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Mongolei/Naraa Ruhe Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Keine Fotos – Naraa versinkt in einem Moorloch

N 51°01'296'' E 100°10'831''
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    Tag: 336

    Sonnenaufgang:
    05:05

    Sonnenuntergang:
    21:38

    Luftlinie:
    14,44

    Tageskilometer:
    18

    Gesamtkilometer:
    1516

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    18 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    12 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 6 °C

    Breitengrad:
    51°01’296“

    Längengrad:
    100°10’831“

    Maximale Höhe:
    1843 m über dem Meer

Auch an diesem Morgen ist von Rantan nichts zu sehen. „Er ist tatsächlich gegangen“, sagt Tanja. „Sieht so aus“, antworte ich noch immer darauf hoffend ihn in Campnähe zu entdecken.

Wir haben gerade die Ausrüstung auf die Pferde beladen als Bor urplötzlich einen Schreck bekommt und wie ein wild gewordener Racheengel losschießt. Fassungslos beobachten wir wie das teure und für die Berichterstattung äußerst wichtige Solarpanel durch die Luft fliegt und mit allen vier Kuriertaschen auf den Boden donnert. Weil sich in den Taschen neben der gesamten Technik, der 20 Kilogramm schweren Autobatterie auch einer der beiden Laptops befindet, kann dieser Zwischenfall das Ende der weiteren Aufzeichnungen bedeuten. Nach einigen Schrecksekunden springe ich von Sars Rücken, lege ihn die Pferdefesseln an und haste zu dem auf der Wiese liegenden Gepäck. „Das Solarpanel hat es schwer erwischt. Alle vier Halteösen sind aus dem Material gefetzt“, sage ich zu Tanja die wenige Minuten später von ihrem Spurt heftig schnaufend neben mir steht. „Und was bedeutet das?“, fragt sie. „Wir können es nirgends mehr befestigen. Das heißt wir sind nun nicht mehr in der Lage während des Reitens Sonnenenergie zu gewinnen.“ „Womit du nicht genügend Strom für die Batterien und vor allem für den Laptop generieren kannst“, ergänzt sie meine Schilderung. „Ja“, antworte ich betrübt. „Dir wird schon etwas einfallen“, versucht mich Tanja zu ermutigen. „Hoffentlich haben der Laptop und die Ladegeräte keinen Schaden genommen“, sage ich noch als Khurgaa und Bumbayr neben mich treten und meinen; „Hätten wir die Taschen nach unserer Technik verladen wäre das nicht geschehen. Du darfst niemals die Ladung am Sattel festbinden. Wenn ein Pferd durchgeht und dabei die Ladung zu rutschen beginnt wird es wie in diesem Fall seine Last so lange treten bis sie in Stücken von seinem Rücken gefallen ist“, klären sie mich auf. Ich bin es Leid nur ein Wort zu erwidern. Zu müde ihnen erneut zu erklären diese Ladetechnik von Bilgee, einem sehr erfahrenen Pferdemann, übernommen zu haben. Auch besitze ich in diesem Moment keinen Nerv den Beiden zu erzählen in den letzten 20 Jahren bald 15.000 Kilometer mit Kamelen, Pferden, Eseln und Elefanten zurückgelegt zu haben und mir es ungeheuerlich auf den Senkel geht von einem 25 Jährigen und einem 15 Jährigen unaufhörlich belehrt zu werden. Natürlich ist mir bewusst auch von jüngeren Menschen lernen zu können. Das nehme ich im Regelfall auch gerne an. Aber in diesem Fall wird einfach Mist gequatscht. Vor allem wird dadurch das Solarpanel auch nicht wieder ganz.

„Okay, dann laden wir Bor heute wieder mit eurer Technik. Die großen Seesäcke auf Sharga und Tenger bleiben aber unverändert“, bestimme ich mit einer ruhigen, freundlichen Stimme. Verblüfft werde ich nun Zeuge wie unsere beiden Mongolen das fingerdicke Seil um die Taschen, den Satttel und den gesamten Leib Bors wickeln. Sollte er nun durchgehen wird er sich in diesem Seil die Beine brechen, sich selbst strangulieren und zusätzlich die mit seinem Körper festgesurrte Ausrüstung zu Atomstaub verarbeiten. Kopfschüttelnd stehe ich da. „Die Mongolen soll einer verstehen“, sage ich weil Bilgees Technik im Vergleich dazu absolut harmlos ist. „Hauptsache sie können sich durchsetzen“, meint Tanja mit den Schultern zuckend.

Als wir nun erneut im Sattel sitzen entdeckt Tanja Rantan der sich hinter einem Baum versteckt hat und uns anscheinend die gesamte Zeit beobachtete. „Rantan! Rantan! Na komm her. Ist das schön dich wieder zu sehen!“, ruft Tanja und wirft ihm einen Boortsog zu. Rantan wedelt mit seinem Schwanz und schließt sich unserer Reisegruppe an als wäre nie etwas vorgefallen. Wir sind alle erleichtert ihn wieder bei uns zu wissen. Die Stimmung hat sich dadurch schlagartig zum Positiven verändert.

Der Weg ist beschwerlich. Das rauschende Wasser des im Winter zugefrorenen Flusses windet sich wie eine gefräßige Schlange durch das schmäler werdende Tal. Immer wieder müssen wir ihre Fluten durchqueren. An manchen Stellen erscheint die Furt unpassierbar. „Ob die Pferde da durchkommen?“, frage ich zweifelnd da ich schon erlebt habe wie solch eine starke Strömung gesamte Pferde mit ihrer Ladung weggerissen und fortgespült hat. Unsere Begleiter lachen. „Asuudal bisch“, (kein Problem) meinen Bumbayr und Khurgaa voran reitend. „Das kann Tuya doch nicht schaffen?“, fragt Tanja besorgt. „Er trägt kein Gepäck und ist mindestens doppelt so groß wie die Hunde. Wenn die es fertigbringen da durch zu schwimmen ist es für Tuya kein Problem“, beruhige ich sie und hoffe mich nicht zu täuschen.

Vorsichtig folge ich unseren Pferdejungs, Sharga und Bor vor mich hertreibend. Tatsächlich überwinden wir an diesem Tag mindestens 10 Mal die Fluten ohne dabei einen Seesack oder ein Pferd zu verlieren. Mogi und Rantan hingegen werden von dem reißenden Gebirgswasser nicht selten hundert Meter Fluss abwärts gespült. Aber auch sie meistern die Herausforderungen mit Bravour.

Da die Flussquerungen unsere gesamte Aufmerksamkeit fordert lässt es die Situation nur in seltenen Fällen zu sie fotografisch festzuhalten. Im ersten Moment glaube ich mir nur einzubilden das Khurgaa und Bumbayr dabei ihre Gesichter von der Kamera abwenden. Doch dann wird mir klar, dahinter stecken volles Bewusstsein und Absicht. „Keine Fotos!“, verblüffen uns die Beiden rufend als ich ein Porträt von ihnen schießen möchte. Im ersten Moment bin ich zu verblüfft um darauf zu reagieren und lache. „Keine Fotos!“, wiederholt Khurgaa, senkt seinen Kopf und zieht seinen Hut vors Gesicht. „Was? Wie keine Fotos?“, frage ich ungläubig. „Keine Fotos“, wiederholt er als hätte sein Gehirn einen Riss in der Festplatte. „Du machst doch Scherze?“ „Nein, kein Scherz. Keine Fotos!“, wiederholt er hartnäckig. „Ja sag mal. Du hast sie doch nicht mehr alle? Wir sind hier auf einer Reise die wir dokumentieren. Das ist unser Job. Dazu gehören Fotos!“ „Hier und heute nicht!“, antwortet er sich wiederholend. Noch immer glaubend einem schlechten Scherz gehört zu haben ignoriere ich seine Aussage und fotografiere weiter während Khurgaa und sein Neffe doch tatsächlich ihre Gesichter von der Kamera abwenden.

Nun, wir hatten schon viele Herausforderungen auf dieser Expeditionsreise aber diese ist völlig neu und kommt so unerwartet wie ein Eisregen im Sommer. Weil die vor uns liegende Strecke aber viel von Reiter und Pferd abverlangt verschiebe ich das Problem auf später. Khurgaa und Bumbayr wollen an einem vermeintlich geografisch wichtigen Landschaftspunkt das Camp aufschlagen. Ein Blick auf meinem Navigationscomputer verrät mir aber erst 12 Kilometer zurückgelegt zu haben. „Wir müssen weiter“, entscheide ich. Kurz danach geht es auf eine knapp 2.000 Meter hoch gelegenen Pass. Der Untergrund ist gefährlich morastig. Unter äußerster Konzentration treiben wir unsere Pferde auf den Gipfel, an dem wir von einem Ovol empfangen werden. Nur kurz rasten wir und genießen von hier oben den Blick auf den jetzt vor uns liegenden Khuvsgul Nuur. Genau an diesem Ort ließen wir vor acht Monaten den wunderschönen See hinter uns. Die Wälder der steilen Berghänge waren zu dieser Zeit nahezu vollständig abgebrannt. Verwundert sehen wir zu was die Natur in der Lage ist. Überall sprießt frische Grün. Auch die einst kahlen, schwarzen und trostlos aussehenden Stämme der Lärchen treiben ihre hellgrünen Nadeln aus. „Fantastisch“, sage ich und treibe Sar weiter.

Khurgaa und Bumbayr kümmern sich nach wie vor kaum um das Treiben der Pferde, weshalb ich auch diesen Job übernehme. Natürlich bereitet mir diese Aufgabe Freude. Jedoch ist mit unseren beiden eigenwilligen Jungs vereinbart, dass dies ihre Aufgabe ist damit ich mich dem Filmen und Fotografieren vollends widmen kann. Aber wir befinden uns im Land in dem das Wort nicht all zu viel zählt. Also versuche ich mich nicht darüber zu ärgern und treibe unsere Pferde. Die Frage stellt sich aber mit jedem weiterem Meter geradezu vehement warum wir sie überhaupt dabei haben? Warum wir sie überhaupt bezahlen und vor allem für was? Vielleicht um ihnen Sommerferien zu finanzieren? Mir kommt es bald so vor als kämen wir mit ihnen erneut vom Regen in die Traufe. Unter dem Strich sind sie zwar angenehmer als der absonderliche Odonbaatar, den wir wegen seinen Lügen und seiner Unzuverlässigkeit entlassen mussten, aber mittlerweile häufen sich die unangenehmen Handlungen der Beiden in einer geradezu grotesken Form, dass es nicht mehr viel benötigt, um das Fass zum überlaufen zu bringen.

Naraa versinkt in einem Moorloch

Wir reiten gerade langsam und bedacht durch das feuchte, morastige, sich dem See neigende Hochtal als es plötzlich geschieht. Tanja verschwindet abrupt aus meinem Gesichtsfeld weil Naraa unter ihr einfach zusammenbricht und wie ein gefällter Baum auf die Seite fällt. „Oh Gott!“, entfährt es mir sehe aber wie Tanja schon wieder auf den Beinen steht. „Hast du dich verletzt?“, frage ich augenblicklich vom Pferd springend. „Nein aber Naraa versinkt im Morast!“, schreit sie ungehalten. Mit vereinten Kräften versuchen wir das arme Tier aus dem moorähnlichen Boden zu befreien, jedoch ohne den geringsten Erfolg. „Die Kamera!“, ruf ich entsetzt als ich im Augenwinkel bemerke wie diese, die Satteltaschen und die bananenförmige Tasche, in der sich wichtige Ausrüstungsgegenstände wie Taschenlampe, Regensache usw. befinden, von Naraas Rücken in den Sumpf rutschen. „Wir müssen die Satteltaschen abklicken!“, brüllt Tanja. Kaum haben wir Naraa von ihrer Gepäcklast befreit verschwindet sie in dem Moor bis zur Schulter. „Sie muss da raus!“, ruft Tanja Angst um ihr geliebtes Pferd habend. „Ich weiß!“, antworte ich und ziehe am Schwanz der Stute während Khurgaa beide Hände gegen ihren Körper presst, um sie in eine sitzende Position zu bringen. Indes läuft der kleine Tuya um seine Mutter herum und gibt ungewohnte Laute von sich. Vielleicht spürt auch er den Ernst der Lage. Naraas Beine sind grotesk verdreht. „Ich frage mich insgeheim wie wir sie da jemals wieder mit heiler Haut herausbringen sollen? Es dauert vielleicht 10 Minuten bis wir es mit vereinten Kräften vollbringen Naraa in eine sitzende Position zu hieven. Dann richten wir ihre Vorderbeine aus, um ihr die Chance zu gebe aus eigener Kraft aufzustehen. Dennoch bleibt bisher jeder Versuch erfolglos. Während Tanja an den Zügeln zieht, ich am Schwanz und Khurgaa mit großem Kraftaufwand gegen ihren Körper drückt, brüllen wir dem unterdessen bedrohlich versunkenem Pferd Kommandos zu. „Auf geht’s Naraa! Komm hoch! Du schaffst es!!!“ Die Matsch verschmutzte und am gesamten Körper zitternde Stute hilft nun mit sich aus der tödlichen Falle zu stemmen. „Auf geht’s! Du schaffst es! Hauruck! Hauruck! Hauruck!“, brüllen wir. Das Tier bäumt sich erneut auf, gibt alles was in ihm steckt und bringt es fertig ihre Vorderbeine aufzustellen. „Und jetzt hoch mit deinem Hintern!“, brülle ich weiterhin an ihrem Schwanz zerrend während Khurgaa sie mit seinen Händen nach vorne schiebt und Tanja an den Zügeln zieht. Und plötzlich, in einem gemeinsamen Aufbäumen, bringen wir Naraa mit einem schmatzendem Geräusch auf die Beine. Erleichtert ausatmend zerren wir sie aus dem tückischen Moorloch. Tanja führt sie sofort ein paar Meter weiter auf sicheren Untergrund. Dann laden wir die verdreckte Satteltaschen auf ihren Rücken. „Ich werde die restliche Strecke laufen“, sagt Tanja fest entschlossen ihrem müden Pferd heute nicht noch mehr zuzumuten.

Nur ein paar hundert Meter weiter erreichen wir eine Lichtung mit saftigen Gras. „Hier bleiben wir für die Nacht“, entscheide ich. Kaum stehen unsere Zelte fragt mich Khurgaa ob ich die Batterie seines Handys laden kann. „Zu wenig Strom. Morgen vielleicht“, antworte ich freundlich. „Okay, aber morgen kannst du die Batterie laden?“ „Vielleicht. Ich muss erst versuchen das Solarpanal zu reparieren. Danach benötige ich Energie für die Laptops und die Kamerabatterien. Wenn die voll sind kommt dein Handy dran.“ „Ich möchte morgen meine Eltern anrufen. Morgen musst du meine Handy laden“, bittet er fordernd. „Werden wir morgen Handyempfang haben?“, frage ich ungläubig weil wir uns noch immer 80 Kilometer von Khatgal entfernt befinden. „Es gibt einen Punkt am See an dem man Empfang hat“, verspricht er.

„Ich glaube ihm nicht. Er möchte bestimmt nur Musik hören“, sage ich kurz darauf zu Tanja. „Du meinst er nutzt die geladene Batterie für seinen Mp3-Player?“ „Ganz bestimmt. Die Jungs sind doch verrückt nach Musik. Da die Handybatterie auch in den Musikplayer passt gehe ich davon aus, dass es darum geht und nicht ums Telefonieren. Anrufen könnte er auch mit unserem Mobiltelefon. Aber wir werden sehen“, meine ich.

Noch bevor wir uns in die Zelte verziehen, um nach dem anstrengenden Tag zu ruhen, spreche ich mit unseren Begleitern über das Fotografierproblem. Ich erkläre wie wichtig es für uns ist Bilder zu schießen. Beide hören mir zu und versprechen sich ab morgen ablichten zu lassen. Wir sind gespannt was die kommenden Tage bringen.

Wir freuen uns über Kommentare!

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