Ich lebe den Moment so intensiv als wäre er der letzte in meinem Leben
Tag: 02-Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
06:26
Sonnenuntergang:
17:24
Luftlinie:
15,7
Tageskilometer:
23
Temperatur - Tag (Maximum):
28-32 Grad
Dünen-Camp — 17.06.2001
Piep! Piep! Piep! „Was ist das?” „Wir müssen aufstehen, es ist vier Uhr.“ „Oh nein, wir müssen verrückt sein.“ „Komm schon lass uns aufstehen, wir werden uns schon wieder daran gewöhnen.“ „ah, ich glaube ich gewöhne mich nie daran.“
Draußen ist alles klatschnass und als ich das Thermometer prüfe hat es Null Grad. Trotz unserer warmen Jacken friere ich. Ich lasse die Luft aus den Isomatratzen, lege sie zusammen, stopfe die Schlafsäcke in ihre Hüllen und verstaue alles in einem wasserdichten Ortliebsack. Dann baue ich das klatschnasse Zelt zusammen und setze mich zu Tanja, um mein Müsli einzunehmen. Da wir wegen der Brandgefahr kein Feuer entfachen können trinke ich kalten Kakao den ich mit Milchpulver anrühre. Schweigend sitze ich da und lausche dem Erwachen der Natur. Der Morgen beginnt zu dämmern und obwohl ich es schon aberhundert Mal gesehen habe bin ich immer wieder von neuem begeistert den erst kaum merklichen Lichtstreifen am Horizont zu beobachten. Noch lange bevor der Sonnenball sich über die feine Linie am Horizont erhebt beginnt ein neuer Tag. Ich gebe Tanja meine Müslischüssel und beginne mit dem Zusammenstellen der Ausrüstung. Nachdem sie ihre Küchenboxen aufgeräumt hat holt sie Sebastian von seinem Schlafplatz und bringt ihn zum Camp. Sie lässt ihn absetzen während ich schon damit beginne ihm das Fell zu striegeln. Bevor ich die Satteldecke über seinen Rücken werfe untersuche ich seinen Körper auf wunde Stellen, denn es ist wichtig die kleinste Verletzung im Frühstadium zu erkennen. Dann heben wir den Sattel auf seinen Rücken und die Routinearbeit des Ladens beginnt.
Edgar und Jasper bereiten uns die üblichen Schwierigkeiten, trotzdem ist die Karawane um 8 Uhr 30 abmarschbereit. Dafür das wir heute erst den zweiten Tag unterwegs sind und wir anstelle von fünf Kamelen sieben Kamele haben, ist es eine absolute Rekordzeit. Guter Dinge führe ich unsere Jungs direkt nach Westen, um den alten Verbindungstrack von Karratha nach Broome zu erreichen. Peter ist vorausgefahren. Er möchte einen Weg durch den Zaun finden. Wir machen uns auf seine Spuren durch das hohe, dichte Gras bis wir auf den Grenzzaun der Weide treffen. Wir folgen ihn für eine Weile Richtung Norden und freuen uns ein großes Doppelgatter zu entdecken. Vorsichtig führe ich die Karawane durch die etwa sechs Meter weite Zaunöffnung auf den alten Track der sich direkt hinter dem Drahtgeflecht befindet. „Ich dachte John und Keith mussten hier den Zaun für uns aufschneiden?“ ,fragt Tanja. „Dachte ich auch. Wahrscheinlich sind wir früher abgebogen als wir sollten und jetzt auf dieses wunderbare Gatter gestoßen.“ Mit schnellen Schritten marschieren wir nun den alten Track entlang. Nach dem anstrengenden Gestapfe durch das hohe Buschgras ist es eine regelrechte Wohltat wieder normal laufen zu können. Wir kommen gut voran: Wenige Kilometer weiter wartet Peter mit seinem Toyota auf uns. „Ich denke wir sollten hier den Track verlassen und querfeldein zum Strand laufen. Ist es für dich möglich uns zu folgen?“ ,frage ich ihn. „Ich werde eine Möglichkeit finden.“ Kaum haben wir uns an den komfortablen Weg gewöhnt kämpfen wir uns wieder durch das dichte Gras. Wir schreiten über die erste bewachsene Sanddünen und entdecken das Meer. Welch ein wundervoller Anblick. Erst im Dezember letzten Jahres erreichten wir nach über 2000 Kilometer Buschlauf den Indischen Ozean. Es war ein unbeschreibliches Gefühl und jetzt, nach all der Vorbereitung der zweiten Etappe breiten sich in mir ähnliche Gefühlswallungen aus. 20 Minuten später besteigen wir die letzte Sanddüne. Oben angekommen bläst uns eine heiße Briese entgegen. Für einige Minuten verharren wir an diesem Ort um die Atmosphäre, den vor uns liegenden, endlosen Strand und die Unendlichkeit des Indischen Ozeans in uns aufzuatmen. Auch die Kamele beäugen das Meer mit großen Augen und scheinen den Moment zu genießen. „Wie willst du die Kamele die steile Düne hinunterführen?“ ,fragt Tanja auf den Abbruch vor uns deutend. „Ich werde schon einen Weg finden,“ meine ich zuversichtlich.
Langsam laufe ich mit unseren Jungs den Dünenkamm entlang, um eine Stelle zu finden die nicht ganz so steil ist. Tanja folgt mir am Strand und betrachtet die Dünen von unten, um eine geeignete Passage aus ihrer Sicht zu entdecken. „Ich glaube hier geht es,“ rufe ich ihr zu. „Sei bloß vorsichtig!“ Ganz behutsam führe ich Sebastian über den steilen Grad in einem 45 Grad Winkel zur Düne. Kaum ist er auf meiner Höhe, stoppe ich ihn um Goola die Gelegenheit zu geben aufzuschließen. Kamel für Kamel, Meter für Meter führe ich unsere Mates den heißen Sand hinab. Keiner von ihnen bricht zur Seite aus und zerrt dadurch seinen Nachfolger in die Tiefe. Alles geht reibungslos und als wir den flachen, sicheren Sandstrand erreichen, kann ich mir ein lautes Jubeln nicht verkneifen. An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass Kamele zwar Wüstentiere sind aber auf steilen Sanddünen eingebunden in eine Karawane ihr Gleichgewicht verlieren können. Während unserer Taklamakandurchquerung, der Wüste des Todes in Westchina, ist unser Leitkamel Demelisch über eine ähnlich steile Düne abgestürzt. Da er mit 200 Liter Wasser beladen war hatte er Glück sich unter der gewaltigen Gewicht nicht das Genick zu brechen oder einen seiner Kamelkameraden mit hinunter zu reißen.
Frohen Mutes laufen wir unweit der rauschenden Wellen den in der Sonne gleißenden Strand entlang. Abertausende von Muscheln fügen sich zu wunderschönen Mustern zusammen. Gebannt beobachte ich den Boden und glaube über ein Meer von paradiesischen Pastellfarben zu schreiten. Die Wellen und der Wind formen die außergewöhnlichsten Muster in den Sand. Krabben rasen in wilder Flucht vor den Kamelfüßen davon. Krebse ziehen sich schnell in ihre Häuser zurück. Möwen kreischen, trippeln am Strand entlang, erheben sich in den klaren blauen Himmel und lassen sich auf dem salzigen Wasser des Ozeans nieder. Immer wieder entdecken wir die wunderschönsten Muscheln in allen nur erdenklichen Größen. Innerhalb nur kurzer Zeit könnte man hier einen großen Kartoffelsack mit den Kostbarkeiten des Meeres füllen. Manche der Muscheln sind gut und gern 30 oder 40 Zentimeter lang. Viel zu groß um sie in Sebastians Satteltasche zu stecken. „Sie mal die dort. Schnell hebe sie auf,“ sage ich zu Tanja weil ich selbst durch das Führen der Karawane kaum die Möglichkeit besitze mich ständig zu bücken. Ich genieße die Zeit hier am Strand als wäre es das größte Geschenk was die Mutter Erde mir nur geben kann. Es ist eine wundervolle, einmalige Zeit in der jede Sekunde, jeder Augenblick ein wahrer Hochgenuss ist. Ich lebe diese Momente so intensiv als wäre jeder einzelne von ihnen mein letzter auf dieser wunderbaren Erde. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Der Strand scheint unberührt und pur zu sein. Als wären wir die ersten menschlichen Wesen die ihn je betreten haben schreiten wir über ihn hinweg. Es ist ein Marsch der sich unweigerlich für immer in meinen Gehirnwindungen gespeichert sein wird. Tief atme ich die warme, salzige Luft, spüre den Wind und spüre den Höhepunkt meines Seins der nicht mehr enden möchte. Am Nachmittag entdecken wir einen gewaltigen, überdimensionalen Knochen im Sand. Fasziniert betrachten wir den größten Wirbel den ich je auf Erden gesehen habe. „Es muss der Nackenwirbel von einem Wal sein,“ sage ich nachdenklich. Er ist gut und gern 1 ½ Meter im Durchmesser und zeugt von einem Lebewesen aus der Tiefe des Ozeans.
Am Nachmittag verlassen wir den Strand und bewegen uns wieder landeinwärts. Wir suchen einen Campplatz für die Nacht. Hier am Strand gibt es keine Möglichkeiten unsere Tiere anzubinden und abgesehen davon benötigen sie etwas zu fressen. Um 14 Uhr finden wir hinter der letzten bewachsenen Düne einen geeigneten Ort. Wir lassen die Kamele absetzen, entladen sie und während ich das Camp aufbauen geht Tanja dem Hüten der Kamele nach.