Ereignisse verzögern unseren Aufbruch
Tag: 91 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
05:38
Sonnenuntergang:
17:35
Temperatur - Tag (Maximum):
32 Grad
Kunawarritji-Camp — 14.09.2001
Der Maler Sidney Moody
Nachdem wir unsere Boys an andere Bäume gebunden haben suchen wir den Maler Sidney Moody auf. „Hallo Sidney, wir möchten gern dein Gemälde ansehen,“ begrüße ich ihn als wir ihn vor seinem Haus antreffen. „Ah hallo Tanja und Denis. Klar gerne, kommt herein,“ antwortet er lachend. Wir betreten die heruntergekommene Wellblechhütte. Auf dem Boden des Raumes liegen einige Matratzen herum auf denen sich neben seiner Frau und ein paar Kindern sich auch die räudigen Hunde wohlfühlen. Auf einem einfachen Tisch steht ein Fernseher aus dessen Lautsprecher laute Musik dröhnt. Wir begrüßen die versammelte Familie und folgen Sidney in einen kleinen Nebenraum. Auf dem Boden liegt ein ca. ein Meter bei ein Meter großes typisches Aboriginegemälde. Die orange, braunen, schwarz, weißen Punkte strahlen uns an. Wir setzen uns zu Sidney auf den Boden und betrachten sein noch unfertiges Kunstwerk. „Es sind tanzende Frauen an den verschiedenen Wasserlöchern,“ sagt er freundlich und deutet auf die unterschiedlichen Kreise. Ich blicke auf die vielen Punkte die an verschiedenen Stellen des Gemäldes einen Zirkel formen. Diese sind wiederum mit Linien verbunden die ebenfalls aus Punkten bestehen. „Wir malen anders als ihr. Die Punkte hier sind die Bemalung der Frauenbrüste. Während der weiße Mann eine Frau zeichnen würde halte ich hier deren Körperbemalung fest. Auch die Ringe hier bedeuten nichts anderes als verschieden Wasserlöcher in diesem Gebiet die durch Wege verbunden sind. Jedes Gemälde ist anders und erzählt eine eigene Geschichte über unseren Stamm und dem dazugehörigen Land.“ „Wie lange brauchst du denn für so ein Bild?“ „Ah das ist unterschiedlich. Manchmal ein paar Tage und manchmal ein paar Wochen. Es hängt davon ab wie groß es ist. Auch muss ich zwischen durch mal etwas anderes tun sonst werde ich verrückt, ha, ha, ha.“ „Seit wann malst du schon?“ „Fünf oder sechs Jahre.“ „Kannst du davon leben?“ „Ja wir verkaufen so ein Bild zwischen 800 und 1500 Dollar an eine Art Agentur. Wenn die Touristen es in Europa oder Amerika zu eine Auktion bringen bekommen sie bestimmt 50.000 Dollar oder manchmal ein paar Hunderttausend dafür.“ „Wann wirst du denn dieses Kunstwerk fertig haben?“ „Am Sonntag glaube ich.“ „Bekommst du keine Rückenschmerzen wenn du dich ständig über dein Bild beugen musst?“ „Oh ja manchmal tut er mir furchtbar weh. Ich habe mir auch eine seltsame Technik angewöhnt. Ich male meine Bilder von außen nach innen während andere Künstle es umgekehrt tun. Für sie ist es leichter, denn sie können sich auf die Leinwand knien derweil ich mich über sie beugen muss.“ „Warum änderst du deine Technik nicht einfach?“ „Ich weiß nicht, vielleicht sollte ich, ha, ha, ha.“ „Was ist denn das für ein Bild da drüben?“ ,fragt Tanja auf ein viel kleineres Kunstwerk deutend welches in der Ecke auf dem schmutzigen Bodens liegt. „Das hat meine Frau Madeleine gemacht. Sie malt ganz andere Sachen als ich. Sie zeichnet Blumen und Blüten.“ „Ja es hat ganz andere Farben. Es ist wunderschön,“ lobt Tanja. „Madeleine malt das Innere einer Blüte. Man muss mit seinen Augen ganz nah ran gehen, um die Details zu sehen die sie dann auf der Leinwand vergrößert.“ „Sidney, kommst du eigentlich auch von Kunawarritji?“ „Nein wir wohnen in Kiwirrkurra. Wir sind nur hier weil der Regen dort alles überschwemmt hat.“ „Gehört ihr auch zu dem Stamm der Martu?“ „Ja wir gehören alle zum gleichen Stamm.“ „Bist du auch schon mal gespeert worden?“ „Ja die alten Männer die noch Knochen in der Nase haben sind gekommen und haben mich bestraft.“ „Warum?“ „Ich habe mir damals ohne zu fragen Madeleine genommen und bin mit ihr abgehauen. Ich hätte es so tun sollen wie es die Tradition verlangt und Geld geben müssen und die Alten fragen.“ „Hat es weh getan?“ „Ja natürlich, ha, ha, ha.“ „Hast du dich auch den Initiationsriten unterzogen?“ „Ja wir alle müssen das tun. Es heißt nichts anderes als in unserem Stamm aufgenommen zu sein. Hier schau dir das an,“ sagt er und öffnet sein Hemd. Zwischen den Brustmuskeln sind zwei entsetzliche und große Narben zu erkennen. „Auweia, das muss aber weh getan haben?“ „Ja sie wollen das du ein bisschen leidest. „Wie wird denn das gemacht?“ „Sie ritzen es mit einem scharfen Stein ein.“ Auch mit Sidney könnte ich mich Tage unterhalten jedoch ist unsere Zeit hier durch den herannahenden Hochsommer sehr begrenzt. Wir verabschieden uns von ihm und gehen zu unserem Camp zurück.
Jeep im See versenkt
Am Nachmittag treffe ich wieder auf Carl der es tatsächlich geschafft hat den Bus zu reparieren und nach Kunawarritji zurück zu fahren. „Da ist ein Landsmann von dir,“ stellt er einen Deutschen vor. Im Gespräch erfahre ich, dass er seinen Jeep etwa 100 Kilometer von hier entfernt im Wasser versenkt hat. „Wie bekommst du ihn denn da wieder heraus?“ „Keine Ahnung. Vielleicht hilft mir Carl.“ „Bist du hierher gelaufen?“ „Nein, ich habe über das Satellitentelefon versucht Hilfe vom Capricorn Roadhouse zu bekommen. Aber die sind total nutzlos. Ich musste sie mehrfach anrufen und ihnen immer wieder meine Position durchgeben. Am Ende ging die Batterie des Telefons zu Ende und ich musste meinen Notsender aktivieren. Anscheinend wurde Carl dann übers Telefon verständigt und hat mich dort abgeholt.“ „Hört sich ja nicht gut an.“ „Ja, ich kann nur hoffen die Kiste da wieder raus zu bekommen. Ich habe keine Ahnung ob ich für solche Sachen versichert bin,“ erzählt er etwas verzweifelt. „Ich wünsche dir viel Glück,“ verabschiede ich mich von ihm und laufe wieder zum Camp zurück, um unsere Geschichte in den Computer zu tippen. Durch den Terroristenanschlag und den daraus resultierenden Schock bin ich nicht zum Schreiben gekommen und haste jetzt meiner Zeit hinterher. „Denis willst du mit uns kommen? Wir versuchen das Auto des Deutschen aus dem Wasser zu ziehen. Du hast somit auch gleich die Gelegenheit dir ein Bild von dem überschwemmten Land zu machen;“ ruft mir Carl zu als ich gerade im Halbschatten eines Busches schreibe. „Ist eine gute Idee. Vielen Dank. Ich ziehe mir bloß schnell Schuhe an,“ antworte ich und schalte den Laptop aus. Wenige Minuten später sitze ich mit Ingo, dem Deutschen, im hinteren Bereich eines geschlossenen Toyota Jeep. Carl sitzt am Steuer und braust mit affenartiger Geschwindigkeit den Track entlang. „Wie lange bist schon in Australien?“ ,frage ich Ingo. „Über zwei Wochen.“ „Und wie lange wirst du bleiben?“ „Insgesamt vier Wochen.“ „Was kostet denn so ein Jeep am Tag?“ „Alles in allem ca. 200 australische Dollar.“ „Wau, ganz schön teuer. Was wird dich denn die gesamte Australienreise kosten?“ „20.000,- australische Dollar bestimmt.“ „Was 20.000,- Dollar für vier Wochen, das ist ja ein Vermögen!“ „Ach egal, das zahlt alles die Bank. Sie bekommen es sowieso nie zurück?“ „Warum das denn?“ „Weil ich vorher sterben werde.“ „Bist du todkrank?“ „Nein aber bei meinem Lebensstil kann ich nicht alt werden.“ „Wie alt bist du denn jetzt?“ „Vierzig und damit lebe ich schon fünf Jahre länger als ich gerechnet habe,“ sagt er und plötzlich wird mir furchtbar schlecht. Nicht das mir das eigenartige Gespräch auf den Magen schlägt, sondern das Geholper und Gepolter in dem Jeep macht mich krank. „Verzeih mir bitte ich muss ein wenig aus dem Fenster sehen. Mir wird furchtbar schlecht,“ entschuldige ich mich bei Ingo. Ich bin es nicht mehr gewohnt mich so irre schnell fortzubewegen. Alles schießt an mir vorbei. Die Bäume, der Boden, der Himmel einfach alles scheint vor mir zu fliehen. Als wir eine Stunde später an einem beachtlichen See ankommen ist mir speiübel. Kreidelbleich stolpere ich aus dem Jeep und verfluche mich diese Fahrt angetreten zu haben. Auf der Etappe Eins ist es mir ähnlich ergangen als uns der alte Jimmy Price auf einen Rundflug über seiner Station eingeladen hat. Damals schwor ich mir nie mehr in eine Chessnar einzusteigen. Jetzt ist es mir mindestens genauso schlecht, aber ich kann mir doch nicht schwören nie mehr in ein Auto einzusteigen? „Da ist es,“ sagt Ingo und zeigt auf einen Toyota der bis zu den Fenstern mitten im See steht. Ich strenge mich an und frage ihn wie er es fertig gebracht hat so weit in einen See hineinzufahren. „Och, als ich um die Kurve dort kam sah erst so aus als wäre es eine der normalen Wegeüberschwemmungen. Als ich bemerkte, dass es etwas Größeres ist habe ich mich an das ungeschriebene Gesetzt gehalten im Wasser niemals zu stoppen. Weißt du, wenn du erst mal stehst können die Reifen im Schlamm versinken.“ „Hm, in diesem Fall hast du Glück gehabt das nicht dein ganzes Auto im Schlamm versunken ist,“ antworte ich, schnappe mir die Kamera und versuche die Rettungsaktion zu filmen. Mittlerweile ist noch ein anderer Jeep, der hier in der Nähe arbeitenden Ölgesellschaften, eingetroffen. Carls Idee ist es mit seinem Allradfahrzeug so nah wie nur möglich an den versunkenen Jeep heranzukommen. Dann will er seinen und den versunkenen Jeep mit einem 50 Meter langen Abschleppseil verbinden. Da das nicht genug ist wird der Allrad der Ölgesellschaft gleichzeitig Carls Fahrzeug ziehen. „Benötigst du meine Hilfe?“ frage ich mit weichen Knien. „Nein danke, wir machen das schon,“ antwortet er. Von einem Erdhügel beobachte ich mit Cathy, die ebenfalls mitgekommen ist, die gesamte Aktion. Nach einer Stunde harter Arbeit hat sich das versunkene Auto von Ingo keinen Millimeter vom Fleck gerührt. „Wir versuchen es von der anderen Seite,“ schlägt Carl vor. Sie umfahren nun das Wasser und nähern sich von einem anderen Uferteil. Das gesamte Gelände ist sumpfig und wenn ich an unsere Kamele denke frage ich mich wie wir so ein überschwemmtes Land durchqueren sollen. Nach Carls Aussage liegt der Track hinter Kiwirrkurra für mehrer hundert Kilometer unter Wasser. Mir wird schon bei dem Gedanken Angst, denn versinkt einer unsere Jungs in so einem Matsch ist es verloren. Auch kann in dieses Gebiet keine Hilfe geschickt werden, denn alle Allradfahrzeuge versinken schon im Schlamm bevor sie das Wasser erreichen. Im Augenblick weiß ich nicht mehr ob mir schlecht vom Autofahren ist oder von der Vorstellung was vor uns liegt. „Wir werden ihn aufbocken und Stück für Stück vom Wagenheber ziehen!“ ruft Carl einen der Ölarbeiter zu die mit Ingo bis zum Bauch im Wasser stehen. Tatsächlich schaffen sie es den Geländewagen mit dem Wagenheber hochzubocken. Sie haben ein dickes Brett darunter gelegt damit der Wagenheber nicht im Morast versinkt und nun hebt der Jeep seine Schnauze etwas aus dem Wasser. „Jetzt!“ ,brüllt Carl und die Reifen der zwei Rettungsfahrzeuge drehen im Schlamm durch. Das Seil spannt sich ruckartig und Ingos Jeep wird um mehrere Zentimeter zur Seite gerissen. Wieder bocken sie ihn hoch und wieder zerren ihn die Fahrzeuge vom Wagenheber. Auf diese Weise bringen sie es fertig das Auto um 90 Grad zu drehen. Ab jetzt ist es nur noch ein Kinderspiel. Die Rettungsfahrzeuge verändern ihren Winkel, kommen also wieder von einer anderen Uferseite, befestigen das Abschleppseil am Rammschutz und ziehen das versunkene Ding ans Land. Nach über zwei Stunden haben sie das Unmögliche fertig gebracht. Ingo ist ein glücklicher Mensch und gibt den zwei Männern von der Ölgesellschaft einen Liter Wein aus seinem sieben Liter Kanister ab. Wir verabschieden uns von den hilfsbereiten Arbeitern und Carl schleppt Ingos Jeep nach Kunawarritji.
Unwissenheit der Kinder gefährdet das Leben von Sebastian
Erst um 21 Uhr komme ich völlig gerädert zum Camp zurück. Ich habe zwar keinen Finger krumm gemacht fühle mich aber als hätte ich Ingos Jeep alleine mit den Händen aus dem See gezogen. „Ich hatte auch eine schreckliche Zeit. Stell dir vor. Ich führte unsere Kamele zum Camp zurück und knotete sie alle an einem fressbaren Baum. Später, als ich noch mal nach ihnen gesehen habe hat mich fast der Schlag getroffen.“ „Was ist denn geschehen?“ „Ich kann es einfach nicht glauben. Wir tun alles um unsere Tiere von den Giftpflanzen fern zu halten und dann das.“ „Ja was?“ „Die Kinder fütterten in meiner Abwesenheit Sebastian mit Gyrostemon.“ „Du machst doch Witze?“ „Nein, es ist zum verzweifeln.“ „Und wie geht es ihm?“ „Bis jetzt noch gut. Komm ich zeige dir woher die Kinder die Gyrostemon holten,“ sagt Tanja und führt mich zu dem Platz. „Also sie brachen diesen Ast hier von dem Busch da drüben ab.“ „Ein großer Ast.“ „Stimmt.“ „Vielleicht hat Moody ja recht damit das die Gyrostemon nur giftig ist wenn sie blüht?“ „Keine Ahnung. Jeffery meint sie sei immer giftig.“ „Ja ich weiß. Wir können wieder nichts anderes tun als bis morgen warten und sehen ob Sebastian eine Reaktion zeigt,“ sage ich worauf wir wieder zum Camp zurück gehen.