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Mongolei/Bilgee Schwester-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Fünftes Resümee – Aufbruch in den arktischen Winter der Mongolei

N 49°01'460'' E 104°02'800''
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    Tag: 436

    Sonnenaufgang:
    07:05

    Sonnenuntergang:
    18:40

    Luftlinie:
    1,67

    Tageskilometer:
    3

    Gesamtkilometer:
    2525

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    15 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 12 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 3 °C

    Breitengrad:
    49°01’460“

    Längengrad:
    104°02’800“

    Maximale Höhe:
    1281 m über dem Meer

In den Tagen vor unserem geplanten Aufbruch setzten uns Bilgees Launen zu. Es sah so aus als würde er es doch noch mit der Angst zu tun bekommen und uns wie Ulzii im letzten Moment im Stich lassen. Als wir uns am 21. Oktober mit dicken Deels und Winterschuhen auf die Pferderücken hievten, um in die kälteste Region des Landes zu reiten, verspürten wir ein eigenartiges Glücksgefühl. Bilgee hatte sich wieder gefangen und war wie wir voller Tatendrang. Wir kamen erst langsam voran, so dass ich mich fragte ob wir unsere geplanten Tagesetappen falsch einschätzten und uns der kommende arktische Winter einholen würde bevor wir unser Etappenziel erreichten. Die Strecke wurde zusehend schwieriger. Wir überquerten felsige Höhen, durchritten eisige Flüsse, kämpften gegen die Tag für Tag zunehmende Kälte und den unbarmherzigen Wind. Die Herausforderungen waren grenzwertig. Ich wurde von einem unserer Packpferde gebissen und auf gleiche Stelle getreten. Mogi erschwerte uns die Reise weil er es immer wieder schaffte sich von seinem Maulkorb zu befreien. Tanja blieb nichts anderes übrig als ihn wieder an die Leine zu nehmen, weshalb ich zwei anstatt ein Packpferd führen musste.

Wir folgten den langsam zufrierenden Fluss Egiyn Gol bis wir den 1.645 Meter hoch gelegenen Khovsgol Nuur erreichten. Seine Schönheit verschlug uns fast den Atem. Wir hatten das Land der Wölfe und Einsamkeit erreicht. Mogi durfte wieder frei laufen da es angeblich keine Schafe und Ziegen mehr gab. Wie sollten wir uns täuschen. Einer der Hirten lebte mit seiner kleinen Herde noch am Seeufer. Mogi riss einen Ziegenbock nieder, verletzte ihn aber nicht. Trotzdem wollte der Hirte ihn erschießen. Ich stellte mich zwischen dem Gewehr und unserem Hund und rettete ihm auf diese Weise für Augenblicke das Leben. Dann erschoss Bilgee eine Hündin die sich uns angeschlossen hatte. Sie musste für Mogi sterben und der Hirte hatte seine Rache. Wegen den andauernden Schwierigkeiten mit unserem Hund beschlossen wir für ihn sobald als möglich ein neues Zuhause zu suchen. Diese Entscheidung ließ mich um meinen Hund trauern. Zum Glück fanden wir nichts Geeignetes und Mogi blieb uns bis zum Expeditionsende erhalten.

Durch einen Felseinschnitt verließen wir den zufrierenden See. Der Pfad führte uns in höhere, noch kältere Regionen. Die Taiga umklammerte uns. Ein sommerliches Großfeuer hatte tausende von kahlen Baumstämmen hinterlassen, welche sich anklagend in den schneeverhangenen Himmel reckten. Wir querten vereiste Hänge auf denen die Pferdehufe unaufhörlich rutschten, folgten einem Flusslauf, immer auf der Suche nach einer Furt, um auf die andere Seite zu gelangen. 20 Mal zwang uns die schmäler werdende Schlucht die Ufer zu wechseln. Eisschollen brachen unter den Hufen der wiehernden und verängstigten Pferde. Adrenalin schoss uns in die Adern. Angst, nicht in den reißenden Fluten unter uns zu ertrinken, war ein ständiger Begleiter.

Spuren im Schnee verrieten uns die Anwesenheit von Wölfen. Schneestürme zwangen uns im Camp zu verharren, um auf bessere Sicht zu warten. Bei minus 30 °C fehlte plötzlich Tenger. Hatte man ihn gestohlen? Bilgee und ich stapften durch die tödlich kalte Nacht und fanden ihn friedlich schlafend unter einem Busch. Obwohl der Untergrund von Eis überzogen war trabten wir für Stunden dahin. Immer daran denkend das Wettrennen gegen die Zeit zu gewinnen und noch bevor der heranrasende Winter uns mit minus 50 °C erfrieren lassen würde das Ziel zu erreichen.

Plötzlich geschah der Unfall. Mein Reitpferd zog es alle Vier Beine auf einmal fort. Es fiel mit seinem gesamten Gewicht auf mich. Meine Bänder im Knöchel und Knie dehnten sich. Ein schreckliches Krachen verriet mir das etwas in meinem Körper gerissen war. „Aufstehen!“, forderte mich Tanjas Stimme auf mich zu erheben. Bis heute ist es mir ein Rätsel wie ich es fertig brachte mich wieder in den Sattel zu hieven. Vielleicht die Angst davor zu erfrieren? Die Realität war knallhart. Keine Geborgenheit. Schnee und Eis. Kälte und Frost. Kahle Bergkuppen und nadellose Lärchenbäume. Da offensichtlich nichts gebrochen war ging der Ritt in gleicher Geschwindigkeit weiter. Eine unvergessliche und schreckliche Zeit in meinem Leben. Und dann waren wir unverhofft in ein Labyrinth aus halb zugefrorenen Seen und Flussläufen geraten. Bilgee wollte in Luftlinie darüber reiten.

Dampfender weißer Nebel lag über den noch offenen Wasserstellen. Er warnte uns vor der tödlichen Gefahr eventuell einzubrechen. Wir waren zum Rückzug gezwungen und verbrachten die Nacht ohne Feuer bei minus 35 °C im Zelt. Tanja erfror sich die Zehenspitzen. Wir erreichten die kritische Masse. Einen falschen Schritt, eine unüberlegte Handlung und wir wären tot gewesen. Nachts sangen die frierenden Eisschollen als wären es Wale gewesen die sich mit ihrem Unterwassergesang verständigen. Am kommenden Morgen wagten wir es einige Seen und Flüsse zu traversieren. Die Spannungsrisse unter unseren Füßen fuhren uns in die Glieder. So schafften wir es bis zum nächsten Etappenziel, dem abgelegenen Örtchen Tsagaan Nuur.

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