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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Bei minus 17 Grad von Panne gestoppt

N 33°52’33.8’’ E 109°55’27.7’’
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    Datum:
    23.01.2016 bis 24.01.2016

    Tag: 209 -210

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Shangluo

    Breitengrad N:
    33°52’33.8’’

    Längengrad E:
    109°55’27.7’’

    Tageskilometer:
    45 km

    Gesamtkilometer:
    11.835 km

    Luftlinie:
    34 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    18.6 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    29.0 km/h

    Fahrzeit:
    2:25 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Schotter

    Maximale Höhe:
    1.050 m

    Gesamthöhenmeter:
    15.830 m

    Höhenmeter für den Tag:
    380 m

    Maximale Tiefe:
    700 m

    Sonnenaufgang:
    07:43 Uhr – 07:42

    Sonnenuntergang:
    18:00 Uhr – 18:01

    Temperatur Tag max:
    minus 12°C

    Temperatur Tag min:
    minus 17°C

    Aufbruch:
    10:30 Uhr

    Ankunftszeit:
    16:15 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Schon beim Beladen der Räder pfeift uns eiskalter Wind um die Ohren. Ich setze die Bordcomputer in die Halterung und schalte sie sofort ein, um zu prüfen, ob bei im Augenblick minus 15 Grad, die Akkus noch mitspielen. Da die Leistungsfähigen Lithiumionen-Akkus kälteempfindlich sind, kann es durchaus sein, dass ein vollgeladener Stromsammler plötzlich keine Power mehr bringt. Das zumindest sind unsere Erfahrungen als wir während unserer letzten Expeditionsreise in der Mongolei Temperaturen von unter minus 50 Grad ausgesetzt waren. Damals sind unsere Kameraakkus schon bei minus 20 Grad zusammengebrochen. Wir konnten nur fotografieren und filmen, in dem wir sie am Lagefeuer aufwärmten, und sie sofort in die Jackentasche steckten. Das geht natürlich bei einem 2,5 kg schweren Boschakku nicht. Dummerweise hatte ich alle Akkumulatoren in der Garage bei den Rädern gelagert. Sie waren also die ganze Zeit der Kälte ausgesetzt. Jetzt zeigt sich ob meine Befürchtung war werden und unser Fortkommen bei tiefen Temperaturen gestoppt wird. „Volle Power!“, rufe ich erfreut auf die ausschlagende Leistungsskala meines Bordcomputers blickend. „Bei mir auch!“ antwortet Tanja. „Okay, dann auf in die Kälte“, sage ich zuversichtlich.

Die Hotelbesitzer stehend bibbernd vor ihrem Haus, um sich mit den Ausländern und den Fahrrädern fotografieren zu lassen. Dafür ist extra ein befreundeter Fotograf angereist. Wie gewünscht posen wir vor der Kamera. Kaum sind die Bilder geschossen, eilen unsere Gastgeber in die wohlige Wärme des Gebäudes. „Ich glaube die beneiden uns jetzt nicht“, sage ich. „Sind wir das?“, fragt Tanja. „Wäre es ein wenig wärmer, schon“, antworte ich, die letzte Tasche ans Rad klickend. Nachdem ich die Ladung noch mal gecheckt habe, mich mit einem Griff an die Reifen versichere ob überall genügend Luft drin ist, einen letzten prüfend Blick auf die Anhängerkupplungen werfe, kann es wieder weiter gehen. „Alles klar?“ „Alles klar“, antwortet Tanja. Dann treten wir gleichzeitig in die Pedale und verlassen an diesem kalten Morgen das 250.000 Einwohner Städtchen Luonan im Qingling Gebirge.

Kaum hat uns der Schatten einiger Hochhäuser freigegeben, empfangen uns wärmende Sonnenstrahlen. „Ist doch gar nicht so kalt wie wir dachten!“, rufe ich. „Ja, sogar recht angenehm“, freut sich Tanja. Wegen unseren Wollunterhosen, den Spezialunterhosen und Überhose für hochalpine Touren, den drei Wollunterhemden, einer Wolljacke mit Kapuze, einer Weste und dem Windstopper, ist uns im Augenblick nicht kalt. Der Nachteil dieser vielen Kleiderschichten ist allerdings die Unbeweglichkeit. Wenn wir jetzt nach hinten blicken, um zu sehen was da andonnert, sind unsere Bewegungen langsam und behäbig.

Nur wenige Kilometer nach der Stadt zwingt uns der eisige Wind anzuhalten. Wir ziehen uns eine dicke Sturmhaube über, in die nur ein Sehfenster eingearbeitet ist und eigentlich für Motorradfahrer angefertigt wurde. So hoffen wir unser Gesicht zu schützen. Vor allem beugen wir auf diese Weise den unweigerlichen Erfrierungen von Nasenspitze, Wangen und Ohren vor. „Fühlt sich besser an“, sagt Tanja und streckt den Daumen ihrer rechten Hand nach oben. Wegen der Sturmhaube ist jetzt neben der Unbeweglichkeit auch noch unsere Sicht eingeschränkt und dadurch, dass die warme Atemluft nicht mehr direkt an die Umwelt abgegeben wird, sondern erst in die Gesichtsmaske und dann unter die Brille entweicht, läuft diese während langsamer Fahrt sofort an.

Konzentriert treten wir unsere Riese und Müller über die Schotterpiste. Der Asphalt hat seine Existenz schon gleich nach Luonan aufgegeben. Bis auf wenige Fahrzeuge sind wir die einzigen Nutzer der Piste. Windböen wirbeln uns Staubfontänen entgegen. Manchmal hüllen sie uns derart ein, dass wir im völligen Blindflug über den unebenen Untergrund holpern. Lange geht es zwischen den Gebirgsflanken leicht bergab, sodass wir uns trotz der beißenden Kälte einer unbeschwerten Fahrt erfreuen. Nach ca. 35 km jedoch legt sich uns ein Bergzug in den Weg. „Eine kleine Zusatzeinlage vor dem heutigen Ziel?“, fragt Tanja. „Habe ich extra für uns bestellt. Ansonsten wäre es zu einfach“, antworte ich lachend. Wir strampeln unsere Bikes wieder bis auf über 1.200 m in die Höhe. An einem Aussichtspunkt halten wir leicht schwitzend an, um uns mit Fladenbrot und Saft zu stärken. Ajaci springt herum und erkundet die Gegend. „Nein!“, rufe ich, weil er zu nahe an der steil abfallenden Bergflanke spielt. „Bist ein guter Junge“, lobt ihn Tanja, da er sofort reagiert und zu uns kommt. „Sag mal Denis. Ist da wieder was mit dem Hundeanhänger?“, erschreckt mich Tanjas unerwartete Frage. „Wie?“ „Na schau doch mal. Die Bodenwanne berührt doch fast die Straße.“ Beim Anblick seiner grotesken Stellung bleibt mir mein Fladenbrot fast im Hals stecken. „Vielleicht nur eine gelockerte Schraube?“, hoffe ich und eile hin um den Schaden zu inspizieren. Entsetzt entdecke ich die gebrochene Deichselhalterung. Der Hänger wird nur noch von einem Sicherheitsstift gehalten. Die gesamte Konstruktion ist nicht nur gebrochen, sondern auch stark verbogen. Hätten wir hier nicht rein zufällig eine Rast eingelegt, wäre das gesamte Konstrukt abgefallen und der Hundeanhänger inklusive Ajaci vielleicht in den an die Passstraße grenzenden Abgrund gestürzt. „Das war’s. Ist unreparabel!“, rufe ich Tanja zu, die noch immer unterm Papillon am Aussichtpunkt steht. Sofort eilt sie heran. „Wie unreparabel?“ „Na die Halterung ist gebrochen. Die habe ich nicht als Ersatzteil dabei“, sage ich und spüre wie mir langsam die Kälte der Passhöhe in die Glieder fährt. „Ich dachte der ist für 80 kg Zuladung konstruiert“, überlegt Tanja. „Dachte ich auch. Das scheint er aber nicht auszuhalten. Ajaci wiegt knapp 35 kg, die Tasche auf dem Dachträger vielleicht 15 kg und die vier Boschakkus 10 kg. Mit den vorhergehenden Deichselproblemen, die wir mittlerweile durch Schwerlastdeichseln ersetzt haben, ist das die dritte Reparatur. Nur ist diese fatal. Wir brauchen ein neue Halterung oder wir lassen sie hier in China nachbauen“, überlege ich. „Und wie kommen wir von hier weg?“, fragt Tanja. „Was weiß ich?“, antworte ich die Aluminiumhalterung anstarrend. „Wie weit ist es noch bis zum heutigen Zielort?“ „Fünf, vielleicht sechs Kilometer“, antworte ich auf das GPS blickend. Um sich bei jetzt ca. minus 17 Grad die Zehen nicht zu erfrieren hüpft Tanja von einem Bein aufs andere. Besorgt sehe ich sie an, weil sie sich während der Mongoleiexpedition alle 10 Zehen erfroren hatte. Zum Glück waren es damals nur Erfreirungen ersten Grades. Aber seither sind ihre Füße und Finger empfindlicher geworden. „Alles klar bei dir?“, frage ich. „Geht schon. Wir sollten sehen hier wegzukommen. Vielleicht könnten wir einen Minibus anhalten und fragen ob er uns mit in die Stadt nimmt“, schlägt sie vor. „Wenn einer vorbeikommt und leer ist wäre das eine Möglichkeit“, antworte ich noch immer auf die Bruchstelle starrend. „Ob man sie mit Kabelbinder stabilisieren kann?“, geht es mir durch den Kopf. Es vergehen nur Augenblicke als ich versuche meine Idee in die Tat umzusetzen. Der erste Kabelbinder reißt wegen der Kälte sofort ab. Der Zweite scheint zu halten. Sicherheitshalber ziehe ich einen weiteren Kabelbinder um die Deichsel und Hundeanhänger. Weil ich bei dieser Arbeit aus meinen Handschuhen geschlüpft bin sind meine Finger mittlerweile steif gefroren. Die Kälte hat zunehmend den Körper ausgekühlt. So lange wir radelten waren die Minustemperaturen nicht bedrohlich aber jetzt reicht die Kleidung, die wir anhaben, in keiner Weise aus. Schlotternd binden wir die Tasche, die auf Ajacis Anhänger befestigt war, auf den Hänger von Benpacker, der uns zum Glück bisher noch keine Schwierigkeiten bereitete. Die Überlegung ist den Hundeanhänger ohne Ladung bis in die nahe Stadt Shangluo zu ziehen. Ajaci binde ich an die Flexileinenhalterung, die ich bereits in Ulan Bator am Gepäckträger befestigte.

„Fertig?“, rufe ich eine Stunde später. „Fertig!“, antwortet Tanja, worauf wir in die Pedale treten. Die ersten Meter verlaufen reibungslos. Der Sicherheitsstift und die Kabelbinder tun ihren Dienst. Ajaci ist über die unvorhergesehene Ausarbeitung glücklich. Voller Tatendrang läuft er neben mir und zieht an der Flexileine. „Langsam Ajaci. Wir wollen doch nicht in die Tiefe stürzen!“, rufe ich, weil es nur etwa einen Meter neben uns hunderte von Meter nach unten geht. Mit etwa 10 km/h erklimmen wir die Passhöhe. Oben angekommen sehen wir unten im Tal die Stadt Shangluo liegen. Die Sonne hat sich schon vor einer Stunde hinter einer Wolkenwand versteckt. Die Temperatur ist unerträglich geworden. Um die Geschwindigkeit von durchschnittlich 12 km/h zu halten müssen wir unaufhörlich die Bremsen ziehen. Trotz dicker Handschuhe sind Zeige- und Mittelfinger nach wenigen Minuten gefühllos und die der Fahrtwind ausgesetzte Haut um die Augen beginnt zu schmerzen. Weil ich bald keine Kraft mehr in den Fingern habe um das Rad zu bremsen, stoppe ich schon nach 500 Meter. Schlotternd stehe ich am abfälligen Straßenrand. „Meine Finger tun schrecklich weh“, sagt Tanja, die hinter mir angehalten hat. „Ich weiß. Wir müssen jetzt sehr konzentriert sein. Es sind nur noch ein paar Kilometer. Das schaffen wir“, versuche ich uns zu motivieren. Bevor uns der arktische Wind noch mehr auskühlen lässt setzen wir unsere Talfahrt fort. Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir den Stadtrand von Shangluo. „Wer weiß für was es gut ist“, gehen mir Tanjas Worte durch den Kopf als ich mich gestern Abend beklagte wegen der frühen Unterkunftsmöglichkeit heute nur eine kurze Strecke zurücklegen zu können. Als wir die ersten Menschen sehen halten wir an, um nach unserem Hotel zu fragen. Tanja packt mit zitternden Fingern ihr Smartphone aus, schaltet es ein und zeigt einigen Passanten das Foto und die Adresse die uns Lois geschickt hatte. „Bis zur Kreuzung und dann links“, meint einer der Männer der ebenfalls schrecklich friert. An einer Ampelkreuzung halten wir erneut. Neben uns ringt sich eine Gruppe frierender Menschen um einen brennenden Autoreifen. Der fürchterliche und giftige Gummigestank ist ihnen egal. Hauptsache sie können dem Frost für eine Weile entkommen. Wie geheißen biegen wir nach links ab. Im Augenwinkel bemerke ich eine alte Frau die mit ihrer Nähmaschine am Straßenrand sitzt, ein glühendes Kohlebecken unter den Beinen. Das Licht ist grau und trist. Meine Stimmung im Keller. „Was tun wir hier überhaupt?“, kreuzt ein Gedanke mein Hirn. Die Autos brausen an uns vorüber. Alle Menschen, die durch die Stadt laufen, verstecken sich wie Schildkröten in ihre dicke Winterkleidung. Ich kann mich wegen dem Frost kaum noch auf den Verkehr konzentrieren. Wieder halten wir und wieder zeigt Tanja einer vorbeilaufenden Frau das Bild unseres Hotels im Smartphone. Mittlerweile zittern meine Oberschenkel. Ich habe jegliche Kontrolle über sie verloren. Das schwere Rad aufrecht zu halten fällt schwer. Eigentlich dürfte ich in diesem Zustand keinen Meter mehr fahren. „Zurück“, sagt Tanja, weswegen wir umkehren. Obwohl wir die Adresse und ein Bild unserer Unterkunft besitzen ist es nicht auf Anhieb zu finden. Schuld daran sind wie immer die ungenauen Koordinaten. Neben dem Schlottern meiner Arme und Beine klappern nun auch meine Zähne aufeinander. Vor einer Einfahrt ziehe ich erneut die Bremsen. Tanja steigt schwerfällig von ihrem Rad und erkundigt sich an einem Lebensmitteladen. Die Frau deutet in die Einfahrt vor der wir stehen. Tanja streckt mir ihren erhobenen Daumen entgegen. Wir schieben die Räder in die Einfahrt durch die Vater Frost seinen eisigen Atem haucht, um alles erstarren zu lassen. Ein toter Hund, wahrscheinlich erfroren, liegt unweit vom Hoteleingang der von der Straße aus unmöglich zu erkennen war. Das junge Mädchen hat auf uns gewartet. In der Empfangshalle ist es fast so kalt wie draußen. Es gibt keine Heizung da drinnen. Das Mädchen kann ihren Dienst nur tun weil sie nur wenige Zentimeter vor einem glühenden Elektroheizstrahler sitzt. Unsere Räder sollen in eine von der Straße aus zugänglichen, im Bau befindlichen, Garage. Nach längerem Verhandeln dürfen sie in die Lobby. In unserem Zimmer hat es ca. 4 Grad. Die Klimaanlage ist derart schwach auf der Brust, dass es Stunden dauert, um die Temperatur direkt unter ihr auf 11 Grad zu erhöhen. „Lass uns etwas Essen gehen“, schlägt Tanja vor. „Gute Idee, vielleicht wird uns dann etwas wärmer.“ Im nahen Restaurant könnte man Eiszapfen züchten. Auch hier gibt es, wie in allen chinesischen Restaurants, keine Heizung. In dem großen kargen Raum, in dem wie gewohnt die einzigen Einrichtungsgegenstände Tische, Stühle und ein Tresen sind, steht ganz hinten im Eck eine Klimaanlage. Die warme Luft, die sie ausspuckt, verflüchtigt sich durch die zugige unisolierte Fensterfront. Alle Gäste sitzen in ihren Daunenjacken am Tisch. Ein Bild, welches es in Europa nicht gibt, ja undenkbar ist. Um es ein wenig warm zu haben, lassen wir uns am Tisch, direkt unter dem Luftstrahl der Klimaanlage, nieder und bestellen. Auch hier drucksen die Bedienungen um uns herum bis eine uns einen Zettel hinhält und ihre Hände bittend vor der Brust faltet. Wir können zwar nicht lesen was sie geschrieben hat aber wir wissen, dass sie wahnsinnig gerne eine Selfie mit uns hätte. „Aber gerne“, sagen wir und lassen uns wie gewohnt ablichten. Als auch alle ihre Kolleginnen ein Foto in ihrem Smartphone gespeichert wissen, beginnen wir heißhungrig unser Abendessen in uns zu schaufeln.

Wieder in unserem Eiszimmer krabbeln wir unter die Zudecke. Es ist ungemütlich dunkel weil ein Großteil der Deckenbeleuchtung ausgefallen ist. Ich falle in einen unruhigen Schlaf. Immer wieder wache ich auf, meist vor Kälte aber auch von den mich quälenden Fragen. „Wie soll ich die Deichselhalterung reparieren? Kann ich in der Stadt eine Werkstatt finden die sie mir nachbaut? Oder müssen wir uns eine aus Deutschland schicken lassen? Wie lange müssen wir dann in diesem Eisbunker verbringen bis wir weiterfahren können?“…

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