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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Durch Selbstverschulden knapp am Unglück vorbei

N 28°16’13.3’’ E 103°34’34.9’’
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    Datum:
    13.04.2016 bis 20.04.2016

    Tag: 290 – 297

    Land:
    China

    Provinz:
    Sichuan

    Ort:
    Leibo

    Breitengrad N:
    28°16’13.3’’

    Längengrad E:
    103°34’34.9’’

    Tageskilometer:
    7 km

    Gesamtkilometer:
    16.524 km

    Luftlinie:
    2 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    10 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    27.3 km/h

    Fahrzeit:
    0:43 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.300 m

    Gesamthöhenmeter:
    30.814 m

    Höhenmeter für den Tag:
    210 m

    Sonnenaufgang:
    06:43 Uhr – 06:36 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:29 Uhr – 19:33 Uhr

    Temperatur Tag max:
    22°C

    Temperatur Tag min:
    17°C

    Aufbruch:
    08:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    10:15 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Um die vietnamesische Grenze bis Ende Mai erreichen zu können, haben wir eine Kalkulation aufgestellt. Demnach müssen wir jede Woche knapp 300 Kilometer zurücklegen. Nicht viel, könnte man denken, aber wie schon oft erwähnt, geht es ja nicht ausschließlich ums Radfahren, sondern hauptsächlich darum Land und Leute kennen zu lernen. Für uns bedeutet das neben dem Aufsuchen von Sehenswürdigkeiten, Wanderungen, und kurzen Exkursionen auch weiterhin darüber zu schreiben. Aus diesem Grund sind wir zwei Tage in dem Hotel, mit seinem netten Personal, geblieben. Obwohl ich, wie fast immer mit den Aufzeichnungen und dem Archivieren der Bilder nicht fertig bin, müssen wir heute weiter. Vor uns liegt ein sehr langer Tag mit ca. 125 Gebirgskilometern. Um 8:00 Uhr sind wir bereits fertig geladen. „Okay?“, rufe ich. „Okay“ antwortet Tanja, worauf wir beide in die Pedale treten. Weil wir uns an einem hohen Punkt des Bergstädtchens befinden geht es augenblicklich abwärts. Manche Gassen sind derart steil, dass ich Bedenken habe die Reifen könnten beim Bremsen unter der Last zur Seite rutschen. Zum Glück hat es nicht geregnet, weswegen die Straßen relativ trocken sind. Das Geschrei und Dauergehupen sägen an den Nerven. Manchmal habe ich das Gefühl den Chinesen bereitet das Hupen große Freude, denn auch wenn niemand gewarnt werden muss, lassen sie unentwegt das Horn ertönen. Selbst kleine Mopeds besitzen mittlerweile Hupen wie ein 38-Tonner. Beide Bremsen ziehend rollen wir so langsam wie möglich eine schmale Gasse hinunter. Autos kommen entgegen und schneiden uns rücksichtslos, so dass wir nicht nur einmal gezwungen sind eine Vollbremsung hinzulegen. Bei der Weiterfahrt rasen ein paar Hühner über den Untergrund auf dem jegliche Art von Unrat liegt. An manchen Stellen ist es deswegen glatt. „Aufpassen!“, klingt Tanjas Warnruf an meine Ohren. Es dauert lange bis wir uns durch den verrückten Verkehr der Kleinstadt gewuselt haben. An einer Stelle, wo es für ca. zwei Kilometer kerzengerade nach unten geht, halte ich an und blicke auf die Uhr. „Hoffe wir schaffen es rechtzeitig bevor die Straße gesperrt wird“, sage ich zu Tanja, die hinter mir zum Stehen kommt. „Wird schon klappen“, meint sie zuversichtlich. Erst gestern Abend hat uns der Englischlehrer Richard gewarnt, dass die S307 bei dem Ort Zhaojue ab Mittag gesperrt wird weil dort Straßenarbeiten getätigt werden. In dieser Region müsst ihr sehr aufpassen. Die Straßen sind nicht sicher und immer wieder sterben dort Menschen deren Autos von Steinlawinen in die Tiefe gerissen werden. Vor wenigen Wochen sind zwei Jeeps unter Geröll begraben worden. Sechs Ingenieure, die extra dorthin gefahren sind, um sich von der Gefährlichkeit der Piste einen Eindruck zu verschaffen, konnten nur noch tot geborgen werden. Das war eine große Tragik in unserer Region“, erzählte er, weswegen wir an diesem Tag etwas nervös sind. „Fahr nicht zu schnell“, warnt mich Tanja, als wir im Begriff sind über die Serpentinen und Haaradelkurven 800 Meter in die Tiefe zu rauschen, aus der wir uns vor zwei Tagen hier hoch gearbeitet haben. „Ich pass schon auf. Achte aber auch auf dich“, antworte ich und lasse mein Delite losrollen. Vorder- und Rückbremse ziehend geht es nach unten. Immer wieder legen sich Speedbraker in den Weg, die wir mit äußerst Vorsicht überrollen, damit unsere Räder keinen Schaden nehmen. Meist ist das ein Balanceakt, da wir bei der Überquerung solch einer heftigen Barriere so langsam sind, dass das Rad dabei kurz vorm Kippen ist. Plötzlich beginnt meine Vorderbremse laut zu quietschen. „Ob die Bremsbeläge abgenutzt sind?“, geht es mir durch den Kopf. Ich lasse mein Gefährt weiterrollen, jedoch steigert sich das Quietschen schnell zu einem lauten Kreischen. Dann wird die Bremskraft immer weniger bis sie fast ganz aufhört. „So ein Mist und das bei solch einem massivem Gefälle“, zieht ein weiterer Gedanke durchs Gehirn. Obwohl sich die Geschwindigkeit noch immer sehr gut mit der Rückbremse kontrollieren lässt, ist mir klar, vor dem noch extremeren Gefälle, welches in etwa 500 Meter außerhalb der Siedlung beginnt, eine gerade Fläche finden zu müssen, auf der ich das Rad auf den Ständer stellen kann, um die Bremsbeläge tauschen zu können. Völlig unerwartet lässt sich nur 20 Meter später der rechte Bremshebel weiter als vorher durchdrücken. Erst meine ich mir das nur einzubilden, denn die Rückbremse funktioniert nach wie vor einwandfrei. Jedoch glaube ich, dass auch ihre Kraft langsam nachlässt. Da, endlich entdecke ich eine Tankstelle auf der linken Straßenseite. Um zum Stehen zu kommen ziehe ich die Rückbremse. Sie zeigt plötzlich null Bremswirkung. Damit mein Bike nicht gegen die vor mir stehende Betonmauer knallt, springe ich mit beiden Füßen auf den Boden und schaffe es irgendwie nur ein paar Zentimeter vor der Barriere das Rad zu stoppen. „Puuuhhh, Glück gehabt“, sage ich zu mir selbst. Kaum bin ich aus dem Sattel gestiegen, ziehe ich die Rückbremse erneut. Ich kann es nicht fassen, denn sie ist tatsächlich tot. Dann kommt Tanja auf die Tankstelle gefahren und hält neben mir. „Was ist denn los?“ „Meine Bremsen sind ausgefallen.“ „Beide? Du machst doch Scherze?“ „Nein, keine Scherze. Meine Vorderbremse hat schon weiter oben den Geist aufgegeben. Aber in diesem Fall sind es sicherlich die Bremsbeläge. Ich hätte sie vorher prüfen müssen“, antworte ich. „Na da haben wir ja mehr als Glück gehabt. Nicht auszudenken wenn deine Vorderbremse erst in 500 Meter ausgefallen wäre. Dann hättest du hier nicht gehalten und wärst ohne Bremsen in die kommenden Haarnadelkurven gebrochen. Wie kann man in so einem Fall die Geschwindigkeit kontrollieren?“ „Gar nicht. Das wäre zweifelsohne mein Ende gewesen, im besten Fall aber wäre ich mit bösen Verletzungen davongekommen“, sage ich und spüre wie ich am ganzen Körper vor Aufregung zittere. „Und, was glaubst du warum plötzlich die Bremsen ausfallen?“, fragt Tanja aufgeregt. „Wie gesagt, bei der Vorderbremse sind es sicherlich abgefahrene Beläge. Dieses Versagen geht auf meine Kappe. Bei der Rückbremse könnte ich mir vorstellen, dass sich durch das andauernde Bremsen die Bremsflüssigkeit erhitzt hat.“ „Und dann fällt die Bremse aus?“ „Könnte sein.“

Wir ruhen uns ein paar Minuten aus, um unsere Emotionen wieder ins Gleichgewicht zu bekommen. Dann mache ich mich an die Ursacheforschung. Die Bremsbeläge meiner Vorderbremse sind total abgefahren. Bevor ich sie austausche, prüfe ich die Rückbremse und siehe da, sie funktioniert wieder als hätte ich mir den Ausfall nur eingebildet. In einem späteren Telefonat mit Magura erfahre ich, dass unsere Bremsen für eine maximale Traglast von 150 Kg ausgelegt sind. Da ich aber mit Anhänger, der Ladung, unserem Hund Ajaci und meinem Körpergewicht ca. 230 Kg auf die Reifen bringe, ist es kein Wunder, dass bei dem extremen Gefälle die Bremsflüssigkeit anfing zu kochen und somit die Bremse keine Wirkung mehr zeigte. „Sie hätten größere Bremsscheiben einbauen sollen“, vernahm ich den Experten. Letztendlich bin ich froh, dass es für diesen Ausfall eine vernünftige Erklärung gibt und keiner unserer Ausrüster dies zu verantworten hat. Magura und Riese und Müller konnten ja nicht wissen, dass wir so viel Gepäck auf die Systeme laden und ich machte mir bisher nie Gedanken, dass man durch eine schwere Ladung Bremsflüssigkeit zum Kochen bringen kann. Da ich im Laufe unserer Expeditionsreisen viel mit Pferden, Kamelen und Elefanten unterwegs war, muss ich zugeben beim Thema Rad noch viel lernen zu müssen. Fazit ist, dass ich in Zukunft immer drauf achten werde ob das geladene Gewicht mit der Belastbarkeit der Bremsen und anderen Komponenten abgestimmt ist. Aber, das muss ich an dieser Stelle zu meiner Entschuldigung anbringen, Nobody ist perfekt, und ich bin bereit jeden Tag dazu zu lernen und offen für Neues zu bleiben. „Und was glauben sie? Können wir unter diesen Bedingungen weiterfahren?“, fragte ich den Fachmann. „Diese Entscheidung kann ich ihnen nicht abnehmen. Aber wenn sie auf den letzten 30.000 Höhenmetern keine Probleme hatten wird es auch weiterhin funktionieren. In ihrem Fall kamen mehrere unglückliche Faktoren zusammen. Wenn sie rechtzeitig die Beläge der Vorderbremse getauscht hätten, wäre wahrscheinlich gar nichts geschehen, weil das abzubremsende Gewicht sich auf zwei Systeme verteilt hätte. Wenn sie weiterfahren sollten, müssen sie in Zukunft bei steilen Talfahrten rechtzeitig Pausen einlegen, um das System abkühlen zu lassen“, riet er mir.

Beim Wechseln der Bremsbeläge unterläuft mir ein weiterer fataler Fehler. Weil einer der Bremszylinder etwas festsitzt, drücke ich oben auf dem Bremshebel, um ihn zu befreien, dabei poppt er nach draußen und fällt auf den Boden, was zur Folge hat, dass die gesamte Bremsflüssigkeit auf den Asphalt läuft. „So ein Mist!“, fluche ich ungehalten. Ich drücke den Bremszylinder wieder in seine Öffnung, jedoch fehlt nun die Bremsflüssigkeit. „Wir müssen umkehren. Das ist ein technischer Supergau“, sage ich betreten. „Was? Wie ein technischer Supergau?“, fragt Tanja. „Ich habe beim Einbau einen Fehler gemacht. Wenn die Bremsbeläge ausgebaut sind, darf man niemals den Bremshebel betätigen. Zumindest glaube ich das in der Anleitung mal gelesen zu haben.“ „Und du hast ihn gezogen?“ „Ja. Nur ein bisschen, aber das hat gereicht, um einen der vier Zylinder raus fallen zu lassen. Jetzt muss neue Bremsflüssigkeit in das System. Das habe ich noch nie gemacht. Ich denke wir sollten ins Hotel zurückfahren. Dort werde ich die Reparatur in Ruhe ausführen.“ „Hm, ist nicht so schlimm. Gut, dass dir nichts passiert ist. Alles andere ist unwichtig. Und mach dir keine Vorwürfe. Wo gehobelt wird fallen Späne“, beruhigt mich Tanja wie so oft.

Nachdem wir die Räder wieder beladen haben radeln wir die vier Kilometer, die wir gerade den Berg hinuntergerollt sind, hoch und checken erneut ins Hotel ein. Diesmal bereiten sie uns keine Probleme. Jeder meint wir hätten nur einen kurzen Ausflug unternommen. Wir bekommen das gleicher Zimmer wie vorher. Sofort schreibe ich eine Mail an Magura. Ein Techniker aus der Serviceabteilung ruft mich umgehend zurück und erklärt mir das was ich weiter oben im Text schon erwähnte. „Und ist das System noch dicht wenn ich den Bremszylinder nach dem Herausfallen einfach wieder einsetze?“, frage ich geistesgegenwärtig. „Nicht unbedingt Herr Katzer. Wenn ein Zylinder, wie in ihrem Fall, aus der Bremszange herausgedrückt wird, sollte die gesamte Bremszange ausgetauscht werden. Vor allem wenn ein Bremssystem schon ein paar tausend Kilometer auf dem Buckel hat.“ „Oh nein. Das heißt ich benötige eine neue Bremszange?“ „Ja.“ Noch am gleichen Tag geht eine DHL-Sendung von Magura zu Bosch nach Schanghai. Das Paket soll in drei Tagen dort sein braucht aber wegen ein paar Zollbestimmungen sieben Tage. Seit gestern ist das Paket von Schanghai nach Leibo unterwegs. Die Zeit des Wartens verbringen wir mit dem Aufzeichnen unserer Erlebnisse. Im Hotel gehören wir mittlerweile fast zum Inventar. Alle sind sehr freundlich zu uns. Wir rechnen nun jeden Tag mit dem Eintreffen unserer wichtigen Ersatzteile. Und wenn sie da sind hoffe ich in der Lage zu sein ein neues Bremssystem zu installieren und es mit der Bremsflüssigkeit richtig zu befüllen. Für Experten mag das eine Kleinigkeit sein, aber ich persönlich habe vor dieser Arbeit Respekt. Während der Vorbereitung zu unserer E-Bike-Expedition war ich bei Riese und Müller und habe in einem mehrere Tage dauernden Workshop alles gelernt was man wissen muss, um das Delite in der Pampa reparieren zu können. Dabei habe ich auch mehrfach zugesehen wie man Bremsen befüllt. Da dies mittlerweile aber schon gut 1 ½ Jahre hinter mir liegt bin ich nervös. „Das wird für dich kein Problem sein“, ist Tanja wie immer zuversichtlich. „Nicht überbewerten“, antworte ich lachend…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH http://roda-computer.com/ Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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