Peeeng! Knallt es ohrenbetäubend
Datum:
05.12.2022
Tag: 002
Land:
Deutschland
Ort:
Rosenfeld
Gesamtkilometer:
311 km
Temperatur Tag max:
4°
Temperatur Nacht:
0°
Obwohl wir bereits am späten Vormittag unterwegs sein wollten, sind wir am Nachmittag noch immer am Packen. Wie die Wiesel laufen wir vom Haus zur Terra Love und schlichten sie mit Kameras, Kabel, Nahrung, Getränke, Kleidung und Kleinkram voll. Erst vorgestern hat uns Stefan mit neuer Kleidung eingedeckt, die wir tragen sollen, um für die Firma, für die er arbeitet, ein paar tolle Fotos am besten in geiler Location zu schießen. Stefan war vor Jahren einmal ein Distributor für einen großen internationalen Outdoorausrüster tätig. Damals war diese Firma einer unserer wichtigen Kooperationspartner. Nachdem sie ihm und dann uns gekündigt hatten, haben wir uns aus den Augen verloren. Erst vor einer Woche hat er bei uns vorbeigesehen, um unverbindlich Hallo zu sagen. „Was macht das Geschäft? Geht es Dir gut?“, fragte ich ihn. „Bestens“ antwortete er und wir kamen auf die Outdoorbekleidungsfirma zu sprechen, für die er das Geschäft in Deutschland aufgebaut hat. „Klingt fantastisch. Wäre das ein Kooperationspartner für uns? In diesem Bereich suchen wir gerade einen neuen Ausrüster“, sagte ich. Auch wenn es in der Kürze der Zeit als unmöglich erschien, noch vor unserer Reise eine neue Geschäftsbeziehung einzugehen, schlichten wir nun hochwertige Pullover, T-Shirts, Jacken und Vesten in den Kleiderschrank der Terra. Nur ein Grund, warum sich unsere Abreise erneut verschoben hat. „Hast du den Warnaufkleber angebracht?“, wirft mir Tanja eine Frage zu, als ich an ihr im Stechschritt vorbeieile. „Warnaufkleber?“, frage ich. „Ja Warnaufkleber“, entgegnet sie. Dann fällt es mir wieder ein, dass man für Frankreich mittlerweile Warnsymbole an größere Fahrzeuge anbringen muss, um die Fußgänger und Radfahrer darauf hinzuweisen, das Wohnmobil- Transporter- und Lkw-Fahrer beim Rechtsabbiegen oftmals nicht sehen, wer oder was da steht, läuft oder fährt. „Den mach ich dran, wenn wir in Frankreich sind“, antworte ich das Haus verlassend. Im Fahrerhaus installiere ich noch die neue Halterung für unsere GoPro-Kamera und das Navi, dann hole ich den Schlauch aus einer der Serviceklappen, um die Terra mit Frischwasser zu befüllen.
Warum ich das erst kurz vor der Abreise mache? Ganz einfach, weil ich es vorher nicht geschafft habe. „Mist“, fluche ich leise, weil ich den Gartenwasserhahn wegen dem kommenden Winter bereits abgestellt hatte. Wieder an Tanja vorbei, die gerade im Begriff ist, Schränke in der Küche zu ordnen, haste ich in den Keller. „Langsamer ist schneller!“, ruft sie mir hinterher. Ich dreh den Wasserzugang für den Garten wieder auf, sprinte nach oben, raus in den Garten, stecken den Schlauch an und drehe den Hahn auf. Flink stecke ich den Schlauch in den Wasserstutzen der Terra. Zufrieden höre ich das Gluckern, als der Schlauch plötzlich aus den Stutzen rutscht und mich ein heftiger kalter Wasserstrahl voll erwischt. „So ein Scheiß!“, fluche ich lautstark. Ich stecke den Schlauch erneut in den Wasserstutzen, und zwar so, dass er nicht mehr rausrutschen kann.
Dann checke ich noch mal die Ersatzteile für unsere E-Bikes und prüfe den Koffer mit den unzähligen Bedienungsanleitungen, die mir im Notfall die Technik unseres Expeditionsfahrzeuges erklären sollen. „Alles da“, glaube ich. Laufe ins Wohnzimmer, wo noch eine kleine Kiste steht, gefüllt mit USB-C, USB-Micro, USB-Mini, USB-Typ A, Typ B, Apple Lightning auf USB-Kabel, Mikrofonkabel und noch ein paar andere Kabeltypen, die mir gerade nicht einfallen. Ein Wahnsinn, dass man nur mit Computer und Kamerakabel so viel Gewicht zusammenbringt. „Kein Wunder, das unser Planet kurz vor dem Kollaps steht, wenn jeder Hersteller für seine Geräte ein eigenes Kabel auf den Markt wirft“, denke ich laut.
Tanja und ich eilen noch weitere Stunden hin und her, bis wir letztendlich glauben, alles im Griff zu haben, das Haus versorgt, das Auto geladen, von meiner Mutter verabschiedet und wir abfahrbereit sind. Als ich den Zündschlüssel ins Schloss stecke, der Motor der Terra mit einem satten Wumm anspringt, wir die Gurte angelegt und einen letzten Blick auf unser Heim werfen, liegen Monate an massiver Arbeit hinter uns, so enorm viel Arbeit, das wir zum ersten Mal in unserem Reiseleben geglaubt haben, es eventuell nicht mehr zu schaffen. „Puhh“, stöhne ich leise. „Das war ein hartes Jahr“, antwortet Tanja müde lächelnd. „Absolut“, gebe ich ihr recht. „Haben wir alles?“, fragt sie. „Ich denke schon und wenn nicht, ist das jetzt auch egal. Hauptsache wir brechen auf“, antworte ich, trete auf das Gaspedal, worauf sich unser 7-Tonner langsam in Bewegung setzt. Peeeng! Knallt es ohrenbetäubend. Nur eine Straße weiter, etwa fünfhundert Meter hinter unserem Haus lässt uns der explosionsähnliche Schlag das Blut in den Adern gefrieren. „Das wars dann wohl“, sage ich leise. „Wie, das wars dann wohl?“, höre ich Tanja fragen. „Der Motor ist explodiert“, antworte ich kraftlos. „Der Motor kann doch nicht einfach explodieren“, entgegnet Tanja. „Anscheinend doch“, flüstere ich und spüre, wie mir eine heiße Träne über die Wange kullert. „Warum weinst du?“ „Weil es Wochen dauern wird, bis der Schaden repariert ist und wir einfach nicht wegkommen. Es ist zum Verzweifeln.“
„Ohho, aaahhh.“ „Denis, was ist denn?“, ruft Tanja jetzt plötzlich laut. Ich öffne die Augen und sehe direkt über mir eine hellgraue Wand. Es dauert eine Weile, bis ich realisiere, dass es die Decke unseres Alkovens ist. „Puhh, danke, dass du mich geweckt hast. Ich hatte einen furchtbaren Traum.“ Noch immer unter dem Schreck leidend, unsere Reise wäre durch die Explosion des Motors einem frühzeitigen Ende gesetzt, sehe ich aus dem Fenster auf das Gebäude unweit neben uns.
„Bist Du fit für den Videodreh?“, fragt Tanja. „Brauche noch ein paar Minuten, dann geht es schon wieder“, antworte ich und spüre, wie mir die Last der letzten Wochen und Monate ganz langsam von den Schultern fällt.
Wenig später begrüßen uns Nicole und Achim von der Fa. KCT. Bei Kaffee und Keksen besprechen wir den angehenden Videodreh. Als alles klar ist, starten wir voller Tatendrang mit einer Führung durch die Produktion.
Wir sind überrascht, welch umfangreiche Technik und Ingenieurwesen in einem Wohnmobilfenster stecken und das jedes einzelne Fenster von Hand zusammengesetzt wird.
Am Morgen entscheiden wir uns noch einen Tag zu bleiben, um das Filmmaterial zu checken, nicht das irgendetwas mit dem Ton oder sonst etwas nicht stimmt.
Das wäre übel. Also lieber Material prüfen, um im schlimmsten Fall noch mal einige Szenen nachzudrehen.