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Russland/Lärchencamp Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Am Reißzahn-Kap

N 53°17'21.8'' E 107°35'38.6''
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    Tag: 58

    Sonnenaufgang:
    06:22 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:26 Uhr

    Luftlinie:
    34 Km

    Tageskilometer:
    39.10 Km

    Gesamtkilometer:
    12421.79 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Sand / Lehm

    Temperatur – Tag (Maximum):
    31 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    21 °C

    Temperatur – Nacht:
    8 °C

    Breitengrad:
    53°17’21.8“

    Längengrad:
    107°35’38.6“

    Maximale Höhe:
    690 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    460 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12.10 Uhr

    Ankunftszeit:
    19.10 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    9,1 Km/h

“Dachte das Schlimmste hätten wir hinter uns?”, schnauft Tanja ihren bepackten Drahtesel Meter für Meter die Steigung hoch zu bringen. Seit mehreren Kilometern geht es hauptsächlich über Wurzelgeflecht und ausgewaschene Löcher durch ein Waldstück. An manchen Stellen ist es so steil, dass wir nur mit vereinten Kräften in der Lage sind die Räder über die Hindernisse nach oben zu schieben. “Das macht doch keinen Sinn”, schimpft Tanja. “Wenn du möchtest können wir umkehren”, biete ich ihr an obwohl ich persönlich sehr gerne das Ende der Insel erreichen würde. “Nein, so kurz vor dem Ziel gebe ich nicht auf”, antwortet sie und drückt ihr Aluminiumgestell auf Rädern weiter über den grottenschlechten Untergrund. Am Weggrand zeugt eine gebrochene Achse davon wie schwer es auch die Allradfahrzeuge hier haben. Auch heute hoffen wir, dass unsere riese und müller nicht schlapp machen. Sie sind zwar für Extrembedingungen konstruiert aber alles hat seine Grenzen. Weil wir bald unaufhörlich über Waschbrettboden holpern freuen wir uns über das Federbein von Magura. Auch wenn Magura ein Sponsor von uns ist, und man gerne gut über seine Partner sprechen möchte, darf ich an dieser Stelle schreiben, das es uns nicht schwer fällt, in den höchsten Tönen dieses Wunderwerk an Technik zu loben. In der Tat ist das Hinterrad derart gut gefedert, dass wir die schrecklichen Bodenwellen kaum spüren. Sie werden nahezu völlig absorbiert. Auch die Rohloffnabe bewährt sich gerade unter solchen Bedingungen unbeschreiblich gut. Schalten unter massiven Druck, und das unaufhörlich, bereitet der Nabe und ihrer Funktionalität nicht die geringsten Schwierigkeiten. Die Kette rasselt noch immer unter unangenehmen Lauten über die Zahnkränze. Aber das ist für das geschlossene Schaltsystem völlig uninteressant. Es funktioniert, im, über und auf dem Sand und Matsch. Einfach fantastisch.

Wir erreichen das Ende des Waldstückes und somit auch den höchsten Punkt der Piste. Wie gestern auch befinden wir uns wieder auf der hügeligen Bergsteppe. Der weite Blick hier oben ist befreiend. Die Sandberge liegen nun hinter uns und wir sind wieder in der Lage zu radeln. Bei vielleicht 30 Grad im Schatten weht ein angenehm kühler Wind vom Baikal zu uns hoch. Die Küste sieht rau und beeindruckend aus. Felsen heben sich von der Steilküste ab und ragen ihre bizarren Kanten in den blauen Himmel. Obwohl man uns auf dieser Reise immer wieder erzählt hatte, dass es im August bereits neblig und kalt sein kann, straft hier das Wetter dieser Aussage Lügen. “Morgen wird es regnen. Da werden die Straßen glitschig und nahezu unbefahrbar”, hat ein Autofahrer uns gestern gewarnt. Wir wollen seine Warnung nicht in den Wind schlagen, denn wenn diese Lehmpisten nass werden ist das Vorankommen mit Sicherheit eine Unmöglichkeit. Wir beeilen uns also bald das Kap Choboi, die Nordspitze Alchons, zu erreichen und heute noch zurückzufahren.

Am Nachmittag radeln wir unsere Bikes über einen letzten Steppenhügel. Erregt vor Freude lassen wir uns auf der anderen Seite bis zu den zwei Felsen von Kap Choboi herunterrollen. “Wir haben es geschafft! Juhuuu! Juhuuu!”, rufen wir und in solchen Momenten wissen wir warum wir die Anstrengung der vergangenen Tage auf uns genommen haben. Beeindruckt stehen wir nun da und blicken auf das Blau des Baikals, welches sich bis zum Horizont erstreckt. Die aufragende Klippe des Kaps Choboi, welches übrigens ein burjatisches Wort ist und übersetzt “Reißzahn” bedeutet, wird in der Mitte von einem breiten, mit Gras bewachsenen, Rücken getrennt. Diesen Pfad nutzen die Menschen, um auf die Felsspitzen zu klettern, um von dort in die Wellen des Baikals zu blicken. Nach dem was wir gehört haben, kann man von der Klippe mit viel Glück die bekanntesten endemischen Tiere, die Baikalrobbe beobachten. Sie sind mit den kanadischen Seal-Lake-Seehunden, die einzigen Süßwasserrobben der Welt. Wegen der vielen Touristen hier am Kap, sonnen sie sich allerdings nur noch selten auf den Felsen. Ihre beliebtesten, Gott sei Dank, streng geschützten Liegeplätze, befinden sich auf den Uschkani-Inseln unweit der Halbinsel Heilige Nase. Man vermutet, dass die Baikalrobben während der letzten Eiszeit über die Flüsse Jennisej und Angara eingewandert sein müssen. Nach dem anschließenden Rückgang des Meeres, infolge geänderter klimatischer Bedingungen, wurden sie im See isoliert. Die heutige Entfernung zum Meer beträgt ca. 1.700 Kilometer. Die Nerpa, so wird sie auf Russisch genannt, wurde von den Ureinwohnern und später auch von den Russen gejagt. Heute dürfen nur noch einige Ewenken-Siedlungen am Nordbaikal in sehr begrenzter Zahl die faszinierenden Tiere mit ihren schwarzen Kulleraugen jagen. Das fettige Fleisch macht einen Teil ihrer Nahrung aus. Das Fell verarbeiten sie zu Belägen für ihre Schneeschuhe, zu Mützen, Stiefeln und Jacken. Heute schätzt man die Population der Nerpas wieder auf 80-100.000 Tiere.

Von dem faszinierenden Anblick gebannt blicken wir lange auf das Binnengewässer, dessen Einzugsgebiet mit seinen Zuflüssen etwa 1,5 Mio. km² umfasst. “Wenn man sich vorstellt das diese Fläche der vierfachen Größe Deutschlands entspricht”, sage ich leise. Starker Nordwind bläst uns entgegen, weswegen der Aufenthalt hier recht ungemütlich wird. Wir lassen das Reißzahn-Kap hinter uns und nutzen den jetzigen Rückenwind und das gute Wetter, um unseren Rückfahrt anzutreten. Schon 2 ½ Stunden später, um kurz nach 19:00 Uhr, erreichen wir wieder unser erhabenes Camp bei den Lärchen über dem Baikal. Es dauert nicht lange und wir werden von einem brennenden, gewaltigen Baumstrunk, den ich aus der Erde des einstigen Arbeitslagers gerissen habe, gewärmt.

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