Kasachisches Model Casting
N 53°18'18.8'' E 069°23'36.4''Tag: 72
Sonnenaufgang:
05:35 Uhr
Sonnenuntergang:
21:21 Uhr
Gesamtkilometer:
8937.12 Km
Temperatur – Tag (Maximum):
28 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
18 °C
Breitengrad:
53°18’18.8“
Längengrad:
069°23’36.4“
“Wollt ihr der Zeitung von Koktschetaw ein Interview geben?”, fragt der Vermieter unseres Appartements. Weil wir unseren letzten Tag in der Stadt eigentlich ruhige angehen lassen möchten und ihn nicht damit verschwenden wollen zu einer Zeitung zu fahren, lehnen wir dankend ab. “Es wird nicht lange dauern. Die Journalistin besucht euch in eurer Wohnung und bringt einen Übersetzer mit”, sagt er mit erwartungsvollem Blick. “Also gut”, lenken wir ein. Bereits eine Stunde später betritt die Journalistin Alia, eine Übersetzerin und ein Fotograf unsere Bleibe. Alia ist eine sehr angenehme, zuvorkommende Frau die fleißig mitschreibt was wir ihr über unser Lebensprojekt erzählen. Als sie erfährt, dass Tanja seit ihrem sechzehnten Lebensjahr auch als Model arbeitet, ist sie aus dem Häuschen und begeistert. “Meine Zeitung veranstaltet heute Nachmittag ein Model Casting. Es geht um das Topmodel der Stadt Koktschetaw. Du würdest uns eine große Freude bereiten wenn wir dich als Jurymitglied gewinnen könnten. Du musst nicht lange bleiben. Wir fahren dich sofort wieder Heim. Wann immer du möchtest. Sag nicht nein”, bittet Alia. “Okay, ich komme”, antwortet Tanja.
Am späten Nachmittag werden wir von Alia, der Übersetzerin und einem Fahrer abgeholt und zu der Veranstaltung gebracht. Viele junge Mädchen, die sich mächtig ins Zeug gelegt haben gut auszusehen, stehen vor einem größeren Gebäude. Als wir kommen bilden die Anwärterinnen neugierig und interessiert schauend eine Gasse. Wegen unserer mit Sponsoraufnäher bestickten Outfits fallen wir sofort auf. Es wird geflüstert und unter vorgehaltener Hand getuschelt. Jeder der Anwesenden scheint sich zu fragen was wir hier zu suchen haben. Im ersten Stock erreichen wir einen Saal an dessen Ende sich auf einem Podest die Jurymitglieder befinden. Sie sprechen gerade mit einem Mädchen, welches nur in Bikini bekleidet vor ihnen steht. “Ah, da sind sie ja!”, ruft der Chefredakteur der Zeitung auf uns deutend. “Kommen sie, kommen sie”, lädt er uns ein neben ihm und drei sehr gut aussehende jungen Frauen Platz zu nehmen. “Das sind die Gewinnerinnen des letzten Jahres. Heute helfen sie mir die Schönsten der Stadt zu finden”, stellt er lachend die drei Frauen vor.
Als weitere Anwärterinnen hereinkommen wird Tanja nach ihrer Meinung gefragt. Für uns ist es ein eigenartiges Gefühl die jungen Menschen zu beobachten die mit großen Hoffnungen vor uns stehen und hier die Chance sehen ihren Alltag entfliehen zu können. “Was bekommt den der Gewinner?”, frage ich flüsternd den Chefredakteur. “Eine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler”, antwortet er lächelnd. “Und das ist es?” “Ja. Ist bei uns viel wert”, erklärt er. Dann tritt ein junger Mann vor die Plattform. “Und warum bist du hier?”, fragt ihn der Veranstalter. “Ich möchte Model werden”, meint der etwas unscheinbar aussehende Junge. “Was ist deine Begabung?” “Singen.” “Na dann sing uns mal etwas vor.” “Nein ich mag nicht.” “Hm, dann lauf mal wie ein Model und präsentier dich”, fordert ihn der Mann neben mir auf worauf der junge Mann unsicher und linkisch hin und hergeht. “Wo kommst du her?” “Aus dem Kaukasus”, beantwortet er die Frage des Redakteurs. “Wissen deine Eltern dass du hier bist?” “Ja.” “Hast du deinen Wunsch ein Model zu werden mit allen Familienmitgliedern abgesprochen?” “Ja”, hören wir seine zögerliche Antwort, die darauf schließen lässt nicht aufrichtig zu sein. Da viele Familien aus der Kaukasusregion nicht selten strenge Moslems sind und dieser Beruf dort nicht gerade sehr angesehen ist, klärt der Redakteur den Anwärter über die Nachteile auf die der Job eines Models eventuell mit sich bringt. Dann darf er gehen.
Ein weiterer junger Mann stellt sich vor. Er zieht willig sein Hemd aus und zeigt uns seinen dünnen untrainierten Körper. Seine Begabung ist ebenfalls singen worauf er ganz schüchtern ein Liedchen trällert. “Was hältst du von ihm?”, wird Tanja gefragt und ich bin froh darauf nicht antworten zu müssen.
Jetzt verneigt sich ein schüchternes Mädchen vor uns. Sie spricht sehr leise weshalb die Jury Schwierigkeiten hat sie verstehen. Ihr Hobby ist Schattenboxen. Sie legt sich mächtig ins Zeug, um ihre Begutachter zu überzeugen. Wieder bin ich heil froh kein Urteil fällen zu müssen. Eine andere Bewerberin zeigt uns wie sie eine Brücke schlagen kann, ein hübscher junger Mann legt eine kurze kasachische Tanzeinlage aufs Parkett. Als ein Mädchen uns vorführt, wie ein Modell auf dem Laufsteg die edlen Teile eines Designers präsentieren soll, und dabei eher den Eindruck verbreitet als gehe es hier darum den Menschen zu finden der sich am besten in Zeitlupe bewegt, wird Tanja aufgefordert es ihr vorzumachen. Tanja erhebt sich aus ihren Stuhl, zieht ihre Radschuhe aus, nimmt das Mädchen bei der Hand und läuft mit Schwung, Elan und Eleganz über die Plattform. “Ja, genau so wollen wir es sehen! Fantastisch!”, ruft der Chefredakteur sich freuend und seine Jurymitglieder klatschen. Das Casting geht noch bis zum Abend. Da wir für unseren morgigen frühen Aufbruch noch einiges vorbereiten müssen verabschieden wir uns.
Am Abend kaufen wir noch eine Flasche Wein und eine Stange Schokolade, um sie Gauhar und Marat als Dankeschön vorbeizubringen. Als wir an der Tür klingeln ist es bereits 22:00 Uhr. “Ah das ist schön euch noch mal zu sehen. Tretet ein”, freut sich Marat. Sofort öffnet er die Flasche Wein. Wegen unseres geplanten morgigen Aufbruchs lehnen wir erst ab können aber diesem netten Mann nicht verwehren sich noch ein wenig mit uns unterhalten zu wollen. “Warum bleibt ihr nicht noch einen Tag. Wir könnten euch Borovoye zeigen. Das dürft ihr einfach nicht verpassen. Ihr habt Kasachstan nicht richtig gesehen wenn ihr daran vorbeiradelt. Ich weiß, es ist zu bergig für eure schweren Räder aber wir könnten euch doch morgen mit dem Auto hinfahren. Am Abend wären wir dann wieder hier und ihr brecht einfach einen Tag später auf. Na was haltet ihr von der Idee?”, fragt er begeistert. Sein Angebot klingt sehr gut, weswegen wir nicht abgeneigt sind. “Okay, wir fahren mit, aber nur wenn wir die Spritkosten zahlen dürfen”, sagen wir. Gauhar und Marat überlegen einen Augenblick. “Normalerweise würden wir kein Geld von euch nehmen aber unter diesen Bedingungen geht das in Ordnung”, meint er lachend.