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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Edgar greift mich an

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    Temperatur - Tag (Maximum):
    ca. 28-30 Grad

Anna Plains Station — 27.05.2001

Um mit unserer Arbeit rechtzeitig fertig zu werden stehen wir ab jetzt schon um fünf Uhr auf. Es ist zu dieser Stunde noch stockdunkel und es fällt uns nicht leicht, doch für unseren Aufbruch schadet es nicht sich jetzt schon an einen anderen Tages Rhythmus zu gewöhnen.

Als die Sonne um ca. sechs Uhr aufgeht befinden wir uns bereits in den Kamelgehegen. Wie jeden Morgen bereite ich das Futter für sie vor. Damit ich in Ruhe arbeiten kann und von den hungrigen Mäulern nicht unaufhörlich gestört werde, befinden sie sich in einem anderen Gehege. Erst fülle ich die ca. sechs Meter lange Futterröhre mit dem Wiesenheu, dann mische ich etwas von dem guten, reichhaltigen Heu darunter und zum Schluss kippe ich zwei Eimer mit den leckeren Pferdewürfeln (Kraftfutter) darüber. Nach einer halben Stunde bin ich fertig und rufe mit Tanja die Kamele zum Frühstück: „Come on! Come on! (Kommt her) Camis, Tuckertime! Tuckertime!“ (Australisch für Fressenszeit) Wie die Wilden springen sie ausgelassen hin und her. Istan führt einen regelrechten Freudentanz auf, lässt bei seinen gewaltigen Sprüngen seinen Kopf baumeln und hebt mit allen vier Füßen gleichzeitig vom Boden ab. Sie schnauben, rasen im Trainingsgehege auf und ab, knallen mit ihren schweren Körpern ineinander und freuen sich auf ihre Kamelweise derart, dass es richtig ansteckend auf uns wirkt. Auch wenn wir dieses Schauspiel bald jeden Tag verfolgen, genießen wir es jedes Mal und müssen herzhaft lachen. Tanja öffnet dann endlich das Tor und eine Kamellawine bricht in das Gehege. Kurz vor dem Fressenstrog bremsen sie ihre Raserei und kaum sind sie dort angelangt bewegt sich ihr langer Hals schlagartig nach unten um ihre Beißer in die Köstlichkeit zu hauen. „Was ist den mit Edgar, will er nicht fressen?“ ,fragt Tanja, denn er steht auf der anderen Seite des Zauns und findet anscheinend nicht herein. „Ich hole ihn,“ antworte ich und klettere über die Holzbalken in die kleine Koppel.

Seit einigen Tagen befinden sich in dem ehemaligen Freizeit und Fressgehege zwei Pferde. John Stoat möchte für den Rinderzusammentrieb in Zukunft wieder Pferde einsetzen. Aus diesem Grund hat einer der Jackeroos aus der zwanzigköpfigen Pferdeherde, die auf der Farm halb wild herumlaufen, schon mal zwei hier hereingebracht. Da es nicht gut ist Pferde und Kamele in der gleichen Einzäunung zu lassen, musste ich den Futtertrog in eine andere Koppel schleppen. So wie es aussieht hat Edgar noch nicht verstanden, dass das Futter nun an einem anderen Platz serviert wird. Er hält sich in einem 10 X 10 Meter kleinem Kral auf, der ein Verbindungstor zum Trainingsgehege besitzt, sich aber unmittelbar neben dem neuen Speiseplatz befindet. Aufgeregt streckt er seinen Kopf über den Zaun und möchte zu seinen Mates, kommt aber nicht auf die Idee außen herum zu laufen. Vorsichtig schreite ich auf ihn zu und greife nach dem am Boden liegendem Nackenseil. Kaum habe ich es in der Hand und ziehe daran, um Edgar herauszuführen, reißt er seinen Kopf nach oben und rast ohne Vorwarnung auf mich zu. Zu Tode erschrocken hebe ich meine Hände in die Höhe, um ihn damit zu schocken, doch auch wenn es sonst immer funktioniert hat, verfehlt es diesmal seine Wirkung. „Ähh! Edgar!“ ,bringe ich noch heraus und werfe in letzter Sekunde das Nackenseil in die Höhe. Es trifft ihm am Kopf, worauf er einen Sekundebruchteil zögert. Im gleichen Moment laufe ich rückwärts, um aus dem Gefahrenbereich zu entfliehen, doch bevor ich in Sicherheit bin setzt Edgar seinen Angriff fort. Entsetzt weiche ich zur Seite aus und falle immer noch rückwärts gehend in die Sandkuhle in der unsere Tiere jeden Tag ein Staubbad nehmen. Wie ein kleiner Wurm liege ich auf dem Rücken und sehe mit panischen Augen auf das riesige Tier das mir jetzt den Rest geben möchte, seine Vorderfüße hebt, um sie auf mich herabzuschleudern. Als würde in mir etwas explodieren rolle ich meinen Körper mit mehreren Umdrehungen zur Seite und entgehe somit seiner Attacke. Edgar stürmt an mir vorbei und als er zurückkommt bin ich schon wieder auf den Beinen und brülle ihn aus Leibeskräften an. Außer mir vor Adrenalin, Panik und Todesangst schnappe ich mir wieder sein Nackenseil und zerre ihn unter lauten Flüchen aus der kleinen Koppel. Kaum bin ich mit ihm draußen, reißt er mir das Seil aus der Hand und stürmt zu seinen Kameraden. Ich möchte ihm das unter keinen Umständen durchgehen lassen und sprinte hinterher. Wieder packe ich das Nackenseil und befehle ihm sich abzusetzen. Tanja ist mittlerweile neben mir und zeigt Edgar das Fußseil, welches sie sich geschnappt hat. Unter Protest, Brüllen, Schnauben und mit Schaum vor dem Maul setzt er sich ab. „Epna!“ ,befehle ich ihm kaum nachdem er sitzt, worauf er sofort wieder aufspringt. „Husch down!“ ,befehle ich gleich wieder, um ihn zu zeigen wer hier der Rudelboss ist. Tanja und ich wiederholen diese Prozedur noch fünf Mal, bis wir ihn entlassen. „Meinst du das diese Lektion genug für ihn war?“ ,frage ich vollkommen außer Atem. „Könnte ich mir schon vorstellen,“ antwortet Tanja und sieht mich besorgt an. Mit meinen Nerven am Ende begeben wir uns zum Haus zurück. Während des Frühstücks habe ich Probleme die ersten Bissen hinunter zu würgen. Es dauert eine geraume Zeit, bis ich mich von dem Schock erhole. Später wird mir klar, dass ich Edgar aus Versehen in die Enge getrieben habe. Als ich auf ihn zukam, konnte er aus seiner Sicht nicht ausweichen, denn das offene Gatter war in seinem Rücken. Er hat also nur den kleinen Raum vor sich gesehen und meine Person die ihn an seinem Nackenseil packt. Für ihn gab es nur die Flucht nach vorne und in diesem Fall war es ein Angriff auf das kleine Wesen vor ihm, welches ihm seit Wochen dazu zwingt Dinge zu tun die mit seinem ursprünglichen Leben absolut nichts gemein haben. Natürlich sind Tanja und ich geschockt über seinen massiven Angriff, doch sind wir überzeugt, das Edgar keinen bösen Charakter besitzt. Klar ist uns auf jeden Fall geworden in Zukunft noch aufmerksamer zu sein als wir eh schon waren.

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