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E-Bike-Expedition Teil 2 Mongolei - Online-Tagebuch 2015

Heiliger Ort und Vernichtung der intellektuellen Elite

N 44°35’42.1’’ E 110°16’19.6’’
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    Datum:
    05.09.2015

    Tag: 69

    Land:
    Mongolei

    Ort:
    Khamariin Khiid
    Sainschand

    Breitengrad N:
    44°35’42.1’’

    Längengrad E:
    110°16’19.6’’

    Tageskilometer:
    56 km

    Gesamtkilometer:
    9.151 km

    Luftlinie:
    37 km

    Durchschn. Geschwindigkeit:
    22 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    43 km/h

    Fahrzeit:
    2:30 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Wüstenpfade und Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.000 m

    Gesamthöhenmeter:
    4.010 m

    Höhenmeter für den Tag:
    140 m

    Sonnenaufgang:
    07:05 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:10 Uhr

    Temperatur Tag max:
    25 °C

    Aufbruch:
    12:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    18:45 Uhr

    Platte Reifen gesamt:
    4

    Platte Vorderreifen:
    1

    Platte Hinterreifen:
    2

    Platte Anhängerreifen:
    1

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Am Morgen ist noch immer alles feucht. In unserer Jurte dampft es regelrecht. Zum Glück empfangen uns heute wieder warme Sonnenstrahlen die schnell alles trocknen lassen. Bevor wir unsere Räder beladen, putzen wir erstmal unsere Satteltaschen und Anhänger, die bei dem Starkregen gestern völlig verdreckt wurden. Dann geht es auf zu dem 1930 zerstörten und nun wiedererrichteten Kloster Khamariin Khiid, welches heute wieder eine bedeutende Stellung einnimmt und von vielen Mongolen und Touristen besucht wird. Obwohl wir in unserem Reiseleben schon viele Klöster besucht haben, bleiben sie für uns interessant und verlieren nie ihren besonderen Reiz und Ausstrahlung. Das Kloster Khamariin Khiid, in dem der berühmte buddhistische Mönch Danzan Ravjaa weilte, von dem viele Mongolen denken er sei ein lebender Gott gewesen, ist allerdings etwas Besonderes. Tanja und ich schlendern durch die von der Wüste umgebene, weitläufige Klosteranlage mit ihren Stupas, Buddhastatuen, vielen Gebetsmühlen und im Wind flatternden bunten Fahnen. Immer wieder denke ich dabei an den charismatischen Danzan Ravjaa, der 600 Jahre nach Dschings Khan im Jahre 1803 als armer Junge geboren wurde und im Laufe seines kurzen Lebens einer der wichtigsten Persönlichkeiten in der Mongolischen Geschichte wurde. Er war der 5. Vertreter einer lokalen Reinkarnationslinie der Gelugpa-Sekte des tibetischen Buddhismus in der Wüste Gobi. Danzan Ravjaa liebte den Alkohol und die Frauen für deren frühen Rechte er sich vehement einsetzte. Er bestand darauf, dass sie die gleiche Ausbildung wie die Männer erhalten sollten. Er kämpfte für die Gleichberechtigung, von der zu jener Zeit nicht mal in Europa die Sprache war. Auch Arme Jungen und Mädchen sollten das Recht auf Schulbildung genießen dürfen, so gründete er eine Schule in der auch die ärmsten Nomadenkinder eine Chance auf Bildung erhielten. Zur damaligen Zeit ein Affrant gegen die Adeligen und Mönche, die die Elite der Gesellschaft bildeten.

„Der Mönch, der hier mitten in der Wüste Gobi dieses Zentrum aufgebaut hat, war etwas Besonderes“, sage ich nachdenklich zu Tanja die sich gerade an den im Wind flatternden Gebetfahnen erfreut. „Warum?“, fragt sie. „Nachdem was ich gelesen habe gründete er das erste Museum und die erste öffentliche Bibliothek des Landes. Zudem war er ein früher Verfechter der Hygiene und wusch sich in einer eigenen Badejurte, in der er auch die Nomaden zur Körperpflege einlud. Noch dazu war er ein angesehener Heiler und half mit seinen umfangreichen Kenntnissen vielen Menschen. Er schrieb sogar Bücher über Medizin und auf seinen Reisen durch das Land fehlten nie seine Kräuter.“ „Unglaublich. Er muss sehr begabt gewesen sein“, antwortet Tanja als wir gerade die Stufen von der Großen Stupa nach unten steigen. „Oh ja. Seine Talente waren enorm unfangreich. Stell dir vor, er hat nicht nur das erste Theater des Landes mitten in der Wüste gebaut und eine eigene Theatergruppe finanziert, sondern auch unzählige von Gedichte und Lieder geschrieben für die er bis ins jetzige Jahrhundert berühmt ist. Einige davon kennt heute noch jedes mongolische Kind. In seinen Texten prangerte er aber auch die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft an und setzte sich unaufhörlich für die Menschen ein. Am Schluss hat ihm dass das Leben gekostet.“ „Wie? Hat man den Mönch umgebracht?“ „Irgendeiner seiner politischen Widersacher hat Gift in seinen Wodka gemischt. Daraufhin ist er 1876 im Alter von 53 Jahren verstorben.“ „Traurig zu was der Mensch in der Lage ist“, sagt Tanja leise. „Da hast du recht. Aber damit ist die Geschichte dieses Klosters, in dem zur Blütezeit etwa 80 Gebäude standen und 5.000 Mönche lebten, noch nicht vorüber. Nach seinem Tod haben seine Mönche all seine Habseligkeiten, Bücher und Schätze, und das waren eine ganze Menge, in 1.000 Kisten verstaut, und ihm mit ins Grab gegeben.“ „Warum das denn?“ „Sie hatten Angst davor, dass die damalige Regierung der Manchu seine Werke zerstören würden und waren sich sicher, dass die chinesischen Soldaten es nicht wagen würden sein Grabmal zu schänden. Das hat auch viele Jahrzehnte funktioniert, bis anfangs der 1930er Jahre die Rote Armee mit ihren Verbündeten, den mongolischen Kommunisten, nahezu alle der 700 Klöster des Landes dem Erboden gleich machten und somit historische Kulturschätze von unermesslichem Wert vernichteten. Dabei natürlich auch diesen Ort hier“, sage ich. „Und dann waren auch die 1.000 Kisten mit all den Schätzen vernichtet?“, fragt Tanja. „Nicht ganz. Es wird davon berichtet, dass ein Mönch namens Tuduv, welcher der Ururenkel des Heiligen war, noch bevor die Russen kamen, jede Nacht eine Kiste aus dem Grab geholt hat, um sie an einem geheimen Ort in der Wüste zu vergraben. Insgesamt hat er somit 64 Kisten des Schatzes gerettet. 13 davon liegen angeblich noch immer in der Wüste. Der Inhalt der anderen 51 Kisten wird indes in einem Museum in Sainschand ausgestellt.“ „Eine spannende und gleichzeitig traurige Geschichte“, meint Tanja als wir wieder bei unseren Rädern sind.

Von hier aus führt ein 3 km langer Pfad zu einem Energiezentrum Shambhala genannt, welches von 108 Stupas, eine geheime Zahl im Buddhismus, umgeben ist. Auf dem Weg dorthin halten wir an einer gewaltigen Glocke, die unter einem starken Holgerüst hängt. Während Tanja bei den Rädern bleibt laufen Ajaci und ich zu dieser bronzefarbenen Glocke und schlagen sie dreimal, um, wie es der Brauch verlangt, sich beim Energiezentrum anzumelden. Um die außergewöhnlich schöne und eigenwillige Landschaft und die in der Sonne reflektierenden weißen Stupas auf uns einwirken zu lassen, setzen wir uns in den Sand und genießen die Stille der uns umgebenden Wüste. Auf diese Weise versuchen wir von der heiligen Energie etwas zu erhaschen.

“Lass uns noch zu diesen Felsenhöhlen radeln“, sage ich und erhebe mich. „Wo sollen die sein?“, fragt Tanja. „Keine Ahnung. Boris hat mir erzählt wir sollen der Straße bis zum Energiezentrum folgen und dann geht es noch ein paar hundert Meter über einer Erdpiste. Wir können es nicht verfehlen, hat er gemeint“, antworte ich als wir wenig später vor einer Schlucht stehen. „Wow! Das ist ja ein gigantischer Anblick“, staunt Tanja. In der Endlosigkeit der Wüste Gobi reißt der sandige Grund urplötzlich sein rotbraunes, felsiges Maul auf. Wären wir hier in der Nacht unterwegs, hätte es uns mit samt den Bikes einfach verschluckt. Kein Zaun oder Hinweisschild warnt vor dieser 20 bis 30 Meter tiefen Schlucht in Mutter Erdes Schoß. Als hätten Menschen der groben Felswand ein paar Zähen gezogen, gähnen uns an ein paar Stellen schwarze Löcher an. Es sind die Eingänge der Höhlen, in denen zu Beginn des letzten Jahrhunderts Mönche lebten und meditierten. Man hat uns erzählt, dass sich hier die Mönche vom Kloster Khamariin Khiid zu speziellen spirituellen Prüfungen zurückzogen, um 108 Tage ohne Essen und Trinken zu meditieren. Für einige von ihnen endete diese Herausforderung tödlich. Gebannt wandere ich durch die Schlucht, die mit schmalen, aus Steinen gemauerten Wegen und Treppen durchzogen ist. Neugierig klettere ich in einige der kleinen Eingänge. Weihrauch und brennende Kerzen sind wie auf einem Altar aufgetürmt und verleihen dem Inneren etwas Mystisches. In einer Felsnische entdecke ich kleine, runde, bunte Gefäße, die ich bisher noch nie gesehen habe. Ihre Öffnungen sind mit einem roten, gelben oder grünen Tüchlein verschlossen. Gebannt untersuche ich weiter die einstige Meditationsstätte, die wie viele Schlupfwinkel und Höhlen in der Mongolei, auch eine sehr traurige und tragische Geschichte besitzen.

Während des stalinistischen Terrors, der 1937 seinen Anfang nahm, und dem mehr als 100 000 Mongolen, darunter 30 000 Mönche zum Opfer fielen, wurde die gesamte klerikale und intellektuelle Elite des Landes ausgelöscht. Die Verstecke der Mönche, teils auch solche Höhlen, wurden in manchen Fällen auch von der einheimischen Bevölkerung verraten. Die Folgen waren fatal. Manche sprechen davon, dass gemessen an der Einwohnerzahl der Mongolei der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, die Massaker mit jenen der Pol-Pot-Zeit in Kambodscha vergleichbar waren.

Auch wenn diese schreckliche Vergangenheit Geschichte ist, glaube ich etwas von diesem Drama in diesen Felswänden zu spüren. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. In einer weiteren Höhle sehe ich eine steinerne Statue des Heiligen Danzan Ravjaa. Zu seinen Füßen häufen sich Geldscheine, Kekse, Bobons, Zucker und Trockenkäse. Ich lasse die Szene auf mich wirken. Als ein paar mongolische Touristen in die kleine Grotte drängen wird es zu eng. Ich trete nach draußen in die grelle Sonne und bleibe eine Weile stehen, um mich an das gleißende Licht zu gewöhnen, als sich direkt neben mir etwas Ungewöhnliches bewegt. Erst als ich ein zweites Mal hinsehe bemerke ich die Schlange, deren Haut nahezu die gleiche Farbe besitzt wie der Fels. Die Begegnung mit einer Schlange soll Glück bringen, hat mir eine Mongolin erzählt, weshalb ich schmunzeln muss und meine Endeckungstour fortsetze.

Erst am späten Nachmittag verlassen wir die Felsenhöhlen um heute noch nach Sainschand zurück zu radeln. Einen Teil der Strecke folgen wir einem Wüstenpfad abseits des Asphaltstreifens bis wir wieder auf die neue Teerstraße treffen. Da es bis Sainschand nur etwas über 40 Kilometer sind, lassen wir es im Turbomodus krachen. „Suuuuper! Juhuuuu!“, rufen wir freudig aus als sich urplötzlich Wind einstellt. Und obwohl es kaum erklärbar ist, wieder gegen uns. „Wie kann das sein?“, fragt Tanja, da wir schon auf dem Hinweg den Wind gegen uns hatten. „Denke es liegt an den unterschiedlichen Luftdrücken. Auf dem Hinweg war das Wetter Grotten schlecht und jetzt ist es sehr gut. Das muss irgendwie an den Wolken liegen“, versuche ich eine Erklärung zu finden als mein Hinterreifen plötzlich wieder zu schlingern beginnt. „Stopp!“, rufe ich wie immer und hebe die Hand damit Tanja nicht in mich hinein kracht. „Was denn?“ „Ein Platten im Hinterreifen“, antworte ich so gelassen wie es die Situation zulässt. Wie mittlerweile schon gewohnt entladen wir das Rad. Auch diesmal finde ich keinen Fremdkörper im Mantel. Weil ich mir vorstellen könnte, dass wir uns gestern ein paar LKW-Karkassendrähte eingefahren haben, setze ich auch gleich einen neuen Mantel ein. „Warum einen neuen Mantel? Der Reifen sieht doch noch gut aus?“, fragt Tanja. „Könnte sein dass die kleinen Drähte im Gummi stecken und nicht zu sehen sind. Erst wenn der Mantel wieder aufgepumpt ist, drücken sie sich nach außen, und somit in den neuen Schlauch“, erkläre ich.

Am Abend stehen wir vor der kleinen Regierungsunterkunft in Sainschand. „Ich frage mal nach ob das Zimmer auch frei ist“; sage ich zu Tanja und schreite in das blitzblank geputzte Gebäude. „Geht das mit den 40.000 Tugrik (17,95 €) pro Nacht in Ordnung?“, möchte ich mich noch mal versichern, weil wir diesen Preis noch vor unserer Abreise nach Khamariin Khiid mit der Kollegin, der jetzt anwesenden Frau, vereinbarten. „Ügüj, (nein) das Zimmer kostet 45.000 Tugrik“, (20,19-€) höre ich, womit sich anscheinend das Unterkunftsdrama fortsetzt. Zu müde für ein weiteres Hin und Her verlasse ich das Haus und bitte Tanja die Verhandlung zu führen. Nur fünf Minuten später kommt sie mit erhobenen Daumen nach draußen und sagt; „Wir bekommen das Zimmer für die ausgemachten 40.000 Tugrik.“ „Und wie hast du ihr das vermittelt?“ „Ich erklärte ihr, dass wir für ein paar Tage bleiben werden und deswegen einen Sonderpreis ausgemacht hatten.“ „Super, dann lass uns alles nach innen tragen“, freue ich mich und beginne damit die Räder zu entladen.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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