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Mongolei/Ein Jahr und einen Tag-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Naraa und Tuya in den denkbar besten Händen

N 48°55'433'' E 103°39'440''
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    Tag: 408

    Sonnenaufgang:
    06:26

    Sonnenuntergang:
    19:42

    Gesamtkilometer:
    2468

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 1 °C

    Breitengrad:
    48°55’433“

    Längengrad:
    103°39’440“

    Maximale Höhe:
    1380 m über dem Meer

Auch heute beschenkt uns der Herbst mit blauem Himmel und 26 °C in der Sonne. Zum Frühstück trinke ich schwarzen Tee mit Milch. Tanja und Bilgee genießen ihren Kaffee. Wir sind guter Dinge, scherzen und lachen viel als eines der chinesische Mopeds mit 150 Kubikzentimeter Hubraum anknattert. Der Mann, in Deel und traditionellen Schuhen gekleidet, stellt seinen Bock auf den Seitenständer, humpelt zu uns und lässt sich unter dem Vordach auf eine Pferdedecke nieder. Nach dem üblichen Tee, ein paar Keksen und Geplauder sagt er; „Ich interessiere mich für eure Stute, das Fohlen und den hellbraunen Wallach dort.“ „Was sind dir die Pferde wert?“, frage ich, um herauszufinden wie viel er bereit ist zu zahlen. „Was kosten sie?“, fragt der etwa sechzigjährige Mann daraufhin, der sich uns als Ilhauchauu vorstellt. Ich sehe Bilgee fragend an der aber meinem Blick ausweicht. Klar, er kann sich vor seinem Freund nicht auf unsere Seite stellen. Ich denke einige Minuten nach, beschließe ein wenig zu pokern und sage; „600.000 Tugrik (364,- €) für Naraa und Tuya und 650.000 Tugrik (394,- €) für Tenger. Aber wir verkaufen die Pferde nur wenn du sie nicht zum Schlachter bringst. Das ist die Grundvoraussetzung für den Deal. Wir wissen, dass wir pro Pferd zwischen 700.000 (424,- €) und 800.000 Tugrik (485,- €) bekommen wenn wir sie dem Metzger überlassen. Allerdings sind unsere Tiere hervorragende Reittiere. Wir verdanken ihnen unser Leben da sie uns ein Jahr durch dein Land getragen haben und schulden ihnen dafür die Verlängerung ihres Lebens.“ Ilhauchauu blickt mir einige Sekunden in die Augen. „Ob ich mit meiner Preisforderung den Bogen überspannt habe?“ fliegt ein Gedanke durch mein Gehirn. „Ich komme morgen wieder und sehe mir die Zähne der Pferde an. Wenn sie okay sind sprechen wir über den Preis. Wenn die Zähne schlecht sind werde ich die Pferde nicht kaufen.“ „Warum siehst du dir die Zähne nicht gleich an?“, frage ich mich wundernd. „Morgen ist auch Zeit dafür“, antwortet er. Mit einem Lachen auf den Lippen verabschiedet sich Ilhauchauu. „Bis morgen!“, rufe ich ihm nach und freue mich ihn mit meiner Preisforderung nicht verschreckt zu haben.

Am Nachmittag kommt uns Tzolaa mit ihren Kindern wieder besuchen. Die Kids möchten reiten. Auch für mongolische Stadtkinder ist es etwas Besonderes zu reiten. Noch dazu auf solch berühmten Pferden wie Naraa und Sar, zumindest reden die Kinder so als wären sie nicht mit Tanja und Denis auf einer Expedition gewesen sondern auf einen von Dschingis Khans Eroberungszügen. Tanja und Bilgee nutzen später die Gelegenheit um mit nach Erdenet zu fahren. Ich halte indes die Stellung im Camp, passe auf die Pferde auf, tränke und pflocke sie um, wasche ein bisschen Wäsche, lade unsere Batterien, koche für mich und Mogi, wasche meine Haare, tippe unsere Erlebnisse in den Laptop und bediene Gäste die es sich in unserem Vorzelt bequem machen und von unserer Reise wissen wollen. Kaum hat mich der letzte Besucher verlassen schlendern zwei Frauen auf das Zelt zu. Aus Angst vor Mogi bleiben sie 100 Meter vor unserem Lager stehen. „Der Hund mag Menschen! Kommt näher!“, rufe ich. Kichernd lassen auch sie sich unter dem Vordach nieder. „Das ist für Tanja und dich“, sagen sie mir eine Plastikflasche voller Frischmilch reichend. „Oh vielen Dank“, nehme ich das Geschenk entgegen. „Dsügeer, dsügeer“, (nichts zu danken) entgegnen sie lachend. Da ich mittlerweile weiß wie schnell sich Neuigkeiten in einem Tal, sei es noch so groß, herumsprechen wundere ich mich nicht, dass die Frauen unsere Namen kennen. Sie erzählen Verwandte von Bilgees Freund Boldoo zu sein. „Ihr seid vorbeigekommen nur um uns die Milch zu bringen?“, wundere ich mich. „Nein, wir wollten ein wenig mit euch sprechen. Abgesehen davon suchen wir in diesem Bereich des Tales nach Kräutern“, antworte sie offen und zeigen mir in einem Glas gesammelten wilden Kümmel und blaue Blüten die gegen Erkältung gut sein sollen.

Nachdem die beiden Frauen gegangen sind genieße ich die Ruhe und Einsamkeit im letzten Camp unserer Mongoleiexpedition. Weil mir wegen der vielen Teekocherei das Wasser ausgegangen ist laufe ich zum nahen Bach. Um unsere Wasservorräte in Zukunft leichter auffüllen zu können grabe ich mit meinen Händen ein etwa 20 Zentimeter tiefes Loch in das steinige Bachbett. Dann gehe ich wieder ins Zelt, um Wasser für unser Abendessen auf dem Benzinkocher zu erhitzen. Mit den ersten Regentropfen erscheinen Tanja und Bilgee.

Beim Abendessen sprechen wir wieder über den Pferdeverkauf. „Wenn Ilhauchauu Tenger kauft werde ich ihn im kommenden Jahr von Ilhauchauu zurückkaufen. Aber im Augenblick habe ich kein Geld dafür“, sagt Bilgee. Tanja und ich sehen uns verblüfft an. „Wie du hast kein Geld?“, frage ich da wir ihm noch 600.000 Tugrik seines Gehaltes schulden. „Na ich habe kein Geld. Ich werde wieder einen Job finden und das Geld für Tenger zusammen sparen.“ „Du bekommst noch zwei Monatsgehälter von uns als du für uns in der Taiga gearbeitet hast“, sagt Tanja. „Aber ich habe Od verloren. Ich bekommen nichts von euch.“ In der Tat hatten wir vor einem Jahr eine Vereinbarung getroffen im Falle eines verschuldeten Pferdediebstahls kein Gehalt zu zahlen. Das heißt derjenige dem ein Pferd während der Wachschicht gestohlen wird hat kein Anrecht auf seine Bezahlung. Diese Abmachung trafen wir, um zu verhindern, dass einer unserer Begleiter während seiner Schicht schläft. Da Bilgee aber seinen Job immer gewissenhaft ausführte und keiner davon ausging das es Pferdediebe in der abgelegenen, menschenleeren Taiga gibt, dachten Tanja und ich nie darüber nach wegen dem Diebstahl von Od Bilgees Lohn zu streichen. „Du besitzt 600.000 Tugrik (364,- €) und kannst dir dafür kaufen was du möchtest“, sage ich über die Ehrlichkeit von Bilgee überrascht. „Wenn ihr mich wirklich bezahlen wollt würde ich gerne Naraa und Tuya kaufen.“ „Sie gehören dir“, sagt Tanja gutmütig lächelnd. „Mir?“ „Ja, die Beiden sind ab sofort deine Pferde“, bestätige ich sehr froh darüber mit dieser Schicksalswandlung Naraa und Tuya in den denkbar besten Händen wissend. Bilgee kann sein Glück kaum fassen. Es hat ihm glatt die Sprache verschlagen. Auch Tanja und ich bringen für Minuten kein Wort über die Lippen. Bilgees Aufrichtigkeit steht im krassen Gegensatz zu dem was wir in diesem Land häufig erlebten. Wir sind beschämt. Seit uns Khurgaa und Bumbayr am Khuvsgul See fluchtartig verließen haben wir bis auf wenige Ausnahmen sehr gute und gastfreundliche Menschen getroffen. Auch wenn ich darüber schon geschrieben habe ist es trotzdem währt dies zu wiederholen. Wir erleben eine andere Mongolei in der es doch noch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gibt. In der es Menschen gibt die zuverlässig sind und zu ihrem Wort stehen. Wer hätte das Gedacht.

„Das müssen wir feiern“, sagt Tanja eine große Flasche Bier öffnend. Bilgee lacht und freut sich. Die Stimmung ist wieder ausgesprochen heiter. Wir sind erleichtert. So wie es im Augenblick aussieht werden wir für alle Pferde ein schlachtersicheres Zuhause finden.

Wir freuen uns über Kommentare!

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