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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 3

Brechen wir 700 Kilometer vor unserem Ziel zusammen?

N 23°24’45.5“ E 144°16’13.6“
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    Tag: 171 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 562

    Sonnenaufgang:
    05:35

    Sonnenuntergang:
    18:37

    Luftlinie:
    15,8

    Tageskilometer:
    33

    Gesamtkilometer:
    5751 Km

    Temperatur - Tag (Maximum):
    40° Grad, in der Sonne ca. 60°

    Temperatur - Nacht:
    17° Grad

    Breitengrad:
    23°24’45.5“

    Längengrad:
    144°16’13.6“

Longreach-Camp — 03.11.2002

ERST DER INSPEKTOR, DANN DIE LAUTEN NACHBARN UND JETZT DER SCHUTTPLATZ

Noch bevor einer unserer lauten Nachbarn aus seinem Rausch erwacht, verlassen wir das Wasserloch am Thomson River. Wir folgen dem schmalen Weg, den ich gestern mit dem Tierinspektor erkundete. Große Schafherden haben hier die Rinderherden ersetzt. Friedlich fressend bewegen sich die kleinen weißen Wolken durch das Meer des gelben Grases. Wir müssen einige Gatter durchqueren, bis wir auf den Schuttplatz von Longreach stoßen. „Den haben wir gestern über die Asphaltstraße dort drüben umfahren. Wenn wir durch das Gatter hier gehen können wir uns vielleicht einen großen Umweg ersparen,“ sage ich auf die entfernte Straße deutend. „Wie du meinst,“ antwortet Tanja und öffnet das Zauntor. Langsam laufen wir auf der westlichen Seite der Schutthalde vorbei. Plastikplanen, Tüten und Papier werden vom Wind durch die Luft gewirbelt und bleiben in den Stacheldrahtzäunen hängen. Der Anblick ist fürchterlich und verkrampft unsere Herzen. Gleich neben der Müllhalde befindet sich das Weideland auf dem die Rinder und Schafe nach Nahrung suchen. 10 Minuten später stoßen wir auf einen stinkenden Abwasserkanal. „Den können wir unmöglich durchqueren. Lass und nach rechts gehen, vielleicht finden wir einen Übergang,“ überlege ich laut und ziehe die Karawane nach Osten. Nur 500 Meter weiter versperrt uns wieder das verseuchte Wasser den Weg und zwingt uns in die Richtung zu laufen aus der wir gekommen sind. Wegen diesen Umweg bin ich plötzlich furchtbar schlecht gelaunt. Rufus bellt wie ein Besessener den vielen Kängurus nach, die hier in großen Horden herumhüpfen. „Das machen die stärksten Nerven nicht mit! Rufus jetzt halt endlich die Klappe!“ ,schimpfe ich, doch er kann sich nicht beherrschen. Genervt von dem ewigen Gebelle, dem hässlichen Anblick der Müllhalde und dem nicht absehbaren Umweg, stoppe ich die Karawane. „Ich hole Rufus vom Sattel. Wenn er an der Leine läuft bellt er vielleicht nicht so,“ schimpfe ich immer noch.

Tanja führt dann unseren treuen Gefährden an der Leine. Es dauert nicht lange, bis wir direkt auf den Schuttplatz stoßen. Menschen sind gerade im Begriff ihren Müll abzuladen. Als sie uns sehen bleiben sie bewegungslos stehen und blicken zu uns herüber. „Die haben auf ihren Schuttplatz bestimmt noch nie eine Kamelkarawane gesehen,“ sage ich und ziehe die Tiere weiter. Im Vorbeigehen winken wir ihnen freundlich zu, worauf die Menschen aus ihrer Reglosigkeit erwachen, um uns ebenfalls winkend zu begrüßen.

An einigen Stellen brennt der Schutt. Beißender Rauch weht zu uns herüber. Unsere Lungen scheinen regelrecht nach Hilfe zu schreien. „Da ist ein Weg zur anderen Seite,“ rufe ich und ziehe Sebastian zwischen zwei Schuttbergen durch. Kraniche schweben über unseren Köpfen und landen elegant mitten im Müll. „Sie scheinen dort irgend etwas Fressbares zu finden,“ stelle ich fest. „Was für ein Kontrast. Sie sehen so wunderschön aus und stolzieren in all dem schmuddeligen Abfall herum,“ antwortet Tanja. „Ja stimmt. Wirklich schade für diese stolzen Vögel,“ sage ich und will nicht glauben, dass wir uns mitten durch den Schuttplatz von Longreach schlagen. Welch ein Gegensatz zu der Einsamkeit und puren unberührten Natur. Über 4000 Kilometer haben wir keine Ansiedlung mehr durchquert und jetzt nach zwei Jahren windet sich unsere Karawane quer durch den menschlichen Müll einer Kleinstadt.

Ich hänge gerade wieder meinen Gedanken hinter her als Tanja plötzlich ruft: „Achtung eine Schlange!“ Mein herz bleibt vor Schreck fast stehen als ich die Schlange direkt neben meinem Fuß entdecke. „Eine Plastikschlange!“ ,ruft Tanja nur Sekunden später und bricht vor Lachen fast zusammen. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Ha, ha, ha. Es ist regelrecht erstarrt.“ „Mein Gott die hat mich aber auch erschreckt. Sie sieht wirklich echt aus,“ sage ich ebenfalls lachend.

NACH DER EISENERZ STADT NEWMAN DIE ERSTE SIEDLUNG

Eine halbe Stunde später haben wir den stinkenden Schuttplatz lange hinter und gelassen und erreichen den Randbezirk der Stadt. Menschen beobachten uns von ihren Häusern. Manche kommen zu uns gerannt und stellen die üblichen Fragen. Wir halten kurz an, um ihnen zu antworten. „Da habt ihr eine Flasche mit gefrorenem Wasser,“ sagt einer der Bewohner und reicht uns die kalte Kostbarkeit. „Vielen Dank,“ antworte ich und stecke sie in die Satteltasche. Dann erreichen wir den Zaun am Highway. Wir folgen ihm für 500 Meter, bis wir auf das Gatter treffen durch das die Rinder über den Highway getrieben werden können. „Hier kannst du eure Kamele durchführen,“ erklärte der Inspektor gestern.

Als ich das Zauntor nun öffnen möchte, entdecke ich das Vorhängeschloss. „So ein Mist. Das habe ich gestern übersehen,“ schimpfe ich. „Wir müssen wieder zurück und so wie es aussieht bleibt uns jetzt doch nichts anderes übrig als unsere Jungs durch die Stadt zu führen.“ „Du meinst es gibt keinen anderen Weg?“ ,fragt Tanja. „Nein, das Tor an diesem Zaun ist die einzige Möglichkeit, um die Tiere über den Highway zu bringen. Wenn wir hier nicht durchkommen müssen wir wieder zurück und durch die Straßen von Longreach laufen. Ich kann nur hoffen das Jasper und Edgar dabei nicht ausflippen,“ antworte ich enttäuscht.

Wir sind jetzt schon vier Stunden unterwegs und haben noch nicht mal 10 Kilometer zurückgelegt. Geknickt marschieren wir in Richtung Stadt. Es ist ein eigenartiges Gefühl als wir am Sonntag, um ca. 10 Uhr 30 am Morgen, den Highway überqueren und gezwungen sind ihm in die Stadt zu folgen. Vorsichtig tasten wir uns auf der breiten Asphaltstraße entlang. Zu dieser Zeit herrscht zum Glück kaum Verkehr. Ein paar Autos fahren uns entgegen. Die Kamele bleiben Gott sei Dank ruhig. Wir laufen jetzt direkt auf eine Verkehrsinsel zu. Nervös blicke ich auf das große Verkehrskarussell, jederzeit damit rechnend, vor einem der riesigen Roadtrains zu stehen der da plötzlich herumgedonnert kommt. Verkehrsschilder stehen überall herum, um die Autofahrer zu warnen. Für uns bedeuten die Schilder nichts anderes als weitere gefährliche Hindernisse. Leicht kann sich einer unserer Jungs, mit dem Nackenseil um die blechernen Schilder wickeln oder mit seinen ausladenden Satteltaschen daran hängen bleiben. Obwohl es eine große Straße ist, läuft ein ca. 18 Meter langer Kamelzug in die Gefahr, beide Fahrbahnen und eventuell sogar den Seitenstreifen für sich alleine zu beanspruchen.

„Roadtrain! Denis Roadtrain!“ ,fährt mir Tanjas Warnruf in die Glieder. Schnell ziehe ich unsere Jungs zwischen zwei Verkehrschildern die Straßenböschung hinunter. Ich bete, dass auch Edgar und Jasper nicht zu weit ausscheren und eines der beiden Schilder flachlegen. Tanja steht in der Zwischenzweit auf der Fahrbahn, um den Roadtrain mit der Hand herabzuwinken. Gott sei Dank reagiert der Fahrer und bremst sein Monstergefährt auf Schritttempo herab. Während unsere Jungs und ich im weiten Straßengraben warten schleicht der Gigant an uns vorbei. Jasper tänzelt ein wenig herum, kann sich aber beherrschen nicht einfach durchzugehen. Erleichtert ziehe ich die Karawane wieder auf die Straße.

Links und rechts der Straße befinden sich jetzt Häuser. Menschen beobachten uns. Ein Tourist fährt mit seinem Leihwagen unerwartet dicht neben uns her. Ich kann es nicht fassen als er im Begriff ist kurz vor uns anzuhalten und somit den Weg versperrt. Die Tiere sehen aufgeregt von links nach rechts. „Weiter! Weiter!“ ,rufe ich dem Fahrer ängstlich zu und winke mit der freien Hand. Sofort gibt er Gas und braust davon. Unter großer Anspannung passieren wir eine Tankstelle, das städtische Schwimmbad, ein paar Läden und überqueren eine Eisenbahnlinie. Autos bleiben stehen oder geben uns den Weg frei. Tanja läuft hinter der Karawane. Neben ihrer Aufgabe als Verkehrspolizist, dem Führen von Rufus, versucht sie noch zu filmen oder ein paar Fotos zu schießen. Sie hat wie ich keine leichte Aufgabe. Immer noch sind die Tiere relativ ruhig. Jasper tänzelt von Zeit zu Zeit ein paar Meter zur Seite. Auch Edgar ist von Jaspers Nervosität angesteckt und läuft manchmal in der Fahrbahnmitte.

Wir befinden uns bereits auf der Ausfallstraße nach Muttaburra. Unsere Jungs verhalten sich wiedererwartend exelend. Zielstrebig marschieren wir in Richtung Norden. „Sie sind klasse! Kein Problem Denis!“ ,ruft Tanja. Als wir an den Randbezirk der Stadt gelangen spüre ich ein Gefühl der Siegessicherheit durch meinen Körper strömen. Ein Grid zieht sich plötzlich über die Hauptstraße und zwingt uns sie zu verlassen. Wir entdecken ein Gatter, welches Gott sei Dank mit keinem Schloss zugesperrt ist. Ohne Schwierigkeiten durchqueren wir das letzte Hindernis und lassen somit Longreach hinter uns. „Hurra! Hurra! Hurra!“ ,jubeln wir, eine von uns seit langem gefürchtete Herausforderung ohne Zwischenfälle hinter uns gebracht zu haben.

GESCHAFFT

Als wäre alles nur ein Spuk gewesen folgen wir der schmalen Straße. Pferde galoppieren wild heran, um uns zu inspizieren. Neugierig folgen sie der Karawane, bis auch sie das Interesse verlieren. Nur wenig später finden wir an einem ausgetrockneten Creek einen wunderbaren Campplatz. Obwohl bisher alles glatt gegangen ist fühlen wir uns völlig ausgebrannt. In unseren Knochen steckt kein Funke Energie mehr. Wir sind am Ende unserer Kräfte. In den letzten acht Tagen haben wir 223 Kilometer zurückgelegt. Der Besuch des Inspektors kostete uns den letzten Nerv. Auch die Stadt war aufreibend. Nicht zu vergessen die langen Märsche, die Hitze und die vielen Menschen. Wir benötigen wiedereinmal dringend einen guten Rastplatz und hoffen morgen auf Bimbah Station bleiben zu dürfen. Bei 40° Grad im Schatten ziehen wir unsere Schutzfolie in die Bäume, um uns vor den 60° Grad heißen Sonnenstrahlen zu schützen. Kraftlos und wie ein Roboter gesteuert setze ich mich in den Campstuhl, um die Landkarten zu studieren. Mein Blick fixiert den kleinen Punkt der Karte von dem es morgen abhängt ob wir nach 5751 Laufkilometern einen guten Rastplatz finden. Bimbah, lese ich das fremdklingende Wort und frage mich welche Leute dort wohl leben?

DAS ENDE UNSERER ENERGIE

Schon oft habe ich in den letzten Monaten und Wochen von unserer Erschöpfung geschrieben, doch diesmal fühle ich sie tiefer, ja fundamentaler. Emotional und körperlich mussten Tanja und ich in der letzten Zeit viel wegstecken. Über das Meiste habe ich berichtet. Wir haben zwar viel Gelegenheit, um das eine oder andere Problem genauestens zu analysieren, aber durch die Anstrengungen gibt es auch Dinge die sich wie auf einem unaufgeräumten Schreibtisch stapeln. Durch unseren Mangel an Energie häuft sich dieser Stapel an Emotionen immer höher, bis wir beide glauben nicht mehr darüber hinwegsehen zu können. Ich fühle mich im Augenblick als ersticke ich unter einer Flut von Zwischenfällen, Vorkommnissen, Erfahrungen, Ereignissen, Erlebnissen und Abenteuern. Mir kommt es so vor als würde mein Geist und alle seine Bestandteile in einer Waschmaschine durcheinander gewirbelt. Als würden sich die Hosenbeine und Hemdsärmel der Geisteswäsche in einem großen Klumpen vereinen. Es ist nicht leicht die Flut des Gedankenknäuels auseinander zu sortieren. Wie erschlagen sitzen wir beide da und starren für lange vor uns hin. Nicht in der Lage irgendetwas Produktives zu tun. Ein paar Vögel zwitschern am nahen, ausgetrockneten Creekbett. Rufus hechelt laut vor sich hin. Ein kleines Flugzeug fliegt über unser Camp. Der Motorenlärm fällt aus dem Himmel auf uns herab. Eine Grille zirpt und Hunderte von Ameisen krabbeln über unsere Füße. Was ist nur los mit uns? Warum sind wir so am Ende? Wo ist die Freude? Der Spaß? Die Lust am Abenteuer und Leben? Ich habe einfach keine Kraft mehr mich oder uns aus diesen Gedankenloch herauszubringen. Tanja ergeht es in keiner Weise besser. Mir ist bewusst, dass uns nur eine längere Rast helfen kann. Noch haben wir nicht unser Ziel erreicht. Noch liegen 700 Kilometer vor uns. Obwohl diese Strecke im Vergleich zu bald 6000 Kilometer lächerlich klingt ist sie nicht zu unterschätzen. Wir werden doch nicht kurz vor unserem Ziel zusammenbrechen?

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