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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Rocky Spezial

N 44°53'351'' E 021°23'218''
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    Tag: 78

     

    Sonnenaufgang:
    06:41 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:01 Uhr

     

    Luftlinie:
    59,19 Km

     

    Tageskilometer:
    82,42 Km

     

    Gesamtkilometer:
    2284,35 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23,1 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    19,2 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    11 °C

     

    Breitengrad:
    44°53’351“

     

    Längengrad:
    021°23’218“

     

    Maximale Höhe:
    87 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    09:35 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    16:15 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    17,18 Km/h

Auf der Landkarte zeigt mir der Deutsch sprechende nette Mann an der Rezeption welche Straßen wir zur nächsten Stadt Kovin fahren sollen. “Sie führt zwar durch unser Industriegebiet und ist ein paar Kilometer länger aber Lastwägen werden sie dort kaum antreffen. Die Lkws nutzen die Bundesstraße um zur Autobahn nach Belgrad, Rumänien und Bulgarien zu gelangen”, erklärt er. Wenig später befinden wir uns in einem Inferno der Abgase, kaputten Gebäuden, dampfenden Schloten und zischenden Rohren. Auf dem Weg gähnen große runde Löcher die unser gesamtes Rad komplett verschlucken würden. Auf der Hut nicht irgendwo unsere Bikes zu versenken strampeln wir durch gelblich grauen Dunst, bis wir nach ein paar Kilometer die menschenunwürdige Gegend hinter uns lassen.

Auf einmal befinden wir uns tatsächlich auf einer kaum befahrenen Nebenstraße. Der anfängliche Gegenwind flaut mehr und mehr ab. Die Sonne scheint und wärmt unsere Rücken. Ohne besondere Vorkommnisse erreichen wir die ebenfalls hässliche Kleinstadt Kovin. An einer Truckerkneipe ruhen wir uns kurz aus und trinken türkischen Kaffe. “Das ist für euch. Schmeckt sehr gut”, sagt ein Serbe, legt uns zwei große Packungen Schokowaffeln auf den Tisch und geht weiter. Wir haben kaum noch Zeit uns zu bedanken da ist er in einer der Werkstätten verschwunden. Verwundert blicken wir uns an. Dann reiße ich die Packung auf und bin in der Tat von dem köstlichen Geschmack angetan. Es dauert nicht lange und der Inhalt der gesamten Tüte schmilzt genüsslich in meinem Magen dahin. Plötzlich taucht der Serbe wieder auf. “Na schmecken sie?”,  fragt er freundlich im Vorbeigehen.  “Fantastisch”, antworte ich mir den Bauch reibend. Er lacht und bleibt uns die Antwort schuldig was ihn dazu bewogen hat zwei deutschen Radfahrern einfach nur so ein Geschenk zu machen.

Kovin in Richtung Rumänische Grenze verlassend treten wir unsere Räder weiter und die Landschaft wird immer schöner. Zum ersten Mal in Serbien erleben wir Natur pur. Es gibt kaum noch Autos. Der Asphaltstreifen wird links und rechts von dichten Wäldern gesäumt. Die Sonne wirft ihre warmen Strahlen im schrägen Winkel durch die Baumschneise. Ohne Gegenwind glauben wir durch ein Paradies zu schweben. Radfahren macht plötzlich wieder großen Spaß. Wir genießen den Augenblick der Ruhe. Vögel zwitschern und ab und zu hören wir ein leichtes Rauschen in den gelbroten Blättern. Laut unserer Karte durchqueren wir einen Nationalpark und so wie es sich anfühlt befinden wir uns gerade mitten in seinem grünen pochenden Herz. Nach den Anstrengungen der letzten Wochen atmen wir hier regelrecht auf. Keine schwarzen bedrohlichen Gummireifen die dicht an uns vorbeidonnern, kein Lärm, kein Hupen, keine Abgase und keine toten Tiere die wie flache Schatten auf dem Asphaltstreifen kleben und ihr Leben ausgehaucht haben. Nach einigen Kilometern überqueren wir einen Kanal der Donau. Angler sitzen am Ufer und werfen ihre Routen aus. Ein paar altersschwache Autos stehen herum und warten geduldig auf ihre Besitzer. Vogelscharen bevölkern den Spätnachmittagshimmel, ziehen sich wie dunkle Fahnen durch den rot glühenden Sonnenball und lassen sich laut zwitschernd in den Bäumen am Ufer nieder. Wir verweilen für wenige Augenblicke, trinken ein paar Schluck Wasser, essen eine Handvoll Studentenfutter von Rapunzel und schwingen uns wieder zufrieden mit uns und der Welt in die Sättel.

“Schau mal! Da vorne gibt es einen Zeltplatz!”, ruft Tanja freudig. “Tatsächlich”, stimme ich in ihre Euphorie ein eventuell einen schönen Ort für die Nacht gefunden zu haben. “Ob da um die Jahreszeit noch jemand ist?”, frage ich mehr mich selbst und schiebe mein Rad an der geschlossenen Schranke vorbei. Ein Mann, der am nahen lieblich aussehenden See angelt,  kommt auf uns zu und begrüßt uns wohlwollend. Mit Zeichensprache gibt er uns zu verstehen per Handy den Besitzer zu fragen ob wir bleiben dürfen. Es dauert nur Minuten und der Serbe zeigt mit einer ausladenden Handbewegung das wir unser Zelt aufstellen dürfen wo wir wollen. “Was kostet die Nacht?”, möchte ich wissen. “No kost”, antwortet er lachend und ist sichtlich erfreut nicht mehr alleine zu sein. “Kaffee? Tschai (Tee)? Bivo (Bier)? Schnaps?”, fragt er. “Äh, ich würde gerne einen Kaffee trinken”, antworte ich etwas verlegen über soviel Gastfreundschaft.

Während wir unser Lager aufstellen brüht er frischen türkischen Kaffe auf. Dann lädt er uns zu sich an seinem Tisch ein. Wir lassen uns erleichtert, wieder einmal einen schönen Platz erreicht zu haben, auf die Stühle sinken. “Mein Spitzname ist Rocky”, stellt sich unser Gastgeber vor und platziert neben den dampfenden Kaffeetassen eine 2 ½ Liter Flasche mit Bier. Ohne uns zu fragen öffnet er sie und schenkt uns je einen großen Becher voll. Dann beginnt eine interessante Unterhaltung gemischt aus Zeichensprache, etwas Russisch, ein wenig Deutsch und viel für uns unverständlichem Serbisch. Die zwei Platzhunde Jumbo und Fitzgo lassen sich Schwanz wedelnd neben uns nieder und hoffen darauf etwas von uns zu bekommen. “Ach Jumbo, du gibst es wohl nie auf”, meint Rocky mit dem Augen zwinkernd und erzählt, dass er an diesem wunderschönem Ort jedes Jahr sechs Monate verbringt. “Ich habe aus diesem See schon einen Fisch mit 24 Kilogramm Gewicht gezogen. Das war ein Erfolg. Ho, ho, ho”, lacht er laut und wild mit seinen großen Händen und langen Armen gestikulierend. “Da kam gleich die Presse und es gab eine Headline in der Zeitung. Ho, ho, ho. Aber an dem Donaukanal habe ich auch einen Rekord. Der Fisch den ich da raus zog war 23 Kilogramm schwer. Mir gefällt es hier. Ich nicht arbeiten. Rocky ist doch nicht doof. Ho, ho, ho. Habe lange gearbeitet. Als Fahrer zwischen Serbien, Rumänien und Bulgarien. Ab und zu gehe ich zurück. Erst gestern hat mich ein Kollege angerufen und gefragt wann ich komme. Habe ihm gesagt er kann erst wieder ab Dezember mit mir rechnen. Ho, ho, ho, bin doch nicht doof. Der Platz hier ist so schön. Habe alles was ich brauche. Werde mir hier eine Hütte bauen. Strom lege ich rein und Wasser zapfe ich dort drüben an der Leitung ab. Hab schon mit dem Besitzer gesprochen. Nein, arbeite nicht. Mir gefällt es hier…”, plaudert er ohne Luft zu holen, weshalb die Unterhaltung ein bisschen anstrengend wird. “Magst noch ein Bier?”, fragt er sich offensichtlich warm geredet zu haben. “Nein danke. Ich muss noch vor Sonnenuntergang meine Kurzaufzeichnungen in den Computer hauen. Dann komme ich wieder”, antworte ich. “Ach was Computer. Vergiss den Computer. Komm lass uns noch ein Bier und einen Schnaps trinken. Rocky lädt euch ein. Rocky hat alles im Kühlschrank”, sagt er, steht auf und kommt mit zwei Flaschen Wein, einer Flasche Bier und einer Flasche Schnaps wieder. “Vielen Dank, aber ich muss jetzt wirklich meine Sachen erst fertig machen”, entschuldige ich mich, stehe auf und begebe mich zum Zelt. Rocky akzeptiert wieder willig und begibt sich zu seinen sechs ausgelegten Angelrouten.

Es dauert nicht lange und er fragt Tanja wann ich endlich fertig bin. “Komme schon!”, rufe ich noch schnell die Räder abdeckend. Dann sitzen wir wieder bei ihm am Tisch. “Gibt es hier eigentlich viele Moskitos?”, will ich wissen und beobachte wie die Scheißdinger meine Beine umkreisen, um etwas von meinem wertvollen Blut abzuzapfen. “Ach was. Moskitos gibt es hier nicht”, antwortet er gönnerhaft. “Und was macht dieses Vieh hier auf meinem Daumen?”, frage ich scherzend. “Mir machen die nichts aus. Sie her, habe kurze Hosen an und ein kurzes Hemd. Mich mögen sie nicht.” “Aber mich”, sage ich gleich mehrer mit einen Schlag tötend. Tanja bietet Rocky etwas von unserem Travellunch-Essen an. Während er wieder Bier und Schnaps auspackt. “Jetzt kommst du mir nicht mehr davon”, sagt er grinsend und schenkt mir einen kleinen Becher voll. “Huaa!”, rufe ich als mir das Zeug die Kehle herunter brennt. “Ho, ho, ho”, lacht Rocky sich das Glas hinter die Binde schüttend und schenkt mir mein Gläschen wieder voll. Nach dreimaligen Attacken auf meine Kehle und dem armen Magen schaffe ich es abzulehnen. Dann schüttet er uns Bier nach obwohl wir nach einem langen Tag auf den Rädern und der aufkommenden Kühle der Nacht nicht mehr wollen. “Also ihr müsst Schnaps trinken um wirklich weit mit euren Rädern zu kommen”, sagt er zu fortgeschrittener Stunde. “Eine Flasche Schnaps auf 1000 Klometer und nur ganz wenig Wasser”, erklärt er mit tiefer Stimme und scheint das was er sagt wirklich ernst zu meinen. “Ich sage euch einen Liter Schnaps und kein Wasser. Das ist das Rezept. Ich garantiere es. Hundertprozentig. Ihr schwitzt nicht mehr und könnt ewig radeln.” “Wie viel Kilometer machst du denn mit einer Flasche Schnaps?”, frage ich ernst. “1000 Kilometer. Mit hundertprozentiger Garantie, ho, ho, ho. Rocky kann ewig radeln. 300 Kilometer am Tag ist überhaupt kein Problem. Kein Problem, wisst ihr. Hundert Prozent. Ich garantiere…” plaudert er lauter und lauter werdend. Tanja und ich werfen uns einen Blick zu. Bevor Rocky noch mehr Biergeschichten erzählt und noch lauter wird verabschieden wir uns für den Abend. “Du kannst doch nicht schon gehen. Lass deine Frau ins Bett aber wir trinken noch ein”, meint er. “Ich muss leider auch gehen. Habe morgen einen langen Tag vor mir. Du weißt doch, wir wollen nach Rumänien”. Antworte ich und erhebe mich aus dem Stuhl.

“Morgen Früh kommt ihr beide wieder zu mir. Ich mache Frühstück. Rockyspezialität. Jeder auf diesem Platz kennt sie. Ich suche ein paar Champions die hier wachsen und mache euch ein Omlet”, lädt er uns ein. “Tanja ist Vegetarierin”, erkläre ich. “Kein Problem, Tanja bekommt Omlet Rocky Spezial für Vegetarier, ho, ho, ho.” “Was ist das?”, fragt Tanja. “Es ist kein Fleisch, es sind nur die Innereien vom Schwein”, antwortet er sein rechtes Auge viel versprechend nach oben ziehend. “Nein danke, ich esse auch keine Innereien”, entschuldigt sie sich. “Kein Problem. Tanja bekommt Rocky Spezial ohne Innereien, ho, ho, ho”, lacht er und lässt uns endlich gehen.

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