Kannibalistische Ungeheuer lassen Sebastian zum Monster werden
Tag: 05-Ettappe Zwei
Sonnenaufgang:
06:29
Sonnenuntergang:
17:26
Luftlinie:
21
Tageskilometer:
25
Temperatur - Tag (Maximum):
28-32 Grad
Funkkontakt-Camp — 20.06.2001
Die Nacht ist klar und kalt. 5 Grad zeigt das Thermometer um vier Uhr morgens an. Bibbernd vor Kälte sitzen wir in unseren Klappstühlen und schlürfen unser Müsli. Sternschnuppen rasen über das Firmament und die Milchstraße scheint so nahe zu sein, dass ich am liebsten nach den Sternen greifen würde. Ob die Menschheit von einen dieser weit entfernten Planenten auf diese Erde kam? Sind wir aus einer Laune der Evolution entsprungen, oder die Realisierung eines Traumes? Die Aborigines kommen aus der Zeit vor der Zeit. Was das wohl bedeutet? Wer hat diesen Traum der Entstehung geträumt? Wie so oft drehen sich meine Gedanken um das Herkunftsthema der Menschheit. Ich habe jedoch kaum Energie zum Nachdenken, denn mit dem ersten Licht der Dämmerung beginnt die harte Arbeit des Beladens. Um sechs Uhr bringt Tanja Sebastian ins Camp. Er will nicht richtig gehorchen und folgt ihr nur widerwillig. „Husch down Sebastian,“ befiehlt sie ihn. Sebastian setzt sich langsam ab nur um dann wie eine Bombe nach oben zu explodieren. „Husch down! Husch down Sebastian!” ,brüllt Tanja jedoch ohne Erfolg. Alle anderen Kamele werden augenblicklich von Sebastians Nervosität angesteckt und zerren an ihren Hoppeln. Sie wollen sich aus unerklärlichen Gründen auf und davon machen. Sofort sprinte ich zu Tanja um ihr zu helfen, nehme die Führungsleine von Sebastian und befehle ihm sich zu setzen. Sebastian führt sich auf wie ein Wahnsinniger, springt mit allen Vieren gleichzeitig in die Höhe und schleudert seinen Kopf wie ein Ambos hin und her. Nur knapp verfehlt mich sein wuchtiger Schädel, doch halte ich die Führungsleine in den Händen und versuche somit das total ausgeflippte Tier unter Kontrolle zu bringen. Es ist ein schrecklicher Kampf, meine Lungen beginnen zu brennen und meine Muskeln vor Ermüdung und Anstrengung zu schmerzen. Sebastian reißt mir die Leine durch meine Hände. „Husch down! Husch down Sebastian!“ ,brülle ich und werde durch das festhalten an der Führungsleine ein Stück durch die Luft geschleudert. Endlich scheint es so als ob ich die Kontrolle über die Verrückte Situation zurückerhalte. Sebastian schnaubt, verdreht seine Augen und das Kopfschwingen wird weniger. Ich greife mit der rechten Hand seinen Nasenrücken, drücke ihn mit all meiner Kraft nach unten und zwinge ihn somit in die Knie. Tanja springt herbei und befestigt die Nasenleine an seinen Nasenpflock. Es dauert nicht lange und ich halte seinen massigen Schädel auf den Boden gepresst. Sebastian gibt nun seinen Widerstand auf und jammert wie ein kleines Kind. Mir und ihm zittern die Knochen. Ich bin kaum in der Lage zu sprechen. Schweiß rinnt mir über den gesamten Körper und mein Atem rasselt laut. Für Minuten verharre ich so und halte Sebastian in seiner machtlosen Position. Dann lasse ich ihn aufstehen, führe ihn zu seinem Platz neben dem Sattel und husche ihn nieder. Er folgt mir mit ohrenbetäubendem Protest. Ständig dreht er seinen Kopf in Richtung Strand bis wir die Ursache seiner Angst erkennen. „Sieh mal Denis. Da laufen mindestens 15 oder 20 Pelikane den Strand entlang,“ ruft Tanja und deutet mit ausgestreckten Arm in die Richtung des Meeres. Es ist in der Tat ein schöner Anblick. Nur für Sebastian, der offensichtlich das erste Mal in seinem Leben Pelikane sieht, ein Bild des Schreckens. „Wahrscheinlich denkt er die Pelikane sind Kannibalen, die gerade aus den Tiefen des Meeres kommen und am liebsten rohes Kamelfleisch verzehren wollen,“ sage ich immer noch außer Atem. Dann heben wir ihm den Sattel auf seinen Rücken und während Tanja Sebastians Kollegen zum Campplatz führt beginne ich die Tiere zu laden.
Man kann sich alles kaufen nur nicht die Liebe
Die Sattelsituation hat sich mittlerweile verschärft, denn nahezu alle vorderen Polster rutschen nach unten. Auch die hintere Sattelpolsterung drückt sich mehr und mehr platt, so dass das Ladegewicht nahezu komplett auf dem Rückrad der Tiere liegt und nicht wie gewünscht sich auf den gesamten Körper verteilt. Verzweifelt binde ich die Polster von Hardies Sattel nach oben an den hölzernen Abstandhalter zwischen linken und rechten Polster. „Das könnte funktionieren,“ sage ich nachdenklich. Dann binde ich noch mal Istans Polster fester an den Holzrahmen der sie links und rechts auf den Körper des Tieres festhalten soll. Um 9 Uhr 15 verlassen wir unser Camp und schreiten einen neuen Tag entgegen. Starker Wind bläst uns in den Rücken und treibt die Karawane vor sich her. Die Tiere sind nervös, immer noch steckt ihnen das Erlebnis mit den Pelikanen in den Knochen. Vor allem Sebastian fällt in seine alte schlechte Eigenschaft zurück und eilt mit mächtigen Schritten voran. Ich habe große Mühe ihn auf eine brauchbare Laufgeschwindigkeit zu bremsen. Schon nach einer Stunde schmerzt mir mein rechter Arm und Sebastians Nasenpflock zieht sich bald aus seiner Nase, trotzdem rast er ungebremst über die weiße Ebene. Unabhängig davon belohnt uns diese Erde mit einer atemberaubend schönen Landschaft. Ich bin begeistert und könnte unaufhörlich jubeln. Mein Herz ist voller Freude und mein Geist wird mit jeden Tag freier. Schnell verfliegen die Gedanken der vielen Vorbereitungsarbeiten im Wind, werden ins Meer hinausgeblasen und mein Gehirn bekommt mehr und mehr Platz für die Dinge auf die es im Leben wirklich ankommt. Das Leben so zu leben das es tiefe Freude bereitet, dafür sind wir hier. Nicht um sich jeden Tag kaputt zu arbeiten, falschen Zielen zu folgen wie einem noch größeren Auto, einer größeren Wohnung oder Haus, besserer Kleidung und einem Urlaub in einem fünf Sternehotel. Nein, das kann es nicht sein, denn die wahre Befriedigung ziehe ich aus den einfachen Dingen im Leben wie zum Beispiel diesem Wind, der Sonne, dem Strand, den Tieren, den Muscheln, Mustern im Sand und vor allem der Liebe zu all diesen Geschenken. Eines wird mir jedes Mal aus den Tiefen meines Herzens bewusst: Man kann sich alles kaufen aber nicht diese Geschenke der Natur und vor allem nicht die Liebe. Es ist schön nicht mehr an all die Sponsorengespräche, Interviews und meiner Verpflichtung des Schreibens denken zu müssen. Natürlich habe ich mir diese Aufgaben selber gestellt, doch manchmal beginnt es mir über den Kopf zu wachsen und ich muss sehr darauf achten nicht wieder in mein altes Fahrwasser zu fallen und ein Sklave der westlichen Konsumwelt zu werden.
Wie in der Sahara
Neben uns bauen sich plötzlich hohe, weiße Dünen auf die ich eigentlich nur aus den Filmen über die Sahara kenne. Der Wind bläst große Sandfahnen über den Strand die sich wie ein Tuch über das türkiesfarbenen Meer legen. Eine tote Schildkröte liegt am Strand und zeugt von dem Leben im großen Ozean. Wir überschreiten einen weiten Fjord aus dem die Ebbe das Wasser saugt. Die Kamele gehen durch den seichten Fluss und versuchen während des Laufens ihre Hälse in die salzige Flüssigkeit zu stecken. Sie sind durstig und würden nicht zurückschrecken Salzwasser zu trinken. Für wenige Augenblicke halte ich die Karawane an um den glatten Untergrund zu prüfen. Kamele können durch ihre weichen Sohlen leicht darauf ausrutschen und sich einen Muskel oder eine Sehen verzerren. Vorsichtig schreite ich voran. „Hier ist es viel zu gefährlich,“ ruft Tanja die als Scout vorausläuft. Ich führe unsere Jungs in einen großen Bogen an das matschige Ufer des Fjords und als ich wieder stehen bleibe setzt sich Jasper einfach ab, um sich darin zu wälzen. „Achtung Denis!“ ,warnt mich Tanja. Auch Sebastian hat sich schon abgekniet, um einen kräftigen Schluck von der Brühe zu nehmen und will sich daraufhin im Schlamm wälzen. „Epna! Epna Sebastian!“ ,rufe ich und führe ihn sofort weiter, um zu vermeiden dass sich alle mit der gesamten Ausrüstung im Dreck suhlen. Nicht auszudenken welches Chaos das zur Folge hätte. Langsam setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Im letzten Moment realisiert Jasper, der schon auf der Seite liegt, dass er aufspringen muss um nicht weitergezogen zu werden. Jeden Tag lernt er und Edgar die Gesetze einer Karawane kennen und eines davon ist niemals im angebundenen Zustand ein Bad zu nehmen. Erst um 14 Uhr 45 finden wir nach 5 ½ Laufstunden ein Campplatz hinter der großen Düne. Es gibt für unsere Tiere nicht genug zum Fressen und wenige niedrige Büsche, um sie in der Nacht anzubinden. Wir befinden uns schon den ganzen Tag auf Mandora Station. Erst letzten Dezember waren wir schon mal auf diesem Land und sind vor dem tödlichen Zyklon namens Sam ausgerissen. In unserer Verzweiflung und Todesangst suchten wir Schutz bei Mandora Homestate, sind aber rausgeworfen worden. 24 Stunden bevor Sam, nicht weit von hier, mit 280 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit auf die Küste getroffen ist fanden wir Schutz im Sandfire Roadhouse. Wir hatten also Glück, doch der Gedanke an die Vergangenheit macht uns vor den Mandoraleuten regelrecht Angst. Wir wollten eigentlich kein Camp auf ihren Grund aufschlagen sind aber durch die großen Entfernungen dazu gezwungen.
Edgar führt sich beim Entladen wieder schrecklich auf und kostet uns die restliche Energie. Nach dem Abladen fühlen wir uns wie erschlagen. Todmüde schleppen wir uns hin und her, um unser kleines Camp aufzubauen. Es ist schon dunkel als ich das Flying Doktor Radio aufstelle um mit Collin vom 80 Mile Beach Kontakt aufzunehmen. Ich stelle die vereinbarte Frequenz ein und rufe Ihn mit seinem Rufzeichen an. „Keine Antwort,“ sage ich zu Tanja die 20 Meter entfernt von mir in ihrer kleinen Küche arbeitet, um uns ein Abendessen zu bereiten. Wieder versuche ich den Kontakt. „Denis, Red Earth Expedition ruft Colli. Kannst du uns hören?” „Ja, laut und klar, krächzt es aus dem kleinen Lautsprecher. „Ah, wunderbar, sehr gut. Dachte schon du kannst mich nicht verstehen, over.“ „Doch, nur mein Funkgerät scheint einen Wackelkontakt zu haben. Ich konnte nicht gleich Antworten. Abgesehen davon war ich kurz draußen und habe unser Auto entladen. Jo und Tom von Goomalling haben dich am Funkgerät gehört und uns sofort übers Telefon angerufen, over.“ „Jo und Tom können uns hören? Das ist ja fantastisch. Schließlich sind sie mindestens 1800 Kilometer entfernt von hier. Ich wollte nur schnell durchgeben, dass bei uns alles klar ist. Wir werden morgen Nachmittag euren Campingplatz erreichen. Allerdings müssen wir mindestens eine Wochen bleiben. Alle Sättel gehören neu gestopft. Ist das für euch in Ordnung? Over.“ „Kein Problem, lass uns über die Einzelheiten unterhalten wenn ihr da seid, over.” “Bevor ich es vergesse, die Filmproduzenten Peter und Rowena wollen uns besuchen wenn wir bei euch sind. Kannst du ihnen bitte mitteilen, dass wir mindestens sieben Säcke Kraftnahrung für unsere Kamele benötigen, over“ „Kein Problem, ich rufe sie gleich an, over“ Wir unterhalten uns noch ein wenig und zufrieden über die gute Verbindung und den Gesprächsverlauf beende ich das Gespräch. Später versuche ich noch Kontakt mit Jo und Tom aufzunehmen. Die Verbindung ist sehr schlecht worauf wir vereinbaren einen weiteren Test am Caravan Park durchzuführen. Nachdem ich das Radio wieder abgebaut und zu Abend gegessen habe, kriechen wir todmüde in unsere Schlafsäcke.