Die Jahreszeiten bestimmen unsere Geschwindigkeit
Tag: 28
Sonnenaufgang:
7:04
Sonnenuntergang:
17:16
Luftlinie:
19,6
Tageskilometer:
25
Moonijin-Camp — 08.06.2000
Auf Grund der kurzen Tageszeiten haben wir uns entschieden eine Stunde früher aufzustehen. Um 6 Uhr piept Tanjas Uhr. Es ist stockdunkel und unangenehm kalt. Das Thermometer zeigt minus 3 Grad. Am Horizont macht sich ein kaum wahrnehmbares Rosé bemerkbar. Tanja und ich arbeiten wie die flinken Wiesel, um heute früher aufbrechen zu können. Tatsächlich, verlassen wir unser Camp bereits um 10 Uhr und stellen somit eine neue Bestzeit auf.
Wie schon erwähnt geht es uns nicht darum einen Rekord auszustellen, jedoch müssen wir in den nächsten Wochen ein System finden, durch das wir größere Strecken als bisher zurücklegen können. Die Tage im australischen Winter sind sehr kurz. Der Sonnenaufgang ist heute zum Beispiel um 7:04 Uhr und der Sonnenuntergang bereits um 17:16 Uhr. Uns steht also nicht allzu viel Tageszeit zur Verfügung um die viele Arbeit im Camp und die Laufstrecke bewältigen zu können. Abgesehen davon geben uns die Jahreszeiten einen groben Zeitplan vor. Im Dezember beginnt im Norden die Saison der Zyklonen und Stürme. Manche dieser Wirbelstürme sind katastrophal und absolut zerstörerisch. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, unsere erste Teiletappe, “Broome”, bis spätestens Januar erreichen, denn ab diesem Monat treten die Stürme relativ regelmäßig auf. Nach meiner Berechnung sind es bis Broome ca. 2500 Laufkilometer. Da wir ab jetzt noch über 7 Monate zur Verfügung haben, müssen wir ca. 400 Kilometer im Monat zurücklegen. Im Augenblick liegen wir durch all unserer Anfangsprobleme bei der Hälfte der geplanten Strecke. Auch sind wir mit 6 Wochen Verspätung aufgebrochen, was leider von unserer Erholung und Ruhezeit abgeht.
Obwohl sich ein Großteil meiner Gedanken um dieses Thema dreht, sehe ich im Augenblick noch keinen wirklichen Zeitdruck. Wie gesagt wollen wir ja auch das Land, die Natur und unser Leben genießen. Ich rechne fest damit, dass sich unsere tägliche Laufstrecke in den nächsten Wochen stark verbessert. Natürlich spielt bei dieser Kalkulation unsere Gesundheit den wichtigsten Faktor.
“Train! Train! Train!” reißt mich Tanjas Warnruf aus meinen Gedanken. Ein bis drei Mal am Tag kommt uns ein Güterzug entgegen. Die Kamele haben sich mittlerweile an das eiserne Monster gewöhnt. Außer große Augen und einigen nervösen Blicken zeigen sie kaum Reaktion. “Tuuuhhht! Tuuuhhht!”, ertönt das schrille Hupsignal. Der Zugführer lehnt lachend aus dem Fenster und winkt uns aufmunternd und freundlich zu. Es tut uns gut das die Australier uns so wohlgesonnen sind. Nahezu jede Begegnung mit den Menschen hier ist eine schöne Begegnung, in der uns die Landbevölkerung Begeisterung und ihren Zuspruch entgegen bringt. Später als wir den kleinen Ort Amery erreichen wartet eine gesamte Schule auf uns. 15 Kinder und eine Lehrerin beinhaltet die Dorfschule. Interessiert fragen uns die jungen Schüler warum wir diese Reise unternehmen, wollen wissen was ein Kamel frisst und wo wir nachts schlafen. Wir nehmen uns die Zeit um ein Foto mit den Kindern zuschießen, welches wenige Tage später in der kleinen Tageszeitung von Goomalling auf der Titelseite erscheint. Dann verabschieden wir uns und setzen unseren Marsch fort.
Eigentlich wollten wir gleich hinter Amery unser Lager aufschlagen. Leider liegt hier viel menschlicher Schutt herum worauf wir gezwungen sind unsere müden Knochen weiter zu treiben. Es ist bereits 16 Uhr und Zeit, unsere Zelte aufzuschlagen doch lässt der Zaun links und rechts neben den Schienen keinen Platz für ein Camp zu. In etwa 3 Kilometer Entfernung entdecken wir eine Baumreihe die das karste Farmland von links nach rechts durchschneidet.
Oft deuten solche Baumreihen auf eine Straße oder einen Weg hin, an dem es manchmal möglich ist, einen Übernachtungsplatz zu finden. “Da vorne sieht es gut aus!”, rufe ich Tanja und Jo aufmunternd zu, die der Karawane hinterhereilen.
Als wir die vermeintliche Baumreihe erreichen, muss ich feststellen, dass die Schienen sich in einer starken Rechtskurve von ihr entfernen und es keine andere Möglichkeit gibt durch den Zaun zu kommen als, diesen zu zerschneiden. Frustriert folgen wir unserem eisernen Wegweiser. Um ca. 17 Uhr erreichen wir eine weitere Baumreihe die das Land durchzieht. Diesmal haben wir Glück. Ein Farmer kommt uns mit seinem Jeep entgegen. Er hat von weitem unsere Kamele entdeckt und will wissen wer wir sind.
Der Schafzüchter Jo und sein Sohn Adam bieten uns nur etwa 500 Meter entfernt von hier eine Campmöglichkeit auf ihrem riesigen Land an. Wir nehmen das Angebot freudig an und eilen mit ausgreifenden Schritten zu unserem Übernachtungsplatz. Noch bevor ich die Zelte aufbauen stelle ich das Flying Doktor Radio auf, um mit Tom in Verbindung zu treten.
“Ja Denis ich kann dich gut hören!” scheppert es aus dem kleinen Lautsprecher. “Wo seid ihr? Ich habe die letzte Markierung von euch an dem Bahnübergang bei Amery gelesen.”, sagt Tom worauf ich ihm unsere jetzige Position erkläre: “5 Kilometer nach Amery führt ein Schotterweg über die Gleise. Den musst du etwa 500 Meter in Richtung Westen folgen und dann siehst du schon unser Lagerfeuer,” antworte ich ihm. “Okay, ich werde es finden. Over and out,” schließt er wie es die Regel verlangt unseren Funkkontakt. Nur 10 Minuten später hat Tom unseren Platz gefunden. Wie immer, wenn er uns besucht und Jo für eine Nacht oder ein paar Tage abholt, bringt er frisches Regenwasser und andere Notwendigkeiten für die Red Earth Expedition mit. Wir umarmen uns freundschaftlich und berichten von den Geschehnissen der letzten Tage.
Noch bevor uns die beiden wieder verlassen bauen wir die vorderen Sattelpolster von Sebastians Sattel ab. Es sind die letzten Sattelpolster die mit einem Kunststoffschaum gestopft sind. In den vergangenen Tagen mussten wir feststellen, dass Sebastian durch diese Polster sich an seinen Schultern so wundgerieben hat, dass an einer Kinderhand großen Stelle sein gesamtes Fell verschwunden ist. Eine große aufgeplatzte Blase zeugt nun davon was Sattelpolster anrichten können, wenn sie nicht mit Stroh gestopft sind. Stroh ist das einzige natürliche Material was sich dem Kamelkörper anpasst und gut atmen kann.
“Alles was mit Kunststoff oder Kunstschaum zu tun hat sollte unter keinen Umständen als Sattelpolster verwendet werden!”, sagen Jo und Tom. Schon nach 12 Marschtagen beweist sich ihre Aussage. Jo wird über die nächsten zwei Tage die Sattelpolster mit Stroh stopfen und sie am Samstagabend wieder bringen.