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Mongolei/Altes Winter Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Erst nach dem Verlust wissen wir was uns an ihm liegt

N 51°05'061'' E 100°00'001''
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    Tag: 335

    Sonnenaufgang:
    05:05

    Sonnenuntergang:
    21:39

    Luftlinie:
    16,94

    Tageskilometer:
    20

    Gesamtkilometer:
    1498

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    12 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    8 °C

    Temperatur – Nacht:
    2 °C

    Breitengrad:
    51°05’061“

    Längengrad:
    100°00’001“

    Maximale Höhe:
    1775 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    13:30

    Ankunftszeit:
    18:00

5:30 Uhr. Seit gestern Nachmittag regnet es wieder ohne Unterlass. Ein kleiner Bach quetscht sich unter unseren Isomatten durch, kommt im Vorzelt wieder raus und bildet einen See. Die Ausrüstung steht mehrere Zentimeter tief im Wasser. Das Gras ist matschig und sumpfig. Ich schlüpfe in meine feuchten Schuhe und sehe nach den Pferden. Naraa, Bor und Sar haben sich derart mit ihren Seilen um Büsche verwickelt, dass es für sie unmöglich ist das frische, saftige Gras zu fressen. Mich bewusst nicht darüber ärgernd wie gehabt den Job unserer Begleiter durchzuführen, befreie ich sie und begebe mich wieder ins Zelt.

Um 9:00 schlüpfen wir aus unseren Schlafsäcken und wecken unsere Pferdemänner die sich noch immer im Dornröschenschlaf befinden. Mit verknitterten Gesichtern kommen sie aus ihren Stoffbehausung. Der Dauerregen benetzt unser Lager weiterhin mit seiner unangenehmen Feuchte. Ich blicke zum Himmel. Schwere Wolkengebilde werden von einem starken Gebirgswind über die Berge gejagt. Khurgaa macht sich daran mit nassen Holz ein Feuer zu entfachen. Es dauert eine Weile, dann züngeln die ersten zarten Flämmchen empor. Kaum strahlt das Feuer etwas Wärme ab trocknen Bumbayr und er ihre nasse Kleidung. Mittlerweile hat es zu regnen aufgehört und ihre Arbeit spricht vom Erfolg gekrönt zu sein. „Du darfst deine Schuhe nicht anziehen ansonsten hast du später beim Reiten nasse Füße“, warnt mich der kleine Bumbayr, der bei diesen unangenehmen kühlen Temperaturen barfüßig durch das von Gebirgswasser getränkte Gras läuft. Da unsere Schuhe im Vergleich zu den uralten Stiefeln von Bumbayr und Khurgaa wasserabweisend sind, behalten wir diese an. Kopfschüttelnd registrieren die Beiden unsere Ignoranz und laufen weiter schlotternd vor Kälte durch das Camp. „Hoffe diese Grünschnäbel halten durch und holen sich nicht schon nach wenigen Tagen eine satte Erkältung“, raune ich Tanja zu die neben mir steht.

Während ich unser Zelt abbaue setzt Khurgaa einen Topf voll Wasser auf drei Eisenstäbe. Diese besitzen an ihrem einem Ende eine gebogene Öse durch welche man ein Seil ziehen kann, um die Pferde daran zu befestigen. Weil der Boden zu nass ist und laut Khurgaas Aussage die Pferde die Erdhaken aus dem Boden ziehen würden, hat er sie an Sträuchern festgebunden. Das ist der Grund warum die Eisenpflöcke noch immer in der Feuerstelle stecken. „Muu“, (schlecht) sagt Khurgaa mit ernstem Gesicht in Richtung der Erdhaken deutend, auf denen wir nun seit 1.500 Reitkilometern unsere Töpfe gestellt haben. „Das ist nicht muu sondern sain (gut)“, rechtfertigt Tanja das bewährte System. „Aber der Topf wackelt und kann ins Feuer fallen.“ „Wenn du die Haken gleichmäßig in die Erde schlägst wackelt gar nichts.“ „Muu“, antwortet Khurgaa trotzig. „Na dann suche dir Steine und stelle deinen Topf darauf“, schlägt Tanja vor. Da es in diesem schmalen Wiesental weit und breit keinen einzigen Stein gibt lässt Khurgaa seinen Topf auf den Haken. „Bin gespannt wie lange wir mit den Jungs auskommen“, sage ich das mittlerweile zusammengelegte Zelt in den dafür vorgesehenen Sack steckend.

„So ein Mist! Euer Rantan hat unsere Fleischvorräte, das Brot und Boortsog gestohlen“, beklagt sich Khurgaa. „Was? Wie das denn?“, frage ich erschrocken. „Der Rucksack mit unserer Nahrung lag im Vorzelt“, erklärt Khurgaa. „Ihr habt den Rucksack die gesamte Nacht im offenen Vorzelt gelassen?“ „Tijmee.“ „Obwohl es unverzeihlich ist Nahrung in der Wildnis nicht besser zu schützen sage ich; „Das tut mir sehr leid. Sind denn alle Fleischvorräte weg?“ „Ügüj. Etwa die Hälfte ist in der Satteltasche verstaut. Die war verschlossen und ist unversehrt.“ „Na Gott sei Dank“, antworte ich. „Ach Khurgaa?“, fahre ich fort als der junge Mann sich wieder um seine Suppe kümmern möchte. „Tijmee?“ „Rantan ist nicht unser Hund. Er hat sich uns nur angeschlossen und folgt uns seit Tsagaan Nuur.“ Khurgaa zuckt mit den Schultern und setzt sich neben das qualmende Feuer. Dann schneidet er eine Handvoll ranziger Fettstücke, getrocknetes , unappetilich aussehendes Rindfleisch, unsere Kartoffeln, Mohrrüben, einige Kräuter und einen Brühwürfel in den Topf und lässt das Gebräu einige Zeit kochen. Als das Mahl fertig ist lädt er uns ein mitzuessen. Wir nehmen dankend an. Obwohl mir die nach altem Fett schmeckende und triefende Suppe nicht gerade mundet, lobe ich seine Kochkünste. „Ja ich weiß. Ich bin ein guter Koch“, sagt er selbstbewusst.

Ich verspüre ein unangenehmes Völlegefühl als wir nach dem Essen die Pferde mit dem von mir verschnürtem Gepäck beladen. Da uns Khurgaas Ladetechnik gestern schon nach fünf Kilometer zu einem Stopp gezwungen hat widerspricht er nicht. Ich bin erleichtert es scheinbar mit einem einsichtigen Menschen zu tun zu haben.

Um 13:30 Uhr verlassen wir das feuchte Camp. Der Pfad ist matschig und windet sich den Berg hoch. Häufig legt sich ein Bachlauf in unseren Weg den wir ungehindert queren. Die Pferdebeine staksen unsicher durch tiefen Morast, über massives Wurzelgeflecht und teils grobes Gestein. „Ein Fußgänger hätte es hier schwer“, sage ich. „Es würde ihm glatt die Stiefel von den Füßen ziehen“, gibt mir Tanja Recht.

Der Ruf eines Elches dröhnt wie ein Donner durch den tropfenden Wald. Khurgaa und Bumbayr sehen auf. „Ist euer Hund ein guter Jäger?“, fragt Khurgaa freundlich. „Der Beste. Deswegen muss er einen Maulkorb tragen da er ansonsten jedes Schaf und jede Ziege killt denen er über den Weg läuft“, erkläre ich. „Ha, ha, ha. Das ist gut. Dann befreie ihn doch von dem blöden Maulkorb und lass ihn durch die Wälder streifen. Vielleicht fängt er uns ein Wildschwein?“, meint er. „Zu gefährlich. Sollte er auf Schafe treffen haben wir ein großes Problem.“ „Von hier bis Khatgal gibt es keine Schafe und Ziegen“, ist er sich sicher. „Letztes Jahr gab es welche“, entgegne ich. „Dieses Jahr nicht“, antwortet er als würde er diese Gegend und seine nomadischen Bewohner wie den Inhalt seiner Hosentasche kennen. Obwohl wir uns in einem von Menschen verlassenen Gebirge befinden trauen wir dem Frieden nicht und lassen Mogis Beißhemme da wo sie ist.

Nach einer Stunde erreichen wir ein weites Tal. „Durch dieses Tal sind wir letztes Jahr mit Bilgee geritten“, stelle ich verdutzt fest. „Ja ich kann mich an die Landschaft erinnern“, bestätigt Tanja. „Also führt uns Khurgaa den selben Weg zurück den wir gekommen sind. Ich dachte er nimmt eine Abkürzung?“, frage ich. „Wer weiß, vielleicht gibt es keine Abkürzung?“, überlegt Tanja. „Na um den alten Weg zu gehen hätten wir seine Ortskenntnisse nicht benötigt.“ „Es ist aber besser die Nachtwachen durch vier zu teilen“, erinnert mich Tanja an den eigentlichen Grund warum wir mit Begleitung reisen.

„Wir sollten traben. Dann kommen wir schneller voran“, meint Khurgaa. „Das Gepäck von Bor wird bei einem Trab nicht halten“, erwidere ich. „Wenn wir es nach meiner Technik verschnüren hält es“, sagt er grinsend. „Also gut, dann lass es uns erneut versuchen“, gebe ich mich geschlagen. Obwohl zwei der vier Taschen nach kurzer Zeit bedenklich zur Seite rutschen kommen wir tatsächlich gut voran und legen innerhalb von nur 3 ½ Stunden 20 Kilometer zurück.

Per Zufall erreichen wir wieder genau den gleichen Campplatz an dem wir mit Bilgee vor acht Monaten von heftigem Schneefall gezwungen wurden einen Tag auszuharren. „Im Sommer sieht es hier ganz anders aus“, stellt Tanja fest. „Ja, richtig friedlich. Kannst du dich noch an die vielen Überquerungen des halb zugefrorenen Flusses erinnern?“ „Aber klar. Es war ein harter aber unvergesslicher Trip.“

Ein leichter Wind bläst die Wolkentürme immer weiter auseinander. Die Sonne brennt nun mit ihren Strahlen durch die größer werdenden Lücken. Plötzlich ist es warm, ja fast heiß. Unsere Jungs helfen beim Pferdeabladen und Absatteln. Schnell sind die Pflöcke in den Boden geschlagen und die Pferde daran gebunden. Wir arbeiten Hand in Hand. Es sieht nun doch so aus als wären Khurgaa und Bumbayr eine Bereicherung. Gut gelaunt sitzen wir am Feuer. Khurgaa bereitet wieder seinen schrecklich schmeckenden, nach alten Fußschweiß riechenden Eintopf. „Magst du etwas davon?“, fragt er freundlich. „Danke ich esse heute unser eigene Nahrung“, lehne ich ab weil es in meinem Magen bedenklich rumort.

Der Futterdieb Rantan setzt sich neben die Feuerstelle und wartet sehnsüchtig drauf etwas von dem Essen abzubekommen. „Ihr solltet ihn Banker nennen“, meint Bumbayr. „Banker? Warum Banker?“, frage ich. „Weil das ein mongolischer Namen ist.“ „Nein, er heißt Rantan. So nennen wir ihn schon seit einer Woche“, antworte ich. „Na Banker komm her!“, ruft ihn Bumbayr daraufhin. Aber Rantan reagiert nicht. „Komm schon Rantan!“, rufe ich ihn, worauf er sich schwanzwedelnd neben mich setzt. „Siehst du, er hört bereits auf seinen Namen“, sage ich lachend. Kaum sitzt Rantan neben mir wird Mogi eifersüchtig und stürzt sich wie eine wild gewordene Furie auf ihn. Weil wir Mogi im Camp von seinem Maulkorb befreit haben nutzt er die Gelegenheit sich mit Rantan grauslich zu raufen. Die beiden Rüden beißen sich gnadenlos bis Rantan das Weite sucht und sich neben unser Zelt flüchtet. Tanja, die noch immer auf den Futterdieb sauer ist und Bedenken hat er könnte uns auf dem weiteren Weg Schwierigkeiten bereiten, verscheucht ihn vom Zelt. Mogi sieht sich dadurch bestätigt und nimmt den Kampf sofort wieder auf. Rantan flieht und liegt nun in einem Abstand von 50 Meter vor dem Lager. Traurig blickt er zu uns herüber. „Ich finde es nicht gut Rantan zu vertreiben. Er hat sich uns als seine Familie ausgesucht. Das wird schon seinen Grund haben. Es ist doch egal ob er Probleme macht oder nicht. Rantan ist unser Reisegefährte. Wir sollten zu ihm stehen. Außerdem sind für jeden Pferdedieb zwei Hunde abschreckender als einer“, sage ich. Tanja sieht mich eine Weile an. Dann antwortet sie; „Ich glaube du hast Recht. Es tut mir leid ihn verscheucht zu haben. Wir sollten ihn adoptieren und ein Halsband geben. Dann gehört er richtig zu uns. Bumbayr scheint ihn bereits ins Herz geschlossen zu haben. Vielleicht nimmt er ihn mit wenn er und Khurgaa wieder nach Hause reiten“, überlegt sie. Dann holt sie einen Keks aus der Tüte, läuft zu Rantan, um sich bei ihm persönlich zu entschuldigen. Rantan nimmt das Friedensangebot an traut sich aber nicht mehr ins Camp. Als die Sonne hinter den Bergen versinkt ist Rantan nicht mehr zu sehen. „Ob er uns verlassen hat?“, fragt Tanja traurig. „Ich weiß nicht aber es sieht so aus. Denke Mogis Attacke und unsere Missgunst nach dem Futterdiebstahl waren zuviel für ihn. Vielleicht sucht er sich jetzt neue Menschen die netter zu ihm sind“, überlege ich von einer mich überkommenden Emotion betrübt. Auch Khurgaa und Bumbayr empfinden den Verlust von Rantan plötzlich als schmerzhaft. „Es war ein guter Hund“, sagt Khurgaa leise. „Was hast du da eben gesagt?“, frage ich, weil ich glaube mich verhört zu haben. „Es war ein guter Hund“, wiederholt er. „Manchmal wissen wir Menschen den Wert eines Gegenstandes, einer Kreatur oder eines Partners erst dann zu schätzen wenn wir ihn verloren haben“, schließe ich nachdenklich.

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