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Mongolei/Ein Jahr und einen Tag-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Der Abschied von Sar stimmt mich traurig

N 48°55'433'' E 103°39'440''
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    Tag: 411

    Sonnenaufgang:
    06:30

    Sonnenuntergang:
    19:35

    Gesamtkilometer:
    2468

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    9 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    8 °C

    Temperatur – Nacht:
    3 °C

    Breitengrad:
    48°55’433“

    Längengrad:
    103°39’440“

    Maximale Höhe:
    1380 m über dem Meer

Am Morgen kommt wieder ein Verwandter von Ilhauchauu angeritten, um den Ausreißer erneut einzufangen. Gegen Mittag erscheinen Bilgees Nichte Tzolaa mit dem zweijährigen Töchterchen Enchgin, ihrem siebenjährigen Cousin Toogi, ihrer fünfzehnjährigen Cousine Ganchimeg, Tanja, die vergangene Nacht bei Tzolaa unterkam, Bilgees elfjähriger Sohn Husle und ein junger Mann Namens Mogi. Sie purzeln wie reifes Fallobst aus dem winzigen Auto. „Unglaublich! Wie habt ihr darin nur alle Platz gefunden?“, frage ich Tanja. „Du weißt doch, die Mongolen sind Weltmeister im Schlichten. Wir hatten sogar richtig Spaß. Die Kinder sprachen ständig von den Pferden und prahlten was das Zeug hielt. Husle sagte; Mein Vater hat Naraa und Tuya gekauft. Naraa ist das ruhigste Pferd der Welt und mit Tuya werde ich nächstes Jahr am Nadaam teilnehmen und den ersten Platz holen. Mein Großvater hat Sar gekauft, Sar ist das beste Pferd der Expedition. Es ist das Pferd von Denis. Ein richtiges Expeditionspferd. Es kann alles, reitet über steile Berge und schwimmt durch reißend Flüsse, entgegnete Tzolaas Cousin Toogi mit großem Stolz. So ging es die gesamte Fahrt. Am lustigsten wurde es als Mogi sich an dem Gespräch der Kinder beteiligte und sich wunderte das alle Pferde mongolische Menschennamen besitzen. Und der Hund heißt Mogi, sagte Tzolaa worauf wir alle zusammenbrachen vor Lachen.“ „Die Pferde werden es bei ihnen gut haben. Das ist offensichtlich. Aber was mich noch interessiert, wie hast du die erste Nacht in der Zivilisation verbracht? War es ein Schock nach über einem Jahr im Zelt, Jurte und Tipi?“ „Bilgees Familie hat mich mit offenen Armen empfangen und behandelt als wäre ich eine Prinzessin. Es war einfach wunderbar. Ich durfte sogar duschen.“ „Duschen? Oh man, jetzt werde ich wirklich neidisch.“ „Brauchst du nicht. Das Wasser kam kalt aus der Leitung.“ „Kalt? Oh weh. Da musst du doch zu Eis erstarrt sein?“, frage ich weil das Wasser in diesem Land nahezu immer extrem kalt ist wenn man es nicht erhitzt. „Nach den ersten Schrecksekunden war es nicht mehr schlimm. Aber zurück zu deiner Frage. Ja, es war seltsam in einem Haus zu schlafen obwohl es ein Blockhaus war. Sie besitzen Flachbettbildschirm, Computer, technische Küchengeräte aller Art. Irgendwie war es wirklich ein Schock. Ich bin zwar froh wenn wir die Wildnis und Steppe verlassen aber mir nicht sicher ob ich mich an das moderne schnelle Leben der westlichen Welt gewöhnen kann oder will.“ „Ich weiß. Ich darf gar nicht an den Stress der Konsumwelt denken. Wir müssen versuchen den Übergang in die andere Welt so sanft und langsam wie möglich zu gestalten. Noch besitzen wir Zeit. Lass es uns einfach mit Bedacht angehen“, antworte ich.

Die Kinder nutzen den Nachmittag, um auf Naraa und Sar zu reiten. Sie lachen und jauchzen, können gar nicht genug davon bekommen. „Denis?“ „Ja?“ „Wir haben ein kleines Problem“, unterbricht Bilgee meine positiven Gedanken. „Und das wäre?“ „Tzolaa hat kein Geld dabei um Sar zu kaufen.“ „Oh?“ „Sie wollen Sar auf jeden Fall. Der Vater von Tzolaas Mann braucht das Pferd um seine Schafe eintreiben zu können. Er muss erst eine Kuh verkaufen, um flüssig zu sein. Danach wird er euch das Geld geben.“ „Schön. Und wo liegt das Problem?“ „Mogi ist hier, um heute noch Sar abzuholen.“ „Heute?“ „Ja. Er wird Sar nach Erdenet reiten. Die Familie lebt in Jurten am Stadtrand. Sie benötigen Sar. Mit ihm können sie die Kuh auf den Markt treiben. Sobald das Rind verkauft ist bekommt ihr euer Geld. Ich weiß das man ein Pferd nur dann an seinem neuen Besitzer übergibt wenn dieser das Geld in der Tasche hat. Aber du kannst meiner Familie vertrauen.“ „Heute schon? Damit habe ich nicht gerechnet. Wollte eigentlich noch ein paar Aufnahmen mit mir und meinem Pferd machen?“ „Kannst du doch. Die Sonne scheint und Mogi wird solange warten bis ihr mit dem Fotografieren fertig seid“, schlägt Bilgee vor.

Obwohl man uns in der Mongolei schon öfter über den Tisch gezogen hat ist es trotzdem wichtig offen zu bleiben und zu vertrauen. Deswegen sind wir uns einig Bilgee und seiner Familie Sar mitzugeben. Nachdem wir noch ein paar Bilder geschossen haben übergebe ich Sar an Mogi. Ohne langes Gerede schwingt er sich in den Sattel und galoppiert mit meinem Pferd davon. Bis er von einer Bodenerhebung verschluckt wird blicke ich meinem Sar nach. Auf keiner unserer Expeditionsreisen hatte ich so ein hervorragendes, treues und braves Reittier. Ich spüre wie mir die Tränen einer unvergesslichen und unwiederbringlichen Zeit über die Wangen kullern. Der Abschied fällt mir schwerer als erwartet. Wieder geht ein wesentlicher Bestandteil dieser außergewöhnlichen Reise seiner neuen Bestimmung entgegen.

Gleich nachdem Mogi mit Sar verschwunden ist macht sich Tzolaa mit ihren Kindern ebenfalls auf die Rückfahrt anzutreten. Weil heute Samstag ist darf Bilgees Sohn Husle bis morgen Abend im Camp bleiben. Er freut sich die zwei Tage mit seinem Vater verbringen zu dürfen.

Abends sitzen wir alle zusammen im Vorzelt. Der Regen trommelt gegen die Zeltbahn und starker Wind presst sich unter die Schneelappen ins Innere. Das Thermometer steht auf 3 °C. Wir unterhalten uns über den Tag und Sars neues Zuhause. „Ich dachte Tovuu wird Tenger kaufen aber er hat kein Interesse“, sagt Bilgee plötzlich. „Oh, das ist schade. War mir sicher den Pferdeverkauf heute abgeschlossen zu haben“, entgegne ich enttäuscht da wir uns sicher waren auch Tenger an Bilgees Familie verkauft zu haben. „Dachte ich auch. Jetzt müssen wir nach einem neuen Interessenten suchen“, überlegt er. „Wir sollten Ilhauchauu fragen. Er war doch an allen Pferden interessiert. Er wird Tenger bestimmt kaufen“, bin ich überzeugt. „Kann gut sein. Und wenn er ihn nicht nimmt kaufe ich ihn. „Du?“, fragen wir verblüfft. „Ja. Ich werde Tenger für die Jagd einsetzen. Ich benötige ein gutes Reittier und Tenger ist gut, sogar sehr gut.“ „Und wie willst du ihn bezahlen?“ „Ich kann euch die 650.000 Tugrik (394,- €) im nächsten Monat geben.“

Obwohl Tenger bei Bilgee ein sehr gutes Zuhause hätte und er noch dazu mit seiner über alles geliebten Naraa zusammenbleiben könnte, frage ich mich wie Bilgee das Geld aufbringen möchte. „Dir verkaufen wir Tenger für 500.000 Tugrik. (303,- €) Wenn ihn Ilhauchauu nimmt bleiben wir bei dem Preis den wir ihm schon mal genannt haben“, beschließe ich. „Das ist sehr nett von euch. Wenn ihn Ilhauchauu nimmt kann ich mir mit dem Geldverdienen mehr Zeit lassen. Ich werde dann im kommenden Jahr Tenger von ihm zurückkaufen.“ „Aber dann musst du mehr bezahlen weil wir ihn teurer verkaufen?“ „Das lass mal meine Sorge sein. Ilhauchauu isst für sein Leben gerne Murmeltierfleisch. Ich bin einer der wenigen Jäger der Region. Im Tausch mit Murmeltieren bekomme ich von ihm alles was ich möchte.“ „Das ist gut“, sage ich zufrieden weil uns Bilgee somit die Chance gibt Tenger zu einem besseren Preis an den Mann bringen zu können.

Bevor wir uns in die Schlafsäcke verziehen stellen wir die Walkingstöcke wieder als Stützen unter das Vordach. Somit kann Bilgee die vor dem Zelt angepflockten Pferde Naraa und Tenger beobachten. Obwohl es hier keinen Pferdediebstahl gibt wollen Bilgee und wir lieber auf Sicherheit gehen nicht in den letzten Tagen doch noch unsere Pferde zu verlieren. „Man kann nie wissen. Vor zwei Jahren hat man mir mein gutes Gewehr aus meiner Jurte gestohlen“, sagt Bilgee.

„Ptschscht!“, reißt mich ein ungewohntes Geräusch aus dem Schlaf. Erschrocken fahre ich hoch, ziehe den Reißverschluss des Innenzeltes auf und lasse den Lichtstrahl meiner Stirnlampe in die feuchte Nacht gleiten. Die Pferde stehen triefend vor Nässe direkt vor unserem Zelt. „Alles in Ordnung“, denke ich erleichtert. Dann lasse ich den Lichtstrahl über Bilgee und Husle huschen die unmittelbar vor mir im Vorzelt auf dem Boden liegen. Erschrocken bemerke ich das die Beiden in einem See schlafen. Erst jetzt erkenne ich warum. Auf dem ausgestellten Vordach hat sich eine große Wasserlache gebildet unter dessen Gewicht es zusammengebrochen ist. Mindestens zehn Liter Wasser sind auf diese Weise über den Schlafsack und Deel von Bilgee und seinem Sohn geschwappt. Ich stehe auf, schnappe mir einen trockenen Lappen und wische das Wasser weg. Es dauert 15 Minuten bis der See verschwunden und das Vordach erneut errichtet ist. Damit Bilgee und Husle nachts nicht zu frieren beginnen, weil die Nässe ihre Decken durchdrungen hat, breite ich eine trockene Pferdedecke über sie. Müde lege ich mich dann wieder hin und wundere mich welch tiefen Schlaf die Beiden haben. Sie bemerkten weder das auf sie herabstürzende Wasser noch meine Arbeit. Diebe hätten eine ganze Herde klauen können.

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