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Mongolei/Tsagaan Nuur Camp 2 MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Bilgees Ankunft – Halb verhungert

N 51°21'781'' E 099°21'056''
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    Tag: 246

    Sonnenaufgang:
    07:10

    Sonnenuntergang:
    19:45

    Gesamtkilometer:
    1311

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    6°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    0°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 15°C

    Breitengrad:
    51°21’781“

    Längengrad:
    099°21’056“

    Maximale Höhe:
    1554 m über dem Meer

„Hilfst du mir beim Einkaufen?“, fragt Tanja. „Klar“, ich lasse dich doch nicht alleine Vorräte der kommenden zwei Monate schleppen“, antworte ich gut gelaunt. Dann verlassen wir unser Blockhaus, um über die Ebene von Tsagaan Nuur zu gehen. Weil das Dorf nur auf ca. 1.500 Meter Höhe liegt ist es hier Wärmer als im Tuwa-Camp. Die Sonne hat nahezu den gesamten See weggetaut. „Ahhh, hier spürt man schon das Frühjahr kommen. Ein fantastisches Gefühl nach dem langen und harten Winter“, freue ich mich über die angenehme Temperatur. „Was glaubst du wie warm es hier ist?“, fragt Tanja. „In der Sonne hat es bestimmt 15 oder 20 °C. Im Schatten versteckt sich aber noch Väterchen Frost.“

Im Zentrum der Ortschaft erreichen wir ein kleines Lebensmittelgeschäft welches mit das größte Angebot des Dorfes besitzt. Die einzige Verkäuferin des Krämerladens erkennt uns wieder und begrüßt uns freudig. „Wie war es in der Taiga?“, fragt sie interessiert. „Ruhig und schön antwortet Tanja. Wir füllen unsere Rucksäcke mit Süßigkeiten, Kondensmilch, Zucker, Reise, Nudeln, Eiern, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln. Da das Geschäft von allem nicht genügend vorrätig hat ziehen wir zu einem anderen Laden im Dorf. Dort stopfen wir unsere Rucksäcke bis zum Anschlag voll. Auf dem Weg zurück fühle ich mich wie ein schwer beladenes Maultier und jammere ein wenig vor mich hin. „Was hast du denn? Ist doch nicht schwer“, sagt Tanja. „Nicht schwer? Wir können von Glück reden wenn ich mit meinen Schritten kein Erdbeben auslöse. Spürst du nicht die Vibration? Es wird nicht lange dauern und die Erde zeigt Risse“, sage ich stöhnend, worauf wir beide herzhaft lachen.

Wieder in unserer Blockhütte bereitet mir Tanja Pfannkuchen. Da es hier Eier und H-Milch gibt schmecken sie ausgezeichnet. „Ich kann schon keine Pfannkuchen mehr sehen“, meint Tanja. „Wieso? Du isst doch keine.“ „Aber ich muss dir oft welche zubereiten.“ „Kann schon sein, dass ich nach dem Mongoleitrip für ein paar Jahre keine mehr essen kann. Aber im Augenblick halt ich diese Teigscheiben für eine wahre Delikatesse“, antworte ich geräuschvoll kauend.

Es ist 17:00 Uhr als Tanja in die Hütte stürmt. „Bilgee ist im Ort! Ich laufe ihm entgegen!“, ruft sie aufgeregt die Baishin wieder verlassend. Ich ziehe mir meine Jacke über, schlüpfe in die dicken Schuhe, greife die Kameratasche, sprinte ins Freie und eile über die Ebene als Bilgee in Begleitung von Tanja und Tsendmaa mir entgegenkommen. „Saijn bajna uu Bilgee! (Guten Tag) Mend saihan Bajna uu?“, (Wie geht es dir?) rufe ich freudig ihm die Hand schüttelnd und umarmend. „Dsügeer, saijhan“, („Danke, ausgezeichnet) antwortet er lachend die Umarmung erwidernd. Mit Entsetzen fällt mein Blick auf unsere Pferde. „Die sehen ja furchtbar aus“, sage ich so beherrscht wie es mir nur möglich ist. „Ja, stimmt die Pferde sind in einem schlimmen Zustand“, bestätigt Bilgee. „Was ist geschehen? Warum sind sie so abgemagert?“, frage ich als wir nun zusammen zum Blockhaus laufen. „Ich weiß nicht. Es könnte sein das Tulgaa sie bei der Rückführung nach Mörön nicht ausreichend grasen hat lassen. Der Hirte des Militärs hat mir berichtet, dass er die Pferde bereits in dem schlechten Zustand bekommen hat und es über dem Winter nicht möglich war sie wieder aufzufüttern“, erklärt er. Mein Blick trifft auf Tanja die beim Anblick unserer Tiere Tränen in den Augen hat. „Wie kann man Tieren so etwas nur antun? Das ist Quälerei“, sagt sie mit zitternder Stimme. „Ich rufe gleich Sraraa an“, antworte ich als wir die Pferde in den Hof von Ayush führen und festbinden. „Können wir mit ihnen überhaupt reisen?“, frage ich Bilgee. „Ich habe sie hierher gebracht obwohl man mir sagte ein oder zwei von ihnen werden nicht überleben. Du siehst sie haben es geschafft. Wir müssen langsam reiten. Dann wird es gut gehen. Wie weit ist es bis zum Camp der Tuwa?“, fragt er. „30 Kilometer.“ „Wenn wir die Strecke in zwei Tage aufteilen und ohne Gepäck reiten ist das kein Problem.“ „Ohne Gepäck?“, sage ich und frage mich wie wir unsere Ausrüstung und Lebensmittel in das Camp bringen sollen.

„Jetzt komm erst mal ins Haus, iss etwas und ruhe dich aus. Ich habe für dich eine kräftige Suppe zubereitet“, sagt Tanja. Als Bilgee seinen mit Fell gefütterten Deel ablegt bewundere ich diesen. „Den habe ich mir schneidern lassen. Das Fell ist von meinem alten Mantel“, erklärt er und fordert mich auf ihn mal anzuziehen. „Oh, der ist im Vergleich zu meinem ja richtig leicht. Ein fantastischer Deel“, lobe ich. „Habe auf dem Ritt hierher darin geschlafen und nicht gefroren.“ „Du hast im Freien genächtigt?“, fragt Tanja. „Ja. Kein Problem. Der Mantel und ein Feuer haben mich warm gehalten.“

Über Stunden unterhalten wir uns angeregt und tauschen unsere Erlebnisse der vergangenen Monate aus. „Wie geht es deiner Verletzung?“, interessiert es mich. Bilgee zeigt uns seine Hand. „Dir fehlt ja der halbe Zeigefinger!“, rufe ich erschrocken. „Ja, war eine schlimme Verletzung. Habe kein Gefühl mehr in dem Finger. Ist ein wenig problematisch wenn es nachts so kalt ist. Ich fertigte für den Trip zu euch extra Fäustlinge an. Somit habe ich mir den Finger nicht erfroren“, erklärt er. „Alles in allem hast du noch großes Glück gehabt. Verletzungen mit Motorsägen haben schon ganze Hände und Beine gekostet“, meine ich, worauf Bilgee gedankenversunken mit dem Kopf nickt. „Es ist wunderbar dich nach der langen Zeit wieder zu sehen. Wir werden eine fantastische Reise haben. Ich bin gespannt wie es dir bei den Tuwa gefällt“, sage ich. „Ich auch.“ „Wir haben allerdings ein unvorhergesehenes Problem. Werden die Pferde überleben?“, frage ich. „Wenn es Gras in der Taiga gibt schon. Habt Fressgründe für die Pferde ausfindig machen können?“, fragt er besorgt. „Nur zwei Kilometer hinter dem Camp, am Fuße eines langgezogenen Berges, liegt ein schönes Tal. Ich gehe mit Mogi bald jeden Tag dorthin. Ultsan hat gesagt, dort gibt es viel gutes Gras“, erkläre ich. „Das hört sich vielversprechend an“, antwortet er. „Ich kann einfach nicht glauben das der Hirte des Militärs unsere Pferde halb verhungern hat lassen. Wir hatten doch extra einen Lastwagen voller Heu gekauft. Saraa hat das Pferdefutter organisiert. Kann es sein dass das Heu dort nie angekommen ist?“, überlegt Tanja. „Wir sind hier in der Mongolei. Möglich ist alles. Auch wenn Saraa bisher meist gut gearbeitet hat wissen wir, sie zwackt Geld führe ihre Dienstleistungen ab. Nicht soviel das man es unbedingt merkt aber geschehen ist es immer wieder“, antworte ich. „Und du meinst sie hat das Heu gar nicht besorgt?“, fragt Tanja. „Ich will es nicht behaupten. Dafür gibt es keine Beweise. Nur das Ayush, Tsendmaa und Bilgee sagen, die Pferde müssten bei regelmäßigen Heukonsum entschieden besser aussehen“, entgegne ich. „Eventuell hat sich der Hirte aber auch nicht um die Pferde gekümmert,“ wirft Tanja ein. „Möglich. Aber ob das Militär wirklich betrügt? Die wollen doch noch die restlichen 200.000 Tugrik für ihre Gefängnisfenster.“ „Wir haben die Pferde in ihre Verantwortung gegeben und sie versicherten uns hoch und heilig sie gut zu pflegen. Und schau dir an was geschehen ist. Die bekommen von uns keinen einzigen Tugrik mehr. Selbst wenn die Pferde überleben sollten wird es sehr lange dauern bis sie wieder gesund aussehen. Wir können sie also nur mit Verlust verkaufen wenn sie überhaupt jemand kauft. Die Menschen mit denen wir die Vereinbarung getroffen haben sind dafür verantwortlich. Saraas Mann arbeitet doch dort. Er muss die Pferde gesehen haben aber er hat nichts gesagt. Saraa weiß von nichts und Tulgaa behauptet die Pferde wären in einem schwachen Zustand gewesen als wir sie ihm überlassen haben. Das ist ein Flechtwerk von Lügen und jetzt haben wir Pferde von denen einige Mongolen sagen sie werden die nächsten zwei Monate nicht überleben. Das ist eine Katastrophe. Die machen uns den Trip kaputt, kosten uns ein Haufen Geld und sind verantwortlich für Tierquälerei. Diese Idioten“, lässt Tanja richtig Luft ab.

Kurz darauf spreche ich mit Saraa. Sie ist völlig überrascht. „Ich dachte es handelt sich nur um ein schwaches Tier“, meint sie am Handy. „Nein, es geht um alle. Drei von ihnen sind besonders gefährdet,“ meine ich. „Welche?“ „Nun am schlimmsten von ihnen hat es Bor erwischt. Gut, er war schon immer dünner als die anderen. Aber Od geht es nicht gut und selbst die trächtige Naraa sieht aus wie ein Hungerhaken“, erkläre ich. „Naraa bekommt tatsächlich ein Fohlen?“, fragt Saraa. „Ja. Das ist ein weiteres Problem weil sie dadurch überhaupt nicht mehr einsatzfähig ist. Aber da kann keiner etwas dafür. Nur, dass die arme Stute ein Kleines zur Welt bringt und offensichtlich hungern musste, ist eine weitere Sauerei“, sage ich ärgerlich. „Und was wirst du jetzt tun?“ „Ja wenn ich das wüsste wäre ich froh. Ich habe keine Ahnung. Tanja wird versuchen spezielles Pferdefutter zu kaufen. Aber du weißt ja wo wir uns befinden. Ob es so etwa am Ende der Welt gibt wird sich herausstellen.“ „Das mit dem Pferdefutter ist eine gute Idee. Wenn ihr keines bekommt schicke ich euch welches.“ „Wir brechen spätestens übermorgen auf. Wie soll denn Pferdefutter von Mörön in die Taiga gelangen?“ „Das lass mal meine Sorge sein. Ich werde es wenn nötig organisieren“, antwortet sie, worauf ich mich frage was diese Aktion kosten wird. „Ach und noch etwa. Es fehlt ein 12 Meter Seil, eine Pferdefessel, zwei Halfter und ein Zaumzeug. Wer hat sich das unter den Nagel gerissen?“ „Ich weiß nicht. Gib mir ein paar Tage und ich finde es heraus“, antwortet Saraa.

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