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Mongolei/Erdenet MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Manche bekommen ihren Kragen nie voll

N 49°01'802'' E 104°01'571''
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    Tag: 22

    Sonnenaufgang:
    05:55 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:21 Uhr

    Gesamtkilometer:
    400

    Temperatur – Tag (Maximum):
    27 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    17 °C

    Temperatur – Nacht:
    17 °C

    Breitengrad:
    49°01’802“

    Längengrad:
    104°01’571“

    Maximale Höhe:
    1415 m über dem Meer

Nach den wenigen Stunden Schlaf und den ereignisreichen gestrigen Tag fühlen wir uns am Morgen sehr müde. Draußen ist es totenstill. „Ich sehe mal ob unser Hund noch da ist“, sage ich und freue mich als er mich schwanzwedelnd begrüßt. „Na mein Guter. Du bist ja in deinen jungen Jahren schon ein richtiger Draufgänger“, begrüße ich ihn und frage mich welcher Name wohl zu ihm passen würde. Um 10:30 Uhr kommt Tsaagaan mit wenig Verspätung. Eigenartig gelaunt betritt er die Hütte. „Hattest du einen guten Aufenthalt bei deinen Verwandten?“, fragt Tanja. „Ja hatte ich“, antwortet er knapp. Dann kommen wir auf die Vorbereitung zu sprechen. „Hast du deinen Sattel hier?“, frage ich Tsaagaan. „Ja habe ich.“ „Und das Zaumzeug auch?“ „Ich habe kein Zaumzeug.“ „Hm, wir haben vereinbart, dass du Sattel und Zaumzeug mitbringst. Alles andere stellen wir“, meine ich versöhnlich. „Ich habe kein Zaumzeug“, antwortet er und überhäuft uns mit einem aggressiven Redeschwall von dem wir nichts verstehen. „Es wird so sein wie immer. Er hält sich nicht an seine Vereinbarung und zum Schluss geben wir nach und kaufen alles was er möchte“, wirft Tanja ein. „Genau, aber irgendwann hat auch dieser Mann seine Grenzen erreicht und ich würde sagen dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen“, meine ich und frage Tsaagaan warum er kein Zaumzeug hat. „Ich bin für den Job von weit her gekommen. Habe viel Geld für die Fahrt ausgegeben und mir einen Sattel für 40.000 Tugrik (23,- €) gekauft“, antwortet er. „Glaube ich ihm nie. Hier ist jeder mit den Nomaden verwandt. Die meisten Menschen sind sogar noch aktive Nomaden, auch viele von denen die in dieser kleinen Stadt leben. Das heißt, man kann sich einen Sattel von einem Verwandten oder Freund ausleihen“, folgert Tanja. „Denke auch dass er nicht aufrichtig ist“, bestätige ich. Als ich das Thema nicht auf sich beruhen lasse und erneut nachfrage zeigt sich der alte Tsaagaan zum ersten Mal von seiner richtigen Seite. Er wird immer lauter bis er kurz davor ist uns anzuschreien. „Ich habe vier Kinder, bin für diesen blöden Job von 40 Km weit her gekommen, habe mir einen Sattel gekauft und muss sehr hart arbeiten“, übersetzt Taagii. Als wir vernehmen, wie er sich über die harte Arbeit beschwert, müssen Tanja und ich laut auflachen. „Ist das harte Arbeit zu fünft an einen kleinen zwei Meter langen und 1,30 Meter breiten Pferdewägelchen zu arbeiten? Ist es harte Arbeit zu sechst auf den Markt zu gehen, um Seile und Werkzeug zu kaufen oder neben den Pferden zu stehen, eine Zigarette zu rauchen und den anderen zuzusehen wie sie reiten? Das ist doch lächerlich. Gestern warst du zum wiederholten Male einverstanden mit allem was wir besprochen haben. Wir zahlten dir eine Vorauszahlung und gaben dir einen von uns bezahlten freien Tag. Und das erst nachdem du drei Tage bei uns im Team warst“, meine ich mit ruhiger Stimme. „Ihr bezahlt viel zu wenig für den Job. In einer Mine bekommt man mindesten 400.000 Tugrik (229,- €) im Monat“, entgegnet er. „Okay, warum arbeitest du dann nicht in einer Mine?“ frage ich. „Weil er keinen Beruf gelernt hat und dort nicht eingestellt wird“, sagt Taagii. Wir staunen wie sich ein Mensch verändern kann. Gestern als er seine Vorauszahlung wollte, war er die Freundlichkeit in Person und jetzt zeigt er sich als ein raffsüchtiger, unzufriedener und sehr unhöflicher Mensch. „Sag Tsaagaan er soll mich bitte nicht anschreien. Ich habe ihm nichts getan außer nach dem Zaumzeug zu fragen. Wenn er bei so einer Kleinigkeit die Nerven verliert ist er auf keinen Fall der richtige Mann für uns. Was ist wenn es Schwierigkeiten auf der Reise gibt? Wenn es nass und kalt wird? Wenn sich jemand verletzt? Wenn wir Hunger oder durst haben? Wenn wir übermüdet sind und trotzdem weiter müssen? Es gibt tausend Gründe die um ein Vielfaches herausfordernder sind als ein lächerliches Zaumzeug. Unter diesen Umständen können wir dich nicht mitnehmen“, sage ich ohne einen einzigen Satz ausreden zu können weil mich der kleine Mann unaufhörlich laut fluchend unterbricht. „Ich habe gar keine Lust euch auf diese dumme Reise zu begleiten“, ruft er jetzt laut. „Nun, dann zahle sofort die Anzahlung zurück. Du bringst uns damit in große Schwierigkeiten. Wo sollen wir auf die Schnelle Ersatz für dich bekommen? Erst vor wenigen Tagen haben wir Bilgee heimgeschickt. Er lebt draußen auf dem Land in einer Jurte. Dort gibt es keinen Telefonverbindung“, sage ich. Tsaagaan steht plötzlich auf, verlässt den Raum, schlägt die Tür hinter sich zu und war ab diesem Zeitpunkt nie mehr gesehen. Der anscheinend freundliche, kleine Mann, noch dazu ein Verwandter von Saraa, hat sich mit einem Wochenlohn aus dem Staub gemacht. Wieder einmal waren wir zu gutmütig.

Ulzii, der Neffe von Tsaagaan sitzt während des Gespräches daneben und sagt keinen Ton. Nur sein Gesichtsausdruck verrät große Unsicherheit. „Meinst du er springt uns jetzt auch ab?“, frage ich Tanja. „Wer weiß“, antwortet sie und fragt ihn ob er noch im Team ist. Nachdem er nicht antwortet sehe ich in diesem Augenblick unsere Fälle davonschwimmen. Ohne einen Begleiter wird das Unterfangen kaum durchführbar. Wir brauchen für die Pferde, dem Einspannen des Wagens usw. mindestens einen dritten Mann. Zu viert sind wir, so sind auf dieser Art Trip mit einem Pferdewagen unsere Erfahrungen, optimal besetzt. Natürlich wäre so eine Expedition auch ohne Pferdewagen machbar. Dann bräuchten wir je zwei Packpferde. Jedoch ist eine Berichterstattung von der Expedition wegen der Technik dann noch schwieriger. Wohin sollten wir die Batterien, die Energiebox, Kameras, Ladegeräte packen? Klar, ist alles machbar. Aber wir haben dieses Unterfangen nun mal mit Pferdewagen vorbereitet und wollen nicht schon bei der ersten ernsthaften Herausforderung aufgeben. „I did not change my mind“, (Ich habe meine Meinung nicht geändert“, kommt es wegen den katastrophalen Englischkenntnissen recht unbeholfen und stotternd über Ulziis Lippen. „Puhhh“, stöhne ich erleichtert. „Na Gott sei Dank“, sage ich noch und bedanke mich bei ihm die erste Krise gut überstanden zu haben, denn es hätte leicht sein können das dieser Anlass genug für ihn gewesen wäre um ebenfalls abzuhauen.

In der kommenden Stunde führen wir eine Krisenbesprechung. „Wir brauchen einen Ersatz für Tsaagaan. Ulzii kennt sich nicht so gut mit Pferden aus. Er ist Lehrer und das letzte Mal als Kind geritten. Außerdem kennt er die Landschaft und den Weg nicht. Ich kann zwar mit Karte und GPS den Weg navigieren. Es ist aber trotzdem besser einen Ortskundigen dabei zu haben. Vor allem einen Pferdeexperten“, meine ich. Obwohl wir alle zusammen etwas niedergeschlagen sind mache ich mich mit Taagii und Ulzii auf, um den Markt für Autoteile aufzusuchen. Trotz des Tiefschlages dürfen Tanja und ich mich nicht hängen lassen und wir sind gezwungen die Expedition mit unverminderter Geschwindigkeit vorzubereiten.

Auf dem Markt treffen wir den Schreiner. Er schließt sich uns an um zwei gebrauchte aber gut erhaltene Autoreifen, zwei gebrauchte Felgen, neue Kugellager, neue Schläuche, eine Luftpumpe für Autoreifen und andere Ersatzteile und Werkzeuge zu kaufen. Mittlerweile weiß ich warum der Schreiner uns begleitet. Nur so kann er von uns einen weiteren bezahlten Arbeitstag aus den Rippen schnitzen. Es macht zu diesem Zeitpunkt aber keinen Sinn eine weitere Diskussion zu beginnen. Wenn auch er jetzt abspringen würde müssen wir den Zauber von neuem Organisieren.

Am späten Nachmittag suchen Taagii, Ulzii und ich den Markt für Pferdezubehör auf. Ich kaufe 100 Meter Seil, sieben Hoppeln, sieben Halfter, sieben Zaumzeuge, einen Eimer, Ersatzschnur, Haken für den Wagen, passende Schrauben, wasserdichte Plane für den Wagen, zweimal zwei Meter große Filzdecken für den Winter, sechs Pferdedecken und vieles mehr. Parallel dazu versuchen wir Bilgee am Mobiltelefon zu erreichen. Wir haben Glück. Er möchte uns nach wie vor begleiten aber erstmal über sein Gehalt sprechen. Klar, wie soll es anders sein. Hauptsache aber ist, er hat noch Interesse. Wenn die Verhandlungen morgen gut laufen sollten dann haben wir wieder unseren vierten Mann. Und wer weiß? Da nach unserer Auffassung im Leben immer alles so in Ordnung ist wie es eben gerade ist, hat uns der Vorfall mit Tsaagaan vielleicht sogar etwas Positives gebracht. Vielleicht ist Bilgee genau der richtige Mann für uns? Vielleicht war es gut nicht von Beginn an sich für Bilgee zu entscheiden. Es hat zumindest unsere Loyalität gegenüber Saraa gezeigt. Saraa die soviel für uns getan hat.

Wieder im Blockhaus, repariere ich mit Ulzii erstmal die Tür. Gestern Nacht ist mir der Türgriff abgebrochen als ich draußen war um unseren Hund an einen anderen Ort festzubinden. So ein Türgriff kostet drei Tagesgehälter. Ist also teuer. Naraa freut sich über die funktionierende Tür. Ab sofort ist sie wieder absperrbar und kann ohne Probleme geöffnet werden. Dann gebe ich dem Sohn von Naraa ein paar neue Steckdosen. Er ist kurz davor seine Ausbildung als Elektriker-Ingenieur abzuschließen. „Damit habt ihr wieder ein sicheres Haus und keiner holt sich einen tödliche Schlag“, lache ich. Er bedankt sich und tauscht die alten Teile gegen die neuen aus.

Kurz bevor es dunkel wird machen wir noch mal einen Abstecher beim Schreiner, um den Fortschritt des Pferdewagens zu begutachten. Wir sind überrascht. Die Reifen und Kugellager sind getauscht. Somit ist der Pferdewagen fertig. Jetzt müssen wir nur noch den wasserdichten Stoff drüber werfen und am geschweißten Stahlgestänge festnähen. Ich muss zugeben, dass die Männer nahezu maßstabsgetreu meine Wünsche umgesetzt haben. „Ich möchte bitte mein Gehalt sofort“, fordert der Mann. „Ich habe gerade kein Geld einstecken aber wir bringen dir es gleich morgen Früh. „Nein ich möchte es jetzt, jetzt in diesem Augenblick“, wiederholt er sich. „Willst du heute Abend noch einen drauf machen oder was?“, frage ich lachend. „Nein ich trinke schon lange nichts mehr. Habe damit aufgehört“. „Gut so“, antworte ich und mache mich auf mit Tanja und Taagii zu Naraas Blockhaus zu laufen, um das Geld zu holen. Als wir wieder beim Schreiner sind frage ich was er jetzt bekommt. „Ich habe drei Stunden mehr gearbeitet als vereinbart“, plaudert er, was uns natürlich in keiner Weise verwundert. „Wenn das so ist möchte ich großzügig sein. Wir bezahlen dir einen halben Tag mehr.“ „Ich möchte einen ganzen Tag mehr“, meint der Raffzahn daraufhin. „Warum eine ganzen Tag wenn du nur drei Stunden mehr gearbeitet hast?“ „Das war ein Missverständnis. Ich habe einen ganzen Tag mehr gearbeitet“, widerspricht er sich jetzt. „Ihr habt zu fünft drei Tage an dem Pferdewagen gearbeitet. Dann kommt noch der Schweißer dazu und jetzt möchtest du einen Extratag bezahlt haben?“ „Ja.“ „Obwohl ich glaube zu implodieren gebe ich dem Mann was er verlangt. „Ist sein Karma. Irgendwann, irgendwo muss er das was er von uns geraubt hat wieder abgeben. Vielleicht um ein Vielfaches. Er wird damit nicht glücklich und wir dadurch nicht ärmer“, beruhigt mich Tanja. Um die Sache perfekt zu machen schieben Tanja, Taagii, der Schreiner und ich sofort nach der Bezahlung den Pferdewagen zu Naraas Blockhaus. Wer weiß was dem Mann am nächsten Tag noch eingefallen wäre.

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