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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Hotel Dracula 1

N 43°59'835'' E 022°55'994''
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    Tag: 83-85

     

    Sonnenaufgang:
    06:34 – 06:37 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    17:41 – 17:38 Uhr

     

    Gesamtkilometer:
    2570,13 Km

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    18 – 26 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    12 – 16 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    4,9 – 7 °C

     

    Breitengrad:
    43°59’835“

     

    Längengrad:
    022°55’994“

    Maximale Höhe:
    55 m über dem Meer

Bibbernd sitze ich in einem Stuhl und versuche unsere Erlebnisse der vergangenen Tage in den Computer zu tippen. Der Wind pfeift bei 12 Grad Außentemperatur durch die Ritzen des kaputten Fensters. Der Blick auf die Donau, den wir von hier oben haben, ist bei der Kälte eher deprimierend. Ich sehe zu meinem Thermometer welches neben mir auf einem wackeligen Potest seinen Dienst tut. “16 Grad ist einfach zu wenig. Ich werde hier noch krank. Meine Finger sind klamm und steif und ich habe das Gefühl als würden mir die Füße abfrieren”, jammere ich. “Was sollen wir denn tun?”, fragt Tanja und meint: “Wir sollten uns zumindest einen Tag ausruhen.” “Ja klar, nur wenn ich jetzt nicht schreibe häuft sich meine Arbeit bis ins Unendliche. Wir haben zu viel erlebt, um die Dokumentation noch länger heraus zu schieben”, beklage ich mich weiter über meine Situation. “Schau dir den Schuppen doch an. Wie soll man da in Schreibstimmung kommen? Nicht mal eine Dusche kann meinen Körper wärmen. Weil wir die einzigen Gäste in dem gesamten Hotel sind haben sie glatt das Heißwasser abgestellt”, lamentiere ich mich selbst bemitleidend.  “Kann ich verstehen. Die können doch nicht nur für uns zwei ein komplettes Hotel beheizen.” “Kann ich auch verstehen, will ich aber nicht. Dracula hätte hier wirklich seine Freude. Das ist ein Laden in dem sich nur blutleere Gespenster wohl fühlen aber doch keine lebendigen Wesen. “Huuuiiii!”, heult es in diesem Augenblick unter dem Zimmertürschlitz herein. “Sieht du. Das war der Kommentar von so einem dämlichen Hausgeist”, sage ich worauf wir über die gruselige Situation plötzlich zu Lachen beginnen. “Stell dir vor du wärst hier allein”, überlege ich laut. “Ich wäre hier nicht alleine.” “Aber wenn du es wärst?” “Den Gedanken will ich nicht vertiefen”, grübelt Tanja die lustlos im Stuhl sitzt und eine Fliesjacke über ihre Füße geworfen hat, um sich vor dem aus frieren zu schützen. Mittlerweile kauere ich kniend vor unserem Bett und habe meinen Oberkörper auf das Laken gelegt. Als würde ich mich auf einer Streckbank befinden verweile ich in dieser seltsamen Stellung für viele Minuten. “Was machst du da eigentlich? Willst du dich selber quälen?”, wundert sich Tanja. “Ich weiß nicht? Denke mir schon länger dass meine Knie darunter leiden. Aber ich weiß nicht was ich tun soll. Bin zu müde um irgendetwas zu entscheiden. Schreiben kann ich hier allerdings nicht. Bin ja kein Eisbär. Der könnte sich in so einer Bude vielleicht wohl fühlen. Also ich kann Mutter Erde nicht verstehen. Soll den der tolle Schreibplatz hier im Hotel Dracula sein? Das gibt es doch nicht?” “Sie hat nicht von toll gesprochen sondern von einem guten Ort der anders ist als du es dir vorstellst”, grübelt Tanja. “Na dieses Hotel ist mit Sicherheit genau das Gegenteil von dem was ich mir vorstelle”, antworte ich mich mit steifen Gliedern erhebend. “Weißt du was? Ich gehe jetzt zu dieser bleichen Gestalt an der Rezeption und frage ob es nicht ein anderes Zimmer gibt. Nordseite ist ne Katastrophe. Hier blinzelt den gesamten Tag kein einziger Sonnenstrahl herein. Wir brauchen dringend Sonnenlicht”, sage ich bestimmt, vereine meine restliche Energie und mache mich auf. “Huuuiiii!”, pfeift mir der unheimliche Wind entgegen als ich das Zimmer verlasse. “Solltest hinter mir absperren”, rufe ich noch über die Schulter, dann empfängt mich der lange menschenleere und unbeleuchtete Gang. “Huuuiiii! Huuuiiii!”, heult es aus allen Ecken und Nischen das mir die Haare zu Berge stehen. Es knarrt und stöhnt aus schattigen Winkeln, weshalb ich mich beeile zum Aufzug zu gelangen. Kurz entschlossen verzichte ich aber auf den alten Lift. “Wer weiß wann das Ding stehen bleibt”, flüstere ich und laufe die Treppen hinunter. Hunderte von toten Fliegen liegen auf dem Boden. Keiner vom Personal macht sich die Mühe die Insekten wegzukehren. Vogelmist klebt auf dem Geländer und der starke Wind hat eines der schmutzigen Fenster aufgedrückt. Mich schaudert am gesamten Körper und ich bin froh nicht von Draculas Gehilfen erwürgt oder ausgesaugt die Rezeption erreicht zu haben. “Hallo! Niemand da?”, rufe ich. Es raschelt hinter einer Tür. Moskau, London, New York und Tokio, lese ich auf den vier Uhren die in der Empfangshalle hängen. Sie sind Zeugen einer einst besseren Zeit des Hotels. “Hallooo! Ist denn niemand da!”, rufe ich noch mal, um auf mich aufmerksam zu machen. Wieder raschelt es im Nebenraum. In der Zwischenzeit bemerke ich den Stillstand der Uhren Moskau und Tokio. Ihre Batterien sind anscheinend schon vor langer Zeit leer gelaufen. Mein Blick folgt dem rot gemusterten Teppich und bleibt an den Plastikblumen auf dem Empfang hängen als die Tür aufgeht und die Empfangsdame in dicken Schal gewickelt herauskommt. Mit etwas traurigem Lächeln fragt sie auf Rumänisch nach meinen Wünschen. Mir fallen ihre tiefen Augenringe auf weshalb sie mir plötzlich Leid tut. Sie muss krank sein und kann sich vielleicht keinen Arzt leisten, denke ich mir. Außerdem hat sie einen furchtbaren Job. Den gesamten Tag bis spät in die Nacht hier alleine herumzuhängen ist bestimmt kein Zuckerlecken. Etwas freundlicher gestimmt frage ich sie ob es ein anderes Zimmer gibt. Sofort bekomme ich einen Schlüssel für ein Zimmer auf der Südseite. Mit Zeichensprache kann ich ihr auch verständlich machen duschen zu müssen. “Morgen acht Uhr”, glaube ich zu verstehen. Besser gelaunt mache ich mich wieder auf, um durch die dunklen Gänge und das ungeputzte Treppenhaus in den zweiten Stock zu gelangen. Während Tanja unser Zimmer umzieht richte ich mir einen Platz am Fenster ein. Die Sonne wirft ihr wärmendes Licht tatsächlich herein was die ganze Sache gleich freundlicher aussehen lässt. Vor allem ist es hinter der Scheibe richtig angenehm warm. Es dauert nicht lange und ich komme in Stimmung und  meine Gehirnwindungen laufen sich warm. Wort für Wort, Satz für Satz schreibe ich mich wieder in unsere erlebten Geschichten, weshalb ich nicht bemerke wie die Zeit verstreicht. Erst als der Abend naht, die Sonne ihre angenehm wärmendes Licht zurückzieht, wache ich aus meiner Konzentration auf. “Habe schon wieder eiskalte Füße”, sage ich zu Tanja die in ein Buch vertieft ist, welches von zwei Jungs handelt die Russland mit dem Fahrrad durchquerten. Nachdenklich blicke ich aus dem Fenster und beobachte den großen Vogelschwarm der sich wie eine dunkle Fahne über den Horizont zieht. Im letzten Tageslicht lässt er sich neben den eigenwillig aussehenden Kirchtürmen in die hohen Bäume nieder. Es herrscht ein aufgeregtes Gezwitscher weshalb man meinen könnte die Vögel raufen sich um die besten Übernachtungsplätze.

“Wir sollten bald etwas Essen gehen. Habe einen Bärenhunger”, unterbricht Tanja meine Gedanken gähnend. “Okay, schreibe nur noch die Geschichte von Rocky fertig.” “Mach nicht zu lang, sonst muss ich dich am Ende noch auffressen.” “Gar keine schlechte Idee”, antworte ich grinsend mich wieder an das Gespräch mit Rocky erinnernd. “Also, ihr müsst Schnaps trinken, um wirklich weit mit euren Rädern zu kommen”, sagt er zu fortgeschrittener Stunde. “Eine Flasche Schnaps auf 1000 Kilometer und nur ganz wenig Wasser”… “Komm jetzt hör auf für heute. Du hast genug geschrieben”, fordert Tanja. “Okay, du hast Recht”, antworte ich, klappe den Itronix zu, um mich für den Ausgang fertig zu machen.

Wenig später stolpern wir durch die absolut finsteren Gänge des Hotels. “Hätten die Taschenlampe mitnehmen sollen”, flüstert Tanja mit ihrem Fuß die Treppen ertastend, um nicht zu stolpern. “Schaffen wir jetzt auch so”, antworte ich leise und reiche ihr meine Hand. “Huuuiiii! Huuuiiii!” stöhnt und pfeift es in dem kaputten Gemäuer. Auch wenn wir schon viel auf unseren Reisen erlebt haben ist dieser Schuppen nur etwas für Hartgesottene. “Mein Gott da kann einem wirklich Angst werden. Deine dummen Geschichten von Dracula stimmen mich nicht gerade gelassen”, flüstert Tanja als wir uns an einem offenen Fenster vorbei schleichen. Ein Luftzug bläst uns in den Rücken. “Ööööchch”, ächzt es als der Fensterrahmen sich langsam schließt nur um gleich wieder aufzuschlagen. “Die spinnen Gäste hier unterzubringen. Dass darf nicht war sein. Irgendeiner in dem Hotel muss doch das Licht einschalten. Die wissen doch dass wir da sind. Soll wohl eine extra Gruseleinlage sein sich durch stockdunkle Hotelgänge tasten zu müssen? Harry Potter hätte hier seine wahre Freude”, fluche ich leise, um nicht zu sehr auf uns aufmerksam zu machen. “Harry Potter ist aber ein Märchen und dieses Hotel Realität”, höre Tanjas geraunte Antwort. “Um so schlimmer. Mich wundert es nicht, dass die Graf Draculageschichte in Rumänien spielt”, wispere ich zurück und stoße im gleichen Atemzug mit meinem Ellebogen gegen einen Pfosten. “Jetzt habe ich aber genug von der Sache. Morgen checken wir aus. Wir verlassen das ungastliche Haus”, beschließe ich als wir mit leisen Sohlen an der großen unbesetzten Rezeption vorbeihuschen. “Hallo! Äh, wir gehen Essen!”,  rufe ich in einen Gang aus dem ein schwaches Licht schimmert. Die blonde bleichgesichtige Frau mit den großen Augenringen erscheint. “Okay”, antwortet sie uns anlächelnd. Wir lassen den unbeleuchteten Vorplatz des Hotels hinter uns. “Fall nicht in das Loch Schnupsi!”, warnt mich Tanja. Mitten auf dem Gehsteig fehlt ein Kanaldeckel. Wir eilen daran vorbei. Eiskalter Wind bläst durch die Straßen. Die Temperatur dürfte bei ca. fünf, vielleicht sechs Grad liegen. Die Menschen denen wir begegnen sind in dicke Jacken gekleidet. Ein Sinti kommt auf uns zu und fragt nach der Uhrzeit. Dann möchte er eine Zigarette. Noch schneller laufend erreichen wir das Restaurant Max in dem wir auch schon gestern speisten. Da die gesamte Stadt erst ab November Heißwasser von einem Kraftwerk zum heizen bekommt ist es auch bei Max kalt. Mit einem Unterhemd, einem Funktionshemd und zwei Fliesjacken bekleidet, sitzen wir da und frieren noch immer. In einem Fernseher flimmern die Nachrichten in den Gastraum. Die Sprecherin berichtet von ungewöhnlich viel Schnee in den Karpaten. Räumfahrzeuge sind Tag und Nacht im Einsatz. Das erste Bierglas muss ich mit einer Serviette greifen, um meine kalten Hände nicht noch mehr zu quälen. Erst nach dem leckeren Fladenbrot und einer warmen Mahlzeit wird uns warm.

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