Gegen Diebstahl bemalt – Die einzige Lichtquelle des Ortes
N 51°20'982'' E 099°20'852''Tag: 324-326
Sonnenaufgang:
05:06/05:05
Sonnenuntergang:
21:38/21:40
Gesamtkilometer:
1412
Bodenbeschaffenheit:
Gras
Temperatur – Tag (Maximum):
30 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
25 °C
Temperatur – Nacht:
4 °C
Breitengrad:
51°20’982“
Längengrad:
099°20’852“
Maximale Höhe:
1572 m über dem Meer
10:00 Uhr. Unser neuer Pferdemann findet Shagais Jurte und stellt sich vor. Sein Gesicht spricht Bände. „Eine lange Fahrt und zum Abschied zu tief in die Flasche geschaut“, ist meine Diagnose. Einige Narben und ein verletztes Ohr zeugen von einigen Raufereien. Mit seinen ca. 1,68 Meter und seinem äußerst schlanken Körper ist er ein relativ kleiner Mann. „Wieder eine neue Herausforderung“, sagt Tanja. „Wie meinst du das?“, frage ich den Mann, der uns durch das Diebesgebiet geleiten soll, prüfend anblickend. „Na ich meine jetzt müssen wir uns erneut auf einen völlig Fremden einlassen ohne zu wissen welch ein Charakter sich in seinem Inneren versteckt.“ „Stimmt. Das hat das Reisen so an sich. In spätestens einer Woche wissen wir ob er etwas taugt oder nicht“, sage ich.
Bilgee ist extra geblieben, um Odonbaatar die Pferde ordentlich zu übergeben. Er erzählt ihm im Detail welche Aufgaben während der Reise auf ihn zukommen. Zustimmend und willig nickt er. Dann begeben wir uns zu unseren Pferden, um ihnen große Sonnen auf die linken und rechten Hinterbacken zu malen. Vor wenigen Tagen hatte ich die Idee es den Pferdedieben durch diese in der Mongolei unübliche Aktion schwerer zu machen. Wer will schon mit einem Pferd auf dessen Hintern eine orangefarbene Sonne strahlt durchs Land reisen? Es würde jedem auffallen. Und genau das ist gut so. Diebe wollen in der Regel leichte Beute machen und nicht erkannt werden. Durch die Sonnen wäre ihr Weg nachvollziehbar. Wir müssten nur die umliegenden Jurten fragen ob sie solch ein Zeichen gesehen haben. Bilgee war im ersten Moment völlig dagegen. „Sie werden die Tiere sofort schlachten“, meinte er. „Schlachten? Und das bei der Hitze? Wo sollen sie denn das Fleisch so schnell unterbringen? Es wird verderben. Ich denke, dass ist die beste Idee die ich seit langen hatte“, erwiderte ich. Bilgee überlegte eine Weile. „Wir bemalen keinen Ferrari sondern nur Pferde“, sage ich und kann mich durchsetzen.
Tanja, Bilgee, Odonbaatar und ich malen nun die Sonnen auf das Fell. „In wenigen Wochen werden wir diese Aktion erneuern müssen“, sage ich davon ausgehend, dass die Farbe verbleicht oder abgerieben ist.
Am Nachmittag erscheinen Tsaya und Ultsan. „Wie geht es euch“, fragen wir und begrüßen unsere ehemaligen Gastgeber herzlich. „Ultsan hat seinen schmerzenden Zahn behandeln lassen und ich bekam meinen Checkup“, antwortet Tsaya. „Und alles klar mit dir?“, frage ich. „Die Herzkrankheit hat sich ein wenig verbessert. Aber die Ärzte sagen ich muss mindestens noch zwei oder drei Jahre Medizin nehmen.“ „Wann fahrt ihr wieder in die Taiga?“ „Noch heute Nachmittag. Wir werden mit dem Motorrad hinkommen. Wird ein wenig knifflig weil Ultsan noch nie eines selber gefahren ist.“ „Er hat noch nie ein Motorrad gesteuert und will die schwierige Strecke selber zurücklegen? Na dann viel Glück“, sage ich. Da wir im letzten halben Jahr viel Eigenartiges und Skurriles mit den Tuwa erlebten versuche ich erst gar nicht Ultsan von seinem Vorhaben abzubringen. Indes gibt ihm Shagai eine Kurzeinweisung, zeigt ihm wie und wo er schalten muss und wo sich die Bremse und Kupplung befindet. Ultsan unternimmt die ersten Fahrversuche die nicht sehr vielversprechend aussehen. „Auf einem Pferd oder seinen Rentieren gibt er eine bessere Figur ab“, sage ich scherzend. Nach wenigen Minuten ist die Fahrstunde zu Ende. „Das sollte reichen“, ruft Shagai feixend. Wir begeben uns in die Jurte. Tsaya und Ultsan geben zu unserem Abschied eine große Flasche Bier aus. „Wir hoffen euch bald wiederzusehen“, sagt Tsaya erneut. „Wer weiß, die Welt ist klein“, antworte ich wieder da wir uns ja schon im Frühjahrscamp verabschiedet hatten. „Eigentlich wollten wir unsere Ersatzbatterie verkaufen aber sie scheint nicht mehr hundert Prozent in Ordnung zu sein. Wollt ihr sie haben?“, frage ich Ultsan. „Sehr gerne“, antwortet er sich freuend. Dann steigt er auf das geliehene Motorrad und folgt mit einigen Schaltschwierigkeiten dem anderen Fahrer auf dessen Rücksitz Tsaya Platz genommen hat. Zumindest fährt er allein“, sage ich erleichtert den beiden chinesischen Zweirädern hinterher sehend.
Odonbaatar hat auf Anweisung von Bilgee zwischenzeitlich die Pferde in die Berge getrieben damit sie dort fressen können. Bilgee packt seine wenigen Habseligkeiten zusammen. Der englische Tourist Guy kommt heute noch von seinem Tuwa-Ausflug zurück und wird Bilgee mit nach Mörön nehmen. Von dort werden die Beiden zusammen mit einem öffentlichen Bus nach Erdenet fahren. Auf diese Weise kommt Bilgee zu einer kostenfreien Fahrt nach Mörön und der Guy zu einem landeskundigen Begleiter in die nächste Stadt.
Ondonbaatar kehrt bereits um 19:00 Uhr von den Bergen zurück. Wir sind verwundert da die kurze Zeit nicht ausreicht um unsere Tiere zu sättigen. „Du musst bis 21:00 oder 22:00 Uhr draußen bleiben“, ermahnt ihn Bilgee. „Mach ich. Sorry“, sagt der neue Mann.
Die einzige Lichtquelle des Ortes
21:30 Uhr. Saraa und Guy haben Bilgee abgeholt. Seine Abwesenheit hinterlässt ein unangenehmes Vakuum. Shagai warnt uns davor auf der Weide gegenüber seines Grundstücks die Pferde grasen zu lassen. „Seht ihr die vielen Mopeds? Das sind junge Männer die diesen Ort nutzen, um sich zu betrinken. Sie könnten aggressiv werden. Der Platz ist für euch heute Nacht nicht sicher. Es ist besser wenn ihr die Pferde zur anderen Seite von Tsagaan Nuur führt. Dort ist auch das Gras saftiger.“ Tatsächlich können wir beobachten wie einige der Feiernden sich in die Haare bekommen und beginnen einander zu schlagen. „Kaum ist Bilgee weg ist schon die erste Herausforderung zu meistern“, sagt Tanja. „Ganz schön weit“, meine ich den Hügel zu dem wir unsere Tiere bringen sollen mit dem Fernglas absuchend. „Das Beste ist wir führen die Pferde gleich jetzt dorthin“, überlegt Tanja. „Und wie? Gemessen an Odonbaatars Schnarcherei scheint er sich im Tiefschlaf zu befinden“, antworte ich auf dem auf den Sofa liegenden Mann deutend. „Wir brauchen ihn doch nicht um die Pferde dorthin zu führen. Das machen wir selber. Ich schlage vor du bleibst dann bis 22:00 Uhr. Dann löse ich dich ab. Bevor du dich schlafen legst kannst du etwas essen und mir Odonbaatar schicken. Er kann dann seinen Schicht um 23:00 Uhr anfangen.“
Als ich um 22:20 Uhr zurückkomme schnarcht der Mann noch immer. Ich wecke ihn. Es dauert eine kleine Ewigkeit bis er sich aufrafft um Tanja, die eigentlich gar keine Wachschicht hat, abzulösen. „Nimm die Stirnlampe mit“, fordere ich Odonbaatar auf damit er seinen Weg findet und nachts nach den Pferden sehen kann. Um 23:15 klingelt mein Handy. „Ja? Was gibt’s?“, frage ich Tanja. „Hast du ihn losgeschickt?“ „Aber ja. Ist er noch nicht bei dir?“ „Nein.“ „Oh man, das fängt ja nicht gut an. Vielleicht hat die Pfeife dich nicht gefunden?“ „Ich hatte ihn gezeigt wo die Pferde stehen. Ich warte noch ein wenig. Er wird schon kommen“, meint Tanja. Wenig später hat er Tanja erreicht und abgelöst. „Denke er hat tatsächlich den Weg nicht gefunden“, erklärt sie als wir wieder zusammen in der Jurte sitzen und Suppe essen die uns Dalai gekocht hat. Um 24:00 Uhr lege ich mich erschöpft hin. Um 1:00 Uhr alarmt meine Uhr. Ich stehe auf, ziehe mich an und stapfe in die völlige Finsternis der mondlosen Nacht. Den Horizont nach dem um diese Uhrzeit mit Odonbaatar vereinbarten Lichtzeichen absuchend, lasse ich meinen Blick in die Richtung kreisen in der ich den Hügel vermute. Jedoch ist nichts zu sehen. „Ob Odonbaatar schläft?“, frage ich mich.
Dem Strahl meiner Stirnlampe folgend stolpere ich nun ohne Richtungsangabe über den Weg. Am Ende von Shagais Grundstück biege ich rechts ab. Mein erster Fehler. Da in der Schwärze nur wenige Konturen auszumachen sind halte ich mich dicht an den Bretterzaun. „Wo ist die verdammte Weggabelung?“, frage ich mich seit ca. zehn Minuten in einer Art Korridor gefangen der links und rechts von Brettern begrenzt ist. Dann befinde ich mich plötzlich vor einem der einfachen Holzhütten, dessen Schild über der Tür mir verrät einen der Läden im Ortszentrum erreicht zu haben. Kurz denke ich darüber nach umzukehren, biege aber bei der ersten Gelegenheit in eine andere Erdpiste ein die erneut auf beiden Seiten von Bretterzäunen beschränkt wird. Mein zweiter Fehler. Ab diesen Zeitpunkt fehlt mir jegliche Orientierung und umkehren würde keinen Sinn mehr ergeben da ich nicht mal mehr weiß von wo ich gekommen bin. Wegen dem großen Waldbrand, der seit Wochen um Tsagaan Nuur wütet, verdecken zu allem Übel auch noch Rauchwolken das Firmament, weswegen mir kein Stern die Richtung zeigen kann. Mir ist bewusst hier im Notfall bis zur Dämmerung herumirren zu müssen. Die Erinnerung mich im tiefen Winter der Taiga auf dem Weg mich meiner Notdurft zu entledigen ebenfalls verirrt zu haben, lässt mich Schmunzeln. „Spezialist für skurriles Verirren“, flüstere ich immer weiter durch die Nacht laufend. Im Lichtkegel der Stirnlampe erkenne ich ein paar Straßenhunde die mich ankläffen. In der rechten Hand mit meinem Walkingstock und der Linken mit einem Pfeffergasspray bewaffnet, können mir die Hunde nichts anhaben. „Kommt nur her. Ich verprügle euch das euch hören und sehen vergeht“, raune ich sie gefährlich schlecht gelaunt an. Dann erreiche ich offenes Land. Die Häuser befinden sich in meinem Rücken. Ich bleibe stehen. Konzentriere mich. Versuche die Orientierung wieder zu erlangen. In etwa einem Kilometer Entfernung entdecke ich ein Licht. Die einzige spärliche Lichtquelle dieses Dorfes. „Ob das die Zapfsäule ist?“, frage ich mich nachdenklich. Ich entscheide mich dieses Licht der Tankstelle zuzuordnen und überquere die Ebene in Richtung Nordwesten. „Mach dein blödes Licht an“, fluche ich ungehalten, um die Bestätigung nun auf dem richtigen Weg zu sein zu erhalten.
1:45 Uhr. Schnaufend und erleichtert finde ich die Pferde und Odonbaatar. „Bei dieser Finsternis habe ich die Orientierung verloren. Warum hast du deine Stirnlampe nicht eingeschaltet?“, frage ich ihn ohne eine Antwort zu erhalten. „Findet euer Hund den Weg zur Jurte?“, fragt er indes. „Kaum. Wir leben ja erst seit einigen Tagen dort. Denke nicht, dass er die Jurte als sein Zuhause ansieht“, erkläre ich und überlege wie er den Weg zurück findet ohne ebenfalls orientierungslos herumzuirren. Einem Gedankenblitz folgend rufe ich Tanja an. „Jaaa?“, fragt sie verschlafen. „Sorry, wollte dich nicht aufwecken aber ich brauche Deine Hilfe. Geh bitte auf den Weg vor Shagais Jurte und leuchte mit deiner Stirnlampe in unsere Richtung. Da wir uns hier auf einem Hügel befinden müssten wir ihn ausmachen können“, erkläre ich. Tatsächlich sehen wir Minuten später das Licht aufleuchten. Odonbataar läuft nun vom Strahl geleitet los. Als ich um 3:10 Uhr von Tanja abgelöst werde. Laufe ich ohne Leitstrahl zurück. Nachdem ich die Jurte betrete werde ich von extremen Schnarchen empfangen. Odonbaatar sägt die gesamte Taiga zu Kleinholz. Obwohl ich hundemüde bin ist an Schlaf nicht zu denken. Bis um 4:00 Uhr liege ich wach da und frage mich ob es nicht doch besser gewesen wäre ohne diesen neuen Mann die Reise nach Mörön anzutreten.
An diesem Morgen schnarcht unser Mann bis in die Puppen. Tanja hat indes die Pferde vom Berg zur Weide vor die Jurte getrieben, sie getränkt und sich ums Frühstück gekümmert. Ihre Schicht war damit von 3:00 Uhr morgens bis 8:00 Uhr. Unter Bilgees Pferdeleitung wäre so etwas nie geschehen. Er hätte sich es niemals nehmen lassen die Pferde am Morgen zu tränken und somit Tanja zu entlasten. Wir blicken leicht verärgert auf den Mann der nach wie vor wie ein Irrer Bäume fällt und nicht darüber nachdenkt aufzuwachen, um die Pferde zum Fressen in die Berge zu treiben. Um 10:00 Uhr weckt Tanja ihn auf. „Hier ist Tee, Milch und Zucker. Dort Brot und Schokoladenkreme“, erklärt sie freundlich und fragt ob er eine Dose Fisch haben möchte. Dann packt sie eine Großzügige Vesper und schickt ihn in die Berge damit die Pferde lang genug fressen können. „Und komm bitte erst um 21:00 Uhr wieder. Unsere Tiere haben Nachholbedarf“, sage ich. „Kein Problem“, antwortet er gutmütig.
Während meiner heutigen Wachschicht warte ich ungeduldig auf meine Ablösung und rufe Tanja an. „Entschuldige deinen kurzen Schlaf erneut stören zu müssen. Schläft unser Mann noch?“ „Ja. Tief, fest und laut.“ „Wecke die Pfeife bitte auf.“ „Mach ich“, antworte sie.
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