versucht man den Besitzer über das Mobiltelefon zu erreichen. “Kaffee trinken. Drinnen warten”, sagt der sehr freundlich wirkende Kellner. 10 Minuten später schieben wir unser Gepäck auf Rädern wieder über die Straße und ziehen in das kleine Zimmer im ersten Stock. Unter großer Kraftanstrengung schleppen wir den fast 60 Kilogramm schweren Anhänger hinauf. Der Irtronix und das Satellitentelefon und die anderen Ausrüstungsgegenstände die sich darin befinden sind zu wertvoll um sie im nicht abgesperrten Hof stehen zu lassen. “Räder später in Garage”, sagt die Frau jetzt etwas freundlicher. Kaum sind unsere Sachen im Zimmer, verlassen wir es und begeben uns in das Restaurant auf der anderen Straßenseite. Das Essen schmeckt vorzüglich. Mit jedem Bissen geraten die Anstrengungen des Tages in Vergessenheit. Wir unterhalten uns über die ersten Eindrücke des für uns neuen Landes, über die Atmosphäre und die Menschen die zum Teil ungarisch oder slawisch sprechen. Mit vollen Bäuchen laufen wir zu unserer Unterkunft zurück. Die Räder befinden sich mittlerweile wie versprochen in der Garage. Da heute Wahlen sind schließe ich den kleinen Fernseher an, ziehe das Antennenkabel quer durchs Zimmer und stecke es in die Antennenbuchse. Obwohl wir im Regelfall kaum Fernsehen sitzen wir jetzt gespannt davor. Das orientierungslose Ergebnis erschüttert uns. “Das Volk hat mehr oder weniger alle Parteien gewählt. Jetzt kommt es darauf an ob die Politiker in der Lage sind wirklich etwas für uns tun zu wollen oder ob sich ihre Machgeilheit bestätigt und sie nur an sich selber denken. Ich hoffe sie finden eine für das Volk sinnvolle Lösung”, sage ich und schalte den Kasten aus.

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