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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Das Land der Giftpflanzen

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    Tag: 88 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    05:41

    Sonnenuntergang:
    17:33

    Temperatur - Tag (Maximum):
    30 Grad

Kunawarritji-Camp — 11.09.2001

Während ich mich noch todmüde im Zelt wälze steht Tanja auf, um die Kamele zu hüten. Als ich unser Stoffhaus verlasse kommt sie aufgeregt angelaufen. „Ich glaube die Gyrostemon ramulosus entdeckt zu haben. Du musst unbedingt kommen und sie dir ansehen. Einige der Kamele haben definitiv davon gefressen. Ich habe sie jetzt alle an sichere Büsche gebunden damit sie nicht aus Versehen das Zeugs fressen. Komm schnell.“ Flink sprinten wir über die Düne zu unseren Lasttieren, um wieder einmal nach einer vermeidlich giftigen Pflanze zu sehen. „Sieht nicht aus wie die Gyrostemon aber ich bin mir nicht sicher.“ „Da drüben ist eine Größere,“ sagt Tanja. Wir laufen hin und schon aus wenigen Metern Entfernung bin ich mir sicher das erste Mal auf die schon seit langem befürchtete Giftpflanze zu stoßen. „Wie in der von Jo und Tom angegebenen Beschreibung ist es ein sehr saftiger, zwei bis drei Meter hoher Busch der auf einfachen, sandigen Boden wächst. Seine Nadeln sind zwischen zwei und sechs Zentimeter land und die vielen Früchte sehen aus wie winzige Kürbisse. Die Äste lassen sich leicht brechen und die Rinde des Stammes wirkt wie heller oder beige farbiger Kork. „Ohne Zweifel Tanja. Das ist sie. Wirklich gut gemacht. Du hast sie eindeutig identifiziert,“ sage ich erschrocken über den Anblick. „Da, das haben sie gefressen,“ zeigt sie mir eine der Pflanzen an der eindeutig einige Äste abgefressen sind. „Weißt du wer es war?“ „Keine Ahnung,“ antwortet sie und zuckt mit den Schultern. Ich sehe mich um und entdecke Istan der nur 20 Meter hinter der Gyrostemon auf gleicher Linie an einen Busch gebunden ist. „Ich könnte mir vorstellen, dass es Istan war der sie vertilgt hat. Es passt zu seinem Fresswahn.“ „Hm, ja das kann sein.“ „Wir können nur hoffen, dass er nicht viel genug davon zu sich genommen hat. Vielleicht kommt es ja auch auf die Menge an? Wer weiß, wir werden es morgen wissen ob sie ihm geschadet haben oder nicht,“ meine ich geschockt. Geknickt gehen wir zum Camp zurück. Bevor wir wie gestern vereinbart ins Büro gehen, um Jeffery James zu treffen essen wir unser Müsli. Dann packe ich die Karten ein und wir machen uns auf den Weg zum Dorf. Nur 100 Meter hinter der Sanddüne betreten wir die Wellblechhütte „Guten Morgen,“ begrüßen wir Cathy und Carl die hinter jeweils einem Schreibtisch sitzen und sehr beschäftigt sind. Berge von Papieren und Unterlagen türmen sich vor ihnen. Ein paar Aborigines sitzen vor den Tischen und warten auf irgendetwas. „Habt ihr gut geschlafen?“ fragt Carl. „Wie tot,“ antworte ich. Um die beiden nicht zu stören setzen wir uns in eines der herumstehen Sofas. Wir betrachten ein paar Aboriginegemälde die uns in ihren bunten, frohen Farben von der Wand anstrahlen und warten auf Jeffery James. Ein Mann und eine Frau betreten das Büro. Sie holen sich einige Farben. Carl stellt uns vor, worauf wir einige Worte mit den Paar wechseln. Es stellt sich heraus, dass sie Künstler sind und sich Farben für ihre Gemälde holen. „Gibt es auf der Düne Giftpflanzen?“ ,frage ich den Maler Sidney Moody. „Oh ja, die ganze Gegend hier ist mit ihnen verseucht. Früher als die Jackeroos hier ihre Herden durchtrieben sind in einer einzigen Nacht 5000 Rinder verendet. Seit dem Zeitpunkt haben sie einen großen Bogen um diesen Ort gemacht,“ erzählt er mit ernster Mine. „Oh nein. Wenn ich dir einen Ast zeige, würdest du ihn erkennen?“ „Klar.“ „Ich komme gleich wieder,“ antworte ich und verlasse im Laufschritt das Büro, um auf die Düne zu unseren Kamelen zu hetzen. Als ich Istan erreiche trifft mich fast der Schlag. Er hat weißen Schaum vor dem Maul und prustet unaufhörlich wie ein schnaubendes Walross. „Tu uns das bitte nicht an Istan,“ flüstere ich und streichle ihn besorgt. Er hat sich gerade von seiner schweren Lungenentzündung erholt und jetzt sieht es so aus als hätte er sich vergiftet. Schnell breche ich einen Ast von der Gyrostemon ab und jage über die Düne zum Büro zurück. Nach Atem ringend halte ich den Ast hoch und zeige ihn dem Maler. „Das ist er,“ bestätigt er ohne eine Sekunde Zeit vergehen zu lassen. In diesem Augenblick betritt Jeffery das Büro. „Die Pflanze ist giftig,“ ruft er sofort bevor er überhaupt mitbekommt worüber wir uns unterhalten. Mir rutscht das Herz in die Hosentasche und wieder bangen wir um Istans Leben. „Istan hat Schaum vor dem Maul und prustet laut. Ich glaube er reagiert schon auf das Gift. Sollen wir ihm Wasser geben? Wir könnten ja Epsensalz dazumischen. Vielleicht muss er sich dann übergeben?“ „Kein Wasser. Das macht es nur noch schlimmer,“ antwortet Jeffery James. Ich erinnere mich jetzt daran was Jo Tanja einmal erklärte als Tanja wissen wollte was im Vergiftungsfall zu tun ist. „Ihr könnt aus meiner Sicht nichts mehr anderes unternehmen als beten,“ meinte sie.

Sekunden später ist das gesamte Büro auf den Beinen und bewegt sich über die Düne zu unserem Camp. Da wir an Istans Situation so wie es aussieht nichts ändern können, zeigen wir erst mal unseren Besuchern die Sättel, die Solarpaddel und Autobatterie die für unsere Energie sorgt, das Zelt, die Küche und alles andere. Interessiert stellen die Aborigines Fragen und wollen vieles wissen. Erst dann suchen wir Istan auf. Zu meiner Freude ist der Schaum vor seinem Maul urplötzlich verschwunden und von dem Prusten ist nichts mehr zu hören. „Eigenartig, gerade eben dachte ich er stirbt jeden Augenblick und jetzt sieht er total gesund aus,“ grüble ich nachdenklich. Hoffnung kommt wieder auf, dass er überleben wird. Freudig gehen wir dann alle zusammen zurück. „Die Pflanze ist noch viel giftiger,“ meint Jeffery und deutet auf einen wunderschönen Busch mit weißen Blüten. „Wie heißt er denn?“ „Congon ist der Aboriginenahme.“ „Und wie heißt die Gyrosteman?“ „Cawingarra.“ „Ah das ist gut zu wissen wenn wir zu anderen Aboriginegemeinschaften kommen.”

Im Büro setzt sich Jeffery sofort ans Telefon und spricht mit den anderen Aboriginegemeinschaften die auf unserer Route liegen. Jeffery James sieht mich nach einer Weile lächelnd an und sagt Georg Nidma von Kintore hat nichts dagegen das ihr durch dieses Gebiet zieht. Hedrian Young von Tjukurla , Bernett Nubiri von Docker River und all die anderen freuen sich über euren Besuch.“ Ich könnte Jeffery vor Freude umarmen. Tatsächlich hat er mit wenigen Anrufen uns den Weg durch sein Stammesland gebahnt und Tür und Tor geöffnet. Nicht eine Behörde, sondern die Stammesführer direkt haben uns grünes Licht gegeben. Keiner von ihnen hat Bedenken, dass wir die heiligen Stätten entweihen. Keiner von ihnen glaubt, dass wir ihrem Land Schaden zufügen. Natürlich wollen wir das auch nicht und ehrlich gesagt glaube ich das ein Fahrzeug viel mehr Schaden anrichten kann als wir mit unsern Kamelen.

Am Nachmittag suche ich seit über zwei Monaten wieder einmal ein Dusche auf. Ich betrete den winzigen, aus Blech gebauten Raum, hänge meine vor Schmutz steif gewordene Kleidung an den Haken und drehe den Wasserhahn auf. Tatsächlich kommt heißes Wasser aus der Leitung. Ich drehe den anderen Hahn auf, um etwas Kaltes dazu zu mischen und stelle mich dann unter den dicken Wasserstrahl. Selten in meinem Leben habe ich eine Dusche so genossen und noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche so lange entbehren müssen. Wie versteinert stehe ich da und lasse mir das Wasser auf den Rücken plätschern, dann ändere ich meine Position und wiederhole das Spiel. Ich wasche mir die Haare mit Shampoo und bin überrascht wie gut es riecht. Eine halbe Stunde später fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Duftend schreite ich über die Düne und lasse mich mit einem lauten Stöhnen in den Stuhl sinken.

Weiße Maden, eine Delikatesse der Aborigines

Wenig später besucht uns Jeffery James im Camp. Er versichert mir noch mal, dass wir keine Schwierigkeiten haben werden wenn wir durch das Aborigineland marschieren. „Willst du eine Limonade? Ich gehe eine holen?“ ,fragt ihn Tanja. „Nein Danke. Ich wollte euch einladen um Witchetty grups (Lunki) zu essen. Wir haben einige in heißer Asche.“ Tanja und ich sehen uns kurz an. „Gerne,“ antworte ich und weiß nicht ob ich in der Lage bin eine der fetten, weißen Raupen zu essen. Auf unseren Reisen und Expeditionen habe ich schon so einiges an ekelhaften Speisen zu mir nehmen müssen. Von Blutsuppe in der Mongolei bis Termiten bei den Yanomami Indianern in Venezuela war alles dabei. Aber die weltweit bekannte Köstlichkeit der Aborigines ist doch einige Nummern zu heftig für mich. Auf dem Weg durch das Dorf überlege ich mir krampfhaft wie ich mich davor drücken kann. Wir erreichen einen Platz am Rande des Dorfes wo ein kleines Feuer brennt. Da drüben ist mein Haus. Ich habe den Garten eingezäunt weil ich einen Rasen gesät habe. Jetzt können die vielen Dorfhunde nicht mehr alles umgraben. Nächste Jahr werde ich dann ein Barbecue machen,“ sagt er nicht ohne Stolz. Während wir neben dem Feuer stehen stochert eine Frau in der weißen Asche herum. Sie gibt Jeffery einige dicke wurmähnliche Würstchen. „Hier,“ sagt Jeffery und legt mir zwei fette, fingerlange Maden in die Hand. Ich sehe Tanja Hilfe suchend an und weiß nicht was ich tun soll. Nur der Gedanke daran in solch eine scheußliche Made beißen zu müssen dreht mir den Magen um. „Ich kann sie nicht essen,“ sage ich zu Jeffery. Kommentarlos nimmt er mir die Witchetty grups aus der Hand, reißt ihnen den Kopf runter und gibt mir und Tanja eine. Als ob es jetzt einfacher wäre, denke ich mir und sehe mir das im Feuer geröstete Ding an. Tanja dreht sie ebenfalls ein paar mal hin und her und sagt: „Hab dich nicht so? Shrimps isst du doch auch,“ und beißt die Hälfte des Ekel erregenden Wurmes ab. Ich kann und will nicht glauben was ich da erlebe. Verblüfft sehe ich sie kauen. Bevor ich noch eine weitere Sekunde verstreichen lasse überwinde ich mich, öffne meinen Mund und beiße ebenfalls die Hälfte der Made ab. Augenblicklich hebt sich mir der Magen, doch ich beherrsche mich. „Schmeckt nicht schlecht. Wie eine Nuss,“ lache ich und versuche dabei nicht verkrampft zu wirken als sich das schleimige Innere in meinem Mund verbreitet. „Stimmt,“ bestätigt Tanja und verspeist die andere Hälfte des Gewürms. Auch ich schiebe mir den Rest des Kriechtieres zwischen die Zähne, kaue es und schlucke den Brei hinunter. „Wirklich nicht schlecht,“ lobe ich Jefferys Grillkunst und bin froh keine weitere dieser Delikatesse angeboten zu bekommen. Als der rotglühende Sonnenball am Horizont verschwindet verabschiedet sich Jeffery von uns. „Ich gehe jetzt Foodball ansehen,“ sagt er worauf mir wieder bewusst wird wie sehr sich die Welt der Aborigines geändert hat. Wie sehr sie sich der westlichen Zivilisation angepasst haben obwohl sie bis heute kaum etwas mit dem weißen Mann gemein haben.

Bevor wir dann in unser Zelt kriechen suchen wir wie jeden Abend die Kamele auf, um zu sehen ob sich keiner von ihnen in seine Beinseile verheddert hat. Istan sitzt wiederkäuend auf dem Boden und zeigt keine weitere Reaktion auf das Gift. „Morgen werden wir wissen ob er es tatsächlich verkraftet hat,“ raune ich leise. „Du wirst es schon schaffen Istan,“ flüstert Tanja ihn ins Ohr und streichelt ihn.

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