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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Bilgees holpriger Aufbruch

N 51°33'336'' E 099°15'341''
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    Tag: 241-242

    Sonnenaufgang:
    07:22/07:20

    Sonnenuntergang:
    19:37/19:39

    Gesamtkilometer:
    1281

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    minus 5°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 15°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 18°C

    Breitengrad:
    51°33’336“

    Längengrad:
    099°15’341“

    Maximale Höhe:
    1981 m über dem Meer

Seit einer Woche telefonieren wir jeden Tag mit Bilgee über seinen Aufbruch. Da Mobiltelefone in diesem abgelegenen Winkel unserer Erde nur sporadische Empfang bekommen ist das ein mühsames Unterfangen. „Und? Klappt es?“, frage ich Tanja die es wiedereinmal versucht. „Nein. Ich probiere es draußen. Vielleicht habe ich dort mehr Glück“, sagt sie und geht mit dem Handy zu einem dünnen Baum vor unserer Behausung, um es für ein paar Minuten in einen Ast zu hängen. Manchmal wird dieser Aufwand mit ein oder zwei Empfangsbalken belohnt. Leider hat Tanja diesmal kein Glück. „Ob er schon unterwegs ist?“, fragt sie. „Ich hoffe“, antworte ich. Obwohl uns Bilgee letztes Jahr versprach sofort zu kommen falls wir ihn brauchen zeigte sich die Realität anders. Bilgee hat vor Wochen einen Job in einem Lebensmittelladen angenommen in dem er sieben Tage in der Woche arbeitete. Als Bilgee kündigen wollte ließ ihn sein neuer Chef nicht gehen. Der Ladenbesitzer hielt Bilgees Gehalt zurück und drohte ihm nicht auszuzahlen wenn er frühzeitig sein Arbeitsverhältnis auflösen wollte. Zumindest war das unsere Vermutung. Bilgee verschob seinen Aufbruch dreimal. Alles kein Problem nur war inzwischen ein Soldat des Militärs unterwegs, um unsere sechs Pferde nach Mörön zu treiben. „Der Hirte kann nicht länger in Mörön bleiben. Wenn Bilgee morgen nicht da ist muss er ins Militärcamp zurück und wird die Pferde wieder mitnehmen“, hatte uns Saraa am Telefon mitgeteilt. Also waren wir unter Druck. Zeitweise spielten wir mit den Gedanken einen anderen Pferdemann zu organisieren falls es Bilgee nicht fertigbringt rechtzeitig am Zielort aufzutauchen. Eine Herausforderung all das aus einer Jurte in der abgelegenen Taiga mit schlechtem Empfang zu organisieren.

Als es Bilgee endlich schaffte sich aus seinem Beschäftigungsverhältnis zu lösen bekam er zwei Tage lang keine Mitfahrgelegenheit. „Die Kleinbusse verlassen Erdenet nicht weil es zu wenig Passagiere gibt“, teilte er uns mit. Gestern früh erreichte unser Mann endlich Mörön. Die Pferde waren inzwischen wieder 25 Kilometer vor der Stadt. „Bilgee wird mit einem Mann des Militärs zu den Pferden fahren“, erklärte Saraa die mit ihrem Organisationstalent Angelegenheit löst die unlösbar erscheinen. „Aber wir haben weitere Probleme.“ „Welche?“, fragte ich das Handy an mein Ohr pressend und meinen Kopf zum Jurtendach herausstreckend, um auf diese Weise zu versuchen die schwache Verbindung aufrecht zu erhalten. „Bilgee hat kein Geld dabei um für sich etwas zum Essen kaufen zu können. Er fragt wer für seine Verpflegung aufkommt?“ „Bilgee wird von uns für fünf bis sechs Monate angestellt und er hat kein Geld für die Anreise dabei?“ „So ist es.“ „Er soll sich Geld von seinem Bankkonto abheben. Wir erstatten ihm dann die Verpflegungskosten wenn er da ist“, sagte ich so gelassen wie möglich. Zwei Minuten später erfuhren wir das er kein Geld auf dem Konto besitzt. „Ich kann ihm leider auch kein Geld leihen weil unser Konto ebenfalls leer ist. Aber ich kann den Lebensmittelladen in unserer Nähe fragen ob ich anschreiben darf“, schlug Saraa vor. „Warte einen Augenblick. Ich bespreche mich mit Tanja“, antwortete ich.

„Er hat kein Geld und sein Konto ist leer“, sagte ich kopfschüttelnd zu Tanja. „Glaubst du ihm?“, fragte sie. „Niemals. Er hat doch die letzten Monate gearbeitet. Ich glaube nicht das er bereits alles ausgegeben hat. Seine Reaktion ist typisch mongolisch. Auf diese Weise versucht er mehr Geld herauszuschlagen“, antwortete ich. „Puh, das ist wirklich enttäuschend. Jetzt zahlen wir ihm schon ein super Gehalt und er bekommt trotzdem nicht genug.“ „Okay, daran können wir nichts ändern. Soll er im Lebensmittelladen auf unsere Kosten anschreiben? Gesetzten Falle Saraa bekommt das geregelt?“ „Haben wir eine andere Chance?“ „Nein. Abgesehen davon geht es ja nicht um viel Geld“ „Es ist nicht die Menge des Geldes sondern das er uns anscheinend nicht traut sein Geld zurückzubekommen finde ich rein menschlich gesehen traurig. Aber was soll’s. So ist es halt“, endete sie, worauf ich wieder das Telefon ans Ohr nahm. „Saraa?“ „Ja.“ „Wie viel Geld wird Bilgee benötigen um ausreichend Lebensmittel einkaufen zu können?“ „20.000 Tugrik. (11,23 €) Das ist mehr als genug.“ „Gut dann soll er sich das Nötige besorgen. Aber keinen Alkohol und keine Zigaretten. Wir werden das Geld überweisen sobald wir in Tsagaan Nuur sind.“ „Alles klar Denis. Es gibt aber noch eine weitere Herausforderung.“ „Und die wäre?“ „Sharga ist sehr schwach.“ „Du meinst er wird die Reise bis Tsagaan Nuur nicht schaffen?“, fragte ich erschrocken. „Kann sein.“ Wieder besprach ich mich kurz mit Tanja. „Gut. Wenn Bilgee der gleichen Meinung ist wie der Hirtenmann des Militärs soll er Sharga im Militärcamp zurücklassen. Wir werden ihn dann im Sommer abholen wenn wir in der Gegend von Mörön sind. Bis dahin hat er sich hoffentlich erholt“, rufe ich wegen der schlechten Verbindung ins Funktelefon. „Eine weise Entscheidung“, antwortete Saraa hörbar erleichtert, dass wir diese Schwierigkeit offensichtlich locker nehmen.

Tags darauf versuchen wir unseren Mann wieder anzurufen, um zu fragen ob er nun endlich auf dem Weg zu uns ist und wie es um Sharga steht. Leider bricht ständig die Verbindung ab und kurz danach ist sein Handy nicht mehr zu erreichen. „Das kann ein gutes oder schlechtes Zeichen sein“, sagt Tanja. „Du meinst er könnte unterwegs und außerhalb der Reichweite des Handynetzes sein?“, frage ich. „Ja aber es ist auch möglich das er dort erst einmal kräftig einen hebt.“ „Wieso das?“ „Erinnerst du dich daran als wir das Militärlager besuchten? Es gab dort jede Menge Selbstgebrannten.“ „Und wenn schon. Dann schläft er seinen Rausch aus und kommt einen Tag später. Darauf kommt es nicht an. Hauptsache er erreicht uns gesund und am besten mit allen Pferden.“ „Das stimmt. Was sollen wir tun wenn Bilgee nur fünf Pferden bringt?“ „Wir müssen versuchen eines in Tsagaan Nuur zu kaufen. Das Problem ist nur das durch die vielen Jadefunde Pferde und alles was damit zu tun hat in dieser Region sehr teuer geworden sind. Shagai sprach von mindestens 500.000 Tugrik (281,- €) für ein normales Reitpferd“, sinniere ich. „Haben wir noch genügend Bargeld hier?“, fragt Tanja, worauf wir sogleich einen Kassensturz unternehmen. „Reicht aus um ein Pferd zu kaufen, uns mit neuen Lebensmitteln einzudecken und einer Notreserve“, stelle ich wenig später erleichtert fest.

„Jetzt nachdem wir über fünf Monate nicht mehr geritten sind freue ich mich schon sehr auf unsere Pferde. Wie ist es mit dir? Bist du auch happy bald wieder unterwegs zu sein?“, fragt Tanja. „Es ist ja nicht für lange dann befinden wir uns im Frühjahrscamp der Tuwa. Aber nach dem endlosen Winter geht es mir ähnlich. Ein Ortswechsel tut uns jetzt bestimmt gut. Vor allem nachdem es hier kaum noch Schnee gibt den wir schmelzen können. Es wird nicht mehr lange dauern und die Tuwa sind gezwungen zum zehn Kilometer entfernten Fluss zu reiten, um Eis für ihren Wasserverbrauch zu holen. Wäre schon gut zu diesem Zeitpunkt unsere eigenen Pferde im Camp zu wissen. Dann bleiben wir unabhängig und können uns unser Eis selbst holen“, antworte ich. „Vielleicht kommt es nicht dazu und der Stamm verlegt noch vor der totalen Schneeknappheit das Lager. Wir werden sehen“, überlegt Tanja.

Plötzlich überkommt mich ein unangenehmes Schwindelgefühl. Ich wende meinen Blick vom Display meines Laptops und fühle in mich hinein. Mir läuft es unangenehm den Rücken hinunter. Selbst im Steiß verspüre ich die unbehaglich Empfindung. Dann lasse ich meinen Blick durch die Jurte kreisen und sehe wie die Tassen an den Haken, Mogis Maulkorb und die über der Leine hängende Wäsche hin und her schwingen. „Ein Erdbeben. Es ist schon wieder ein Erdbeben!“, sage ich. „Was?“ „Na spürst du nicht wie sich der Boden bewegt. Und schau mal auf die Tassen und das andere Zeugs. Alles wackelt“, sage ich. „Oh ja. Tatsächlich. Und es wird stärker!“ „Wow! Gut in einer Jurte zu wohnen. In einem Haus möchte ich jetzt nicht sein“, antworte ich fasziniert unser stark wackelndes Heim beobachtend. Dann, urplötzlich ist der Spuk vorbei. „Irgendwie beängstigend“, finde ich.

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