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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Explosion

N 41°26’22.0’’ E 113°10’16.6’’
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    Datum:
    12.10.2015 bis 13.10.2015

    Tag: 106 – 107

    Land:
    China

    Ort:
    Baiyinchagan

    Breitengrad N:
    41°26’22.0’’

    Längengrad E:
    113°10’16.6’’

    Tageskilometer:
    119 km

    Gesamtkilometer:
    9.663 km

    Luftlinie:
    110.57 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    22,5

    Maximale Geschwindigkeit:
    54,1 km/h

    Fahrzeit:
    5:25 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.499 m

    Gesamthöhenmeter:
    4.940 m

    Höhenmeter für den Tag:
    410 m

    Seitenwind Windstärke: 5
    40 km/h

    Rückenwind Windstärke: 5
    40 km/h

    Sonnenaufgang:
    06:34 Uhr – 06:35 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:54 Uhr – 17:52

    Temperatur Tag max:
    12 °C

    Temperatur Tag min:
    0 °C

    Temperatur Nacht:
    minus 1 °C

    Aufbruch:
    09:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    18:15 Uhr

    Platte Reifen gesamt:
    8

    Platte Vorderreifen:
    2

    Platte Hinterreifen:
    5

    Platte Anhängerreifen:
    1

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Die Sonne bäumt sich gegen den kommenden Winter noch mal auf. Es ist entschieden wärmer und ein blauer Himmel verspricht einen wunderschönen Tag auf dem Rad. Der einzige Wermutstropfen, der Wind bläst uns nicht mehr in den Rücken, sondern in die Seite. Wir verabschieden uns von dem freundlichen Hotelpersonal. Sie stehen vor ihrer Arbeitstätte und winken uns hinterher. Am Ortsende vonBaiyinchagan wird die Wüste Gobi schlagartig hügelig. Der starke Westwind und das Auf und Ab kostet viel Akkuenergie. Wenn sich die Windsituation im Laufe des Tages nicht ändert werden wir die vor uns liegenden 119 km nicht bewältigen. Obwohl ich mich in den letzten Monaten an die Akkusituation hätte gewöhnen müssen, stresst es mich noch immer eventuell ohne Energie liegenzubleiben. Ein gutes Energiemanagement ist und bleibt für diese Tour wichtig. Dabei spielen die Elemente, die Beschaffenheit des Landes, der Straße und unser psychische und physische Konstitution eine wesentliche Rolle. Es ist zweifelsohne eine Herausforderung mit unserer begrenzten Reichweite, durch solch ein einsames Land zu kommen. Mit Blauäugigkeit und sich auf sein Glück verlassen, würde einen E-Bike-Reiter schlichtweg untergehen. Ich bin mir absolut sicher, dass in wenigen Jahren, unsere heutigen Herausforderungen der begrenzten Reichweite, Geschichte sein wird. Die Akkukapazität wird sich in der Zukunft ständig verbessern. Dann wird Energiemanagement nicht mehr den Stellenwert besitzen welches es auf dieser Tour für uns hat. Auch wenn ich gerne 5000 Watt Akkus besäße, um damit vom ständigen Laden unabhängiger zu sein, liegt genau darin ein gewisser Reiz und Abenteuer. Schon jetzt hat uns nämlich genau das Aufladenmüssen zu interessanten Orten und Erlebnissen gebracht, die wir sonst nicht gesehen und erfahren hätten. Also passt alles so wie es ist. Dies ist für uns sowieso eine der wichtigsten Lebensdevisen. Wir Menschen wollen häufig etwas anderes, besseres, sind mit dem Status quo des Augenblicks nicht zufrieden, obwohl im Grunde genommen alles perfekt ist. Das Streben nach mehr und besser bringt uns außer beachtlich viel Unzufriedenheit gar nichts. „Wuuummm!!!“, fährt mir eine Explosion durch die Glieder und schlagartig sind die Gedanken an das Laden der Akkus, den Seitenwind, den aufgetauchten Hügeln, verschwunden. Sofort beginnt mein Rad zu schlingern. Ich bremse und komme ohne vom Bock gefallen zu sein zum stehen. „Was war das denn für ein lauter Knall?“, fragt Tanja die ihren Roadtrain hinter mir zum stoppen gebracht hat. „Es hat den Hinterreifen zerrissen“, antworte ich fassungslos. „Wie kann das den passieren?“ „Wenn ich das wüsste“, antworte ich und beginne mein Rad zu entladen. „Gut dass du nicht gerade einen Berg heruntergebraust bist“, meint Tanja. „Stimmt“, antworte ich nachdenklich, denn wäre so etwas bei 50 km/h geschehen, hätte ich zweifelsohne einen Abgang gemacht. „Du darfst unter keinen Umständen mehr so schnell einen Berg runter fahren“, ermahnt sie mich. „Ja, ja, ich fahre doch kontrolliert“, sage ich über den unerwarteten Stopp sauer. Der kalte Westwind lässt mich bei meiner Arbeit erschaudern. Zum Glück ist heute ein sonniger Tag. Im Grenzcamp hatte ich testweise Pannenschaum in meinen Hinterreifen gefüllt und war mir sicher, dass dieser nicht mehr platt werden kann. Nun, diese erneute Reifenpanne hat mich eines Besseren belehrt. Ich ziehe einen der neuen Mäntel auf, die uns Riese und Müller und Schwalbe nach Erenhot geschickt hatte. Jetzt ist auch der letzte Reifen durch die neue Lieferung ersetzt. „Was machst du denn da? Wir müssen weiter“, sagt Tanja als ich vor meinem Hinterrad knie und es anstarre. „Ich frage mich warum es den Schlauch zerrissen hat. Das ist doch kein normaler Platten. Ich habe den Rock Razer mit 3 Bar aufgepumpt. Bisher hatte ich nur 2,5 Bar drin. Obwohl 3,5 Bar erlaubt sind könnte das bei der Ladung zuviel Druck gewesen sein. Egal, jetzt sind die neuen Reifen drauf. Die sind stabiler und halten 4 Bar aus. Mit 3 Bar sollten sie nicht zu voll sein“, sinniere ich laut vor mich hin.

Eine Weile später dreht der Wind und bläst uns zum Glück von Nordwesten in den Rücken. Wir machen Strecke gut, was uns darauf hoffen lässt, unser heutiges Ziel ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Unerwartet taucht das erste chinesische Straßenrestaurant dieser Strecke auf. Wir legen eine Mittagsrast ein und parken unsere Bikes vor dem einfachen Haus. Sofort eilen ein paar Lastwagenfahrer aus dem Restaurant, um uns mit ihren Handys zu fotografieren. Als wären wir Rockstars halten sie unentwegt ihre Apparate auf uns. Wir lachen freundlich und begrüßen die Männer, die nun keine Scheu mehr haben die Radfahrer aus allen erdenklichen Positionen zu filmen. Im Restaurant herrscht Hochbetrieb. Als wir es betreten hören die Anwesenden das Essen auf und starren uns an. „Ni hao“, (Guten Tag) begrüßen wir sie, worauf alle begeistert lachen und unser offensichtlich lustig ausgesprochenes Ni hao im Chor nachsprechen. Kaum sitzen wir, werden die Handys gezückt und kräftig darauf los fotografiert und gefilmt. Wir sind verblüfft. So etwas hatten wir das letzte Mal vor über 20 Jahren erlebt, als wir Pakistan 1.500 km mit den Kamelen durchquerten oder als wir 1 ½ Jahre mit der Royal Enfield, einem alten britischen Motorradnachbau, durch Indien reisten. Nur das es zu damaligen Zeit noch keine Handys gab. „Wir fragen ob wir unsere Akkus laden dürfen. Auch hier in China ist das kein Problem. Sofort zeigt mir der Gastwirt die Steckdose. Weil die Speisekarte auf Chinesisch geschrieben ist gehe ich in die Küche und deute darauf was wir gerne essen würden. Der Koch nickt eifrig und sehr freundlich. Es dauert nicht lange und wir speisen im Wok zubereitetes leckeres Gemüse und ein paar frisch gemachte Mantou (Dampfbrötchen). Eine Stunde später klicken wir wieder die Lenkertaschen ein und verabschieden uns. „Warum ist den der Hundeanhänger so nah an deinem Hinterreifen?“, wundert sich Tanja als ich schon im Sattel sitze. „Was?“, frage ich erschrocken, steige ab und sehe mir das an. Sofort bricht mir der Schweiß aus. „Das glaube ich nicht“, sage ich heute zum zweiten Mal fassungslos. „Was denn?“ „Na so wie es aussieht hat es die neue Deichsel total verbogen. Die ist unbrauchbar.“ „Die ist unbrauchbar?“ „Absolut. Da schau dir das an. Das Rohr hat sich diesmal nicht in der Höhe verbogen sondern ist gestaucht.“ „Wie kann das denn geschehen? Die Straßen in China sind doch bisher fantastisch.“ „Oh man, hört das denn nie auf? Jetzt haben wir zwei kaputte Deichseln. Das kapiere ich beim besten Willen nicht. Wir liegen 20 kg unter der maximalen Zuladung und sind jetzt gerade 50 km damit unterwegs. Das gibt es doch einfach nicht!“ „Denke du solltest die alte Deichsel wieder einbauen“, schlägt Tanja vor. „Bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Die Frage ist nur wie lange die hält und woher wir jetzt wieder eine Neue bekommen sollen. Wenn die nur 50 km hält brauchen wir uns so ein Ding nicht noch mal schicken lassen.“ „Vielleicht können wir sie in einer Werkstatt modifizieren lassen?“ „Puh, weiß nicht was da bei meinen Sprachkenntnissen raus kommt. Zum Schluss haben wir da einen Kaffeekocher dranhängen“, scherze ich. „Wir werden schon eine Lösung finden. Jetzt lass uns weiterfahren. Vor uns liegen heute noch 70 km.“ „Okay“, antworte ich und trete Gedankenversunken in die Pedale.

Die Landschaft ändert sich schlagartig. Ein erloschener Vulkan erhebt sich aus der Erde, Lavagestein und Vulkanasche macht die Region fruchtbarer. Plötzlich säumen Felder und Bäume die gerade Straße. Anscheinend haben wir eine Wetterscheide überschritten. Ein Schwarm kleiner Mücken, die noch von keinem Nachtfrost gekillt wurden, klebt in unserem Gesicht. „Es gibt noch Fliegen!“, jubiliere ich und freue mich zum ersten Mal auf einer Radreise darüber diese kleinen Insekten verschluckt zu haben. Auch das Zwitschern einiger aufgeweckter, lustiger Sperlinge erfreut unser Herz nachdem wir schon lange keine Vögel mehr gehört oder gesehen haben. Immer mehr Siedlungen tauchen auf. Arm aussehende Bauern trennen die Spreu vom Weizen in dem sie die Ernte mit der Schaufel in die Luft werfen. Wenn wir an ihnen vorbeiradeln halten sie inne und können nicht glauben welch Außerirdische gerade durch ihr Dorf gleiten. Wir winken und ernten freundliches, offenes Lachen. Überall herrscht Betriebsamkeit. Die Straßen werden mit Begrenzungssteinen versehen, Häuser werden gebaut und die Plätze vor den Häusern an der Straße werden in allen Dörfern die wir durchfahren in frischem Beton gegossen.

Die Sonne ist bereits untergegangen als wir nach 118 km in das Städtchen Baiyinchagan einrollen. Es ist mit ca. 0 °C recht kühl. Wir sind von dem langen Tag erschöpft. Die ersten Autos fahren mit Licht. Da alles in Chinesisch geschrieben steht haben wir nicht den geringsten Schimmer wo hier eine Unterkunft finden können. Die Ungewissheit ob wir etwas finden nagt an uns. Wir lassen uns vom Instinkt leiten. Tanja lacht und ist wie so oft zuversichtlich. An einer Ampel biegen wir nach rechts ab. Dort herrscht Geschäftigkeit. Das Aufsehen ist groß. Überall bleiben Menschen stehen und sehen uns entgegen. Manche scheinen in eine Art Starre zu verfallen. Wer hätte das gedacht in China so etwas zu erleben. Sicherlich eines der letzten Länder auf dieser Erde in dem ein Europäer so derart auffällt, vor allem wenn er auf bunten Rädern mit Monstergepäck daherkommt. An einem Haus, welches wie ein Hotel aussieht, frage ich. „Nein das ist kein Hotel. Dort in der Seitenstraße“, deutet eine Chinesin. Tanja bittet zwei Jungs auf einem Elektroroller ob sie uns den Weg weisen können. Sofort düsen sie uns voraus. Es ist bereits dämmrig als wir eine große Fläche erreichen auf der unzählige Lastwägen parken. Auch hier herrscht Leben. Es wird rangiert und gehupt. Chinesische Leuchtschrift strahlt uns grell von den verschiedenen Gebäuden entgegen. „Hier ist es“, sagen die Jungs und gleiten auf ihren Elektroroller lautlos davon. „Dort ist das Hotel“, sagt ein Lastwagenfahrer und schickt uns in die falsche Richtung. Wir kehren um, stehen vor einem Haus und einem der einfachen Restaurants. Ein Mann deutet auf die Nachbartür. „Das soll ein Hotel sein?“, frage ich mich. Ermattet stellen wir unsere Böcke auf die Ständer. Während Tanja auf sie achtet betrete ich das Haus. Kaum bin ich von seinem warmen Inneren umhüllt entdecke ich die moderne Lobby. Ich kam durch den Hintereingang. Vorne sieht alles perfekt aus. „Können wir ein Zimmer buchen?“, frage ich mit Hilfe meines Sprachführers. Die Räder und den Hund erwähne ich erstmal nicht. Die Frau am Empfang lächelt mich schüchtern an und greift zum Telefon. Es dauert nur Minuten als ein Chinese erscheint der etwas Englisch spricht. Ich muss unsere Pässe abgeben. „Gerne dürfen sie bei uns übernachten“, sagt der ebenfalls freundliche Manager des Hauses. „Äh, draußen stehen noch zwei Fahrräder und Anhänger. Die müssen ins Haus. Dürfen wir die unter die Treppe stellen?“ Der Manager überlegt einen Augenblick: „No Problem Sir.“ „Super! Very good.“ „Äh… wir haben auch einen Hund. Der muss ebenfalls mit rein“, plaudere ich als wäre es das Normalste der Welt und bete jetzt nicht auf Ablehnung zu stoßen. „What? You have a dog?“, kommt nun die entsetzte Gegenfrage. „Yes“, antworte ich munter lächelnd obwohl mir der Puls bis zum Hals schlägt. Bitte lieber Gott, lass unseren Ajaci da rein. Ich habe keine Lust noch mal in die Kälte zu müssen, um auf der Suche nach einer Bleibe durch eine chinesische Stadt zu fahren. „No. Dogs are not allowed in my hotel“, trifft es mich. „Unser Hund ist sehr lieb. Er beißt und bellt nicht“, versuche ich zu überzeugen und zeige diese Sätze auch in chinesischer Schrift. „Wie groß ist ihr Hund?“ „Ach nicht so groß“, meine ich, schwindle mit meinen ausgebreiteten Armen, die Hälfte seiner eigentlichen Größe angebend. „Kommen sie. Er ist draußen. Sie werden ihn mögen“, versuche ich den Manager erneut zu überzeugen. Endlich erweicht er sich und folgt mir auf den Lastwagenparkplatz. Tanja begrüßt den Mann überaus freundlich. Als er Ajaci in seinem Hänger sieht blickt er entsetzt auf einen großen weißen Hund. „Der ist ganz lieb. Sie dürfen ihn ruhig streicheln“, meint Tanja. Der Manager steht da und überlegt angestrengt. „Oh das ist aber sehr nett von ihnen. Tausend Dank. Wissen sie, wir sind sehr müde und freuen uns über ihre Gastfreundschaft“, plaudert Tanja darauf los obwohl der Mann noch keinen Ton von sich gegeben hat. „Also gut. Sie dürfen ihn mit ins Zimmer nehmen“, verlassen die wunderbaren Worte seinen Mund. „Das hast du grandios gemacht“, flüstere ich Tanja zu als wir die Räder entladen. Kaum stehen ein paar Taschen an der Treppe helfen der Manager und die Frau vom Empfang sofort sie nach innen zu tragen. Nachdem Tanja Ajaci und ein paar Taschen ins Zimmer brachte erscheint sie wieder. „Das hat aber lange gedauert?“, wundere ich mich. „Das Zimmer ist im vierten Stock aber das ist mir heute egal. Unter diesen Umständen hätte ich sie auch in den achten Stock getragen“, meint sie befreit eine Bleibe für die Nacht gesichert zu wissen.

„Haben sie schon gegessen?“, ist der Manager besorgt, nachdem er mir dann auch noch geholfen hat die Räder und Anhänger nach drinnen zu bringen und unter der Treppe zu verstauen. „Nein aber wir sind sehr hungrig“, antworte ich. „Nebenan ist ein kleines und gutes Restaurant“, empfiehlt er uns. „Tausend Dank und noch mal vielen Dank, dass wir bleiben dürfen“, sagen wir. „Keine Ursache“, antwortet er mit einem milden Lächeln.

Weil es schon wieder viele Geschichten gibt die ich aus meinem Kopf in den Computer bringen möchte und Tanja Schmerzen im linken Knie verspürt, entscheiden wir uns morgen einen Tag zu rasten…

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