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/Ruzayevka Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Romantik, Glück und Schlangen

N 52°51'34.7'' E 066°59'53.0''
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    Tag: 64

    Sonnenaufgang:
    05:38 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:38 Uhr

    Luftlinie:
    68.39 Km

    Tageskilometer:
    72.85 Km

    Gesamtkilometer:
    8763.20 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt – schlecht

    Temperatur – Tag (Maximum):
    38 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    19 °C

    Breitengrad:
    52°51’34.7“

    Längengrad:
    066°59’53.0“

    Maximale Höhe:
    275 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    170 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    06.10 Uhr

    Ankunftszeit:
    16.10 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    12.56 Km/h

“So eine Quälerei, ich fahre nur bis nach China und nicht weiter”, sagt Tanja als sie im Zelt kauert und sich die feuchten Radhosen anzieht. Von der nächtlichen Hitze bald gar gekocht ist meine Laune auf Tiefstand, noch dazu surren die erwartungsvollen Moskitoheere vor der dünnen Zeltwand. Ohne Frage kann ich Tanja verstehen. Hätte mich nicht gewundert wenn sie den Wunsch geäußert hätte die Räder schon in der nächsten Stadt ins Flugzeug zu laden. Dann wären wir diese scheiß Blutsauger endlich los. Im einvernehmlichen Schweigen packen wir unser Camp zusammen. Jedes freie Hautstück, welches nicht von Kleidung bedeckt ist, wird von den Stechmücken bearbeitet. Eilig schieben wir unsere Böcke durch das feuchte, hohe Gras bis zur Straße. Dort bläst uns der Wind entgegen. “Heute hält er sich nicht mal an die Zeiten”, sage ich bärbeißig. Nachdem wir unsere langen Hosen und den Windstopper ausgezogen haben treten wir unsere Pedale den Sonnenaufgang entgegen. Bereits nach 5 Kilometern brüllt mein Körper nach Nahrung und ich schiebe mir einen Schokoriegel zwischen die Zähne. Plötzlich lichtet sich der Nebel, um meine schlechte Laune. Auf der weiteren Fahrt reißen wir wieder ein paar Witze und lachen über den schrecklichen Morgen und die noch schrecklicheren Blutsauger.

Nach 30 Kilometern halten wir erneut. Wir packen unser Rapunzelmüsli aus und essen davon eine große Portion an der Straße. Dann setzen wir unseren Trip gegen den Meister fort. Bei Kilometer 42 unterhalten wir uns mit einem Schäfer der für eine beachtliche Pferdeherde verantwortlich ist. “Das sind wirklich schöne Tiere”, lobt ihn Tanja. “Ja, ja, werden im Winter alle zu Wurst verarbeitet”, sagt er lachend. “Zu Wurst?”, frage ich. “Ja natürlich. Wir essen gerne Wurst aus Pferdefleisch”, erklärt er während ich ihm eine Zigarette anbiete. “ßpaßiba”, ( danke ) bedankt er sich. “Wie weit ist es noch bis zum nächsten Cafe?”, möchte ich wissen. “Nur zwei Kilometer von hier auf der rechten Straßenseite”, erklärt er während ich ihm eine zweite Zigarette reiche. Dann verabschieden wir uns und freuen uns als wir das Cafe erreichen. Wie in den letzten Wochen essen wir eine Lachman und Brot als drei Männer die Kneipe betreten. Weil wir hungrig sind versuchen wir nur knapp auf ihre Fragen zu antworten. Sie sind anscheinend feinfühlend und lassen uns in Frieden. Als ich dann die Rechnung bestelle möchte uns der eine von ihnen einladen. “Aber warum? Das können wir doch nicht annehmen”, versuche ich höflich abzulehnen. “Das können sie gerne annehmen. Es ist mir eine Ehre sie einzuladen. Ich finde es fantastisch was sie machen. Ich würde niemals unser Land mit dem Rad durchqueren. Wenn ich nur daran denke tut mir schon der Hintern weh. Ist wirklich romantisch”, sagt er worauf Tanja und ich uns einen schnellen wissenden Blick zu werfen. “Ohne Zweifel denkt sie wie ich bei dem Wort romantisch ebenfalls an die letzte Nacht”, geht es mir in diesem Sekunden durch den Kopf. Wieder sehe ich sie an und forme mit meinen Lippen das Wort “Romantisch.” Sie antwortet mit einem Schmunzeln. “Also ich ziehe es vor mit meinem Mercedes zu fahren”, erklärt der nette Kasache weiter und zeigt stolz auf seine teure Limousine. Nach dem uns die Drei mit ihrem Handy fotografiert haben bedanken wir uns noch mal und verabschieden uns.

Kaum liegt die Raststätte hinter uns, prusten wir lauthals vor lachen. “Ha! Ha! Ha! Hast du das gehört? Romantisch hat er gesagt!” lacht Tanja kaum noch treten könnend. “Ja, stimmt, ist ja auch romantisch. Das schöne Gesumme der Moskitos. Das angenehme Gefühl wenn sie dir auf dem lieblichen Örtchen zwischen nassen hohen Gras gleich Dutzendweise in den Allerwertesten stechen. Ist doch romantisch! Ha! Ha! Ha!” “Hi! Hi! Hi!”, lachen wir ohne es dem Mann übel zu nehmen, denn mittlerweile haben wir manchmal einen eigenwilligen Humor entwickelt. “Sie doch mal! Dort! Der seltsame Vogel auf dem Schild mitten in der Prärie! Musst du unbedingt fotografieren. Ist tierisch romantisch!”, prustet Tanja. “Okay, mache ich”, ebenfalls glucksend.

Tanja

ROMANTIKA oder bis China und nicht weiter!

Es war eine schrecklich heiße Nacht und ich bin völlig zerstochen. Nicht, dass dies die erste Nacht mit Stechtieren und drückender Hitze auf dieser Reise oder in meinem Leben ist. Scheinbar hängt schon viel von der jeweiligen Tagesform und der momentanen körperlichen und mentalen Kraft ab.

Ich wache auf und sage zu Denis: “Ich radle nicht weiter als bis China!”Nicht ärgerlich, lediglich entschlossen, ist das zu dieser frühen Morgenstunde der für mich beschlossene Satz des Tages und nichts ist daran zu rütteln oder zu deuteln. Schweigend packe ich alles zusammen und lasse mich nach dem heraustreten aus dem Zelt wieder zerstechen. Ich frage mich, von was diese Millionen von Moskitos eigentlich leben, wenn wir nicht gerade hier Zelten?

Wir verlassen unseren Campplatz über einen mit Graß und Blumen bewachsenen Acker. An diesem Morgen fällt mir das Schieben schwer und der wirklich erste Lichtblick ist kurz vor dem losradeln ein Rumba Riegel von Rapunzel, um nicht komplett mit leerem Magen auf dem Bike zu sitzen.

Eigentlich möchte ich an gar nichts denken und das gelingt mir auch ganz gut. Irgendwann weist mich Denis auf die vor uns liegende Gaststätte hin. “Die freundlichen Kasachen, immer für eine Überraschung gut”, denke ich mir, als der Herr nachdrücklich sagt er möchte unsere Zeche bezahlen. Ablehnen unmöglich! Gerne stellen wir uns für die Männer mit unseren Rädern für ein Foto auf. Als unser freundlicher Frühstücks ? Sponsor uns träumerisch sanft anlächelt und das Wort “ROMANTIKA” gebraucht, platze ich fast vor Lachen.

Als wir außer Hörweite sind singe ich lauthals für Denis von Enrico Caruso: “O sole mio!” Vor meinem Inneren Auge sehe ich einen Harfe spielenden Troubadoure mit einer Rose zwischen den Zähnen und kann mich für gute zehn Minuten vor Lachen kaum auf meinem geliebten Sumobike halten. Ein wenig später frage ich mich, ob man als Radler wohl so einen Humor bekommt? Auch frage ich mich ob der Humor, würde ich weiter als bis nach China fahren, noch seltsamer? Auf jeden Fall ist mir absolut klar: Das erklärte Wort des Monats ist mit weitem Abstand “ROMANTIKA” und der Bann der Schwere der auf mir seit dem Morgen lastete, ist weg gelacht und gesungen.

Denis

Nachdem ich den Vogel auf dem einsamen Schild fotografisch festgehalten habe geht es den Berg hinunter. Ich lasse meine Maschine brausen und freue mich über den Fahrtwind. Auf der anderen Seite des Tales müssen die Muskeln alles geben, um den Bock wieder nach oben zu bringen. “Kraaackck!”, erschreckt mich urplötzlich ein böses Geräusch und mein Rad bleibt ruckartig stehen. “Was war denn das?”, möchte Tanja ebenfalls erschrocken wissen. “Keine Ahnung”, antworte ich meinen Vorderreifen untersuchend. “Chrchrchr!”, schabt es an irgendetwas als ich mein Sumobike nach vorne schieben möchte. “Ist bestimmt nur eine Ortliebtasche ausgehängt”, vermutet Tanja. “Oh mein Gott! Schau dir das an! Der komplette Lowrider sitzt auf dem Vorderreifen. Das ist ein echter Stopper. Noch dazu hat der Reifen die Kabel meiner Beleuchtung durchgescheuert”, sage ich entsetzt, mich hier ein Notcamp aufschlagend sehend. Sofort klinke ich die Satteltaschen aus und stelle das Rad auf den Ständer. Erleichtert bemerke ich sogleich, dass sich nur die Befestigungsschraube des Lowriders (Satteltaschenhalterung für den Vorderreifen) gelöst hat. Ich schraube sie wieder hinein und der Schaden ist bis auf die defekte Beleuchtung behoben. “Stell dir vor der hätte sich gelöst als du den Berg hinunter gerauscht bist. Dich hätte es glatt überschlagen”, meint Tanja. “Stimmt. Gut, dass es hier geschehen ist. Trotzdem muss ich mir Vorwürfe machen. Ich habe während des Trips immer wieder alle Schrauben überprüft, nur nicht die vom Lowrider. Die habe ich glatt übersehen. Bei den schlechten Straßenverhältnissen der letzten Monate wundert es mich nicht. Da muss sich die eine oder andere Schraube irgendwann mal lockern. Ich hätte die Befestigung nicht übersehen dürfen.” “Du kannst nicht alles sehen”, beruhigt mich Tanja. “Stimmt, trotzdem ärgert es mich”, erwidere ich und überprüfe sofort Tanjas Satteltaschenhalterung.

Nur 15 Minuten später fahren wir weiter. “Das Licht repariere ich in einem Camp in dem es keine Stechmonster gibt”, sage ich zu Tanja wieder vergnügt die Tretkurbel kreisen lassend. Im Ort Ruzayevka frage ich einen Maroneverkäufer nach einer Gastiniza. “Haben wir. Dort vorne rechts und immer geradeaus. Das ist auch die Straße nach Astana”, freue ich mich über seine Antwort. Nach 10 Stunden erreichen wir die Unterkunft die uns eine moskitofreie Nacht verspricht. Als ich den Laden aber genauer inspiziere sehe ich wenig Hoffnung. Die Unterkunft ist ein ausrangierter Straßenpolizeiposten. Unser Zimmer kostet zwar nur 1.000,- Tenge ( 5,40- ? ) ist aber gerade mal so groß, das neben den zwei durchgelegenen Betten unsere Ausrüstung hineinpasst. Ich setze mich in meinen Klappstuhl in das winzige Zimmer und schreibe über den Tag als es mich an bald allen Stellen meines Körpers zu jucken beginnt. “Ich halte das nicht mehr aus!”, brülle ich und würde meinen Laptop am liebsten in die Tonne schmeißen. “Geh doch erstmal duschen. Dann fühlst du dich bestimmt besser”, schlägt Tanja vor. Ich schleppe mich zu dem Hüttchen in dem sich die Banja ( Sauna ) befindet. Ein halbverhungerter Hund liegt hechelnd davor und hebt müde seinen Kopf. “Na dir geht’s aber nicht gut”, spreche ich mit ihm worauf er sich auf den Rücken legt und gestreichelt werden will. “Tanja? Haben wir noch ein Stück Brot?”, frage ich. “Im Anhänger!”, höre ich. Nur Minuten später lege ich der bemitleidenswerten Kreatur ein Stück Weißbrot mit Majonäse bestrichen vors Maul. Der Hund scheint nicht einmal die Kraft zu haben aufzustehen und frisst das Angebotene im liegen. Ich schüttle den Kopf und kann nicht verstehen wie im Hof einer Gastiniza ein Hund verhungern kann. Dort muss es doch Essenreste geben? In Gedanken versunken öffne ich die Tür zur Banja. Sie ist noch nicht angeheizt, deswegen schütte ich mir das noch kalte Wasser über mein juckendes Haupt. Sofort tritt Linderung ein und mein Gemüt kühlt sich wieder ab. Dann, nachdem unsere Erlebnisse im Elektronikgehirn des Laptops sitzen, verlassen wir das Häuschen, in dem sich unser Zimmerlein befindet und steigen die Stufen zur ehemaligen Polizeistation nach oben. Eine Klimaanlage kühlt den Raum auf brauchbare Temperatur. Wie überall gibt es Nahrung aus der Mirkowelle. Schnell muss es sein. Heiß muss es sein. Die Menschen wollen hier nicht viel Zeit für ihre Essensaufnahme investieren.

Es ist schon dunkel als wir recht unbefriedigt den Posten verlassen. “Man freue ich mich darauf wenn du wieder für uns kochen kannst. Der ewige Mikrowellenfraß ist kaum auszuhalten”, lamentiere ich. Als ich die Tür zu unserem Zimmerchen aufsperre schlägt uns eine Bullenhitze entgegen. Da das einzige Fensterlein zugenagelt ist kann man es nicht öffnen. Die Tür in der Nacht nicht abzuschließen ist wegen Diebstahl ebenfalls nicht ratsam. Etwas verzweifelt unter Schlafmangel leidend und von den Moskitos gequält entscheide ich mich hinter dem Müllhaufen der Gastiniza unser Zelt aufzuschlagen. “Lieber das Zelt hinter dem Müllberg als in einem heißen Zimmer ohne Fenster auf kaputten Matratzen zu nächtigen”, sage ich zu Tanja und ziehe von dannen. Auf der Wiese hintern Müllberg warten sie schon wieder auf mich. Tausende, ja Zehntausende stechwütige kleine Monster. Ich stecke gerade die Zeltstangen in die Stoffösen als Tanja kommt. “Die Bedienung der Gastiniza hat gesagt du sollst dein Zelt unter keinen Umständen da aufbauen.” “Warum nicht?” “Hier soll es wegen dem Müll viele Schlangen geben. Sie werden von den Mäusen und Ratten angelockt.” “Hm, macht mir nichts. Ich bin ja im Zelt. Da kommen sie nicht rein”, antworte ich meine Arbeit fortsetzend. “Klar kommen sie da nicht rein aber wenn du nachts auf die Toilette musst schau erstmal wer sich in deinen Schuhen eingenistet hat”, meint Tanja amüsiert und flüchtet vor den Moskitos wieder zum Zimmerlein. Im Zelt ist es überraschend kühl. Ich blase meine Isomatte auf, seufze ein paar Mal und falle sofort in einen tiefen Schlaf.

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