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/Astana Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Einem Fantasiebuch entsprungen?

N 51°08'01.6'' E 071°28'44.6''
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    Tag: 82

    Sonnenaufgang:
    05:54 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:43 Uhr

    Gesamtkilometer:
    9285.89 Km

    Temperatur – Tag (Maximum):
    33 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

    Breitengrad:
    51°08’01.6“

    Längengrad:
    071°28’44.6“

    Maximale Höhe:
    338 m über dem Meer

Die Tage in Gafurs Haus sind sehr angenehm. Gafur ist selbstständiger Bauingenieur. Er besitzt einige Bagger und Baumaschinen mit denen er in der Stadt Wasserleitungen verlegen lässt. Sein Neffe Machmut überwacht die Baustellen. Obwohl das Geschäft wegen einer nationalen Finanzkrise um zwei Drittel eingebrochen ist, sind die Beiden täglich unterwegs. Somit kommt es, dass wir tagsüber meist alleine in dem großen Haus sind. Wir genießen die Ruhe und nutzen sie, um uns von den 349 Radkilometern, die wir in nur drei Tagen bis hierher zurückgelegt haben, zu erholen.

Dastan hat vor uns die Stadt zu zeigen, will uns unbedingt zum Essen einladen, erzählt den Anwesenden und seinen Freunden für uns eine Pressekonferenz im Tourismus- und Sportministerium arrangieren zu wollen und einiges mehr. Als ich wenig später seinem Freund Alinberg am Telefon habe und berichte Dastans Angebot  nicht annehmen zu können und wir mit der jetzigen Situation mehr als zufrieden sind, meint er: “Denis, Dastan ist ein guter Mensch und wird es sich nicht nehmen lassen einiges für euch zu organisieren und einzuladen. Lass es bitte einfach zu.” “Okay”, gebe ich nach, doch es kommt völlig anders. Kaum verlässt Dastan Gafurs Haus sehen wir ihn für unseren gesamten Aufenthalt kein einziges Mal mehr. Auch telefonisch ist völlige Funkstille. Irgendetwas hat ihn dazu veranlasst sich in Luft aufzulösen. Dafür kümmert sich Gafurs Neffe Timur und seine Schwester Indira rührend um uns. Indira spricht Deutsch und gibt sich große Mühe uns ihr wundervolles Astana zu zeigen. Timur nimmt sich zwischen seinen zwei Jobs die Zeit und bringt uns in seinem kleinen Lieferwagen ins Zentrum. Zusammengekauert sitzen wir in dem fensterlosen Laderaum und brausen geschüttelt und kräftig gerüttelt durch den dichten Berufsverkehr. Als mir langsam übel wird halten wir Gott sei Dank und beginnen eine Wanderung durch eine bald unglaubliche Welt.

Aufstieg einer ehemaligen Festung zur modernen Hauptstadt

Nachdem wir so viele kaputte Gebäude und Dörfer gesehen haben kommt uns diese Metropole so vor als wäre sie direkt einem Fantasiebuch entsprungen. Angefangen hat es 1824 mit der zur Zarenzeit gegründeten russischen Festung namens Akmolinsk, mitten in der kasachischen Steppe. Menschen siedelten sich an und der Ort wuchs. Die wirtschaftliche Blüte hielt bis zum Russischen Bürgerkrieg. Als später Nikita Chruschtschow in den 1950er Jahren sein Mammutprojekt startete, um die nordkasachische Steppe in eine zweite Kornkammer der Sowjetunion zu verwandeln, wurde die Provinzstadt der so genannte Neuland-Region (Zelinny Kraj) 1961 in Zelinograd umbenannt. Am 16. Dezember 1991 erklärte Kasachstan seine Unabhängigkeit von der UDSSR. Ab diesem Zeitpunkt bekam die 250.000 Einwohner Stadt den Namen Aqmola. Weil Aqmola übersetzt weißes Grab heißt und die Arbeiterstadt wegen ihrer erdbebensicheren Lage, der besseren Kontrolle der russischsprachigen Gebiete im Nordosten des Landes und wegen persönlichen Gründen des Präsidenten Nasarbajew, 1997 zur neuen Hauptstadt erklärt wurde, empfand man den Namen als unpassend und gab ihr den wohlklingenden Namen “die Hauptstadt” also Astana.

Mit staunenden Augen schlendern wir durch diese Stadt. Innerhalb von wenigen Jahren hat man es hier anscheinend fertig gebracht, aus einer kleinen sowjetischen monofunktionalen Arbeiterstadt, eine einmalige und unvergleichliche Metropole zu schaffen, die wenn sie so weiter wächst, eine der modernsten Städte der Welt werden kann. Schon heute leben hier über 500.000 Menschen. Bis zum Jahr 2030 sollen es 800.000 sein.

“In diesem Gebäude walten die Geschäftleute der großen Ölgesellschaften Kasakhoil und KasTransoil”, übersetzt Indira die Erklärung ihres Bruders. “Ah und oh”, rufen wir bald fassungslos über den beeindruckenden Anblick des imposanten und kolossalen Bauwerks der Reichtum und Macht ausstrahlt.

Auf der Prachtpromenade, gesäumt von topmodernen Wohn- und Geschäftshäusern geht es ohne von Autos und deren Abgasen belästigt zu werden vorbei an Springbrunnen die ihr Fontänen im Takt der Musik in die Luft schleudern, an Cafes, getönten Glasfronten, gepflegten, künstlerisch gestalteten Blumenarrangements, Garten und Parkanlagen. Wir besuchen die 300 Tonnen schwere Stahlkonstruktion, den Funkturm Bajterek, und fahren mit dem Aufzug in eine Höhe von 97 Meter. “Bajterek ist der Baum des Lebens”, erklärt Indira. “Wie kommt das?”, interessiert es mich. “Ich kenne die Geschichte nicht genau aber so weit ich weiß ist der heilige Vogel namens Samruk in den Himmel geflogen und hat mit seinen riesigen Flügeln die Sonne verdeckt. Dann ließ er sich in der Krone des Baumes nieder und legte ein goldenes Ei. Daraus schlüpfte Leben und Hoffnung. Die Wurzeln des Baumes riefen die Nacht, um den Tag zu ersetzen, sie riefen den Winter, um den Sommer zu ersetzen und holten sich das Wasser aus den Flüssen der Welt. Der Bajterekbaum, die Erde und seine Krone halten den Himmel. Der große Baum bringt Harmonie zum unendlichen Universum und sorgt für einen Ausgleich zwischen männlicher und weiblicher Energie. So ähnlich war die Geschichte. Dieser Turm ist eine Nachbildung des Bajterekbaumes und das Wahrzeichen unserer Hauptstadt Astana.” “Hm, eine interessante Geschichte und warum legen die Besucher ihre Hand in den Abdruck dort auf dem Podest?”, möchte ich weiterhin wissen. “Das ist der goldene Händeabdruck unseres Präsidenten Nasarbajew. Wenn du deine Hand da reinlegst kannst du mystische Energie auftanken und dir gleichzeitig etwas wünschen”, höre ich und kann jetzt verstehen warum sich die Kasachen, Russen, Tataren und andere in Kasachstan lebende Volksgruppen darum drängen.

Der Blick aus der vergoldeten Kugel ist atemberaubend und man kann von hier oben den Masterplan des japanischen Stararchitekten und Stadtplaner Kurokawa erkennen. Er und der Chefplaner Wladimir Laptew wollen ein Berlin in eurasischer Version entstehen lassen. Wo wir auch hinsehen wird kräftig gebaut. Bis zu 1700 Kräne sollen hier stehen und in der Tat ragen sie ihre gelben schlanken Stahlkörper an allen Ecken und Enden wie die Spargelstangen in den Himmel. Unsere Blicke erfassen ein Sammelsurium architektonischer Gigantomanie. Sie erfassen ein riesiges chinesisches Hotel welches sich ebenfalls gerade im Bau befindet. Wir schauen auf das Diplomatenviertel, den Präsidentenpalast am Ende der großzügigen und zugleich enormen Promenade, den Hochhausturm des Ministeriums für Transport und Telekommunikation, das zweiflügelige Gebäude des Verteidigungsministeriums, der Nationalbibliothek, Bürotürme des extravaganten US-Stararchitekten Frank Gehry neben den Spitzen Minaretten einer Moschee und anderen postmodernen Gebäude im Zuckerbäckerstil, die beispielsweise auch in Moskauer Großprojekten zu finden sind. Noch lange sollen die Bauaktivitäten anhalten. So wird am Ende der knapp zwei Kilometer langen Prachtallee ein überdimensional großes Zelt entstehen, dessen 150 Meter hohes Dach einen zukünftigen weiteren Stadtteil für 10.000 Menschen beherbergen wird. Das wohl größte Zelt der Welt soll an die Epoche des Mongolenführers Dschingis Khan erinnern.

Die Fremdenführerin in dem symbolbehafteten Aussichtsturm berichtet uns von einem Plan der unsere Vorstellungskräfte um ein Vielfaches übersteigt. “Dort hinten! Sehen sie die großen Wasserflächen?” “Ja”, antworten wir. “Sie sind durch Menschenhand entstanden. Dort wird ein künstliches Venedig entstehen. Ein Ort an dem unter einem künstlichen Dach das ganze Jahr die gleiche Temperatur herrschen wird. Es wird Strände geben und alles womit sich ein Tourist vergnügen kann”, erzählt sie mit sichtlichem Stolz während Tanja und ich uns vorzustellen versuchen welchen unfassbaren Energieaufwand es bedarf in der winterlichen kasachischen Steppe solch eine überdimensional große Fläche zu beheizen.

Seit der Umsiedelung der ehemaligen Hauptstadt Almaty (Alma Ata) in das postmoderne Astana hat hier die Regierung viele Milliarden Dollar investiert. Bis zum Jahre 2006, so sagt man, soll eine Investitionshöhe von 8 Mrd. US-Dollar geplant gewesen sein. Nachdenklich stehe ich hier oben und blicke auf den vermeintlichen Reichtum eines Landes mit großen Öl- und Gasvorkommen. Einem Land das in Zukunft wegen seinen Erdölreserven einen immer höheren Weltrang erreicht. Ich denke an all die kleinen Dörfer deren Häuser kurz vor dem Zusammenbrechen sind, an die Lehmpfade auf denen sich deren Bewohner bei Regen durch den Matsch quälen müssen. Ich denke an die große Armut dort, an die Menschen die kaum eine Chance haben jemals ihrem elenden Leben zu entfliehen. Ich denke daran das dieser offensichtliche Reichtum mit seinem Prunk und Protz nicht mit der wirklichen Welt dort draußen zusammenpasst und hoffe, dass der Präsident mit der Entscheidung hier eine Weltmetropole aufzubauen, im Sinne seines gesamten Volkes handelt und jeder heutige Einwohner noch zu seiner Lebenszeit davon partizipiert.

Es dauert Tage um die wunderbare Promenade am Ischimfluss, die beeindruckend Hauptmoschee, das am weitesten vom Meer entfernte Ozeanarium der Erde, die Markthallen, die römische-katholische und russisch orthodoxe Kathedralen und die Pyramide des Friedens und der Eintracht zu besuchen. Noch lange haben wir nicht alles gesehen. Doch unsere Köpfe sind voller Eindrücke und die Zeit drängt. Bis zum Baikalsee ist es noch sehr weit. Mittlerweile sind schon manche Nächte überraschend kühl. Da wir uns hier in der kältesten und windigsten Hauptstadt der Welt befinden, in der die winterlichen Durchschnittstemperaturen minus 15 Grad sind und vereinzelnde Nachtfröste bis zu minus 40 Grad erreichen und weil es in Ostsibirien gut und gern unter minus 40 Grad kalt wird, müssen wir uns beeilen. Mit unserer jetzigen Ausrüstung können wir vielleicht minus 15 Grad überstehen aber wenn es frühzeitig kälter werden sollte müssen wir uns etwas einfallen lassen.

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