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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Plötzlicher Tod der Rentiere

N 51°33'337'' E 099°15'341''
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    Tag: 264-265

    Sonnenaufgang:
    06:30/06:28

    Sonnenuntergang:
    20:16/20:17

    Gesamtkilometer:
    1341

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    6°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    0°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 10°C

    Breitengrad:
    51°33’337“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Plötzlich kommen Tsaya und Ultsan in unsere Jurte gestürmt. „Wir brechen morgen auf. Gamba wird mit einem Jeep ins Frühjahrscamp fahren und schon mal sein Gepäck hinbringen“, sagt Tsaya. „Oh weh! Morgen schon?“, sage ich. „Ja. Ich habe euch doch gesagt, dass es jeden Tag soweit sein kann.“ „Ja, ja, aber was machen wir mit der Jurte? Die muss nach Tsgaan Nuur zurück. Wie können wir von hier aus den Abtransport organisieren?“, frage ich nachdem sich Shagai nicht darum gekümmert hat und sich seit einigen Tagen beim Jadesuchen befindet. „Wir versuchen für euch einen Lastwagen aufzutreiben“, beruhigt sie uns. „Bis morgen?“, frage ich ungläubig. „Warum nicht? Ultsans Schwager Hohood wird jemanden auftreiben. „Und wie kommt ein Jeep zum Frühjahrscamp? Du hast doch gesagt es sei unmöglich diesen Ort mit einem Fahrzeug zu erreichen.“ „So lange der Boden gefroren ist kann man mit einem Jeep bald überall hinfahren. Aber wenn der Boden auftaut versinken die Fahrzeuge bis zur Achse im Morast. Dann geht gar nichts mehr“, erklärt sie. „Na gut, dann haben wir morgen einen aufregenden Tag“, meine ich. „Wie geht es euren Rentieren?“, wechselt Tanja das Thema. „Gut.“ „Wann bekommen sie denn ihre Babys? Es müsste doch bald soweit sein?“ „Um den 20. April.“ „Also in fünf Tagen. Na dann wird es wirklich Zeit das Wintercamp zu verlassen“, stellt Tanja fest. „Ja es wird Zeit. Vor allem weil der Umzug nicht an einem Tag geschehen ist.“ „Nicht an einem Tag?“, frage ich. „Nein. Seit der Katastrophe von 1996 bis 2000 besitzen wir nicht genügend Rentiere, um unser gesamte Habe aufeinmal zu transportieren“, sagt Ultsan nachdenklich. „Welche Katastrophe?“, frage ich überrascht. „In diesen Jahren begannen unsere Tiere plötzlich zu hinken. Wir sind sehr erschrocken da wir so etwas bisher noch nie erlebt hatten. Ich kann mich genau daran erinnern als im Frühjahr und Sommer alle Hirsche und Kühe schwächer und schwächer wurden und nacheinander starben. Jeden Tag sind zwischen 10 und 20 Tiere verendet. Es stank schrecklich und wir mussten unser Lager verlegen. Es war ungeheuer traurig und bedeutete für uns eine Katastrophe. Unsere gesamte Lebensgrundlage war vernichtet. Die Tuwa der West und Osttaiga verloren in diesen Jahren weit über 3.000 Rentiere. Angeblich war die Ursache das Zeckenfieber (Borreliose). Zumindest behaupteten das die Tierärzte die später kamen und den Vorfall untersuchten. Man sprach auch davon, dass wir unsere Tiere nicht sauber miteinander kreuzten und Inzucht sie schwächte. Dabei achten wir ganz genau welchen Bullen wir zu den Weibchen führen. Wir sind ja nicht dumm. Später spielte die Regierung mit dem Gedanken Sperma von Rentieren aus Norwegen einzuführen, um unseren Bestand wieder aufzupäppeln. Die Regierung kaufte dann 20 Rentiere von Russland und ließ sie durch mongolische Hirten in unser Land treiben. Die hatten aber keine Ahnung von Rentieren weswegen nur die Hälfte davon in Khatgal ankamen. Dort nutze man sie trotz ihres abgemagerten Zustand als Touristenattraktion was zur Folge hatte das nur vier Tsgaan Nuur ereichten. Diese Vier schenkte man dann den Tuwa aus der Westtaiga obwohl von ihnen jede Familie 30 oder 40 Rentiere besitzt. Das damalige Desaster hatte sie nicht ganz so stark getroffen wie uns. Man glaubt sie können mit der Zucht besser Umgehen. Das ist wahrscheinlich der Grund warum sie die Rentiere bekommen haben und nicht wir. Letztes Jahr hatten wir Besuch von Rentierzüchtern aus Norwegen. Die Samen waren überrascht über die Größe unserer Tiere. „Eure Hirsche und Kühe sind viel kräftiger, stärker und größer als unsere“, hatten sie gesagt. Das Problem liegt also eindeutig nicht an der Zucht sondern am bösen Wolf den wir durch seine Schläue nicht bejagen können.

Mittlerweile hat sich unser Bestand der überlebenden Rentieren leicht erholt weshalb wir wieder 250 Rentiere besitzen. Die Tuwa der Westtaiga hingegen haben ca. 700 Tiere. 1996 besaßen wir zusammen 4.000 Rentiere. Ihr seht also das wir mit so wenigen Rentieren den Umzug auf zweimal machen müssen. Beim ersten Trip schaffen wir den Hausstand, Zeltbahnen und andere Gerätschaften ins Camp und beim zweiten Umzug reiten die Frauen mit der restlichen Ausrüstung ins Lager. Auch die jungen Rentiere und trächtigen Kühe werden zu unserem neuen Aufenthaltsort getrieben. Leider ist die Bedrohung der Wölfe in dieser Region besonders groß. Letztes Jahr verloren wir alle Neugeborenen durch Wolfattacken“, klagt der junge Jäger. „Durch Wolfattacken? Und das im Frühjahr? Ich dachte die Wölfe sind nur im Winter ein Problem?“ „Nein, im Frühjahr und Sommer ist es noch viel größer da die Wölfe mit den Neugeborenen leichte Beute besitzen. Würden wir 80 Kilometer weiterziehen hätten wir diese Herausforderung nicht.“ „Und warum zieht ihr nicht weiter?“ „Weil wir nicht genügend Tiere für den Umzug besitzen. Stell dir vor wir müssten 100 Kilometer mit schwer beladenen Rentieren zurücklegen. Und das Ganze zweimal. Das wären 400 Kilometer Strecke bis wir im Frühjahrscamp sind. Das würden die Tiere nicht schaffen. Es ist ein Teufelskreis. Wegen den Wolfangriffen haben wir nicht genügend Nachwuchs und weil wir nicht genügend Nachwuchs heranzüchten können erreichen wir keine wolfsichere Zone. Wir bräuchten einen Zaun. Dann könnten wir unsere Jungtiere einzäunen. Sie könnten in Frieden und Sicherheit grasen und heranwachsen. Aber die Regierung spricht darüber uns ein Auto zu finanzieren. Was sollen wir denn mit einem Auto?“ „Ihr könntet es verkaufen und vom Erlös einen Zaun erwerben“, schlage ich vor. „Wir sind insgesamt 50 Familien. Jeder hat eine andere Betrachtungsweise. Das gäbe nur Chaos und Missgunst. Wir würden nie einer Meinung sein. Manche von uns finden die Idee mit dem Auto gut. Keiner denkt daran was ist wenn das Auto kaputt ist. Oder wer es fahren soll? Keiner von uns besitzt einen Führerschein. Es ist ein Kreuz mit den Regierungsunterstützungen. Sie sind oftmals kopflos. Jeder Politiker will sich selbst verwirklichen. Ein Auto ist teurere als ein Zaun. Da kann man mehr abstecken. Womit ich meine, dass sich dabei jemand etwas in die eigene Tasche abzwacken kann. Einer der Vorschläge, das müsst ihr euch mal vorstellen, sind Satellitentelefone die man uns geben möchte.“ „Satellitentelefone? Ich hoffe mit Gesprächseinheiten?“, werfe ich ein. „Ach was. Sie wollen uns Satellitentelefone geben weil das gut klingt. Die Einheiten müssen wir dann selber bezahlen“, schnauft Ultsan. „Aber die sind sehr teuer“, meine ich. „Für uns unbezahlbar. Einmal haben wir durch eine Hilfsorganisation Zeltplanen für unsere Tipis bekommen. Für ein Tipi braucht man ca. 70 Quadratmeter. Auf dem Weg von Ulan Bator nach Mörön sind pro Tipi fünf Quadratmeter verschwunden. Es kamen also nur 65 qm an. Von Mörön nach Tsagaan Nuur sind pro Tipi wieder zwei qm verschwunden. Tsagaan Nuur erreichten daher nur 63 qm. In unserem Camp waren es dann nur noch 60 qm. Jeder hält hier seine Hand auf und bereichert sich. Es ist ein durch und durch korruptes Land. Und wenn wir uns beschweren dann verteilt die Bürgermeisterin von Tsgaan Nuur die Spende an eine andere Familie die sich nicht beschwert. So einfach ist das.“ „Schlimm. Aber dennoch ist es doch schön von der Regierung, die offensichtlich die Hilfsprojekte koordiniert, bedacht zu werden“, meine ich, um etwas Positives zu sagen. „Ja, dessen ungeachtet ist es ärgerlich von habgierigen Menschen bestohlen zu werden. Irgendjemand hält immer die Hände auf.“ „Das ist sicherlich ärgerlich“, gebe ich ihm Recht.

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