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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Lebensbedrohlicher Smog

N 34°55’15.4’’ E 108°58’34.7’’
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    Datum:
    29.11.2015 bis 05.12.2015

    Tag: 154 – 160

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Tongchuan

    Breitengrad N:
    34°55’15.4’’

    Längengrad E:
    108°58’34.7’’

    Tageskilometer:
    69 km

    Gesamtkilometer:
    11.301 km

    Luftlinie:
    54.40 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    24.1 km

    Maximale Geschwindigkeit:
    50.4 km

    Fahrzeit:
    2:51 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphaltteils sehr schlecht

    Maximale Höhe:
    1.600 m

    Gesamthöhenmeter:
    13.298 m

    Höhenmeter für den Tag:
    400 m

    Maximale Tiefe:
    658 m

    Sonnenaufgang:
    07:30 Uhr bis 07:35 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:33 Uhr bis 17:32 Uhr

    Temperatur Tag max:
    5°C bis 12°C

    Temperatur Tag min:
    minus 1 °C

    Aufbruch:
    10:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    14:30 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Das Röhren eines entfesselten Raubtiers brüllt uns an. Zumindest klingt es in dem dunklen Tunnel so als uns ein Lastwagen entgegenbraust. Von der schwarzen Röhre wieder ausgespuckt genießen wir den sonnigen Tag und die Höhenluft des Qin-Ling-Gebirges, dessen eigenwillige Plateaustraße uns nun schon seit Tagen durch eine atemberaubende Landschaft trägt. In einer Höhe von 1.600 Meter neigt sich die Passstraße leicht nach unten ohne sich an diesem Tag noch einmal zu erheben. Zum Glück, denn ich fühle mich durch eine Erkältung nicht besonderst fit. Über Stunden geht es immer tiefer. Unsere Bremsen laufen heiß. Für einige LKWs wird das Gefälle manchmal zum Verhängnis. Zwei von ihnen hat es mit gesamter Fracht umgeworfen. Die Ladung liegt quer über der Fahrbahn verstreut. Obwohl sich der Unfall in beiden Fällen erst vor wenigen Minuten ereignet haben muss, ist von den Fahrern weit und breit nichts zu sehen. Wir setzen unsere berauschende Talfahrt fort. Wenig später lehnt ein chinesischer Langstreckenradler Zigarette rauchend an einem Baum, um sich auszuruhen. „Ni hao!“, grüßen wir ihn. Weil er heute schon viele Bergaufkilometer hinter sich gebracht hat, ist er offensichtlich nicht in der Lage zu antworten. Dann tauchen die ersten Kraftwerke auf. Ihre Abgase verschmutzen die saubere Gebirgsluft und das Abwasser den nahen Fluss. Am Fuße eines der Kraftwerke sind eine Schule, Kindergarten und Sportplatz errichtet. Als wir vorbeifahren ist der grüne Kunstrasen der Anlage von Jugendlichen und Kindern bevölkert. Das Bild ist skurril, denn während der chinesische Nachwuchs sich vergnügt, wird er gleichzeitig mit giftigem Rauch und Dampf eingedeckt, der aus zahlreichen Schlöten emporsteigt.

Nach vielleicht 27 Kilometer erreichen wir ein breites Tal und überqueren die Autobahn G65. Nur wenige hundert Meter danach vereint sich unsere Gebirgsstraße mit der Fernverkehrsstraße S305. Spätestens ab jetzt ist es mit der Ruhe der vergangenen Tage vorbei. Als hätte jemand mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herumgewühlt, beginnt es um uns herum ungut zu wimmeln. Dachten wir den schweren Lastwagenverkehr endlich entflohen zu sein, befinden wir uns plötzlich wieder mitten drin. Hier unten im Tal ist von der klaren Bergluft nichts übrig geblieben. Ganz im Gegenteil haben wir das Gefühl von einer graugelben Nebelwand regelrecht verschluckt zu werden. Nur dass es kein Nebel ist sondern eindeutiger schwerer Smog. Die völlig verdreckte Straße ist auf einmal klatsch nass, so dass uns der von den Reifen hoch geschleuderte Schmutz nur so um die Ohren fliegt. Der Grund sind die unzähligen Lastwägen, die sich nach der Gebirgsfahrt zu hunderten vor einer Polizeikontrolle stauen. Hier wird jeder der Stahlkolosse gewogen. Vermutlich müssen die Fahrer je nach Ladung Straßenmaut bezahlen. Ein Anlass warum sie ihr gesamtes Wasser ablassen mit dem sie in den Bergen ihre Bremsen kühlen. Das Resultat ist eine maßlos rutschige und glatte Fahrbahn. Mit äußerster Vorsicht, nicht zu stürzen, treten wir unsere Räder durch den Matsch, über die schweren Risse und tiefen Schlaglöcher, die sich auf dieser Strecke auftun. Direkt neben uns brüllen die Motoren schwerer Baumaschinen, um einen neuen, noch breiteren Asphaltstreifen durch das traurige Tal zu ziehen. China besitzt zurzeit
ca. 3,86 Millionen Kilometer Straße im Vergleich dazu besitzen die Vereinigten Staaten von Amerika 6.51 Millionen Kilometer und das kleine Deutschland 644.480 Kilometer. Viele Straßen Chinas sind noch immer in einem schlechten Zustand, werden aber durch massive Baumaßnahmen täglich besser. Alleine im Jahr 2006 wurden 4325 Kilometer Autobahnen und sage und schreibe 93.720 Kilometer Fernstraßen durch das Land gezogen. Die Arbeiter, die im Dunstschleier neben uns schuften, tragen keine Masken und inhalieren den schwarzen Teerdampf und den sie umhüllenden Smog direkt in ihre Lungen. Arbeitsschutz gibt es nicht denn der Einzelne ist bei der Masse an Nachschub wenig wert. Insgesamt ziehen ca. 263 Millionen Wanderarbeitern durch das Land, die nur beschränkt Zugang zum städtischen Sozialsystem und zu städtischen Bürgerrechten besitzen. Mit ihren teils lebensgefährlichen Jobs verdienen sie mit 2290 Yuan (322,- €) im Monat aber mehr als ein Berufseinsteiger mit Hochschulabschluss, der im Durchschnitt nur 2000 Yuan (282 €) erhält.

Unsere vor wenigen Kilometern noch angenehme Fahrt endet in einem Horrorszenario. Der Dunst um uns wird immer dichter, vereint sich mit dem aufgewirbelten Staub, dem Rauch, dem schweren Ausdünstungen des Teers, der Kraftwerke und den Abgasen der Lastwägen. Der kaputte Asphalt unter uns wechselt von strohtrocken zu matschige nass. Der aufgewirbelte Matsch klebt an unseren Satteltaschen und fällt kurze Zeit wieder als wüstentrockne Kruste zu Boden. Eigentlich ist es der absolute Irrsinn hier mit dem Rad unterwegs zu sein. Uns fällt das Atmen von Minute zu Minute schwerer und ich habe das Gefühl als würde meine Lunge bereits rasseln. Oder bilde ich mir das nur ein? Ich kann nur hoffen. Plötzlich fährt mir ein unangenehmes Stechen durch den Magen. „Oh, was ist das denn?“, flüstere ich. Dann ist der Schmerz wieder weg. So als wäre er nie dagewesen. Ob das von dem Smog kommt? Unmöglich, davon bekommt man keine Bauchschmerzen, beruhige ich mich selbst. „Ouuhh!“, entlockt mir ein noch heftigeres Ziehen als vorher einen Ausruf bis auch dieses wieder vergeht. Nach dem vierten oder fünften Krampf bin ich sichtlich nervös und weitere zehn Minuten später ist mir klar, dass sich da etwas anbahnt. Wir passieren gerade eine der endlos langen Bausstellen, als es mich erneut trifft. Wie ein Pfeil fährt es mir in die Eingeweide. Gott sei Dank befindet sich in diesem Augenblick ein tiefer Straßengraben neben uns. Ich ziehe die Bremse, springe vom Rad und brülle: „Toilettenpapier!“ Tanja kommt neben mir zum Stehen. „Was?“ „Haben wir irgendwo Toilettenpapier griffbereit? Schnell ansonsten gibt es ein Unglück“, sage ich. Sekunden später überreicht mir Tanja die Rolle, die ich wie ein Staffelläufer greife und in den Graben hechte. Eine Weile später klettere ich wieder aus der Senke. „Und? Besser?“, fragt Tanja. „Viel besser. Denke da war Glutamat im Abendessen“, sage ich, blicke auf die vom Smog eingehüllte Straße und verspüre nicht die geringste Lust mich wieder in den Verkehrswahnsinn zu stürzen. „Auf geht’s“, entscheide ich, weil uns nichts anderes übrig bleibt. Wieder im Irrsinn des brüllenden Verkehrs und der Luft, die keine mehr ist, nähern wir uns der 840.000 Einwohnerstadt Tongchuan. Umso näher wir kommen, desto mehr Fahrzeuge nutzen den Asphalt, desto schlechter wird die Luft. Noch nie auf unseren Reisen haben wir so etwas erlebt. Menschen tauchen wie aus dem Nichts auf und überqueren die Fahrbahn. Ein Großvater steht am Straßenrand. Er hält seinen zweijährigen Enkel auf dem Arm und betrachtet den Verkehr. Das arme Kind, geht es mir durch den Kopf. Soweit das Auge reicht ist nur noch dieser schmutzige Nebel zu sehen. Die niedrigen Gipfel der nahen Berge sind ebenfalls von der gelblichgrauen Wand eingehüllt und nur noch als diffuse Masse wahrzunehmen. Was geschieht mit diesem Land? Welch ein Verbrechen an der Bevölkerung. Mir geht durch den Kopf, dass Länder die ihre Flüsse, Seen und Wälder nachhaltig verschmutzen und vernichten, trotz ihres industriellen Wohlstandes, bettelarm sind. Welch ein Tausch? Wohlstand gegen die Vernichtung der natürlichen Ressourcen. Wohlstand gegen die Vernichtung der Zukunft. Wohlstand auf Kosten der zukünftigen Generation, auf Kosten unserer Kinder. Laut einer Studie der US-Eliteuniversität Berkely sterben in China täglich mehr als 4000 Menschen an den Folgen starker Luftverschmutzung. Das sind 17 Prozent aller Todesfälle des gesamten Landes die der zerstörten Atemluft zum Opfer fallen. Laut dem China Human Development Report stand China bereits im Jahre 2002 an einem Scheideweg, den erreichten sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt durch die immense Umweltzerstörung wieder zu vernichten. Der in Peking gemessene gesundheitsgefährdenden PM 2,5 Feinstaub erreicht in diesen Tagen einen Rekordwert von knapp 600 Mikrogramm pro Kubikmeter. Weltweit berichten die Medien davon, weswegen auch wir diese Meldungen mitbekommen. Wenn man bedenkt, dass laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Grenzwert von durchschnittlich 25 Mikrogramm über den Tag verteilt nicht überschritten werden sollte, übersteigen 600 Mikrogramm mein Denkvermögen. Eigentlich dachte ich, dass diese furchtbare Luftverschmutzung nur auf China zutrifft, leider weit gefehlt. Langsam weitet sich diese von Menschen produzierte Katastrophe weltweit aus. Neu Delhi zum Beispiel soll die schmutzigste Luft der Welt haben. Die Regierung will sich mit Fahrverboten retten. Ich frage mich nur wenn Neu Delhis Luft noch schlimmer ist als die in Peking, was atmet der Mensch dann eigentlich noch? Selbst viele Städte Italien ächzen derzeit unter einer hohen Luftverschmutzung, so dass der Bürgermeister von Neapel sogar das Pizzabacken im Holzhofen verbieten möchte – und das ist kein Witz.

Tüüühhht! Tüüühhht! Tüüühhht!, lärmt es unaufhörlich um uns herum. Mein Körper fühlt sich völlig zerschlagen an. Husten plagt mich seit geraumer Zeit, die Lunge brennt unter den Folgen von ca. 400 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter, weshalb die Frage aufkommt ob wir diesen Alptraum hier an diesem Punkt abrechen sollten, um unsere Gesundheit zu schonen. Oder wird es weiter unten im Süden besser? Wird es mit der Luft besser wenn der Winter vorbei ist? Sicherlich, aber bis dahin vergehen noch gut drei Monate. Vielleicht sollten wir uns während solcher Smogtage in ein Hotel zurückziehen? Das würde unsere Lungen entlasten. Wir werden sehen welche Strategien wir in den kommenden Tagen entwickeln. Im Augenblick kann ich wegen der Erkältung, dem rumorenden Magen, der Anstrengung und der durch die schlechte Luft verursachten Kopfschmerzen kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich brauche Ruhe und bin froh, dass es Tanja zu diesem Zeitpunkt besser geht.

Im städtischen Verkehrsstrom treiben wir dahin. Weil wir Margaret in den letzten Tagen nicht erreicht haben, besitzen wir für diese Stadt kein vor gebuchtes Hotel. Nur der Gedanke daran, dass man uns wegen Ajaci, keiner Ausländer Linzens und den Rädern ständig fortschickt, lässt mich noch kraftloser werden. An einer Kreuzung stehend überlege ich welche Richtung wir einschlagen sollen. „Hör auf dein Gefühl“, sagt Tanja, die direkt hinter mir steht und offensichtlich weiß worüber ich gerade grüble. Weil es mir einfacher erscheint fahre ich geradeaus weiter. Nicht gut, geht es mir durch den Kopf, worauf wir wenden, und wie mir mein Gefühl eingeflüstert hat, nach rechts abbiegen. Nur 20 Meter hinter der Kreuzung entdecke ich ein einfaches Hotel. „Du fragst zuerst“, bitte ich Tanja. „Okay“, erklärt sie sich bereit, stellt ihr Rad auf den Ständer und geht in das Hotel. Nur fünf Minuten später kommt sie mit dem erhobenen Daumen nach draußen. „Wir dürfen rein, die Räder bekommen ein Platz unter der Treppe und Ajaci ist akzeptiert“, höre ich erleichtert.

Die gesamte Nacht werde ich von Durchfällen geplagt. Am nächsten Morgen fühle ich mich matt und erschlagen und leide ich unter heftigen Halsschmerzen. Wir entscheiden uns einen Tag auszuruhen. Am darauffolgenden Tag brüte ich eine böse Erkältung aus und liege daraufhin sechs Tage im Bett ohne einen Finger rühren zu können. Da wir uns in der vor uns liegenden Großstadt Xi’an ein oder zwei Wochen Zeit nehmen wollten, um die Terrakotta Armee anzusehen, Texte zu schreiben und vor allem in einem schönen Gästehaus zu relaxen, bin ich wegen dem unvorhergesehenen Stopp ein wenig frustriert. Jedoch stellt sich das Hotel, das angenehm warme Zimmer, der günstige Preis von 120 Yuan, (16,86 €) das zuvorkommende Personal als ein guter Ort heraus, um wieder zu genesen.

Tanja ist gerade mit Ajaci unterwegs als ich mich entschließe zu duschen. Ich fühle mich etwas besser und möchte die Gelegenheit nutzen mir mit dem wunderbar heißem Wasser die restliche Erkältung vom Leib zu spülen. Plötzlich klopft es heftig an die Tür. „Das kann doch nicht wahr sein“, schimpfe ich und beschließe meine Dusche nicht zu unterbrechen. Das Klopfen steigert sich immer mehr, aber ich ignoriere es weiterhin. Sollte es die Polizei sein, um unsere Pässe zu kontrollieren, kann sie auch später wiederkommen. 20 Minuten danach krieche ich wieder ins Bett. Plötzlich klopft es erneut. Ich schlüpfe in einen Wollpullover und öffne die Tür. Es ist die Managerin des Hauses die mich freundlich bittet das Zimmer zu wechseln. „Warum?“, frage ich verwundert, mich nicht in der Lage fühlend umzuziehen. „Die Dusche ist undicht und setzt den unteren Stock unter Wasser“, verstehe ich…

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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