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Mongolei/Quelle-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Pferdefleisch, blutige Nase und nächtlicher Besuch

N 48°56'367'' E 102°03'951''
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    Tag: 400

    Sonnenaufgang:
    06:21

    Sonnenuntergang:
    20:04

    Luftlinie:
    20,24

    Tageskilometer:
    25

    Gesamtkilometer:
    2298

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras/Stein

    Temperatur – Tag (Maximum):
    25 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 3 °C

    Breitengrad:
    48°56’367“

    Längengrad:
    102°03’951“

    Maximale Höhe:
    1700 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    13.00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:00 Uhr

Trotz des gestrigen mongolischen Ess- und Trinkcocktails habe ich die Nacht ohne weitere Zwischenfälle überstanden. Mir ist zwar ein wenig fad im Magen aber das wird sich am heutigen Reittag gewiss geben. Wir sind gerade mit dem Packen fertig als Shinooder angeritten kommt. „Bevor ihr reitet müsst ihr euch unbedingt stärken. Nirgui hat extra für euch gekocht“, lädt er uns in seine Jurte zum Essen ein. Ich lasse mir den Schreck nicht anmerken. „Ich muss die Seile noch um die Seesäcke knoten, dann kommen wir“, antworte ich während Tanja mich wissend angrinst. Shinooder steigt aus dem Sattel und hilft uns bei der Seilarbeit. Mehr Männer knattern auf ihren Motorbikes heran und gesellen sich hinzu. Offensichtlich hat sich unsere bevorstehende Abreise im Tal herumgesprochen. Die schwer berauschten Hirten schwanken von ihren chinesischen Klapperkisten und setzen sich neben uns. „Du musst mit zu mir kommen. Wir leben an einem wunderschönen See“, sagt der Eine. „Wo liegt denn deine Jurte?“, frage ich. „Dort“, lallt er und zeigt in die entgegengesetzte Richtung unseres Reiseziels. „Oh wir müssen aber nach Erdenet“, wende ich ein. „Das macht nichts. Nur einen Tag, ihr müsst auf jeden Fall für einen Tag zu mir kommen“, fordert er. „Tut mir leid. Wir müssen in die andere Richtung.“ „Die Richtung ist doch egal. Bei uns ist es schön. Sehr schön.“ „Das glaube ich dir aber wir würden sehr gerne unseren Ritt nach Erdenet fortsetzen. Wenn wir noch länger in der Gegend bleiben überrascht uns wieder der Winter“, versuche ich ohne jeglichen Erfolg zu argumentieren. „Ach was! Was ist schon eine Nacht?“ Ich lache den Mann gutmütig an und bleibe hartnäckig. Als die Ausrüstung zum Beladen fertig ist schnappen wir unsere Satteltaschen in denen die Videokameras, Fotoapparate und andere teure Ausrüstung verstaut sind. „Steig auf“, fordert mich der angetrunkene Mongole mich auf seinen Bock zu setzen. Da ein Ablehnen einer Beleidigung gleich kommen würde steige ich auf. Auch Tanja wird von einem der Steppenbiker mitgenommen und zur Jurte gefahren.

Als wir das Filzzelt betreten werden wir von vielen Menschen empfangen. Die Jurte ist sozusagen bis zum Anschlag gefüllt. Wir bekommen wie üblich den Ehrenplatz von dem einige Anwesende rücken, um uns ihre Plätze zu überlassen. Kaum haben wir uns auf den kleinen Holzschemeln niedergelassen reicht uns Nirgui je eine Schüssel voller Nudelsuppe mit viel Fleisch. „Was ist das für ein Fleisch?“, interessiert es Tanja. „Pferd“ „Oh Pferd. Schmeckt gut“, antworten wir, wobei ich zugeben muss nicht aufrichtig zu sein. „Esst mehr. Esst doch mehr,“ fordert sie uns auf. Auch wenn wir kaum einen geschmacklichen Unterschied zu Kuhfleisch feststellen können ist die bloße Tatsache gerade unsere Pferdefreunde aufzufressen gewöhnungsbedürftig. Um den Geschmack der Suppe zu intensivieren hat Nirgui reichlich Sonnenblumenöl hinzugegeben. Schon nach der ersten Schüssel spüre ich wie das Fett vom Magen in die Adern gepumpt wird.

„Ihr müsst unbedingt mit zu meiner Jurte kommen“, lallt mich der betrunkene Hirte unnachgiebig an. „Wir reiten nach Südosten. Aber wenn wir wiederkommen besuchen wir dich.“ „Nein, nein, ihr müsst mich jetzt besuchen. Heute ist ein schlechter Tag um weiter zu reisen. Kein gutes Omen“, sagt er worauf andere seine Aussage mit dem Kopf nickend bestätigen. Da wir schon von den Tuwa wissen, dass es für jede Familie gute und schlechte Reisetage gibt, glauben wir dem Mann. Trotzdem hat sein schlechter Reisetag nichts mit uns zu tun. „Wenn wir uns daran halten würden müssten wir ein weiteres Jahr in der Mongolei bleiben“, sage ich zu Tanja.

Mittlerweile reden viele der Gäste mit lauten Stimmen auf uns ein. Nur weil wir schon so lange in diesem Land sind wissen wir, dass die Menschen uns nicht anschreien sondern in ausgelassener Stimmung mit uns reden. „Bleibt doch noch einen Tag!“ „Nein sie sollen nicht bleiben sondern zu mir kommen!“ „Ha, ha, ha! Hi, hi, hi!“, ist der allgemeine Kommentar. „Der dort drüben ist ein Russe!“ „Nein ich bin kein Russe!“ Doch du bist ein Russe!“ „Ich bin Mongole!“ „Nein du bist ein Tscheche!“ „Nein, nein, nein ich bin Mongole!“, verteidigt sich ein vollgetrunkener Verwandter von Gangsuch unter noch ausgelassenerem Gelächter. „Wir werden dich den Beiden mitgeben“, neckt dieser wiederum den fünfjährigen Gangerden. „Ügüj, ügüj, ügüj“, antwortet der Kleine aggressiv. „Doch, doch. Du wirst mit nach Deutschland gehen“, triezt der Mann ihn weiter. „Ügüj!“, brüllt er, springt auf, reißt dem Mann an den Haaren und knallt ihm mit voller Wucht seinen Ellbogen auf die Nase das augenblicklich Blut fließt. Nach dem Motto, ein Mongole zeigt keinen Schmerz, wischt sich der Mann, anscheinend sein Onkel, das Blut kommentarlos in den Ärmel seines Deels. Gangerden, noch immer außer Rand und Band, nutzt die Zeit seines unaufmerksamen Onkels, um ihn erneut zu attackieren dass dem hören und sehen vergeht. Keiner der Erwachsenen geht dazwischen und jeder lässt den Kleinen gewähren. Verblüfft blicke ich den verletzten großen Mann an, der den Zwischenfall mit einem gequältem Lachen ignoriert. Nachdem Gangerden seinen Onkel nahezu K.- o.- geschlagen hat kuschelt er sich indes wieder auf den Schoß seines Vaters zusammen.

Dann wird eine Flasche Wodka geköpft. Wir nippen. Das übliche Programm vom Angebot prasselt auf uns ein. „Du musst mit zu meiner Jurte kommen!“ „Jetzt lass ihn doch in Frieden!“, brüllt eine sehr korpulente Frau. „Ha, ha, ha, hi, hi, hi“, lachen die Anwesenden ausgelassen. Zur allgemeinen Freude schießen wir noch ein paar Fotos. Dann können wir uns loseisen. Keiner der Jurteninsassen möchte sich unseren Aufbruch entgehen lassen. Sie folgen uns zu den Pferden und Gepäck. Sechs helfende Hände lassen die schweren Säcke auf die Pferderücken fliegen. „Kommt. Airag trinken. Das stärkt euch für den langen Ritt“, werden wir erneut eingeladen. Eine der Frauen hat einen ganzen Eimer voller vergorener Stutenmilch zu unserem Campplatz getragen. Ein Schöpfer saust hinein und fördert die weiße, saure jogurtähnliche Flüssigkeit in eine Schüssel, in die natürlich jeder seine Nase steckt, auch die Blutige des Onkels sehe ich hinter dem Schüsselrand verschwinden. Wir nehmen einen kräftigen Schluck. Darauffolgend schwingen wir uns in die Sättel. „Sain jawaaraj!“, (Gute Reise) wehen die Wünsche aus vielen Mündern an unsere Ohren. „Vielen Dank für die fantastische Gastfreundschaft!“, sagen wir uns und winken der Festgemeinschaft zu die jetzt im Gras liegt und sich Mühe gibt den Eimer leer zu kriegen.

Sogleich verfallen unsere braven und treuen Tiere in einen Trab. Zügig kommen wir voran. Es dauert nicht lange bis mein Magen rebelliert. Den Preis einer außergewöhnlichen Gastfreundschaft nehme ich so gelassen wie möglich hin. Wir queren weitläufige Grasflächen und ein Meer von Geröll. Sharga, Tenger und Bor fressen während des Trabens immer wieder von dem fetten Gras, saftigen bunten Blumen und Disteln. Anscheinend eine kulinarische und exklusive Mischung. Tenger bekommt seinen Hals nicht voll und verschluckt sich. Plötzlich kotzt er während des Laufens immer wieder Halbverdautes in großen Fontänen in die Luft. In den ersten Augenblicken nehme ich davon kaum Notiz, doch nachdem er zusehend langsamer und träger wird beginne ich mir Gedanken zu machen. „Ich glaube Tenger geht es nicht gut!“, rufe ich Tanja zu. „Was hat er denn?“ „Wenn ich das wüsste? Aber entweder hat er das Gras während des Laufens in den falschen Schlund bekommen oder etwas Schlechtes oder vielleicht sogar Giftiges erwischt“, antworte ich und denke daran wie sich am Ende der Australienexpedition unser Leitkamel Sebastian ein schwere Vergiftung durch Pflanzen zugezogen hat an der er letztendlich gestorben ist. „Ob heute wirklich ein schlechter Reisetag ist?“, frage ich mich nachdem Tenger massiv zu schwitzen beginnt und Schwierigkeiten bekommt mit seinen Kameraden Schritt zu halten. In regelmäßigen Abständen quillt eine braune, dickflüssige Brühe aus seinen Nüstern.

Zu unserer Rechten liegt ein großer See in einem weiten Tal. Mein GPS weist auf einen Pass über den wir letztes Jahr geritten sind. Auf dessen anderen Seite gab es eine Quelle mit frischem und noch dazu heiligem Wasser. „Ist es noch weit?“, fragt Tanja. „Nur noch drei Kilometer“, antworte ich. Da wir querfeldein laufen ziehen sich immer wieder steinige und tiefe Gräben durch den Berghang. Vorsichtig und mit Bedacht überwinden wir die Hindernisse bis wir den Bergkamm erreichen und unser Blick in ein scheinbar unendliches Tal gleitet. „Das Land in dem die Augen nirgends anstoßen“, sagt Tanja begeistert. „Dort liegt die Quelle!“, rufe ich auf einen Gedenkstein deutend an dem vor einigen Jahrzehnten ein Kloster errichtet war welches durch fanatische Kommunisten dem Erdboden gleich gemacht worden ist und seine Mönche verschleppt und umgebracht wurden.

Unweit der Stelle, an der wir letztes Jahr bereits im September von einem Schneesturm überrascht wurden, entladen wir die Pferde und tränken sie an der Quelle. Tenger verweigert jegliche Nahrungs- und Flüssigkeitszunahmen. Die lavaähnliche Substanz sabbert noch immer aus seinen Nüstern. „Sieht nicht gut aus“, meint Tanja. „Gar nicht gut. Denke er hat eine Kolik. In dem Fall war es gut ihn weiter bewegt zu haben. Das soll im Falle einer Kolik helfen. Wir besitzen doch eine Medizin gegen Koliken?“, frage ich. „Ja. Meinst du wir sollten sie ihm verabreichen?“ „Unbedingt. Wenn nicht jetzt dann nie“, beschließe ich, mir noch immer Gedanken machend ob wir nicht lieber die Einladung des penetranten Hirten annehmen hätten sollen. Während Tanja Tenger am Führungsseil hält drücke ich ihm die erste Dosis der Kräutermischung mit einer Spritze ins Maul. Tenger spuckt ein wenig. Das Meiste aber schluckt er hinunter. „In einer Stunde bekommt er die zweite Dosis“, sagt Tanja. „Hoffe die Medizin verschafft ihn Linderung“, meine ich nachdenklich. „Wird schon helfen. Ich habe ein gutes Gefühl.“

Da unser Zelt am Fuße einer Felswand in etwa 1.700 Meter Höhe steht und keine Bäume und Buschwerk die Sicht ins Tal versperren, ist es sicherlich gut zu sehen. Vor allem von Hirten die ständig ihre Herden durch ein Fernglas oder der Hälfte eines Fernglases, welches wir Einauge nennen, beobachten. „Wird nicht lange dauern und wir werden Besuch bekommen“, vermute ich. Nach meinem Plan wollten wir unser Lager grundsätzlich nur in der Nähe von Jurten oder an versteckten Orten errichten. Nur so sind wir vor Pferdedieben und eventuellen Überfällen sicher. Ich möchte zwar das Pferdediebthema nicht überbewerten, jedoch sind wir bis zum Ende unserer Reise gefordert auf der Hut zu sein. Bezüglich Raubüberfälle in der Mongolei sind Tanja und ich uns einige schon sehr viel Pech haben zu müssen, um in solch eine Situation zu geraten. Saraa und andere Tourguides berichteten uns zwar davon aber wir sind der Überzeugung, dass es dabei sehr viel darum geht den Ausländern Angst einzujagen. Wer Angst in den Knochen hat wird niemals ohne Guides unterwegs sein. Und Guides und Pferdemänner leben nun mal von und durch Touristen. Nun, wir werden sehen wie der weitere Verlauf unserer einmaligen Reise durch dieses wilde und faszinierende Land ohne mongolische Begleitung verläuft.

„22:30 Uhr.“ Tanja hat Wachschicht. Das Geknatter eines Mopeds ist zu vernehmen. „Ob es zu uns kommt?“, flüstert Tanja als könnten die Menschen auf ihrer Kiste ihre Worte vernehmen. „Hört sich so an“, antworte ich spürend wie mir Adrenalin in die Adern schießt. Sofort greife ich zum Pfefferspray und dem Leuchtspurabzugsstift. „Sie fahren zur Quelle“, sagt Tanja. „Um diese Zeit? Eigenartig.“ An der Quelle angekommen biegt das Vehikel in unsere Richtung und hält direkt vor unserem Zelt. Wir begrüßen die zwei Männer als sie von dem Bock steigen und es sich ungefragt im Vorzelt bequem machen. Damit sie sich nicht auf Tanjas Füße setzten winkelt sie ihre Beine ab. „Die sind betrunken“, sage ich Tanja warnend. Wie es die Gastfreundschaft erfordert bietet Tanja den Männern Süßigkeiten an und entschuldigt sich um dieses Zeit kein Heißwasser für Tee zu haben. Die Männer lachen und nehmen sich ein paar Bonbons. Während Tanja mit ihnen im lockeren Plauderton spricht beobachte ich die Beiden argwöhnisch, bereit mich bei der kleinsten Aggression ihrer seits zur Wehr zu setzen. „Ich glaube sie sind harmlos“, meint Tanja. „Kann sein. Aber sie sind betrunken“, antworte ich. „Kommt zu unserer Jurte. Hier ist es nicht gut“, verstehen wir. „Wo ist denn deinen Jurte?“, fragt Tanja worauf der Beifahrer ins Tal unter uns deutet. „Morgen. Heute sind wir zu müde. Es ist zu aufwendig das Camp abzubrechen und auf die Pferde zu verladen“, erklärt sie. Die Männer geben sich anfänglich mit der Antwort nicht zufrieden. „Ihr müsst hier weg“, sagt der Fahrer mit ernstem Gesichtausdruck. „Wie bitte? Ich verstehe nicht. Entschuldigung, wir sprechen kaum Mongolisch“, antwortet Tanja die Taktik auf Nichtverstehen verlegend. Die Männer schwanken zwischen Freundlichkeit und bestimmter Unfreundlichkeit. Als Tanja weiterhin auf Nichtverstehen macht erheben sie sich, steigen auf ihren rostigen Hobel und verschwinden in der dunklen Nacht. „Oh man, diese Besuche können einen echt fertig machen“, stöhne ich, mich wieder auf die Isomatte sinken lassend. „Hast du verstanden was sie wollten?“, fragt Tanja. „Ich glaube sie wollten nicht das wir hier campen. Muss irgendwie ein heiliger Ort sein.“ „Ja, das habe ich auch verstanden.“ „Wir müssen morgen auf jeden Fall weiter. Hoffe Tenger ist morgen wieder auf dem Damm“, antworte ich. „Bis jetzt läuft noch immer Halbverdautes aus seinen Nüstern“, meint Tanja den Strahl ihrer Stirnlampe auf das leidende Pferd richtend. „Hast du ihm nochmal die Medizin gegeben?“, möchte ich wissen. „Ja, zwei Mal.“ „Lass und beten das uns am Ende der Reise Tenger nicht eingeht. Das wäre in dieser einsamen Gegend fatal“, sage ich.

Den weiteren Verlauf der Nacht verbringe ich in einem unruhigen Wachschlaf. Alpträume von Überfällen und Pferdedieben plagen mich. Immer wieder schrecke ich hoch und lausche in die Schwärze dieser Nacht. Tenger ist noch immer am Würgen und Pupsen. „Bitte Lieber Gott, wenn es dich wirklich geben sollte dann lass Tenger morgen wieder fit sein“, bete ich auf die vielfältigen Geräusche der Wildnis lauschend.

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