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Mongolei/Kein Wasser Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Langer Ritt

N 49°30'113'' E 100°45'901''
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    Tag: 388

    Sonnenaufgang:
    06:08

    Sonnenuntergang:
    20:34

    Luftlinie:
    31,36

    Tageskilometer:
    40

    Gesamtkilometer:
    2147

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    18°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    14 °C

    Temperatur – Nacht:
    8 °C

    Breitengrad:
    49°30’113“

    Längengrad:
    100°45’901“

    Maximale Höhe:
    1800 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    18:30 Uhr

Die Nacht hat es viel geregnet. Es war kühl und unangenehm. Eigentlich wäre ich gerne einen Tag geblieben um mehr Zeit für das Kürzen der Sattelriemen zu haben und um genauer zu untersuchen aus welchen Gründen die Ladung gestern so fürchterlich gerutscht ist. „Lass uns besser weiterreiten. Wir finden schon heraus woran das liegt. Ich würde gerne ein paar Kilometer hinter uns bringen,“ meinte Tanja weswegen wir um 7:00 Uhr aufstehen, frühstücken die Sattelriemen kürzen und die Pferde beladen.

Heute 1 ½ Stunden schneller als gestern lassen wir das Camp mit den vielen Ziegen hinter uns. Wir kommen gut voran obwohl die Ladung nach wie vor rutscht. Shargas Sattelriemen sind noch immer zu lang. Da die Pferde sich in den letzten sechs Wochen richtig auffressen konnten hatte ich alle Sattelriemen zu lang angefertigt. Jetzt, während des Trips, verlieren sie Körperumfang. Es scheint uns so als hätten unsere Pferde aufgeblasene Luftballonbäuche. Durch die unaufhörliche Bewegung müssen sie nun oft pupsen weshalb sie viel Luft verlieren und wieder normale Formen annehmen. Nach dem harten Winter und der ständigen Angst unsere vierbeinigen Freunde könnten vor Nahrungsmangel jeden Augenblick tot umfallen sind wir froh sie nun wieder gesund und wohl genährte zu sehen. „Mindestens die Hälfte eurer Pferde werden den Winter nicht überleben“, sagte unser Tuwafreund Ultsan. Nun, sie haben alle überlebt. Unsere einstigen Bedenken sind wie vom Winde verweht. Auch die Druckstellen konnten fast restlos ausheilen. Wir sind gespannt ob es sich gelohnt hat vier neue Sättel zu bauen. Das wird sich in den kommenden Tagen zeigen.

Es regnet in Strömen als wir einen steilen Pass nach oben reiten. Die Ladung schaukelt auf den Pferderücken im gleichmäßigen Rhythmus hin und her. Dickbauchige Wolken ziehen träge über das bergige Land und würgen unaufhörlich ihren Inhalt auf uns herab. Keine Menschenseele ist zu sehen. Wir sind alleine auf weiter Flur. Unsere Regenkleidung schützt vor der unangenehmen Nässe. Ohne Zweifel. Es ist Herbst in der Mongolei. Wir queren einen zweiten Pass und wundern uns wie wir diese Steigungen letztes Jahr mit den Pferdewagen bewältigen konnten. „Viel besser ohne Pferdewagen!“, ruft mir Tanja zu. „Viel besser!“, antworte ich. Im Schritt steigen wir von der Höhe hinab. Böiger Wind greift uns ins Gesicht. Dunkle, in Wolkenfetzen gehüllte Berghäupter scheinen auf uns mit finsteren Grimassen herabzublicken. Rinnsale begleiten uns in ein langgezogenes Tal. Unten angelangt treibe ich die Pferde. Tanja auf ihrer Naraa führt den kleinen Trupp. „Haack! Haack! Haack!“, rufe ich, um die Pferde im Trab zu halten. Sobald einer der Jungs zur Seite ausbricht reagiere ich sofort, trabe hinterher und bringe ihn zurück. „Ich bin müde!“, ruft Tanja nach bald 30 Kilometern. „Wir brauchen Wasser für die Pferde. Erst dann können wir Camp beziehen!“, antworte ich. „Vielleicht gibt es dort drüben bei der Jurte Wasser?“, antwortet Tanja und deutet in südliche Richtung. „Glaube ich nicht aber wir können es probieren.“ Kurzentschlossen lenken wir unsere Pferde nach links.

Schon zweihundert Meter vor der Jurte rasen uns zwei kläffende Köder entgegen. „Haut ab ihr Scheißviecher!“, rufe ich aufgebracht als sie Mogi attackieren. Da Mogi einen Maulkorb trägt und ich ihn noch dazu an der Leine neben Sar führe, besitzt er nicht die geringste Chance sich zu wehren. Ich reite wie immer einen engen Kreis, um die Angreifer zu hinterlaufen. Erschrocken plötzlich die Verfolgten zu sein stürmen sie meist ein paar Meter davon. Diesmal jedoch ist es anders. Die Hunde teilen sich auf, umgehen uns und greifen noch aggressiver an als vorher. Der Größere von beiden beißt Mogi. Die Fetzen fliegen. Mogi jault erbärmlich. Den Hunden genügt das nicht. Sie wollen den Eindringling tot sehen und beißen Mogi in den rechten Vorderfuß. Mogi knickt ein. Ich zügle das Pferd und springe trotz der Gefahr aus dem Sattel. Schnell bücke ich mich nach einem Stein und schleudere ihn gegen die Bestie die soeben unseren Hund verletzt hat. Treffer. Jaulend rast er in einen Bogen. Sein Partner scheint das nichts auszumachen. Er greift erneut an. Wieder fliegen Steine worauf auch er sich ein Stück zurückzieht. „Haltet die Hunde!“, brülle ich den Jurtenbewohnern zu. Misstrauisch blicken sie uns entgegen und rufen ihrer Meute etwas zu. Die hören gar nicht darauf sondern warten auf eine passende Gelegenheit erneut zuzuschlagen. An der Jurte angekommen fragen wir ob es hier Wasser gibt. „Ügüj, us baihgui“, (Nein kein Wasser) antworten sie. „Wo finden wir Wasser?“, fragt Tanja erschöpft. „In etwa 10 Kilometern“, hören wir. Weil der Bach des Tales seltsamerweise trotz des vielen Regens keinen Tropfen Wasser führt und unsere Pferde nach einem langen Reittag dringend Wasser benötigen, müssen wir weiter. Kaum traben wir los folgen uns diese verrückten Hunde. Erneut treibe ich Sar in einen engen Kreis. Mogi humpelt so gut es geht hinterher. Vorsichtshalber habe ich vorhin ein paar Steine in die Tasche gesteckt. Das schwere Ding verlässt meine Faust und schlägt neben dem Größeren der Beiden in den Boden. Jaulend zieht er den Schwanz ein. Ich nutze die Gelegenheit der Überraschung und galoppiere davon.

Im Trab geht es weiter. Mogi hinkt, kann aber zum Glück mithalten. Gebrochen ist also nichts stelle ich erleichtert fest. Schon seit vielen Stunden zieht auf diese Weise die trübe Graslandschaft mit ihren nassen Hügeln an uns vorbei. „Haack! Haack! Haack!“, mache ich den Pferden Beine. „In 10 Kilometern kommt das Zwei-Jungen-Camp in dem wir letztes Jahr vom Schnee überrascht wurden. Dort gab es am Fuße des Berges Wasser!“, rufe ich Tanja zu. Sie antwortet mit Schweigen. „Da vorne ist eine Jurtensiedlung. Vielleicht können wir die Menschen fragen ob sie Wasser besitzen?“, sagt Tanja etwas später. „Sieht eher wie ein Straßenbaucamp aus!“, antworte ich meine Augen zusammenkneifend, um besser sehen zu können. Als wir näher kommen ist es tatsächlich eine Art Baucamp. Wahrscheinlich die Basis der Straßenarbeiter die die Staubpiste von Erdenet nach Mörön in einen Asphaltstreifen verwandeln wollen. Unser Instinkt warnt uns die Menschen dort nach Wasser zu fragen weswegen wir weiter reiten. Auf der Erdpiste vor uns haben sich durch den Regen große Wasserlachen gebildet. „Lass uns sicherheitshalber die Pferde tränken. Wer weiß ob es in dem alten Camp tatsächlich noch Wasser gibt“, schlage ich vor.

Nach 40 Reitkilometern, zwei Pässen und Dauerregen erreichen wir um 18:30 tatsächlich unser altes Camp in dem wir am 26. September, also vor knapp 11 Monaten, vom Schnee überrascht wurden. Weil sich damals Bilgee und Ulzii um die Pferde gekümmert hatten wissen wir nicht wo sich die Wasserstelle befindet.Wir reiten bis zu ein paar armseligen Holzhütten die Anhöhe hinauf vor denen einige Männer mit ihren Sicheln Heu für den Winter mähen. „Sain bajtsgaana uu“, begrüßen wir die Männer. „Sain bajtsgaana uu“, antworten sie freundlich. „Gibt es hier Wasser?“, frage ich. „Tijmee“, antwortet einer. Während Tanja sich mit den Männern unterhält reite ich weiter bergauf, um die Quelle zu suchen, bleibe aber erfolglos. Einer der Männer begleitet mich dann auf seinem Pferd. Er sitzt ohne Sattel auf dem Tier. Trotzdem bewegt er sich sicher. Die Quelle stellt sich als ein etwa sieben Meter tiefes Loch, eingefasst in zerfallende Betonringe, heraus. Der Mann testet den Wasserstand mit einem langen Baumstamm. „Muu“, (schlecht) sagt er als sich am Grund nur etwa 20 Zentimeter Wassertiefe abzeichnet. „Gibt es einen Eimer?“, frage ich. „Ügüj“, verneint er. Nachdem wir unsere Eimer verschenkt haben kommen wir an das Wasser nicht heran. Gut das Tanja genügend Trinkwasser für uns lud und wir unsere Pferde vor einer halben Stunde in einer Pfütze tränken konnten. Sie müssten daher kaum Durst verspüren.

Die drei Männer lassen ihre Arbeit liegen und helfen uns beim Entladen der Pferde. Als wir Bors Sattel von seinem Rücken heben entdecken wir eine üble Schürfwunde. „Oh nein. Jetzt haben wir alles getan was geht und nun das“, sage ich. „Wie kann das geschehen? Der neue Sattel passt doch wie angegossen?“, wundert sich Tanja. „Ist eine alte Verletzung aus seiner Zeit als er noch als Wagenpferd eingesetzt wurde. Die Stelle ist empfindlich. Da der Sattel aber nicht mal an seinem Nacken aufliegt müssen es die Satteldecken sein die ihn da drücken. Ich werde morgen die schweren Filzdecken ausschneiden. Dann ist der Bereich völlig frei. Das dürfte die Problemlösung sein“, meine ich nach einigen Denkminuten. „Das wäre prima. Unsere Pferde dürfen unter keinen Umständen leiden. Dann macht mir der ganze Trip keine Freude mehr“, antwortet Tanja. „Du wirst schon sehen. Wenn ich das ausschneide gibt es keine weiteren Probleme“, bin ich zuversichtlich.

„Pferdediebe gibt es hier nicht“, meinen die Männer nachdem sie später in unserem Vorzelt sitzen und eine Tasse Tee trinken. „Aber ab und zu Probleme mit Betrunkenen die von dem Bautrupp dort unten hochkommen“, sagt einer auf die Ansammlung von Containern und ein paar Jurten im Tal deutend. „Wohnt ihr hier?“, frage ich. „Ügüj. Unsere Jurten befinden sich zwei Kilometer von hier auf der anderen Seite des Berges. Wenn ihr wollt könnt ihr gerne bei uns übernachten. Wir haben frischen Joghurt, Käse und Fleisch“, bietet er an. „Danke, aber es ist zuviel Arbeit die Pferde wieder zu beladen und nochmal zwei Kilometer zu reiten. Wir bleiben“, entscheiden wir.

Als es dämmert verschwinden die netten Männer weswegen wir plötzlich alleine sind. Mit zunehmender Dunkelheit werden die Lichter des Bautrupps heller. Wie kleine Glühwürmchen leuchten sie zu uns herauf. „Da kommt bestimmt keiner hoch. Ist viel zu weit“, beruhige ich uns. „Oh bin ich geschafft. Ich muss mich ernsthaft fragen warum ich mich solchen Strapazen aussetze. Ich glaube ich sollte den Job als Abenteurerin an den Nagel hängen. Man muss doch verrückt sein sich ständig so fertig zu machen“, sagt Tanja. „Wenn du möchtest übernehme ich für dich die heutige Wachschicht.“ „Bist du nicht müde?“ „Doch, doch aber nicht kaputt. Mir macht es nichts diese Nacht nochmal im Vorzelt zu liegen.“ „Das ist sehr nett von dir. Ich nehme dein Angebot gerne an“, meint Tanja erleichtert sich in ihrem Schlafsack rekelnd.

23:00 Uhr Nieselregen. Ich liege unter dem Vordach. Der Wind peitscht Regentropfen auf das Fußende meines Schlafsacks. Ich nehme meinen Poncho und schlüpfe mit dem Schlafsack und dem unteren Teil der Isomatte hinein. Auf diese Weise bleibt alles trocken, außer der Regen wird stärker. Müde blicke ich auf die Pferde die wir wie immer in einem Halbkreis vor unserem Zelt angepflockt haben. Das Gras ist hier etwa 30 Zentimeter hoch und geradezu extrem saftig. Sie fressen und fressen. „Ob Pferde platzen können?“, geht es mir durch den Kopf. Aber sie hatten einen anstrengenden Tag und es ist sicherlich gut wenn sie hier Schlagsahne und Kuchen serviert bekommen. Mogi bellt. Erschrocken erhebe ich mich, schalte meine Stirnlampe ein und lasse den gleißend hellen Strahl von Pferd zu Pferd gleiten. Nichts. Fehlalarm. Erleichtert lasse ich mich wieder auf meine Matte sinken. Dann trifft ein blasses Licht die Zeltbahn. Mogi bellt sofort. Adrenalin schießt in meine Adern. Kerzengerade sitze ich in meinem Schlafsack und starre in die Dunkelheit. Woher kam mitten in der Wildnis dieses Licht? Diebe? Menschen die uns übles wollen? Betrunkene vom Baucamp? „Oh man ist das aufregend“, stöhne ich leise und frage mich ebenfalls ob es nicht Sinn ergibt einem normalen Leben nachzugehen. Da. Wieder das seltsame Licht. Ich blicke in die Richtung aus der es gekommen ist und sehe nichts als Schwärze. Die Schwärze einer finsteren Regennacht am Fuße eines hohen Bergzuges. Dann bemerke ich ein Moped welches durch das Tal rattert. Der Scheinwerfer schwenktt hin und her. Ab und an fliegt sein Lichtkegel bis zu uns nach oben und streift das Zelt. „Puhh. Immer diese ungewisse Angst“, schimpfe ich mich und lege meinen Körper wieder ab.

„Was ist das? Zahnweh? Oh nein. Bitte kein Zahnweh. Nicht in der Wildnis“, schreckt es nur wenig später durch meine Gehirnwindungen. In dem Camp, in dem uns die Pferdediebe heimsuchten, verspürte ich zum ersten Mal diesen ziehenden Schmerz. Die letzten Wochen hatte ich bis auf wenige leichtere Empfindungen Ruhe. Jetzt aber meldet sich dieser Eckzahn mit einer Intensität die ein Ignorieren unmöglich werden lässt. Sofort erhebe ich mich zum x-ten Mal in dieser Nacht und putze meine Zähne. Nicht das ich das heute versäumt hätte aber vielleicht hilft es. Tatsächlich beruhigt sich der Beißer. Darauf hoffend, dass er die kommenden zwei drei Monate durchhält, lege ich mich wieder ab und blicke nachdenklich in die Nacht.

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