Ein Leben lang Medikamente? – Neuorganisation – Mogi der akrobatische Turmspringer – Bilgees Tuwa-Bett
N 51°33'336'' E 099°15'341''Tag: 243
Sonnenaufgang:
07:17
Sonnenuntergang:
19:41
Gesamtkilometer:
1281
Bodenbeschaffenheit:
Eis, Schnee
Temperatur – Tag (Maximum):
minus 5°C
Temperatur – Tag (Minimum):
minus 15°C
Temperatur – Nacht:
minus 26°C
Breitengrad:
51°33’336“
Längengrad:
099°15’341“
Maximale Höhe:
1981 m über dem Meer
Am Nachmittag haben wir wieder Kontakt zu Tsaya. „Die Ärzte sagen jeden Tag etwas anderes. Nach der aktuellen Diagnose bin ich für den Rest meine Lebens gezwungen Medikamente einzunehmen. Wegen der Totgeburt meines Kindes letzten Jahres hat man mir über einen langen Zeitraum starke Antibiotika verabreicht. Das hat angeblich mein Herz vergrößert. In ein paar Tagen darf ich das Krankenhaus verlassen. Ich werde dann nochmal ein anderes Krankenhaus aufsuchen, um mir eine zweite Meinung einzuholen. Wenn sich die Aussagen decken muss ich mich damit abfinden ein Leben lang nicht mehr wie gewohnt leistungsfähig zu sein. Es ist schon ein Schock sich in meinem Alter mit einem dauerhaft kranken Herz abfinden zu müssen“, erklärt sie kleinlaut. „Es wird vor allem riskant sein mit solch einem Herzschaden in der Taiga leben zu wollen“, sage ich später zu Tanja. „Ob ihr das bewusst ist?“, überlegt Tanja. „Ich weiß nicht. Sie ist eine intelligente Frau. Sie möchte um jeden Preis hier draußen leben. Ich hoffe nur nicht das es ihr letztendlich das Leben kosten wird“, sage ich traurig und mitfühlend.
Am kommenden Tag werden wir wieder mit strahlendem Sonnenschein beschenkt. „Land des blauen Himmels“, sage ich mich streckend und die frische Luft tief in meine Lungen inhalierend. Die Sonne des Tages leckt immer mehr an den dünnen Schneefeldern. Die Tagestemperaturen steigen in der Sonne weit über 0 °C und unser restlicher Fleischvorrat, den ich auf dem Dach der Jurte in einem Beutel deponierte, beginnt leicht aufzutauen. „Wir sollten das Fleisch unter das Dach von Tsayas Blockhaus bringen. Dort ist Schatten und wird deswegen nicht entfrosten“, schlägt Tanja vor. Wenn die Tage wirklich wärmer werden bringe ich unsere Vorräte dort in Sicherheit. Bis jetzt ist es aber nur ein kleiner Frühjahrsvorgriff“, antworte ich.
Neuorganisation
Wir nutzen die Zeit um unsere Jurteneinrichtung soweit möglich aufzulösen und geben Hoohod, dem Schwager von Ultsan, der mit seinem Jeep ein paar Tuwa von Tsagaan Nuur in die Taiga gefahren hat, unseren Tisch, zwei Stühle und ein paar Kisten mit. „Bring das Zeug bitte zu Ayush. Er wird es für uns in seinem Schuppen aufheben. In ein paar Tagen, wenn unsere Pferde den Ort Khatgal erreichen, rufen wir dich an und du kannst uns und den Rest unserer Habe abholen“, vereinbaren wir. Weil in dem Jeep nicht genügend Raum ist verschnürt er unseren Tisch auf mongolische Weise einfach auf der Kühlerhaube. Nachdem der Jeep mit einem Teil unseres Hausstandes hinter den kahlen Lärchen in Richtung des Dorfes verschwindet, kümmert sich Tanja um die Bestandsaufnahme der noch vorhandenen Lebensmittel. Ich hingegen sortiere unsere gesamte Technik. Alles an Absicherungen und 220 Volt Ladegeräten usw. bringen wir nach Tsagaan Nuur. Nur das Allernötigste werden wir für unseren Umzug ins Frühjahrscamp behalten. Für mich eine Herausforderung, da ich nichts vergessen darf und trotzdem versuchen muss unsere solarbetriebene Technik arbeitsfähig zu halten. Unsere Energiebox, eine Ersatzautobatterie bleiben ebenfalls im Ort. Wir werden nur eine 80 Amp. Autobatterie und zwei große flexible Solarpanels mitnehmen. Damit sollten wir, so hoffe ich, genügend Energie für Laptops, Kameras und Taschenlampen gewinnen können. Erst beim Aussortieren wird mir bewusst welch einen Luxus wir hier in unserer wunderschönen Jurte besitzen. Auch wenn das Leben in unserem Filzhaus spartanisch ist fehlt es uns an nichts. Schon jetzt werde ich etwas wehmütig wenn ich daran denke diese gemütliche Wohnburg verlassen zu müssen.
Mogi der akrobatische Turmspringer
Jeden Spätnachmittag gehe ich mit Mogi spazieren. Nicht ohne ihm seinen Maulkorb überzuziehen. Mittlerweile trägt er den Beißkorb unseres verstorbenen Hundes Rufus den uns meine Mutter vor etwa zwei Monaten in die Mongolei geschickt hat. Es dauerte viele Wochen bis er den mühsamen Weg von Mörön in unser Camp gefunden hat. Während unseres 7.000 Kilometermarsches durch die australischen Wüsten musste Rufus den Maulkorb wegen den vielen vergifteten Ködern tragen. Farmer werfen dort präparierte Fleischbällchen vom Flugzeug oder dem Geländewagen auf ihr Land, um den Dingos Herr zu werden. Das war für Rufus eine lebensbedrohliche Situation. Wir versprachen unseren Hund damals, dass er die Expedition überleben wird und in der Tat hatte er es geschafft. Mogi trägt nun das Erbe seines australischen Vorgängers. Aber jeden Tag gibt er mir zu verstehen auf solch ein Erbe gerne verzichten zu können. „Wenn du nicht von irgendeinem wütenden Mongolen wegen deiner Jagdleidenschaft erschossen werden möchtest ist der Maulkorb die einzige Möglichkeit. Dieses Ding ist deine Lebensversicherung“, erkläre ich ihm. Mogi schaut mich mit seinen großen Augen an und tut so als verstünde er nur Bahnhof. „Ich will jagen und Schafe, Ziegen, jungen Kühen und alles was von mir davonläuft in den Arsch beißen“, bellt er.
Als er seine Gesichtsrüstung trägt wirft er sich damit in den Schnee und pflügt sie, wie auch schon im Spätsommer, durch das Weiß. Zweimal hat er es auf diese Weise tatsächlich geschafft sich von ihr zu befreien. Jetzt hat Tanja einen weiteren Riemen eingenäht der es Mogi unmöglich werden lässt seinen Maulhelm loszuwerden. „Na komm schon Mogi. Gib es endlich auf!“, rufe ich ihn durch den Wald laufend zu. „Niemals!“, bellt er mich an, springt wie ein Turmspringer in die Luft, nur um Bruchteile von Sekunden später wie ein Kamikaze mit dem Kopf voraus in den Schnee zu stürzen. Dann pflügt er eine lange Schneise durch das Weiß bis er mit seinem Kopf gegen einen der vielen Baumstämme rast. Verwirrt blickt er auf, schüttelt sich, nur um erneut seine Luftpirouette zu drehen. Krachend landet er mit seiner Maulrüstung im harten Schnee um eine weitere Schneise durch die Taiga zu ziehen. „Du bist ein verdammter störrischer Esel!“, rufe ich und laufe weiter während Mogi nun seine akrobatischen Aktionen mit den Kräften eines Sumoringers vereint. Mit beiden Pfoten packt er das lästige Ding vor seinem Gesicht und zerrt daran. Jeder normale Maulkorb würde spätestens jetzt in die Binsen gehen. Gott sein Dank ist Rufus Vermächtnis aus gutem Stahl geschweißt. Mogi hat keine Chance die Lederriemen, die das Ding an seinem Nacken halten, zu zerreißen oder den Stahl zu brechen. Seit zwei Wochen trägt er schon den Maulkorb und jeden Tag beginnt er den Kampf von vorne. Noch nie habe ich einen Hund erlebt der derart hartnäckig und dickköpfig ist. Ich bin wirklich gespannt wie es ist wenn wir wieder mit unseren Pferden unterwegs sind und kann nur hoffen, dass er es nicht doch irgendwie fertig bringt das Unmögliche möglich zu machen und sich von der Beißhemme zu befreien.
Bilgees Tuwa-Bett
Tanja läuft häufig zu einem verlassenen Camp der Tuwa 1 ½ Kilometer von unserer Jurte entfernt. Von dort schleppt sie alte Holzbalken heran. „Gutes Feuerholz“, lobe ich meine Frau begeistert. „Kein Feuerholz. Daraus kannst du für Bilgee ein Bett bauen. Dann braucht er nicht auf dem Boden zu schlafen wenn wir hier noch einige Tage auf den Aufbruch der Nomaden zum Frühjahrscamp warten müssen. „Meinst du der Aufwand rentiert sich? Es wird sich höchsten um ein paar Tage handeln.“ „Du lässt doch unseren Mann nicht auf dem Boden schlafen während wir es uns auf dem Wandan bequem machen?“ „Du denkst das wäre erniedrigend für ihn?“ „Ja.“ „Okay, dann baue ich ein Bett. Hoffe er schätzt das. Als Tanja genügend Balken und grob behauene Bretter herangeschafft hat mache ich mich an die Arbeit. Ich kürze die in der Mitte durchsägten Stämme auf zwei Meter, bearbeite die unebenen Stellen mit der Axt und schleppe sie in die Jurte. Dann lege ich sie auf je einen etwa 15 Zentimeter dicken und auf 90 Zentimeter gekürzte Baumstämme. So das die Bretter Abstand zum Jurtenboden besitzen. „Sieht echt gut aus“, lobt Tanja. „Wackelt noch wie ein Kuhschwanz“, entgegne ich, trage die schweren Bretter wieder nach draußen, um sie erneut mit der Axt zu bearbeiten. Das treibe ich solange bis die Bretter auf meinen Stämmen satt aufliegen. Mit großen Nägeln fixiere ich sie auf den runden Stämmen, lege eine Filzmatte darüber und fertig ist das Bett. „Perfekt. Sieht genauso aus wie die Schlafstätten die die Tuwas in ihren Tipis haben. Denke Bilgee wird sich darüber freuen“, sagt Tanja begeistert. „Ich hoffe“, antworte ich auf meine Arbeit stolz. Ohne den Tisch und den zwei Stühlen haben wir jetzt mehr Platz als vorher. Ich finde unsere Jurte ist jetzt noch schöner und ursprünglicher geworden“, meint Tanja.
Schneefall, Aprilwetter
Noch keine Vorkomnisse,
Bilgee hat sich noch nicht von Khatgal gemeldet
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