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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Kann man Gedankenlosigkeit entschuldigen?

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    Tag: 74 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    05:59

    Sonnenuntergang:
    17:36

    Luftlinie:
    25,4

    Tageskilometer:
    27

    Temperatur - Tag (Maximum):
    31 Grad

Freie-Ebene-Camp — 28.08.2001

Mutter Erde ist uns wohl gesonnen und lässt uns wie auch in den letzten Tagen eine gute Strecke auf ihrer Haut zurücklegen. Leichter Wind kühlt die 31 Grad im Schatten angenehm ab, so dass wir die Muse haben während des Marsches die grüne Wüste zu genießen. Kurz vor 14 Uhr beziehen wir unser Nachtquartier unweit des Kidson Track auf einer endlosen Ebene. Wegen dem fehlenden Schatten bin ich während der Navigationsarbeit den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt und versuche mich auf die Zahlen zu konzentrieren. „Ich sehe ein paar Jeeps kommen,“ ruft Tanja die unsere Kamele an den umliegenden Büschen festbindet. Sofort springe ich auf und blicke in Richtung Osten. Tatsächlich kommt ein ganzer Konvoi in unsere Richtung gedonnert. Als die Insassen des ersten Fahrzeuges unsere Kamele auf der Eben erkannt haben verringert sich schlagartig die Geschwindigkeit. Da unsere Camp heute nur 50 Meter vom Track entfernt liegt fällt es mir leicht durch das hohe stachlige Gras zu stelzen, um sie zu begrüßen. „Hallo wie geht’s?“ ,fragt der Mann hinterm Steuer. Wie gewohnt beantworte ich die vielen Fragen und erzähle ein wenig über unsere Expedition. Auch möchte ich wissen woher er kommt. „Queensland,“ antwortet der Reiseführer lachend. Mittlerweile ist der Konvoi mit seinen 13 Fahrzeugen vollständig. „Das ist ja eine riesige Gruppe. Wolltet ihr die Canning Stock Route entlang fahren?“ „Ja aber einige Bereiche oberhalb von Kunawarritji sind immer noch total überflutet. Ein Durchkommen ist dort unmöglich. Zwei Meter liegen manche Gebiete unter Wasser,“ vernehme ich und frage mich ob wir bei dieser Situation eine Chance haben das Hochwasser, welches die Aboriginegemeinschaft Kiwirrkurra ebenfalls zwei Meter unter Wasser gesetzt hat, umgehen zu können. Während wir uns über die Wettersituation unterhalten bemerke ich, dass die Motoren aller 13 Fahrzeuge laufen. Keiner der Insassen kommt auf die Idee den Zündschlüssel umzudrehen. Ich habe dieses Verhalten hier draußen schon wiederholt festgestellt und frage mich ob es diesen Menschen bewusst ist was das für unsere Mutter Erde bedeutet. Wenn man bedenkt, dass auf diesem Planeten bereits über 6 Milliarden, also über sechstausend Millionen Menschen leben und davon viele hundert Millionen ein Fahrzeug besitzen wird mir bei dem Schadstoffausstoß ganz schwindelig. Nun daran ist im Augenblick nichts zu ändern. Wenn aber jeder dieser Fahrzeugbesitzer bei einem längeren Stop wie diesem oder ähnlichem den Motor abstellen würde, würde unsere Umwelt entschieden weniger mit den schädlichen Giftstoffen belastet werden. Natürlich ist es ein heißer Tag und die Klimaanlagen der Outdoor Experten macht das Reisen durch die Wüste recht komfortabel. Anscheinend möchte keiner von ihnen nur für eine Minute erleben was die Sonne für die Besucher in der Wüste übrig hat. Ich beginne mich innerlich zu ärgern. Hier sind Menschen die Natur erleben wollen. Die tausende von Kilometer durch die Wüsten Australiens fahren, um einen Hauch von Abenteuer zu erhaschen, vielleicht ein wenig Gespür für die Schönheit und Unberührtheit der letzten Flecken unseres lebenden Planet zu bekommen und dann lassen sie alle ohne nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden die 13 schweren Motoren laufen. Ich weiß nicht woran es liegt. Vielleicht an der langen Einsamkeit oder Isoliertheit von unserer Zivilisation aber diese Tatsache schmerzt mich als würde ich geohrfeigt werden. Nachdem jeder der freundlichen Abenteuerreisenden an uns vorüberfährt und uns viel Glück wünscht suche ich nach einer Entschuldigung für diese Gedankenlosigkeit. Doch kann man Gedankenlosigkeit entschuldigen? Können wir uns bei den kommenden Generationen entschuldigen und sagen; Es tut mir leid mein Kind dir nur einen Baum aus Plastik zeigen zu können. Es tut mir leid dir die Tiere nur im Film zeigen zu können. Es tut mir leid, dass du mit einer Sauerstoffmaske herumlaufen musst aber unsere Väter und Vorväter waren etwas gedankenlos und haben die Ressourcen der Erde sinnlos verschwendet. Können wir diese Gedankenlosigkeit wirklich entschuldigen? Klar kann man behaupten, das bisschen an mehr Abgase macht nichts aus. Doch wann ist es ein bisschen zuviel? Klar kann man sagen, das was ich an Umwelt verschmutze ist nichts im Vergleich zur Industrie. Doch wohin bringt es uns immer mit dem Finger auf den anderen zu deuten wenn wir selbst den ersten Schritt tun können, um unsere Mutter Erde zu retten und damit den kommenden Generationen ein Leben auf diesen paradiesischen Planeten zu sichern? Geknickt sehe ich den riesigen Staubfahnen hinterher die vom abendlichen Wüstenwind in die Endlosigkeit getragen werden. Gerne würde ich diesen Menschen von der lebenden, grünen und in allen Farben schimmernden Wüste erzählen. Gerne würde ich ihnen mitteilen, dass auch die Endlosigkeit dieser Wüste begrenzt ist und nur bis zu einem gewissen Grad die Gedankenlosigkeit der Menschheit verkraften kann. Gerne würde ich ihnen erzählen, dass die Wüste wie ein wildes Tier sein kann und wenn man sie in die Enge treibt sich zu Wehr zu setzen weiß. Gerne würde ich ihnen erzählen, dass wir die Notwehr der Wüste, die Notwehr der Natur kaum überleben werden. Und gerne würde ich ihnen erzählen, dass es nicht zu spät ist sich Gedanken über unsere Gedankenlosigkeit zu machen. Auch würde ich ihnen gerne erzählen, dass es sehr sinnvoll ist jetzt sofort damit zu beginnen die eigene Hand anzulegen, um unseren eigenen Planeten zu schützen. Das es sehr sinnvoll ist unseren eigenen Kindern davon zu berichten. Das es nichts Wichtigeres gibt als unser Fundament, unsere Plattform, unser eigenes Sein zu retten in dem wir die Haut der Mutter Erde so behandeln als wäre sie unsere eigene. Und wenn wir nur kurz darüber nachdenken muss uns Menschen doch klar werden, dass es keinen Unterschied zwischen der Haut der Mutter Erde gibt und unserer. Es muss uns doch klar sein, dass diese Häute verbunden sind. Das man sie nur bei einer oberflächlichen Betrachtung von einander trennen kann, denn brennen wir die Haut der Mutter Erde ab wird dieses Feuer auf uns überspringen und uns selbst schmerzen, so schmerzen bis wir daran eingehen. Leider kommt in diesem Fall der Schmerz erst mit einer Verzögerung, so dass wir alle zusammen weiterhin daran arbeiten an unserer Plattform zu meißeln bis wir in das selbst geschaufelte Grab fallen und uns fragen werden warum? Warum haben wir das getan? Warum waren wir so gedankenlos? Warum nur? Warum haben wir diese Tatsache nicht schon früher erkannt? Die sind schuld. Die vorangegangenen Generationen sind schuld. Geknickt sitze ich in meinem Stuhl und denke über diesen tödlichen Kreislauf der Schuldverursachung und Schuldzuweisung nach. Ich blicke in die untergehende, rotglühende Sonne und frage mich wie wir diesen tödlichen Kreislauf aufhalten können? Ich frage mich was noch geschehen muss, um uns Menschen aufzuwecken? Ich betrachte das lilafarbene Blumenmeer und fordere mich selbst auf nicht ein Teil dieses tödlichen Kreislaufes zu sein. Nicht mit meinem Finger auf die anderen zu deuten sondern an mir selbst zu beginnen. „Denis, das Wasser kocht. Wollen wir essen?“, holt mich Tanjas Stimme aus meiner Gedankenwelt. „Ja, ja klar. Ich habe einen Bärenhunger.“

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