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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Furchtbare Hygiene und Diebe

N 51°39'155'' E 099°21'977''
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    Tag: 281-282

    Sonnenaufgang:
    05:55/05:53

    Sonnenuntergang:
    20:44/20:46

    Gesamtkilometer:
    1361

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    3°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 6°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 8°C

    Breitengrad:
    51°39’155“

    Längengrad:
    099°21’977“

    Maximale Höhe:
    1858 m über dem Meer

Nach einer angenehmen Nacht empfängt mich wieder ein kalter, windiger Tag mit leichtem Schneefall. Ich mache mir mit meinem kleinen Kocher heißes Wasser für Tee. Mein Frühstück besteht aus dem restlichen Weißbrot und einer halben Tafel Schokolade. Dann ziehe ich die Sturmverspannung des Zeltes nach die der starke Wind über Nacht gelockert hat und verbessere den Holzboden des Vorzeltes.

Der Vormittag vergeht wie im Flug. Tsaya kommt vorbei und lädt mich zum Essen ein. „Ultsan hat eine Gazelle geschossen als er nach ein paar verloren gegangenen Rentieren suchte. Komm rüber, wärme dich auf und iss dich satt“, sagt sie.

Bevor ich gehe prüfe ich das Zelt und lege zur Sicherheit noch ein paar Steine und Holzstangen auf den Stoff der sich als Schneefang nach außen wölbt. Guten Gewissens mache ich mich zum Tipi von Tsaya und Ultsan auf. Nimm ein Stück von der Zunge“, bietet mir der Jäger an. Es dauert nicht lange und Saintsetseg, Suren und Tso treten ins Tipi und lassen sich auf den Boden nieder. Tsaya reicht ihnen sofort die große Schüssel die mit gekochten Fleisch und Knochen bis zum Rand gefüllt ist. Jeder greift zu. Die hygienischen Verhältnisse sind eine wahre Katastrophe aber mir macht es nichts mehr aus. Allerdings trägt auch das trockene Klima dazu bei das sich Bakterien nicht gut vermehren können. Jeder nutzt das gleiche Messer, um sich Fleisch von den Knochen zu schneiden. Jeder greift mit seinen ungewaschenen Händen in die Schüssel und wühlt nach dem passenden Knochen. Manche Knochenstücke wandern wieder in die Schüssel zurück. Natürlich nicht bevor sie kräftig mit Messer und Händen bearbeitet wurden. Das Fleisch fällt auf dem Boden, wird wieder aufgehoben und in den Mund gesteckt oder erneut in die Schüssel geworfen. Besonders gut scheint es zu schmecken um so lauter man schmatzt und an seinem Tee schlürft. Die Teeschüsseln werden nicht selten mit einer Zeitungs- oder Magazinseite gereinigt, die irgendwo in der Ecke liegt oder zwischen den Tipistangen klemmt. Meist wird ein alter Lappen genommen der gerne mal gewaschen werden möchte. Das Geschirr, bestehend aus Löffeln und kleinen Schalen, wird in einer Schüssel mit schmutzigen Wasser gereinigt. Gelbsucht hat hier einen perfekten Nährgrund. Abgenagte Knochen wirft man den Hunden zu oder auf den Boden. Teereste kippt man ebenfalls auf den Boden und es ist auch keine Schande etwas darauf zu spucken. Es ist ja Naturboden wo so etwas geht. Nahrung jeglicher Art wird mit den Händen verteilt auch wenn vorher Hunde gestreichelt und getätschelt werden. Teig wird mit den gleichen Händen geknetet. Selten habe ich jemanden gesehen der sich vor der Zubereitung der Nahrung die Hände wäscht. Eigentlich müsste hier jeder krank sein aber so ist es eben nicht. Beachtlich über welch eine fantastische Abwehr der menschliche Körper verfügt.

Auch die körperliche Hygiene kommt bei dem ständigen Dauerfrost zu kurz. Ich muss selbst darauf achten nicht noch weiter zu verschmutzen. Vor vier Wochen hatte ich mir das letzte Mal meinen Kopf gewaschen. Seit dem Auszug aus der Jurte leben wir im Zelt und Tipi. Waschen war wegen der Kälte bis jetzt bald unmöglich. Bis dahin legten Tanja und ich sogar Wert darauf in unserem Schlafkleidung in den Schlafsack zu schlüpfen. Aber eben seit dieser Zeit ziehen wir nur noch unsere Hosen aus und kriechen so verschmutzt in die Schlafhülle. Bei minus 25 °C ist An- und Ausziehen zu zu kalt. Gestern habe ich mir seit jener Zeit zum ersten Mal meine Füße betrachtet und bin regelrecht erschrocken. „Das sollen meine lieben Füße sein. Unmöglich. Diese Scheusale gehören jemanden anderes aber nicht dem sonst so reinlichen Denis“, habe ich mir gedacht. „Sehen aus wie die behaarten, mit Hornhaut überzogenen Füße eines Hobbits aus dem Märchen Herr der Ringe“, murmelte ich und versuchte aus den verschmutzten Tretern etwas zu machen was zu meinem Körper gehört. Die Menschen hier haben seitdem wir im Camp, sechs Monate, verweilen immer die gleichen Sachen an. Natürlich waschen manche von ihnen diese ab und an. Der Zeitraum dürfte zwischen sechs Wochen und zwei Monate liegen. Genau ist das nicht festzustellen weil sie Tag und Nacht in ihrem Deel stecken der auch keinerlei Gerüche nach draußen lässt. Es grenzt für mich an ein Wunder das die Tuwa nicht an Hautkrankheiten leiden. Auch als wir während unserer großen Reise von China nach Tibet reisten und dort einige Monate verbrachten, erlebten wir ähnliche hygienische Verhältnisse. Klar, wenn alles zugefroren ist und man keine Waschmaschine besitzt können Zudecken, Kopfkissen und Ähnliches nicht gereinigt werden. Die Kälte und trockene Luft scheint alles zu konservieren.

Die alte Suren hackt gerade mit dem Messer einen Knochen in Stücke, um an das Leckerste, dem Knochenmark, heranzukommen. Nachdem sie es unter mühseligen Hacken freigelegt hat schlürft sie es heraus. Auch die anderen schnappen sich nacheinander das Messer, um an das Mark heranzukommen. „Hier hast du ein Stück“, meint Ultsans Bruder Hoo mir so ein schlappriges wurmähnliches Stück Knochenmark reichend. „Danke aber ich stehe nicht so auf Knochenmark“, lehne ich freundlich. Wissend das er mir etwas Gutes tun wollte. Nach dem Saintstseg einen der Knochen ausgeschlürft hat wirft sie den Rest einem der Hunde zu. Der schnappt sich den leeren Knochen dankbar und verzieht sich damit auf die Schlafstätte. „Schau das du raus kommst“, sagt Hoo mit scharfen Tonfall, worauf sich der junge Hund nach draußen verdrückt. Während des Frühjahrs geht es einigen Hunden recht gut. Je nachdem wie erfolgreich ihre Herren bei der Jagd sind. Tsayas und Ultsans drei Hunde tragen regelrechte Kugelbäuche herum. „Möchtest du noch etwas von der Fleischbrühe?“, fragt Tsaya. „Gerne“, antworte ich und halte ihr mein leeres Schüsselchen hin. Hungrig, nach Landessitte schlürfend, leere ich den Inhalt.

Nachdem Essen lege ich mich auf eine der einfachen, niedrigen Holzpritschen. „Ruh dich aus“, meint Ultsan fürsorglich und rückt einen Holzpflock so zurecht das ich meine Füße darauf legen kann. Ich genieße das prasselnde Feuer im alten, verbeulten Blechofen neben mit und blicke durch die Öffnung des Tipis nach draußen auf das trockene Gras. Nach sechs Monaten sind wir hier keine Fremden mehr. Ganz im Gegenteil gehören wir irgendwie dazu. Wir sind und werden zwar immer Fremde bleiben aber wir sind akzeptiert. Haben uns einen sogenannten Sonderstatus erarbeitet. Keiner zeigt uns gegenüber eine Scheu. Der gegenseitige Umgang ist locker. Wir dürfen ohne Einwände fotografieren und filmen. Jedoch liegt in dem langen Aufenthalt die Gefahr das wir als Fotografen das Außergewöhnliche nicht mehr erkennen. Alles scheint so normal zu sein. Zumindest kommt es mir so vor.

Nach einer Stunde verabschiede ich mich wieder da ich kein gutes Gefühl habe mein Zelt so lange unbeaufsichtigt zu lassen. „Wenn dir kalt ist kannst du heute Nacht gerne bei uns schlafen“, bietet mir Tsaya erneut an. „Danke, aber wenn ich die Wärmflasche in meinen Schlafsack stecke ist es angenehm warm. Sollte ich frieren kommen ich gerne“, antworte ich.

Schon von weitem erkenne ich die dunklen Striche links und rechts der ausladenden Zelttür. „Das darf doch nicht wahr sein!“, rufe ich und beginne zum Zelt zu spurten. Die Köder haben es doch tatsächlich geschafft die Reißverschlüsse der Vorder- und Hintertür zu öffnen so das meine Steine und Holzstangen einfach umgangen wurden. Mit pochendem Herz eile ich in mein Heim, um zu sehen ob wieder etwas fehlt. „Ihr Scheißköder! Uuuaaahhhhh!“, brülle ich außer mir erneut ausgetrickst worden zu sein. Im Zelt herrscht abermals Chaos. Zwei der drei Essensboxen sind offen. Schnell erkenne ich das eine weitere Kekstüte zerrissen und leergefressen ist. In Plastik verpackte Kondensmilch und andere ebenfalls geruchsneutral verpackte Plätzchen sind noch unberührt. Dagegen haben die vierbeinigen Gesetzesbrecher ihre Zähne in eine Grießtüte versenkt. Der Inhalt hat ihnen aber offensichtlich nicht geschmeckt. Überall ist der feine Grieß verstreut. Der feuchte Boden und das gesamte Essen in der Box ist voller feiner Grießkörner. Ein riesige Sauerei. Aber noch viel schlimmer ist, dass der unterste Karton, auf dem zwei etwa 15 Kilogramm schwere Säcke lagen, herausgezerrt wurde und völlig leergefressen ist. Unsere gesamten Fleischvorräte, ca. 12 Kilogramm, sind weg. „Uuuaaahhhhh!“, brülle ich erneut vor Wut und würde diesem hinterlistigen Sack am liebsten den Kragen herumdrehen. „Was werden Tanja und Bilgee dazu sagen? Es war ihr Fleisch. Da es Ziegenfleisch war und ich dieses nicht gut vertrage und Tanja als ehemalige Vegetarierin den Verlust verkraften wird, trifft es uns nicht so sehr. Aber weil ich nicht in der Lage war unser Vorräte zu schützen und weiß wie wichtig Fleisch für unseren Bilgee ist, wird mir bewusst welch eine herbe Lücke dieser Einbruch in unsere Lebensmittellogistik reißt. Gott sei Dank habe ich den Beutel mit Trockenfleisch an eine Zeltstange direkt unter dem Zeltdach gehängt. Dies erreichten die dreisten Vierbeiner nicht.

Nachdem ich in meinem Stoffhaus wieder Ordnung geschaffen habe gehe ich ins Freie und verstärke den Stoff des Zeltrandes mit weiteren Steinen und Holzstangen. Da ist nun wirklich kein Eindringen mehr möglich bin ich mir sicher. Die Reißverschlüsse der Eingänge sind mit einer Schlaufe versehen durch die ich einen Erdhaken ziehe und diesen in den Boden ramme. „Das bekommt der stärkste Köter nicht mehr auf“, denke ich. Zufrieden gehe ich in meine Burg, ziehe mir wegen der Kälte meinen Deel über, setze mich in meinen Campstuhl und beginne zu schreiben.

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