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/Gewitter-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Gewitter oder sogar ein Orkan?

N 51°51'37.1'' E 075°44'40.7''
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    Tag: 87

    Sonnenaufgang:
    05:43 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:19 Uhr

    Luftlinie:
    93.34 Km

    Tageskilometer:
    99 Km

    Gesamtkilometer:
    9651.86 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt/schlecht

    Temperatur – Tag (Maximum):
    28 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    13 °C

    Breitengrad:
    51°51’37.1“

    Längengrad:
    075°44’40.7“

    Maximale Höhe:
    310 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    148 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09.00 Uhr

    Ankunftszeit:
    18.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    14.78 Km/h

Nach einer angenehmen Nacht verlassen wir die Traumwiese und erreichen nach 20 Kilometern eine armselige Ortschaft in der wir Wasser, Brot und Yoghurt kaufen. Seit einiger Zeit sind die Hügel in der Weite einer Tiefebene ausgelaufen. Idealbedingungen für den Meister der uns ungebremst und mit geradezu boshafter Heftigkeit in die Räder pfeift. Unsere starken Aluminiumrahmen geben klagende Laute von sich als der kühle Nordwind damit spielt. Wir strampeln was das Zeug hält, jedoch erreichen wir oft nicht mehr als sieben oder acht Kilometer pro Stunde. Es dauert bis wir einen geeigneten Vesperplatz hinter ein paar Büschen finden. Wir breiten unsere blaue Folie aus, setzen uns darauf und verschnaufen. Dann essen wir Brot, Tomaten, Gurken und einen Käseaufstrich. Der Wind wird währenddessen immer stärker. Dunkle Kumulonimbuswolken türmen sich wie mächtige Gebirge hoch in die Atmosphäre. Ein starkes lokales Gewitter baut sich plötzlich auf. Die ersten Tropfen fallen auf uns nieder. Wir essen so schnell wir können und packen in Windeseile alles wieder in die Ortliebsatteltaschen. Der enorme Wind bläst die großen Haufenwolken direkt an uns vorbei. Vom Regen bleiben wir fürs erste verschont. Wir kauern hinter den lichten Büschen durch die sich die sturmartigen Böen pressen. Sand wirbelt in unsere Augen und Papier fliegt wie Vögel durch die aufgewühlte Luft. Die Skala meines Windmessers zeigt Stärke sechs (52 km/h). “Unter diesen Bedingungen können wir auf keinen Fall weiterradeln. Das bläst uns glatt von der Straße!”, rufe ich.

20 Minuten später, als eine weitere bald schwarze Haufenwolkenfront vorbeigerast ist, flaut der Wind etwas ab, weshalb wir uns wieder auf unsere Roadtrains wagen. Weil der Meister uns aus dem Norden anbläst und wir in Richtung Osten ziehen, drückt er uns mit seiner Kraft ständig von der Straße in den unbefestigten Schotter. Wir straucheln und schwanken. Wenn uns ein Lastwagen entgegenkommt wirft er uns eine bald schmerzhafte Luftwand entgegen. Wenn uns ein 38 Tonner überholt nimmt er für kurze Augenblicke den Druck, so das wir automatisch in ihn hineingezogen werden. Die weitere Fahrt gleicht einem Himmelfahrtskommando. “Wir müssen bei jedem Lastwagen die Straße verlassen! Hörst du?”, brülle ich wegen dem lauten Heulen des Meisters. “Ja! Auf jeden Fall!”, bestätigt Tanja. Wir radeln weiter weil wir hier auf der Hauptstraße nicht einfach stehen bleiben können und die Ebene keine Büsche aufweist hinter denen wir Schutz für die Nacht finden. Konzentriert blicken wir in unsere Rückspiegel, um die heranrollende Gefahr eines Transporters rechtzeitig zu sehen. “Aaachtuuung!”, höre ich Tanjas Warnruf und steuere meine Aluminiummaschine in den Schotter als auch schon das Monster an mir vorbeistöhnt. Der Windsog rüttelt an meinem Körper und dem Rad. Dann fahren wir weiter, legen uns gegen die Böen, die kommen und gehen. Ein Balanceakt, denn wenn sie kurz innehalten schwanken wir auf die Straße. Dann brüllen sie wieder ohne jegliche Vorwarnung los und drücken uns in den Schotter. Wir haben auf den letzten knapp 10.000 Radkilometern schon viel erlebt aber so eine extreme Seitenwindsituation ist neu.

Um uns herum entleeren sich jetzt die Gewitterwolken. Ab und zu erwischt uns eine von ihnen und schüttet ihr eiskaltes Wasser erbarmungslos über uns. Wir stoppen, ziehen uns die Regenkleidung über und fahren weiter. Wasser peitscht in unser Gesicht, läuft an uns herab und tropft auf dem rauen Asphalt. Autos hupen. Die Lichter ihrer Scheinwerfer treffen uns wie Pfeile. Sie richten keinen Schaden an, strahlen an uns vorbei und verschwinden in der tropfnassen Steppe.

Dann bricht plötzlich wieder die Sonne durch ein paar Wolkenritzen. Es wird augenblicklich warm. Um nicht im eigenen Schweiß baden zu müssen ziehen wir unsere Regensachen wieder aus. Ich halte für ein schnelles Foto. Die Natur im Extrem. Schwarzblaue, Unheil verkündende Megawolken von gleißenden Sonnenstrahlen erleuchtet. “Wow! Wo haben wir so etwas schon mal gesehen? Ob das Foto etwas wird? Ob es die Wirklichkeit wiedergibt?”, geht es mir durch den Kopf. Ich packe die Leica gerade noch in die Ortliebtasche als die Sonne von der monströsen Front regelrecht gefressen wird. Wir radeln weiter. Zwischen den Fronten. Immer mit dem entsetzlichen Seitenwind. Wollen dem Kampfplatz der Gewitterwolken entkommen. Schaffen es nicht. Sie queren von Nord nach Süd den nassen Bitumenstreifen. Es blitzt und donnert als würden grotesk aussehende Kolosse mit ihren Schwertern auf sich einschlagen, als würden überdimensional lange Krallen nach uns greifen. Das alles fressende “Nichts” aus dem Buch der Unendlichen Geschichte von Michael Ende fällt mir ein. Genau so sieht es aus. Ein gigantisch umfassend, bösartig aussehende Pratze die nach uns greift, um uns und die Welt in sich zu erdrücken.

Wir radeln wie um unser Leben. Es sieht so aus als wären wir nun im Zentrum des Ortes der Verdammnis. Jetzt öffnen sich die Schleusen des Himmelsmonsters und lässt uns unter der Kälte, der Nässe erzittern. Gleichzeitig bäumt sich der Meister auf als wolle er uns von der Erde fegen. Scheinwerfer durchbrechen die surreale Szene. Mir wird angst. Sie klammert mich und lässt Erinnerungen an den Zyklon Sam aufkommen den wir während unserer Kontinentdurchquerung in Australien erlebten. Nur mit knapper Not entkamen wir, unser Hund Rufus und unsere sieben Kamele, dem vernichtendem Auge, in dem Windgeschwindigkeiten von 280 Stundenkilometer herrschten. Bahnt sich hier etwas Ähnliches an? Gibt es hier überhaupt Zyklone? Oder sind es eher Orkane die Kasachstan heimsuchen? Kasachstan, das Land des Windes, zeigt uns auf den letzten paar hundert Kilometer noch mal zu was der Wind in der Lage ist. Und doch ist mir bewusst, die augenblicklichen Windgeschwindigkeiten überschreiten kaum 60 km/h. Nur was kommt noch? Wird er stärker? Wo sollen wir Schutz suchen? Meine Gedanken überschlagen sich. Wir strampeln gegen eine Naturgewalt die gerade im Begriff ist sich auf die Hinterbeine zu stellen.

Noch sind keine Büsche in Sicht. Die Autos rasen in großer Geschwindigkeit an uns vorbei. Gnadenlos werden wir mit Wasser bespritz. Vor Schreck halten wir die Luft an wenn sich eine der kalten Wasserlawinen über uns ergießt. Stopp and go, Stopp and go, so kommen wir voran, um den gefährlichen Windsogen der an uns vorbei donnernden Laster und Schwerlaster zu entkommen. Mit geweiteten Augen beobachten Tanja und ich die voluminösen, mit grobem Profil behafteten Reifen, die dicht an uns vorbeischmatzen. Wir können die Autofahrer nicht mehr verstehen. Bei schönem Wetter winken sie uns zu. Hupen vor Begeisterung und so mancher beschenkt uns mit ein paar Leckereien. Doch jetzt, jetzt wo man glauben könnte die Welt geht unter, rasen sie wie Kamikaze (japanisch: “göttlicher Wind?, von der japanischen Luftwaffe organisierte Selbstmordkommandos) dicht an uns vorbei und mutieren hier zu egoistischen Vollidioten.

“Da vorne! Siehst du das? Das ist eine Buschgruppe!”, rufe ich und ihr Anblick lässt mein Herz noch höher schlagen. Unter äußerster Muskelbelastung treten wir unsere nassen riese und müller mit etwa 12 km/h am aufgeweichten Seitenstreifen dem verheißungsvollen Ziel entgegen. Tatsächlich entpuppt sich das Grün als eine leidlich brauchbare Buschgruppe. Bei diesem Wetter nicht mehr darauf achtend ob uns jemand sieht oder nicht, rollen wir die steile Böschung hinunter und versinken unten sofort im Matsch. Wir müssen all unsere Kräfte zusammennehmen, um die Räder mit den schweren Anhängern durch den Lehm zu drücken, der sich sofort wie Klebstoff an die Reifen haftet. Nur nach wenigen Metern sind die Sumobikes und Ortliebtaschen total versaut und über und über mit Matsch und Schlamm verschmiert. Kurz vor dem Zusammenbrechen bringe ich mein Rad hinter die Büsche. Es ist die Toilette eines Jägers. Patronenhülsen und menschliche Ausscheidungen lassen uns trotz des Sturms und des Regens innehalten. “Sollen wir unser Zelt auf dieser Scheiße aufstellen?”, fragt Tanja ungläubig. Zwanzig Meter weiter wachsen auch ein paar spärliche Büsche. Da es schon dämmert, noch immer Blitz und Donnert und jeder der Autofahrer bei diesem Unwetter mit Sicherheit keine Gelegenheit hat zur Seite zu schauen, stellen wir das erste Mal während der Trans-Ost-Expedition unser Zelt im leichten Sichtfeld der Straße auf.

Kaum steht unser Stoffhaus, krieche ich hinein und reibe so weit möglich alles trocken. Tanja reicht mir die Ortliebtaschen, dann richte ich unser Schlafzimmer her, während Tanja draußen die restlichen, in der Eile vom Rad geladenen Utensilien hineinreicht. Dann begebe ich mich noch mal in das unwirtliche Wetter und breite mit Tanja die Brettschneiderfolie über unsere Bikes. Erst jetzt können wir beide in den Schutz unseres Zeltes krabbeln. “Wuuuummmm!” dröhnt es über uns. Gleißende Lichtzuckungen erhellen den infernalischen Himmel. Feucht aber glücklich noch rechtzeitig einen relativ sicheren Ort vor dem Sturm und der Nacht gefunden zu haben, liegen wir auf unseren Artiachisomatten und lauschen einer ungezähmten Natur. “Wie geht es dir?”, frage ich Tanja. “Gut. Können von Glück reden hinter den Büschen ein wenig Schutz gefunden zu haben.” “Ja das stimmt. War ein außergewöhnlicher Tag”, meine ich nachdenklich. “Du?” “Ja?”, hör ich Tanjas Stimme durch das Getrommel des Regens gedämpft. “Eigentlich wäre heute ein Tag zum feiern.” “Warum?” “Seit Samara haben wir 2779 Km (Gesamt 9651.86 Kilometer) zurückgelegt. Das ist die Halbzeit unserer dritten Etappe.” “Wo ist der Sekt?” “Holen wir nach”, antworte ich, worauf wir beide befreit lachen.

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