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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Opfern an den Göttertempeln

N 33°52’33.8’’ E 109°55’27.7’’
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    Datum:
    08.02.2016 bis 09.02.2016

    Tag: 224 – 225

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Shangluo

    Breitengrad N:
    33°52’33.8’’

    Längengrad E:
    109°55’27.7’’

    Gesamtkilometer:
    11.835 km

    Maximale Höhe:
    542 m

    Gesamthöhenmeter:
    15.830 m

    Sonnenaufgang:
    07:32 Uhr

    Sonnenuntergang:
    18:15 Uhr – 18:16 Uhr

    Temperatur Tag max:
    17°C

    Temperatur Tag min:
    6°C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Kurz nach Mitternacht hören wir die Sirenen der Feuerwehr. Anscheinend hat das exzessive Feuerwerk die ersten Opfer gefordert. Gegen 1:00 Uhr in der Nacht wird es ruhiger, doch kaum spitzen die ersten Sonnenstrahlen über die Bergrücken in das nun völlige verrauchte Städtchen, geht das Geister- und Dämonenvertreiben weiter. Während Tanja und Ajaci ihre Morgenrunde drehen, betreibe ich wie jeden Tag mein Yoga, um mich auch während der Rasttage fit zu halten. Tock, tock, tock, klopft es an der Zimmertür. „Happy New Year!“, begrüßt mich Tanja, als ich öffne und reicht mir unser Paket aus Deutschland, auf welches wir seit über zwei Wochen warten. „Ich fasse es nicht“, sage ich verblüfft. „Hat gerade der Kurier unten abgegeben als ich ins Hotel kam. Und du wirst es nicht glauben, es hat nichts gekostet.“ „Nichts? Keine Zollgebühren?“ „Nein.“ „Das ist ein Geschenk des Himmels. Und das am größten Feiertag, an dem nahezu jedes Geschäft geschlossen ist und kaum jemand arbeitet“, antworte ich mich freuend. „Ja, und die Chinesen sagen, dass das ganze Jahr so wird wie es sich am der ersten Tag gestaltet.“ „Echt?“ „Ja, hat mir Claudia erzählt.“ „Na dann auf in ein erfolgreiches wunderbares 2016“, jubiliere ich durch unser Zimmer tanzend. Ajaci freut sich gleich mit und hüpft aufgeregt und freudig winselnd an mir hoch. Ist schon erstaunlich, wie sich alles so fügt, nach dem wir ernsthaft losgelassen haben und uns damit abfanden eine weitere Woche hier auf unser wichtiges Ersatzteil warten zu müssen. Ob unsere geistige Haltung tatsächlich Einfluss auf unsere Außenwelt nimmt? Zumindest erzeugt sie eine Reflektion oder anders ausgedrückt eine Art Echo. Hätten wir uns, wie in den vergangenen Tagen schon erwähnt, massiv geärgert, wäre unsere Ausstrahlung auf unsere Mitmenschen sicherlich nicht positiv gewesen. Und wer weiß ob uns dann Claudias Familie zu ihrem Festessen eingeladen hätte?

Um 11:00 Uhr finden wir uns wieder bei unseren Gastgebern zum traditionellen Jiǎozi-Essen (Teigtaschenessen) ein. Claudia erklärt uns, dass die Teigtaschen an die Gold- und Silberbeutel der alten Zeit erinnern. „Umso mehr ihr davon esst, desto mehr Wohlstand werdet ihr im neuen Jahr haben.“ Nachdem wir gesättigt sind lädt uns Ren Fangzhen, Claudias Mutter, ein, um an den Tempeln von Shangluo den Göttern zu opfern. „Habt ihr Lust?“, fragt Claudia, oder müsst ihr euren morgigen Aufbruch vorbereiten?“ „Wir begleiten euch sehr gerne. So eine Zeremonie wollen wir uns nicht entgehen lassen“, antworte wir uns kurzfristig entscheidend, obwohl noch die besagten 1.100 km Strecke über massives Gebirge bis zur Stadt Chengdu vor uns liegen, und wir dafür nur noch ca. 18 Tage Zeit haben.

Gegen Mittag werden wir von Claudia und ihre Mutter in der Lobby abgeholt. Gemeinsam laufen wir durch die Stadt, um ein Taxi zu suchen. Überall liegen die roten Papierfetzen der Feuerwerkskörper herum. In manchen Bereichen, vor allem vor Geschäften, bilden sie einen regelrechten roten Teppich. Nahezu alle Geschäfte und Restaurants haben geschlossen. Die Stimmung in der Stadt ist zweifelsohne besonders. Die Menschen sind heiter, ja regelrecht fröhlich und euphorisch. Sie gehen mit ihren Kindern spazieren und kaufen an speziellen Verkaufsständen Weihrauch und Feuerwerk. Auch Ren Fangzhen ersteht große Weihrauchfackeln für die kommende Opferung. Als Tanja ihre Räucherstäbchen bezahlen möchte, ist die Rechnung von Claudias Mutter schon beglichen. „Xie xie“, (danke) bedanken wir uns. „Bukeqi“, (Gern geschehen) antwortet sie freundlich. Auch das Taxi zu den Tempeln am Stadtrand dürfen wir nicht bezahlen. „Hier müssen wir zusammenbleiben. Es kommen tausende von Menschen und wir könnten uns leicht verlieren“, sagt Claudia. Tatsächlich ist der Menschenauflauf groß. In Massen strömen sie in Richtung Felswand, die das Tal begrenzt, in der die Stadt kauert. Links und rechts des Weges sind zahlreiche Verkaufsstände errichtet an denen Feuerwerkskörper, Räucherwerk, Sofdtrinks und Souvenirs feilgeboten werden. Ein paar hundert Meter vor uns explodieren unentwegt Knallkörper. Dunkle Rauchwolken steigen in den sonnigen Himmel. Im Strom der Menschen fließen wir den Tempeln entgegen, die sich an die steile Felswand vor uns zu klammern scheinen. Umso näher wir kommen desto lauter wird es. Als wir den Vorplatz des Haupttempels erreichen ist die Stimmung nahezu ekstatisch. Der Lärm ist kaum auszuhalten, die Luft nur schwer zu atmen. Schon nach wenigen Minuten brennen unsere Lungen. Männer werfen ganze Knallkörperstränge auf einen Platz. Noch bevor sie diese mit ihrem Feuerzeug entzünden können geht die gesamte Ladung von selbst hoch. Sie hat sich an der Glut entfacht, denn der gesamte Boden ist wie ein brodelnder Vulkan. Hunderttausende von bereist abgefackelten Kanonenschläge, hunderte von Metern der hoch explosiven Knallkörpergurte, davon ungezählte Blindgänger, haben den Grund zu einem unkalkulierbaren Minenfeld verwandelt. Und trotzdem schreiten die mutigen, in Feierlaune befindlichen Familienväter, Geschäftmänner, Jugendliche und jeder der dazu beitragen möchte es den Geistern und Dämonen zu zeigen, auf den gefährlichen Grund, um weiter und weiter ganze Gurtbänder des explosiven Stoffs zu zünden. Die Menschen halten sich die Ohren zu, laufen davon, schreien und jauchzen. Fetzen von Papier, Plastik und Reste der Knallkörper werden durch die Luft geschleudert. Treffen mich an der Stirn weil ich versuche das Spektakel zu filmen. Dabei nimmt keiner auf sein schönes Feiertagsoutfit Rücksicht. Claudia, Tanja, Ren Fangzhen und viele andere Besucher stecken gleich bündelweise, teils mannshohe Räucherstangen in die davor gesehenen Metallbehälter oder werfen sie einfach ins Feuer. Der eigentlich angenehme Duft vermischt sich mit dem von Schwarzpulver. Husten und röchelnd wirren die Anwesenden durcheinander. Dann, nachdem man den Geistern und Dämonen so richtig eingeheizt hat, geht es in den Tempel. Auch dort herrscht Hektik und reges Treiben. Vor den Buddhastatuen wird abgekniet und sich dreimal verbeugt. Dann kommt der Nächste, und der Nächste. Laut, schnell, bunt und schrill. Götterverehrung auf Chinesisch. „Glaubst du an Gott oder hast du eine spezielle Religion?“, frage ich Claudia, als wir den Tempel verlassen, die steilen Stufen nach oben steigen, um weitere Tempel aufzusuchen. „Im Grunde haben wir Chinesen keine einheitliche religiöse Richtung wie ihr in Europa. Viele Dorfbewohner sind eher abergläubisch und praktizieren Heilzauber wenn jemand krank ist. Manche gehen zu Wahrsagern, um sich die Zukunft vorhersagen zu lassen, auch das Handlesen ist nach wie vor sehr beliebt. In manchen Regionen wird Exorzismus betrieben. Geomantik und Fenghui wird nahezu überall praktiziert, auch in den großen Städten wie Shanghai oder Hongkong. Irgendwie haben wir eine Mischung aus allem. Im Tempel hast du gesehen wie viele meiner Landsleute sich vor den Buddhastatuen verbeugt haben. Ich bin mir allerdings sicher, dass nur wenige unter ihnen reine Buddhisten sind. Wir beten zu vielen Göttern, sehen das nicht so eng. Hauptsache sie helfen uns. So gehen immer mehr Menschen auch zu den alten Volksglauben wie Daoismus und Konfuzianismus zurück. Mir gefällt es wenn man Religionen nicht so verbohrt betrachtet. Auf diese Weise kann man sich das Beste aus allen heraussuchen. Ich bin mir sogar sicher, dass unsere Priester auch mehrere Götter anbeten, zumindest habe ich das vor kurzem gelesen. Wichtig ist für mich, dass uns die Götter dabei helfen ein langes Leben in Wohlstand und Gesundheit leben zu können.“ „Hm, glaubst du wirklich an Götter?“, wundere ich mich, weil ich Claudia für eine moderne junge Frau halte. „Ich weiß nicht recht. Manchmal glaube ich an sie und manchmal nicht. Aber wenn ich zu ihnen bete kann das nicht verkehrt sein.“

Nachdenklich folge ich den abergläubigen Gläubigen über die Stufen nach oben. „Dort drüben ist der Tempel für die Menschen die sich ein Kind wünschen. Wollt ihr dahin?“, fragt Claudia. „Nö, ist nicht unser primärer Wunsch“, antworte ich und frage was es mit dem Tempel gegenüber auf sich hat. „Dort wohnt unser Erdgott. Da kannst du dir alles wünschen was die Erde im weitesten Sinne betrifft. Auch wenn du dir eine reichhaltige Ernte wünscht, deine Felder von Unwetter verschont bleiben sollen und vieles mehr.“ „Oh, das ist unser Tempel“, sage ich, Weil ich mich als Botschafter von Mutter Erde berufen fühle, worauf wir ihn besuchen und den dortigen Buddhastatuen unsere Ehrerbietung erweisen. Welcher ist denn dein favorisierter Gott?“, möchte ich wissen. „Der wohnt im Tempel der Studenten.“ „Studenten haben einen eigenen Gott?“ „Ja natürlich.“ „Und wo ist er?“ „Da müssen wir noch weiter hoch. Wollt ihr mitkommen?“ „Klar“, antworten Tanja und ich ihr folgend. Auf dem weiteren Weg nach oben werden wir wie so oft unaufhörlich fotografiert und immer wieder gefragt ob wir uns für ein Selfie zur Verfügung stellen. „Ist ja unglaublich. Man könnte meinen ihr seid Stars“, sagt Claudia. „Ha, ha, ha, das stimmt. So geht es uns schon die letzten fünf Monate“, erkläre ich. Dann passieren wir den Tempel für Geld und Reichtum. Ren Fangzhen geht sofort hinein, um eine relativ hohe Spende an den Geldgott zu opfern. Dann kniet sie sich auf das Gebetskissen nieder, um sich dreimal vor ihm zu verneigen und ihre Wünsche auszusprechen. Ganz oben, nach dem Studententempel, folgen wir einen schmalen Pfad zu weiteren uralten Höhlen die aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) stammen. Auch dort wird heftig gebetet, gehuldigt und geopfert. „Welche Wünsche werden hier verwirklicht?“, frage ich Claudia. „Weiß ich nicht aber es gibt für jeden Geschmack und Wunsch einen Gott in diesen Bergen.“

Am späten Nachmittag erreichen wir nach dem Ereignisreichen Tag wieder unser Hotel. Während Tanja mit Claudia und ihren Freundinnen Mah-Jongg spielt, präpariere ich unsere Bikes für die weitere Reise, baue die neue Deichselhalterung an den Anhänger, pumpe alle acht Reifen auf und öle die Achsen der Anhänger…

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH http://roda-computer.com/ Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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