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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Leben im Hutong und unfreiwillige Stadtrundfahrt

N 38°16’36.5’’ E 109°43’11.3’’
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    Datum:
    11.11.2015 bis 15.11.2015

    Tag: 136-140

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Yulin

    Breitengrad N:
    38°16’36.5’’

    Längengrad E:
    109°43’11.3’’

    Gesamtkilometer:
    10.676 km

    Maximale Höhe:
    1.038 m

    Gesamthöhenmeter:
    8.261 m

    Sonnenaufgang:
    07:16 Uhr bis 07:20 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:33 Uhr bis 17:30 Uhr

    Temperatur Tag max:
    12 °C

    Temperatur Tag min:
    1 °C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Am zweiten Tag in unserem kleinen Zimmer reicht uns der Inhaber des Gästehauses ein Paket. „Vielen Dank“, sage ich und öffne es eilig. „Die neue Schwerlastdeichsel und das GPS sind da!“, rufe ich nach draußen, weil sich Tanja gerade mit Ajaci im Innenhof unserer Hutong befindet. „Super!“, freut sie sich in den Raum stürmend. „Dann können wir ja morgen weiterfahren?“ „Ich weiß nicht. Jetzt stinkt es ja nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Ich muss erst die Deichsel einbauen, die vorderen Bremsbeläge von deinem Bike erneuern, die Ketten reinigen und Ölen, für Ajacis Anhänger eine Barriere basteln damit er seine Pfoten nicht mehr raushängen kann, mich mit dem neuen GPS beschäftigen und ein paar Updates schreiben. Denke das ist genug Stoff für ein paar weitere Tage.“ „Okay, dann bleiben wir noch. Mir soll’s recht sein. Ich habe noch einige Texte zu übersetzen und muss mich mit dem Instagram beschäftigen. Abgesehen ist die WLAN hier recht brauchbar“, antwortet Tanja.

Es ist schon immer wieder verwunderlich wie schnell man sich an ein schlechteres Umfeld anpassen kann wenn man sich dafür die Zeit gibt. Als wir hier vor zwei Tagen ankamen, dachte ich es keinen Augenblick in dieser übel riechenden Schimmelburg auszuhalten, und jetzt haben wir uns mit der Hutong arrangiert. Seit der Besitzer eine dicke Decke vor die Eingangstür gehängt hat, ist es jetzt auch nicht mehr so kalt in unserer Bleibe und die warme Luft aus der Klimaanlage, in Verbindung mit dem Abfackeln einiger Salbeiblätter, haben den üblen Geruch die Schärfe genommen. Außerdem ist es im Innenhof ruhig. Hier kann ich, ohne von vielen neugierigen Augen unaufhörlich beobachtet zu werden, alle Reparaturarbeiten durchführen. Am meisten gefällt mir, dass ich mit Ajaci nicht die Nachtrunde durch die nasskalten, dunklen Gassen Yulins drehen muss, denn in unserem Innenhof befindet sich eine ca. 2 x 4 qm kleine Erdfläche auf der er seinen Pipi machen kann. Ich muss ihn vor dem Schlafengehen nur kurz rauslassen und darf mich dann schnell wieder in mein Bett kuscheln.

Am fünften Tag entscheiden wir uns den im Jahre 1607 erbauten Wachturm Zhenbeitai zu besuchen. Einst hatte er große militärische Bedeutung und gehörte, wie viele Wachtürme, zur Chinesischen Mauer. Auch hier sind wir zu dieser Jahreszeit nahezu die einzigen Besucher. Wir genießen das Privileg an solch einem kulturellen Ort der Ming-Dynastie ungestört herumstreifen zu dürfen. Oben auf dem 96 m hohen Turm stehend blicken wir auf die sich im Dunst ausstreckende Stadt Yulin mit ihren 3,4 Millionen Einwohnern. Auf der gegenüberliegenden Seite im Norden ist die Wüste zu erkennen. Dort versucht man durch künstlich angepflanzte Wälder den Vormarsch der sich ständig ausbreitenden Wüste entgegenzuwirken. Direkt unter uns liegen die Höfe und Mauern des einstigen Städtchens Kuangong. Mit einer Länge von 210 m und einer Breite von 175 m scheint sie winzig klein zu sein aber vor 400 Jahren war Kuangong ein wichtiger Handelsort zwischen den mongolischen Feudalherren und dem Kaiser der Ming-Dynastie.

„Auf dem Rückweg zu unserer Hutong sollten wir den Bus nehmen“, schlägt Tanja vor. „Und du meinst der bringt uns auch wirklich zur richtigen Haltestelle?“, frage ich etwas unsicher. „Klar, im Reiseführer steht das Bus Nr. 11 uns in die Innenstadt fährt.“ „Okay, dann versuchen wir es einfach“, antworte ich in den Omnibus steigend der unterhalb des Wachturms Zhenbeitai seine Fahrgäste aufnimmt. Weil die Linie Nr. 11 am Wachturm ihre Endstation hat sind wir mit vier anderen Gästen die Einzigen die hier zusteigen. Jedoch nur wenige Stationen weiter drängen sich die Fahrgäste wie Sardinen aneinander. „Eigentlich hätte der Bus doch hier abbiegen müssen?“, frage ich Tanja. „Eigentlich schon“, antwortet sie mit der Schulter zuckend. Ich blicke auf die vorbeifliegenden Häuser und Hochhäuser, bestaune die Leuchtreklame der unzähligen Geschäfte, Kaufhäuser, Läden und Restaurants, schaue auf den gnadenlosen Verkehr, auf die dahinwimmelnden Elektroroller, auf die Mopeds und laut tuckernden Dreiradlastenmotorräder, deren stinkenden Dieselabgase uns hier drinnen nicht belästigen. „Denke der Bus fährt nicht in die von uns gewünschte Richtung“, sage ich nach 30 Minuten. „Glaube ich auch“, ist Tanjas trockene Antwort, die ebenso interessiert aus dem Fenster blickt wie ich. Der Bus quert ein paar Brücken, es geht vorbei an Baustellen auf denen die Arbeiter wie Ameisen hin und herlaufen. Hier müssten wir rechts abbiegen, denke ich mir und freue mich als es tatsächlich nach rechts geht. Kurz darauf windet sich unser Gefährt aber wieder nach links, dann nach rechts um erneut nach links zu lenken und plötzlich habe ich jegliche Orientierung verloren. „Wie lange wollen wir hier noch sitzen bleiben?“, frage ich nach 45 Minuten. „“Was meinst du?“ „Hm, irgendwann muss er ja mal das andere Ende der Stadt erreicht haben. Vielleicht sollten wir dort aussteigen und dann den nächsten Bus zurück nehmen?“ „Eine gut Idee“, meint Tanja. Nach 60 Minuten wird es im Bus immer leerer. Selbst die Fahrgäste, die am Wachturm mit uns eingestiegen sind haben uns verlassen. Mittlerweile fahren wir durch eine Art Trabantenstadt. Hochhaus an Hochhaus reiht sich aneinander. Viele davon im Bau. Die Wüste Mu-Us, die sich von hier bis zur Inneren Mongolei hinzieht, weht ihren Sand über Schutzmauern. Fasziniert, dass sie ihren gelben Sand soweit in die Stadt hineinträgt, Blicke ich auf die sich ausbreitenden Flächen die hier durch die modernen Gebäude begrenzt werden. Wieder biegt unser Bus nach rechts in eine einsame, breite Straße. Seit einiger Zeit sind wir die letzen Mitfahrer. „Dort vorne scheint die Endstation zu sein“, sage ich auf ein paar andere Busse deutend die am Straßenrand stehen. Tatsächlich hält der Fahrer an und zieht den Schlüssel aus dem Schloss. „Das war eine schöne Stadtrundfahrt“, sagt Tanja. „Ja, und sie war sogar unglaublich billig“, antworte ich lachend. Als wir dem Fahrer die Adresse unserer Hutong zeigen muss er lachen. „Zhe liang gonggong qiche shi qu wang hui?“, (Fährt dieser Bus zurück?) wollen wir wissen. „Bu, (Nein) sie müssen einen anderen nehmen“, verstehen wir. „Welchen anderen?“, frage ich Tanja auf die vereinsamten leeren Busse deutend die hier herumstehen. „Wir warten einfach bis einer der Fahrer kommt und steigen ein“, schlägt sie vor. Die Sonne ist bereits am untergehen während wir uns die Beine vertreten und vor dem Häuschen auf und ab laufen in dem einige Busfahrer ihre Endstationspause verbringen. Endlich verlässt einer der Männer die schäbige Hütte. Wir heften uns an seine Fersen. Tatsächlich steigt er in einen der Busse. Wir zeigen ihm die Visitenkarte mit der Adresse. Er verspricht uns zu sagen an welcher Haltestelle wir aussteigen müssen. 30 Minuten später sind wir wieder im Stadtzentrum. „Zher!“, (Hier) sagt der Busfahrer worauf wir aussteigen. Wir winken ein Taxi heran und zeigen ihm ebenfalls die Visitenkarte. Es dauerte eine Weile. Dann ruft er unseren Gastwirt an und lässt sich von ihm erklären wohin er fahren muss.

Ausgehungert und müde erreichen wir wohl erhalten unseren Innenhof. Wegen der aufkommenden Kälte ziehen wir uns eine wärmere Jacke über und laufen zu dem Restaurant, in dem wir die letzten Tage gegessen haben. Weil es da drin keine Heizung gibt bibbern wir vor Kälte. Jeder der Gäste ist in warme Wintersachen gehüllt. Ich sitze mit dem Rücken an einem großen Aquarium, in dessen trüben Wasser fette Fische nach Luft schnappen. Eine Umwälzpumpe lässt das Wasser hinter meinem Rücken laut plätschern. Da es mich dabei ab und an vollspritzt würde ich gerne den Tisch wechseln aber leider ist das Restaurant voll besetzt. Wir geben die Bestellung auf. Es dauert nicht lange und die Kellnerin serviert uns das Essen. Heißhungrig tauche ich meine Stäbchen in den gewürzten Tofu als der Koch kommt und hinter meinem Rücken einen der großen Fische mit einem Netz herausholt. Der will aber nicht im Wok landen und springt ihm im hohen Bogen aus dem Kescher, dreht einen saloppen Salto, nicht ohne mich dabei mit dem schmutzigen Wasser zu bespritzend aus dem man ihm gerade herausgeholt hat, und landet mit einem lauten Platschen vor meinen Füßen. Der Koch fackelt nicht lange, greift ihm in die Kiemen, bugsiert das arme Wesen wieder in sein Netz und verschwindet mit seiner Beute in der Küche. Ich sitze wie ein begossener Pudel da und wische mir das Wasser aus dem Gesicht und von der Jacke. Ein paar Gäste blicken mich etwas verlegen an. Da das Wasser aber nicht nur mich erwischt hat, sondern auch über mein Essen gespritzt ist, sitze ich davor und weiß im ersten Moment nicht ob es ratsam ist mein Mahlzeit fortzusetzen. „Wir bestellen was anderes“, sagt Tanja. „Hm“, überlege ich eine Weile. Dann entscheidet mein Hunger worauf die Essstäbchen wieder in den Tofu sausen…

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