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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 3

Der alte Postweg löst sich in Luft auf

N 22°57’52.3“ E 144°47’25.5“
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    Tag: 189 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 580

    Sonnenaufgang:
    05:27

    Sonnenuntergang:
    18:45

    Luftlinie:
    17,6

    Tageskilometer:
    27

    Gesamtkilometer:
    5859 km

    Temperatur - Tag (Maximum):
    38° Grad, Sonne ca. 60°

    Temperatur - Nacht:
    18° Grad

    Breitengrad:
    22°57’52.3“

    Längengrad:
    144°47’25.5“

Sitzhöcker-Abschleif-Camp — 21.11.2002

Heute wache ich schon ein paar Minuten vor 03:00 Uhr auf. Damit ich nicht wieder einschlafe wecke ich Tanja. Dann überwinde ich wie jeden Morgen meinen inneren Schweinehund und führe meine Rückengymnastik durch. Alles läuft reibungslos, nur das die Müdigkeit ein ständiger, bald schmerzhafter Begleiter ist.

Beim Laden untersuche ich Istans Wunde. Sie sieht Gott sei Dank etwas besser aus und wenn Jafars Wunde sich nicht mehr neu entzündet ist sie hoffentlich bald verheilt.

Schon kurz nach 06:00 folgen wir wieder dem alten Postweg. Wir kommen gut voran, bis wir auf ein Gatter treffen auf dem Vera Park geschrieben steht. „Camis udu!“ ,befehle ich und sehe mir das Schild an. „Ob Vera Park ein Nationalpark ist?“ ,frage ich Tanja. „Glaube ich nicht,“ antwortet sie und ist im Begriff das Tor zu öffnen. Plötzlich entdecke ich in der Ferne eine Bewegung. Bei genauem Hinsehen glaube ich einen Traktor zu erkennen. „Kommt der in unsere Richtung?“ fragt Tanja. Ich konzentriere mich auf das kleine Ding, um festzustellen wohin es sich bewegt. „Ich glaube schon,“ antworte ich nach einer Weile. „Wir sollten hier besser auf ihn warten. Vielleicht ist er der Besitzer von Vera Park und kann uns ein paar nützliche Tipps geben,“ meine ich noch und setze mich müde auf den Boden um zu warten.

Minuten später kommt der laut zischende Tracktor dampfend neben uns zum stehen. Ein Mann mit einer Halskrause klettert heraus und begrüßt uns. Wir erklären ihm wohin wir gehen und fragen ob der alte Postweg durch Vera Park führt. „Ich weiß nicht. Er wird schon ewig nicht mehr benutzt. Ihr seid besser dran wenn ihr von hier nach Norden zur Leebrook Station geht. Von da sind es nur 25 Kilometer bis zur Asphaltstraße die nach Aramac führt.“ „Asphaltstraße? Eine Asphaltstraße ist das Letzte was wir wollen. Laut meiner Karte müsste das außerdem ein gewaltiger Umweg sein,“ antworte ich. „Du hast eine Karte?“ „Klar, ohne Karte siehst du hier draußen ganz schön alt aus,“ scherze ich. „Lass mal sehen,“ sagt der Mann, worauf ich die Karte von Sebastians Sattel ziehe. „Also, ihr seid da oben,“ sagt er auf einen Fleck deutend der mindestens fünf Kilometer von unserer augenblicklichen Position entfernt liegt. „Was? Da oben? Das kann nicht sein,“ antworte ich erschrocken. „Es ist besser ihr geht zur Homestead von Leebrook. Von dort ist der Weg einfach.“ „Aber das sind doch mindestens 50 bis 70 Kilometer Umweg. Dafür benötigen wir zwei bis drei Tage länger!“ ,meine ich meine aufkommenden Emotionen kontrollierend. „Es ist besser diesen Weg zu gehen. Da geht ihr nicht verloren.“ „Wir sind nun bald 6000 Kilometer durch dieses Land gelaufen. Ich glaube nicht dass wir hier verloren gehen.“ „Aber auf der anderen Seite von Leebrook gibt es meines Wissens kein Tor im Grenzzaun,“ entgegnet der Mann. „Wir finden schon einen Weg,“ antworte ich und will ihm nicht verraten im Notfall den Zaun um zu legen und wieder auf zu bauen. „Na gut. Also wenn ihr hier durchs Tor geht dann haltet euch rechts. Dann folgt ihr einem Track nach Norden und wenn er sich gabelt geht ihr nach Süden. Dort trefft ihr dann auf den Zaun. Ihr folgt ihm etwa zwei bis dreihundert Meter nach Norden, bis ihr auf ein altes Gatter stoßt,“ erklärt er und malt mit seinen Finger eine recht unübersichtliche Karte in den Staub. „Okay,“ antworte ich nichts von dem verstehend was er uns versucht hat zu erklären. Seitdem er unsere Position in der Karte so schrecklich missgedeutet hat fällt es mir sowieso schwer seiner Beschreibung glauben zu schenken. Zu oft hat man uns in den letzten Jahren auf den falschen Track geschickt und zu oft haben wir unbrauchbare, in die Irre leitende Informationen bekommen. Wir verabschieden uns so schnell es die Höflichkeit zulässt und folgen dem Track weiter Richtung Osten.

Nur einen Kilometer danach erreichen wir ein natürliches Wasserloch in einem Seitenarm des Aramac Creek. Da wir nicht wissen was vor uns liegt nutzen wir die Gelegenheit, um unsere Kamele zu tränken. Obwohl sie erst vorgestern ausgiebig gesoffen hatten schleppen wir 30 Zehnlitereimer zu ihnen, bis sie endlich befriedigt sind.

Wir sind gerade fertig, als ein weiterer Jeep neben dem Wasserloch anhält. Der Fahrer steigt aus, um uns zu begrüßen. „Etwa drei Kilometer von hier ist ein viel besseres Wasserloch. Dort solltet ihr eure Tiere tränken,“ schlägt er vor. „Vielen Dank aber unsere Kamele sind bereits voll,“ antwortet Tanja freundlich. „Weißt du ob dies die alte Poststraße nach Aramac ist?“ ,möchte ich wissen, um sicher zu gehen. „Keine Ahnung. Ich helfe auf dieser Station nur aus. Aber wenn ihr dem Hauptweg folgt kommt ihr zu einer Farm. Von dort gibt es bestimmt eine Verbindung nach Aramac. Vergesst nicht einfach dem Haupttrack zu folgen. Er ist nicht zu übersehen und ihr könnt nicht verloren gehen,“ empfiehlt er und fährt dann wieder davon.

Als wir 15 Minuten später auf eine Wegegabel stoßen führen einige Autospuren nach Süden. Nur eine alte, kaum sichtbare Spur windet sich nach Osten. Der Empfehlung des Jeepfahrers folgend nehmen wir den Hauptweg der tatsächlich nicht zu übersehen ist. Es dauert jedoch nicht lange, bis mich ein unangenehmes Gefühl dazu zwingt das GPS aus der Tasche zu holen. Genervt stelle ich fest immer noch in Richtung Süden zu gehen anstatt nach Osten. Ob der kaum sichtbare Weg der Richtige war? Es vergeht eine weitere Stunde in der wir uns dem Dorf Aramac keinen Meter genähert haben. Ich denke über ein Umkehren nach. Doch wer weiß schon ob der kaum sichtbare Track tatsächlich nach Osten führt? Es ist leicht möglich das auch er sich schnell in eine falsche Richtung schlängelt oder sogar im Staub verliert.

Abgesehen davon bedeuten eine Stunde hin und eine Stunde zurück eine etwa 10 Kilometer lange Laufstrecke. Für mich ein äußerst unangenehmer Gedanke. Ich ärgere mich gestern Abend nicht eine exaktere Navigation in den Computer eingetragen zu haben. Allerdings konnte ich nicht wissen, dass sich dieser, in der Karte eingetragene Postweg, so oft gabelt. Vielleicht haben wir seine Spur schon gestern verloren?

„Wann willst du endlich ein Camp aufschlagen?“ ,fragt Tanja erschöpft. Da sie bisher nicht weiß, dass wir uns in die falsche Richtung bewegen muss ich sie jetzt noch mehr deprimieren. „Oh nein! Heißt das wir müssen umkehren?“ „Ich glaube nicht. Wir können uns immer noch in einem Querfeldeinlauf zu unserem Weg durchschlagen,“ antworte ich. Eine weitere halbe Stunde später ist meine Entscheidung gefallen. Wir verlassen den Track der uns kaum ein paar Meter näher ans Ziel gebracht hat und laufen über das von stachligen, ausgetrockneten Büschen bewachsene Land. Wir überqueren ein paar Creeks, in denen uns die Sonne unser Blut in den Adern kochen lässt und finden auf der anderen Seite einen Campplatz unter einer Gruppe Gidyeabäume. Ausgelaugt und enttäuscht, heute nicht sehr weit gekommen zu sein, schlagen wir unser Lager auf.

HARDIES VERLETZTER SITZHÖCKER SCHNEIDET IHM INS FLEISCH

Bevor Hardie zum Fressen gehen darf, taste ich wie jeden Tag seinen Körper nach eventuellen Satteldruckstellen ab. Dann lasse ich ihn aufstehen und bin im Begriff ihn wegzuführen als mein Blick auf eine offensichtlich blutende Stelle an seinem Sitzhöcker hängen bleibt. „Oh Gott! Hardie hat sich seinen Sitzhöcker aufgerieben,“ sage ich entsetzt. Sofort sehe ich mir die Stelle genauer. Die Hornhaut des Sitzhöckers ist eingerissen. Er muss sich in den letzten Tagen auf einen scharfkantigen Stein gesetzt haben der den Rand der Hornhaut aufgesplittert hat. Das abstehende, harte Hornhautteil dringt nun während des Laufens wie ein Messer in die Innenseite seines Oberschenkels und reibt ihn böse auf. Das rohe Fleisch sieht heraus.

(Wenn sich Kamele zum Schlafen absetzen, ruht ihr Gewicht nicht nur auf den vier Knien, sondern auch auf einer Art Höcker der sich kurz hinter den Vorderbeinen auf der Bauchseite befindet. Dieser von uns genannte Sitzhöcker hat auf der Unterseite eine grobe, sehr feste Hornhaut. Er wirkt während des Sitzens wie ein fünftes Bein. Beim Laufen gleiten die Oberschenkel der Kamele in einem dichten Abstand an dem Sitzhöcker vorbei.)

„Oh weh, das sieht nicht gut aus,“ sage ich nachdenklich. „Was können wir tun um ihn zu helfen?“ ,fragt Tanja besorgt. „Keine Ahnung,“ antworte ich ratlos. Eine ganze Weile stehen wir neben ihn und überlegen. Uns ist klar, dass diese Verletzung Hardie in wenigen Tagen außer Gefecht setzen wird. Natürlich ist nicht daran zu denken ihn zurückzulassen. Wir benötigen dringend seine Arbeitskraft. Auch wenn wir ihn völlig entlasten und seine gesamte Ausrüstung auf die anderen verteilen, wird er sich eventuell weiter seinen Oberschenkel aufreiben. „Von wegen das die Expedition einfacher wird. Anscheinend gibt es tatsächlich unzählige Varianten von Herausforderungen die nie abreißen werden,“ stöhne ich immer noch ratlos. „Hm,“ flüstere ich leise als sich ein seltsamer Gedanke in meinen Gehirnwindungen zu formen beginnt. „Was? Was meinst du mit, hm? Hast du eine Idee?“ ,will Tanja wissen. „Ich glaube schon. Es klingt zwar seltsam, aber es könnte helfen.“ „Und wie sieht sie aus?“ „Ich werde ihm die abstehende und eingesprungene Hornhaut mit der Feile abschleifen.“ „Du willst ihm mit der Feile am Sitzhöcker herumschleifen? Ob das funktioniert?“ „Wir haben nichts zu verlieren. Einen abgebrochenen Fingernagel schleift man ja auch ab. Die Hornhaut ist gefühllos, also wird er keine Schmerzen empfinden,“ meine ich, packe mein Leatherman (Messer, Werkzeug welches ich immer am Gürtel trage) aus, klappe die Feile heraus und setze sie an der beschriebenen Stelle an. Während ich nun vorsichtig die abstehende Hornhaut von Hardies Sitzhöcker abschleife, streichelt ihn Tanja und redet ihm gut zu. Sollte es ihm weh tun, könnte er mir leicht einen Tritt verpassen. Ich bin bis aufs Äußerste angespannt. Der Wind weht die Hornhautpartikel davon. Langsam wird der abstehende Dorn kleiner, bis er glatt und somit völlig entschärft ist. „Puuhh, das wäre geschafft. Hast du gut gemacht Hardie. Bist ein starker Junge,“ sag ich und reibe die offene Stelle an seinem Oberschenkel mit einer Heilsalbe ein. „Glaubst du wir haben ihm damit geholfen?“ „Der morgige Tag wird es uns zeigen,“ antworte ich zuversichtlich.

KOORDINATENPUNKTE AUF DEM POSTWEG

Kaum sind die Kamele dann beim Fressen kümmere ich mich um die Navigation. Laut der Karte sitzen wir jetzt mitten im trockenem Flussbett des Aramac Creek. Die alte Poststraße, soweit sie es überhaupt noch gibt, befindet sich nur drei Kilometer nördlich von uns. Aus Sicherheitsgründen lege ich jetzt alle fünf Kilometer ein Koordinatenkreuz auf den alten Track und trage die Daten in das GPS ein. Auf diese Weise werden wir zwangsläufig auf die verlassene Verbindung stoßen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Obwohl sich meine Gedanken bereits wieder um unsere Wassersituation drehen bin ich noch gelassen. Zu diesem Zeitpunkt besitzen wir noch knapp 60 Liter der kostbaren Flüssigkeit. Nach meinen Berechnungen dürften es nicht mehr als zwei, maximal drei, Lauftage bis Aramac sein. Wir verbrauchen im Augenblick etwas mehr als 20 Liter. Wenn wir morgen den Track finden sind wir mit Wasser reichlich bedient. Wenn nicht, müssen wir unser Laufpensum erhöhen und sind auch nicht in Gefahr. Trotzdem ärgert es mich in diesem späten Stadium der Expedition überhaupt noch über Wassermengen und Irrwege nachdenken zu müssen. Wiedereinmal habe ich nie damit gerechnet hinter Longreach noch einmal den Weg verlieren zu können. Hätten wir vielleicht doch den Umweg gehen sollen? „Da geht ihr nicht verloren,“ hat der Mann mit der Halskrause gesagt und somit meine Navigationskenntnisse in Frage gestellt. Ist es nun mein persönliches Ego welches hier noch mal gefordert wird?

Nachdem meine Arbeit abgeschlossen ist schiebe ich meine negativen Gedanken auf die Seite. Ich koche Wasser für unser Abendessen, ziehe unseren treuen Gefährden Rufus ein paar Zecken aus dem Körper und stelle unsere Campbetten auf. Nachdem das Wasser im Billy kocht schütte ich es in die Thermoskannen. Ein paar Tropfen, die daneben gehen, versickern augenblicklich im trockenen Untergrund. Sofort klebt das Erdreich wie Superkleber am Boden der Thermoskanne fest. Es ist kaum zu beschreiben wie schnell sich der dunkle Staub mit dem Wasser vereint und zu einem zähen, lehmigen Brei wird der sich erbarmungslos an alles haftet was mit ihm in Berührung kommt. Sollte es in diesem Land zu regnen beginnen gehen wir ohne Zweifel im Morast, Matsch und Sumpf unter. Das Unangenehme an diesen Lehm ist, dass er nach dem Trocknen steinhart wird. Immer wenn Rufus durch eine Pfütze läuft oder in ein Wasserloch springt, um sich abzukühlen, verkleben danach seine Pfoten derart, das wir Schwierigkeiten haben das harte Zeug wieder rauszubekommen. Lassen wir es drin läuft er sich ganz schnell wund.

Als sich die Sonne dem Horizont neigt liegen wir bereits im Bett. Es hat immer noch 32° Grad. Ein leichter, heißer Wind streift über unsere schwitzenden Körper. Tausende von Fliegen surren herum und haben es immer noch nicht aufgegeben uns wahnsinnig machen zu wollen. Der Vollmond ist im Begriff aufzugehen, während der Sonnenstern seine heißen Strahlen auf die andere Seite der Erdkugel zu werfen beginnt. Es wird nur langsam kühler. Nur allmählich verabschieden sich die Fliegen für heute, um sich irgendwo unter die trockenen Blätter und Sträucher zu verziehen. Lange betrachte ich aus meinem Logenplatz den feuerroten Himmel. Ein paar Wolken scheinen in der Glut regelrecht zu explodieren. Weicher und weicher wird das Rot, bis es in ein blasses Graugelb verschmilzt. Hellwach liege ich da und kann anscheinend nie genug bekommen von den sich täglich wiederholenden und doch jedes Mal anders aussehenden Sonnenuntergängen. Mit dem letzten Blinzeln erhasche ich das restliche Tageslicht, bis bald unmerklich die Nacht hereinbricht und sich schwer auf meine müden Lieder legt. Bis ich wie in Zeitlupe in das Land der Erholung, dem Land der Träume und Fantasien schreite.

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