Berge, Wolkenbruch, Diebische Sinti
N 43°59'835'' E 022°55'994''Tag: 82
Sonnenaufgang:
06:39 Uhr
Sonnenuntergang:
18:32 Uhr
Luftlinie:
74,12 Km
Tageskilometer:
102,31 Km
Gesamtkilometer:
2570,13 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur – Tag (Maximum):
18,8 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
13,8 °C
Breitengrad:
43°59’835“
Längengrad:
022°55’994“
Maximale Höhe:
185 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
09:30 Uhr
Ankunftszeit:
18:55 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
17,01 Km/h
Bibbernd vor Kälte löffeln wir bei 13° Zimmertemperatur unser Müsli und schlucken ein paar Nahrungsergänzungsmittel von Sanatur, um unseren Körpern das an Vitaminen und Mineralstoffen zu geben was wir hier nicht bekommen. Unbefriedigt strecke ich meinen steifen, müden Körper, bevor wir wieder alles einen Stock tiefer tragen und die Räder beladen. Tanja geht es nicht besonders gut. Sie hat einen steifen Nacken, wahrscheinlich von ihrem Sturz. Ihre Knie, die linke Hüfte und Ellebogen leuchten in blaugelb. Gott sei Dank sieht der Zeckenbiss heute etwas besser aus. Die Schwellung geht leicht zurück und er Druckschmerz lässt nach. “Wenn alles gut geht finden wir in der nächsten Stadt Vanju Mare einen guten Schreibplatz für mich und wir dürfen unsere Körper ein paar Tage ausruhen”, versuche ich uns für den Aufbruch zu motivieren. “Ah, sehr gut. Die paar Kilometer schaffe ich. Aber was ist wenn es dort keine Absteige gibt?”, will Tanja wissen. “Tja dann sieht es nicht so rosig aus. Soweit ich es der Karte entnehmen kann finden wir den nächsten Ort erst in ca. 80 Kilometer.” “Oh weh. Na dann lass uns auf Vanju Mare hoffen.”
Ohne Schwierigkeiten lassen wir bei relativ wenig Verkehr Drobeta Turnu Severin hinter uns und verlassen die Fernverkehrsstraße in Richtung Süden. Ab jetzt befinden wir uns wieder auf einer der kaum befahrenen Nebenstraßen die uns durch viele kleine Ortschaften bringt. Nach 14 Kilometer halten wir an einer völlig heruntergekommenen Pension. “Ich schau mir den Laden zumindest mal an”, sage ich zuversichtlich das schwer angeschlagene Haus betretend. Eine nette Rumänin zeigt mir die fensterlosen armseligen Zimmer. Für mich ist es kaum zu verstehen wie man dafür Geld verlangen kann aber der Standard in dem Land ist eben nun mal auf einem anderen Level. Ich bedanke mich bei der freundlichen Frau, bestelle bei ihr noch einen Cappuccino, den wir vor unserer Weiterfahrt genießen. “Ist ja nur ein kurzer Tag. Wir können es langsam angehen lassen”, stöhne ich mein Knie reibend und schlürfe die heiße Flüssigkeit. Dann geht es weiter. Schon 500 Meter später führt uns die Straße von der Donau weg und unser persönlicher Feind steht wie ein Mahnmal am Straßenrand. 7 % Steigung lesen wir und wollen es nicht glauben schon wieder auf Berge zu treffen. “Ob das an den Cappuccinos liegt? Immer wenn wir einen trinken kommt ein Berg”, scherzt Tanja. “Sollten keine mehr trinken”, antworte ich. “Du hast doch gesagt wir haben die Karpaten hinter uns gelassen?”, fragt sie dann. “Dachte ich auch. Sind eventuell nur noch die Ausläufer. Allerdings führt laut Karte die Straße hier von der Donau weg und trifft erst wieder in ca. 90 Kilometer auf den Fluss.” “Hoffe nicht die gesamte Strecke über ein Vorgebirge der Karpaten strampeln zu müssen”, stöhnt Tanja.
Wolkenbruch
Kaum haben wir uns an den anstrengenden Aufstieg gemacht beginnt es zu regnen. Wir halten an und ziehen uns die Regenjacken über. Als der Regen schlimmer wird stoppen wir wieder und schlupfen in die Regenhosen. “Wuuummm!”, kracht es plötzlich über uns. “Das darf doch nicht wahr sein. Wo kommt denn um diese Jahreszeit ein Gewitter her?”, rufe ich. “Wuuummm!”, kracht es wieder und wieder am Firmament und das Wasser aus der Himmelspforte stürzen erbarmungslos auf uns nieder. “Die Schuhe! Wir müssen sofort die Überschuhe anziehen sonst kühlen wir total aus!”, rufe ich. Wieder stoppen wir öffnen die wasserdichten Packtaschen von Ortlieb und holen die Überschuhe heraus. Augenblicklich fließt Wasser in die Tasche und auf meinen Schlafsack. Fluchend schließe ich so schnell wie möglich die Packtasche. Nebel kommt auf weshalb wir unsere Blinklampen an den Uvexhelmen befestigen. Ab und zu überholen uns Lastwägen. Keiner von ihnen grüßt uns mehr. So wie es aussieht muss man uns für absolut verrückt halten bei diesem Sauwetter, mitten in einem Herbstgewitter, bei relativ dichten Nebel eine Passstraße mit Rädern hoch zu schwanken. Wie Feuerspeiende Drachen müssen wir aussehen wenn unsere Atemluft wie kondensierende Rauchfahnen stoßweise unsere Münder verlässt. Wir schnaufen was das Zeug hält. Kleine reißende Flüsse schießen uns entgegen. Unsere schmal aussehenden Reifen bahnen sich unermüdlich einen Weg durch das Nass. Meine Lunge beginnt zu brennen und unsere Körper müssen wieder alles aufbieten was in ihnen steckt um nicht einfach schlapp zu machen. Doch aufgeben ist bei diesem Wetter keine Alternative. Nur kurze Stopps lassen uns sofort frieren. Wie Maschinen funktioniert der Muskelapparat und trägt uns Meter für Meter dem Bergrücken entgegen. Oben angekommen lassen wir unsere Böcke wieder hinunterrollen. “Mach keinen Misst! Lass es langsam angehen!”, warnt mich Tanja. “Klar!” antworte ich und habe beide Hände an den Bremsen. Aquaplaning ist nur eine der Gefahren bei diesem glitschig glatten Asphalt. Noch viel gefährlicher sind eventuelle Löcher auf der Straße die sich unter den Fluten verstecken. Der Fahrtwind und die Nässe geben uns das Gefühl als würden wir uns bereits jetzt schon in Sibirien befinden. Es fällt schwer mit steifen Fingern unentwegt die Bremsen zu ziehen. Endlich sind wir wieder unten angelangt. Es war die erste Talfahrt auf der wir keine Lust hatten vor Glück zu Jauchzen.
“Es gibt hier keine Pension und schon gar nicht ein Hotel”, erzählt man uns am vermeintlichen Ziel Vanju Mare. “Wie weit ist es noch bis nach Calafat?”, fragt Tanja. “Mindestens 70 Kilometer.” “Gibt es dort eine Bleibe für uns?” “Calafat ist eine größere Stadt an der Grenze zu Bulgarien. Dort gibt es garantiert eine Unterkunft”, antworte ich. “Dann lass uns Calafat in Angriff nehmen. Das schaffen wir”, meint sie zuversichtlich. “Noch 70 Kilometer? Meinst du wirklich? Na ja, wenn wir alles geben und uns keine weiteren Berge das Leben schwer machen ist es machbar”, antworte ich. Lass und erstmal etwas essen. Dort in dem kleinen Straßenrestaurant gibt es bestimmt etwas Warmes für uns”, füge ich noch hinzu. Tatsächlich empfängt man uns sehr freundlich. Völlig durchnässt und frierend lassen wir uns auf den kleinen Holzschemeln nieder. “Haben sie auch Suppe?”, frage ich. “Kann ich wärmstens empfehlen”, verstehe ich worauf ich sie bestelle. Als Tanja ihr Omelett bekommt löffle ich meine Suppe und fische gleich wieder irgendwelche Innereien heraus. “Schmeckt es?”, fragt der Wirt. Ich nicke. “Und wie ist dein Omelett?”, interessiert es mich. “Total verbrannt”, antwortet Tanja und zeigt mir den auf der Unterseite schwarzen Lappen. “Wenn man das Obere abkratzt kann man es essen”, meint sie. Nach meiner Suppe immer noch furchtbar hungrig wage ich es auch ein Omelett für mich zu bestellen. “Die Köchin hat es einfach verpasst rechtzeitig die Pfanne vom Herd zu nehmen”, sage ich Tanja angrinsend. “Vielleicht lieben die Menschen hier schwarze Omeletts”, meint Tanja lachend als dann auch meins schwer verbrannt auf dem Teller klebt. “Fünf Euro”, fordert der Wirt als wir zahlen wollen. “Wir haben mit deiner Frau den Preis schon vorher ausgemacht”, antworte ich und lege den weit niedrigeren, passenden Betrag in Lei auf den Tresen. “Unser Land sehr billig”, antwortet er und steckt das Geld in die Hosentasche.
Auf der Weiterfahrt geht es mir durch den Kopf ob ich jemals wieder einen Platz zum Schreiben finde. Im Zelt ist es zu kalt, abgesehen davon gibt es im Augenblick kaum Möglichkeiten es aufzustellen. In manchen Städten ist es zu teuer oder zu schmutzig, zu laut oder zu ungemütlich. Die Erlebnisse häufen sich und somit auch meine Arbeit. “Ich brauche dringend einen geeigneten Ort!”, rufe ich laut aus als wir wieder in unsere Pedale treten. “Du wirst einen sehr guten Platz finden. Er wird aber völlig anders sein als du es dir vorstellst”, höre ich auf einmal die ganz klare Stimme von Mutter Erde. “Wie meinst du das? Wie völlig anders?”, interessiert es mich doch die Stimme bleibt stumm. “Also, vielleicht ist es ja ein fantastisches preiswertes Hotel? Mit liebenswerten Menschen? Klasse und bequemen Betten? Eine Massage würde mir auch gut tun. Ach und ein heißes Bad wäre geradezu fantastisch. So etwas Ähnliches wie die schöne Pension vor ein paar Tagen? Das wäre mir recht. Aber eine Heizung sollte im Zimmer sein. Die ewige Kälte hier fährt ein auf Dauer in die Glieder. Ja ein schönes Hotel oder Pension mit tollem Blick auf eine wunderbare Landschaft. Ist es das? Ich bräuchte allerdings auch eine guten Stuhl zum sitzen und einen Tisch in der passenden Höhe. Wenn ich schon so viel schreiben soll ist die richtige Sitzhöhe und Haltung wichtig. Bekomme ich das?”, frage ich und plappere weiter in den schönsten Vorstellung schwelgend, doch die Stimme bleibt stumm.
Langsam reißen die Wolken auf und die Sonne zwinkert uns zu. Wieder kommt ein Schild mit 7% Steigung. Wir ziehen unsere Überschuhe, Jacken und Regenhose aus und trocknen unsere verschwitzten und vom Regen durchnässten Körper im Fahrtwind. Wir erreichen eine Art Plateau. Ohne Wind strampeln wir mit bis zu 26 Stundenkilometer Geschwindigkeit dahin und legen Stunde für Stunde eine hervorragende Strecke zurück. Ab und zu halten wir. Manchmal in einem kleinen Laden um Wasser zu kaufen. Ein Rumäne möchte meine Jacke. “Brauche ich selber. Sie mal wie das Wetter ist. Wollen noch nach Burma”, erkläre ich und zähle die Länder auf die noch vor uns liegen. “Gib mir deine Jacke”, zupft er an meinem Ärmel meine Erklärung ignorierend.
Wir durchqueren viele nette Ortschaften die uns immer wieder das Gefühl vermitteln als würden wir uns im Mittelalter befinden. Die Menschen grüßen uns mit: “Tschau! Tschau!” Wir antworten “Tschau! Tschau!”, und erwidern ihr Winken. Eine weitere Gewitterfront nähert sich uns von hinten. Wir malträtieren unsere Pedale und schaffen es den Fängen des Gewitters, in der immer noch hohen Geschwindigkeit, davon zu fahren. Wir fühlen uns in Topform und spulen Kilometer für Kilometer ab. Unser Tacho zeigt 60, dann 70, und 80 Tageskilometer an. Wieder geht es über einen Höhenzug den ich wegen meiner schmerzenden Sehne fast vollständig hinaufschieben muss. Pferdefuhrwerke befinden sich vor und hinter mir. Auch sie quälen sich die Steigung hoch. Die Pferde müssen Höchstarbeit leisten und sind nicht schneller. Die Dämmerung kommt auf und verzaubert Rumänien in ein Märchenland. Die Schönheit ist fast unwirklich und schwer zu beschreiben. Bei Kilometer 90 biegen wir nach rechts in Richtung Calafat ab. “Nur noch 13 Kilometer bis zum Ziel Schnupsi!”, munter mich Tanja auf. Der Schmerz in der Sehne ist unerträglich geworden. Ich beiße die Zähne zusammen und trete weiter. Noch 10 Kilometer, sage ich mir und dann kommt mein Traumhotel oder das was Mutter Erde als sehr guten Platz bezeichnet hat. Es ist stockfinster als wir durch das schwarze Calafat rollen. Kaum eine Straßenlaterne ist auszumachen. “Ob die hier Stromausfall haben?”, sage ich. Schemenhaft erkennen wir wie uns ein Mann zum Trinken einlädt. Er führt seinen Daumen an den Mund, lacht und winkt uns zu. Gegenüber der Straße pinkelt ein Betrunkener in den Graben. Jugendliche rufen obszöne Schimpfwörter auf Italienisch. Mehr und mehr Häuser erscheinen im diffusen Licht. Unheimlich wirkt es hier, ja fast ein wenig gespenstisch. Der Knieschmerz ist ohne Worte. Tanja ist noch einigermaßen fitt. “Pass auf die Löcher auf!”, warne ich einem gähnenden Schlund in der Straße ausweichend. Eine Windböe wirbelt Papierfetzen durch die Luft. Wieder rufen Jugendliche. Aus Angst sie könnten uns nachsetzen treten wir stärker in die Pedale. Endlich befinden wir uns im dunklen, kaum beleuchteten Zentrum, zumindest kommt es uns so vor. In einer Pension frage ich nach einem Bett für die Nacht. Die Frau zeigt mir ebenfalls dunkle fensterlose, heruntergekommene Zimmer. Die Toiletten und Duschen befinden sich auf dem schmuddligen Gang. “Nein Danke”, lehne ich müde ab, denn alles was wir bisher gesehen haben war entschieden besser als dieser Ort. “Gibt es in der Stadt noch andere Unterkünfte?”, frage ich. “Ja wir haben noch ein Hotel. Hotel Panoramic. Nicht weit weg von hier”, empfiehlt sie mir. “Das muss es sein”, flüstere ich mich freuend auf ein heißes Bad.
Diebische Sinti
In der Hotelrezeption ist es stockdunkel. “Hallo! Hallo!”, rufe ich auf der verzweifelten Suche nach einer menschlichen Seele. “Ja…?” ertönt es aus einem Gang. Ein schummriges Licht geht an und ich erkenne eine dunkel gekleidete Frau hinterm Tresen. Erschrocken würde ich am liebsten einen Schritt zurücktreten. Auf einem vergilbten Schild werben zwei Sterne für die Qualität des Hotels. “Ähm, haben sie ein Zimmer?”, frage ich. “Ja”, antwortet die Frau. Sie spricht kaum ein Wort Englisch und unsere Verständigung ist äußerst schleppend. “Kann ich das Zimmer sehen?”, möchte ich wissen und bekomme den Schlüssel. Als ich im Aufzug stehe glaube ich meinen Augen nicht. Technische Steinzeit ist noch eine zu gute Beschreibung. Ich drücke den Knopf auf der gerade noch eine Zwei zu erkennen ist und das Ding rattert laut los. Hoffentlich bleibt er nicht stehen. Tanja wird sich sorgen machen wo ich bleibe, denke ich mir. Das Zimmer nimmt mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem. Es ist feucht, eiskalt und schwer heruntergekommen. Es stinkt nach Rauch und als ich das halbüberschwemmte Bad sehe, von dessen Wänden sich die Fliesen lösen, mache ich auf dem Absatz kehrt. Dann darf ich mir noch ein anderes Zimmer ansehen was wenigstens nicht nach Rauch stinkt aber in einem ähnlichen Zustand ist. “Wir bleiben”, sage ich zu der traurigen Gestalt an der lichtlosen dunklen Rezeption und könnte wieder einmal fast weinen.
“Da ist jemand hinter den Büschen. Er hustet und beobachtet mich schon länger”, sagt Tanja als ich endlich wieder bei ihr bin. Sie hat während der Zimmerinspektion die gesamte Zeit auf dem unbeleuchteten Vorplatz des Hotels gestanden und auf unsere Räder aufgepasst. “Wo?”, frage ich. “Dort drüben.” Ich sehe zu den Büschen und kann nur etwas Schattenhaftes ausmachen. “Ist bestimmt nur der Wachmann. Warum sollte ein Dieb mit Husten auf sich aufmerksam machen?”, stelle ich fest und sehe die Situation gelassen. “Lass uns die Sachen in den Empfangsraum bringen”, meine ich müde. “Und? Wie ist das Hotel?” “Frag besser nicht. Alptraum ist auf jeden Fall nicht die richtige Bezeichnung.” “Was dann?” “Hotel Dracula”, geht es mir über die Lippen und spüre wie es mich schaudert. “Es muss unbedingt immer einer draußen bleiben wenn wir die Sachen rein tragen. Hab ein ungutes Gefühl”, warnt mich Tanja. “Okay”, antworte ich und schaffe ein paar Ortliebtaschen nach innen. Als ich wieder ins Freie trete kommt mir Tanja schwer tragend entgegen. Schnell schnappe ich mir ein paar Ausrüstungsgegenstände und folge ihr ins Foyer. “Ich habe doch gesagt einer muss draußen bleiben!”, schimpft sie und spurtet an mir vorbei in die Nacht. Sofort folge ich ihr. “Er hat die Tasche genommen und wieder fallen lassen!”, ruft sie bestürzt. “Wie meinst du das?” “Na die Tasche steht jetzt an einem anderen Platz. Ich bin mir ganz sicher, dass ich sie neben dem Fahrrad abgestellt habe und jetzt liegt sie dahinten”, höre ich ihre aufgeregte Stimme. “Ich hab dir doch gesagt wir sollten nicht zum gleichen Zeitpunkt drinnen sein. Wären wir nur eine Sekunde länger geblieben wäre die Tasche oder sogar ein Rad weg”, setzt sie noch nach. “Da! Er hat sich hinter dem Busch versteckt! Schau dort! Siehst du ihn?”, ruft sie. Sofort spurte ich zu dem Busch. Vorsichtig und leicht nervös suche ich in der Dunkelheit jemanden zu sehen. Plötzlich bewegt sich etwas. Ich kann eindeutig die Umrisse einer Gestalt ausmachen. Jetzt auch erregt laufe ich wieder zu Tanja zurück, um ihr zu helfen so schnell wie möglich unsere Räder in Sicherheit zu bringen. Kaum bin ich im Foyer ruft Tanja. “Da ist er!” “Mit Adrenalin voll gepumpt hetze ich nach außen. “Wo?” “Nachdem du rein bist kam er in gebückter Haltung über den Hof gelaufen, hat sich dort an den Zaun gestellt mich herausfordernd angesehen und ist dann drüber gesprungen. Er hatte bestimmt Angst du holst Verstärkung!”, erklärt sie mit ihren Händen gestikulierend die ein Pfefferspray umklammern. Kaum hat sie mir die Richtung angegeben sprinte ich los. “Mach keinen Blödsinn!”, höre ich sie noch rufen. “Keine Angst”, hechle ich den Zaun erreichend und sehe wie die Gestalt gerade im Begriff ist im Dickgicht zu entwischen. “Komm her du Hund!”, rufe ich ihm nach und rüttle am Zaun, ihn zeigend keine Angst vor ihm zu haben und um ihm noch schnellere Beine zu machen. Verdutz muss ich beobachten wie er stehen bleibt, kehrt macht und etwa drei Meter vor mir aus dem hohen Gras auftaucht. “Komm rüber du Dieb! Ich hau dich zu Schutt und Asche!”, brülle ich in Rage über seine Dreistigkeit. “Komm du rüber!”, verstehe ich seine Gestik. “Da ist noch ein Zweiter!”, warnt mich Tanjas Ruf. Und dann höre ich wie sie laut: “Polizei! Polizei! Polizei!”, schreit und zum Hoteleingang springt, um besser gehört zu werden. Natürlich denke ich nicht daran dem hoch aggressiven Dieb über den Zaun zu folgen. Wer weiß wie viele dort auf mich warten? Ich mache auf dem Absatz kehrt und folge Tanja. Die zwei Frauen vom Empfang kommen sofort raus. Der Dieb oder die Diebe sind fort. Es waren Sinti. “Sie haben Hunger”, meint eine der Damen. “Kommen sie rein. Die machen ihnen keine Probleme mehr. Sind Jugendliche vom Hafen”, versuchen sie uns zu beruhigen und fragen ob uns etwas fehlt. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme sind wir erleichtert. Alles ist vollzählig. Wir sperren unserer Räder mit zwei Schlössern an die Heizung in der Vorhalle und schlichten alles in den furcht erregend klapprigen Aufzug. “Das war knapp”, meint Tanja. “Stimmt. Gut das du auf dein Gefühl gehört hast.” “Ja, passe immer auf das nichts wegkommt und wenn man einmal nur für wenige Sekunden nicht bei der Sache ist kann es geschehen”, prustet sie erleichtert aus. “Mann was ist denn das für ein steinzeitlicher Aufzug? So etwas habe ich ja noch nie gesehen. Na hoffentlich bleibt der nicht stehen”, sagt sie dann, worauf ich herzhaft lachen muss.
Als wir dann im Zimmer sind möchte Tanja nicht mehr nach draußen. “Was ist wenn sie uns auflauern?” “Mach dir doch nicht solche Gedanken. Die planen doch jetzt keinen Racheakt nur weil sie mit leeren Händen ausgegangen sind. Ne, wir lassen uns doch keine Angst einjagen. Wenn wir jetzt nicht raus gehen bestimmt in Zukunft die Angst unser Leben”, erkläre ich. “Hast Recht. Lass uns ein Restaurant suchen. Schließlich besitzen wir ja noch immer unser Pfeffergas. Und ich verspreche dir. Erst hau ich ihnen meine Faust um die Ohren und dann sprühe ich sie nieder”, sagt sie und streckt ihre Brust nach vorne. “Klar, genauso machen wir es.” Viel redend, unser Erlebnis verdauend, laufen wir durch das beängstigend dunkle Calafat und finden ein schönes Restaurant. Wir genießen ein sehr gute Essen und erzählen uns noch bis in die Nacht über den heutigen Tag, der Unterkunftssuche, die lausigen Zimmer, anstrengenden Pässe, den Gewitterregen, den schwarzen Omeletts, den schönen Dörfern und den diebischen Sinti.