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E-Bike-Expedition Teil 4 Vietnam - Online Tagebuch 2016-2017

Ahnenkult

N 20°39’00.0’’ E 105°05’00.0’’
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    Datum:
    27.09.2016 bis 05.10.2016

    Tag: 459 – 468

    Land:
    Vietnam

    Provinz:
    Hòa Bình

    Ort:
    Mai Chau

    Breitengrad N:
    20°39’00.0’’

    Längengrad E:
    105°05’00.0’’

    Tageskilometer:
    310 km mit dem Bus zurückgelegt

    Gesamtkilometer:
    19.181

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Gesamthöhenmeter:
    54.661 m

    Sonnenaufgang:
    05:49 – 05:51 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:52 Uhr – 17:44 Uhr

    Temperatur Tag max:
    33°C

    Temperatur Tag min:
    24°C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Ehe wir uns versehen landen wir wieder in unserem Mai Chau. Ka, der Manager, hat unser schönes Zimmer reserviert. Das Personal bringt unsere Satteltaschen, die in der Küche zwischengelagert waren. Schnell haben wir sie wieder aufgeräumt und uns eingerichtet.

Nachdem der Rahmen meines Rades wieder geschweißt, und alles andere soweit in Ordnung ist, arbeiten wir daran in den kommenden Tagen endlich unsere Reise fortzusetzen. „Und du bist dir sicher, dass deine Schulter stabil genug ist?“, fragt Tanja. „Denke schon. Der Knochen, der da noch rausragt, sieht zwar übel aus, aber ich glaube damit muss ich mich abfinden. Jedoch schmerzt sie noch, vor allem wenn ich meinen Arm hebe. Trotzdem sollte es gehen. Wir können ja nicht ewig hier bleiben.“ „Wir bleiben so lange bis du wieder fit bist.“ „Ich bin fit und wenn ich feststellen sollte, dass die Schmerzen zu groß werden, müssen wir an einem anderen Ort eine weitere Pause einlegen.“ „Okay, wie weit ist es noch mal bis zur Grenze?“ „Ca. 500 Kilometer. In knapp 2 ½ Wochen müssen wir dort sein. Ich nutze hier noch ein paar Tage, um unsere Erlebnisse der Halong Bucht niederzuschreiben und die Bilder zu archivieren und dann sollten wir los“, schlage ich vor. „Denke auch. Kommen wir eigentlich auf unserem Weg zur Grenze an der trockenen Halong Bucht vorbei?“ „Ist ein Umweg von über 100 Kilometer. Das schaffen wir nicht“, überlege ich die Karte studierend. „Schade, die Grotten, durch die man mit kleinen Booten rudern kann, müssen einmalig schön sein.“ „Oh, hatte vergessen dass dort bei Nin Binh diese Grotten sind. Na die hätte ich auch gerne besucht“, sage ich. „Dann müssten wir morgen aufbrechen“, wirft Tanja ein. „Stimmt. Puhh, das ist jetzt doch etwas plötzlich. Hast du Lust morgen schon weiterzufahren?“ „Eigentlich nicht.“ „Und vor allem wollten wir uns mit Hai, Hung, Two und Manh Do noch zusammensetzen, um über den Elefantentrip zu sprechen. Hai mit seinem direkten Kontakt zum Präsidenten von Vietnam könnte uns in dieser Sache enorm helfen. Vielleicht beteiligt sich die Regierung an diesem Projekt?“ „Wenn wir morgen gehen müssten wir das Meeting sausen lassen“, schlussfolgert Tanja. „Keine gute Idee.“ „Absolut keine gute Idee.“ „Hast du eine Lösungsvorschlag?“, frage ich. „Hm, vielleicht.“ „Lass hören.“ „Wir könnten unsere Sachen erneut hier unterstellen, in einem Bus mit leichtem Gepäck nach Nin Bihn fahren, die Gegend mit all den Sehenswürdigkeiten ansehen und mit dem Bus wieder hierher zurückkommen. Dann könnten wir mit dem Bus zu dem Grenzübergang fahren den uns Manh Do vorgeschlagen hat. Er sprach doch von einem Grenzübergang der nur ca. 140 Kilometer von hier entfernt ist?“ „Ja, den Grenzübergang hat er auf der Rückfahrt von Hanoi erwähnt. Hatte schon überlegt ob wir dorthin mit unseren Rädern aufbrechen sollten. Aber Manh sprach davon, dass große Bereiche der Straße gerade erst gebaut werden und dass wir auf dieser Strecke mit unseren Bikes im Matsch versinken würden. Außerdem liegt er nicht in der gewünschten Reiserichtung, sondern eher im Südosten.“ „Meine ich doch. Wir lassen uns von einem Bus dorthin fahren, gehen über die Grenze, kommen zurück und brechen dann auf. Somit besitzt du noch ein paar Schreibtage hier, wir sehen die Grotten bei Nin Binh und haben unsere neuen Visa in der Tasche. Das ganze ohne jeglichen Stress.“ Ich lasse mir Tanjas Plan durch den Kopf gehen. „Du bist klasse. Der Plan klingt super. Genau so machen wir es. Zusätzlich kann sich meine Schulter noch ein bisschen besser regenerieren bis wir wieder jeden Tag auf dem Bock sitzen. Ein wirklich fantastischer Plan“, lobe ich Tanja und spüre wie mir augenblicklich der aufkeimende Stress eines baldigen Aufbruchs von den Schultern fällt.

Buumm! Buumm! Buumm! Ertönt eine lauter werdende Trommel. „Denis das musst du dir ansehen! Da nähert sich ein Trauerzug“, ruft Tanja in das Zimmer stürmend. „Meinst du?“, frage ich zögerlich, weil ich gerade am Laptop sitze und über die Erlebnisse der letzten Tage schreibe. „Aber ja. Komm schnell auf den Balkon.“ „Sofort schnappe ich mir die Kamera und eile nach draußen. Tatsächlich marschiert an unserem Resort ein Trauerzug vorbei. Ich überlege ob ich nach unten gehen soll, um ein paar Bilder zu schießen, möchte dabei aber die trauernden Gäste nicht stören. Augenblicke später entdecke ich unter den Sargträgern vertraute Gesichter des Hotelpersonals. Als ich am Weg stehe und ihnen entgegen Blicke lächeln mich einige der Menschen freundlich an. Klar, alle Anwesenden kommen aus dem Tal und da wir mittlerweile schon 2 ½ Monate an diesem Ort verweilen kennt mich nahezu jeder. Meine Scheu verlierend laufe ich nun der Trauergemeinde hinterher. Viele der Träger müssen während der Totenfeier schon ein paar Gläser Reiswein zu viel getrunken haben. Ihre Ausdünstungen lassen zumindest darauf schließen. „Komm hilf uns tragen!“, ruft einer der Sargträger. „Ob er das ernst meint?“, geht es mir durch den Kopf. „Na komm schon. Da ist noch Platz unter dem Sarg“, fordert er mich erneut auf. „Ich schüttle lachend den Kopf. Ersten gehöre ich nicht zur trauernden Gemeinde und zweitens könnte ich mit meiner verletzten Schulter nicht helfen, selbst wenn ich wollte. In Asien sind Beerdigungen meist alles andere als leise, dunkle und deprimierende Zeremonien. Ganz im Gegenteil. Jedoch sind auch hier Beerdigungen kein Grund zur Heiterkeit, denn der Verlust für die nahestehenden Verwandten ist in Vietnam genauso schmerzhaft wie überall auf der Welt.

Ich haste nach vorne, um ein paar Bilder aus einer anderen Perspektive fotografieren zu können. Die späte Nachmittagssonne wirft ihre warmen, goldenen Strahlen über die Reisfelder, die zu dieser Jahreszeit Stück für Stück geerntet werden. Der mit bunten Stoffen verzierte Sarg leuchtet in allen Farben und steht im Kontrast zu den saftig grünen Reispflanzen. Wenn es kein trauriger Anlass wäre hätte der kleine Begräbniszug etwas Schönes. Die Sargträger werden von zwei Trommlern und einem Flötisten angeführt, darauf folgt ein junger Mann der ein Foto des Toten in seinen Händen hält, ein weitere Mann greift ständig in eine Tüte hinein, holt Papiergeld und Schnipsel heraus, um sie in die Luft zu werfen. Laut Glauben dieser Menschen soll der Tote dadurch später den Weg vom Friedhof zu seinem Haus zurückfinden. Die meisten ethnischen Völker in Vietnam besitzen eigene Totenrituale. So auch die Weißen Thai, H’mong, Zao, Muong, Tay, Hoa und Kinh in Mai Chau. Die Kinh, die mit 88 % die größte Bevölkerungsgruppe in Vietnam stellen, gehen einen eigenwilligen Kult nach in dem sie den Toten nach einem Jahr wieder ausgraben, reinigen und neu betten.

„Der Mann war unser Nachbar und wurde gerade mal 50 Jahre alt“, erzählt Ka, der Manager der Nature Lodge. „Kein Alter“, sage ich. „Nein, ich hoffe ich mache es länger“, antwortet er lachend. „In Würde alt werden ist sicherlich das größte Geschenk“, antworte ich und frage Ka nach dem Ahnenkult in Vietnam. „Wir zelebrieren diesen Kult schon seit ewigem Gedenken. Daran hat sich auch heute noch nicht viel geändert. Alles wird von Regeln und Riten bestimmt. Das fängt schon damit an, dass wir einen Wahrsager kommen lassen der den genauen Zeitpunkt für die Beisetzung des Verstorbenen festlegt. Der Thầy bói, so heißt bei uns der Wahrsager, bestimmt auch den Zeitpunkt an dem der Tote in seinen Sarg gelegt wird. Jede Familie hier hat noch alte Särge gelagert die aus einem großen ausgehöhlten Holzstamm gezimmert wurden.“ „Wie?“, frage ich nicht verstehend. „Dazu wird ein großer Baum gefällt, in Stücke geschnitten und mit viel Arbeit ausgehöhlt.“ „So ähnlich wie bei einem Einbaum der Ureinwohner?“ werfe ich ein. „Ungefähr so.“ „Da müssen ja eine Menge Bäume dran glauben, wenn jeder Tote in solch einem Baumstamm bestattet wird. Ist das noch erlaubt?“ „Weil Bäume in Vietnam knapp werden darf dafür jetzt tatsächlich kein Baum mehr gefällt werden. Trotzdem besitzen noch viel Familien solche Särge als Vorrat.“ „Abgefahren“, sage ich und frage wie ich mir den Ahnenkult vorstellen muss. „In jedem Haus Vietnams besitzt die Familie einen kleinen Bereich oder Räumlichkeit in dem der Ahnenaltar aufgebaut ist. Es ist ein hoher, hölzerner Tisch auf dem wir Bilder, oder wenn nicht vorhanden, Gemälde unserer Ahnen stellen. Daneben befindet sich ein Gefäß gefüllt mit Sand in den wir die Räucherstäbchen stecken. Dann muss auf dem „Bàn Thờ“, so nennen wir den Ahnenaltar, ein Behältnis mit Salz, ein Behältnis mit trockenen Reiskörnern und ein Teeservice aus Porzellan sein, welches mit Wasser gefüllt ist. Wichtig ist das Wasser immer frisch zu halten. Weiterhin habe ich auf meinem Altar zuhause zwei Kerzenständer, zwei Vasen für Blumen und eine Schüssel für die Opfergaben, die ich den Ahnen bald täglich offeriere. Die reichen Menschen wie Hung und Hai zum Beispiel stellen auf ihren „Bàn Thờ“ Buddhafiguren. Manche dekorieren auch verschiedene Götterstatuen und Bilder aus Gold, elektrische Kerzen und leuchtende Seerosen darauf. Diesbezüglich gibt es keine Grenzen.“ „Ganz schön aufwendig. Und das hat jeder Vietnamese zuhause?“ „Absolut. Die armen Menschen besitzen allerdings nur kleine Altare mit weniger teuren Utensilien.“ „Und dann betet ihr jeden Tag die Ahnen an?“ „Manche sicherlich. Allerdings sind die wichtigen Tage im Monat der Erste und Fünfzehnte des Mondkalenders. An diesen beiden Tagen bringen wir unseren verstorbenen Verwandten Opfergaben die wir „Thắp Hương“ nennen. So zum Beispiel ein Tellerchen mit Blumenköpfen, einige Früchte und Geistergeld.“ „Geistergeld?“ „Ja, dabei handelt es sich um Papiergeld welches wir verbrennen, um es den Verstorbenen ins Jenseits zu senden.“ „Soll das heißen eure Ahnen benötigen im Jenseits Geld?“ „Letztendlich ist es ein symbolischer Akt. Wir wollen, dass es unseren Ahnen gut geht.“ „Interessant, und wie geht es weiter?“ „Wir entzünden eine ungerade Zahl von Räucherstäbchen da eine gerade Zahl Unglück bringen würde. Dazu stecken wir eine Zigarette an und setzen diese auf den Stab eines bereits benutzten Räucherstäbchens. Wenn die Zigaretten dann bis auf den Filter herunterbrennt und keine Asche verliert, ist das ein gutes Zeichen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt beten wir zu unseren Ahnen und den vor kurzem verstorbenen Verwandten. „Und was betet man zu Verwandten?“ „Na genau das Gleiche wie zu den Göttern. Wir erbitten uns zum Beispiel Hilfe für schwierige Lebenssituationen, erzählen ihnen von unseren Sorgen und Nöten. Wir berichten ihnen von unserer Familie, wenn jemand ein Baby bekommt, oder vor einer wichtigen Prüfung steht, oder krank ist. Letztendlich kannst du deinen Ahnen alles erzählen was dich bedrückt oder erfreut. Sie bleiben ein Teil von uns auch wenn sie für uns nicht mehr sichtbar sind glauben wir fest daran, dass sie nach wie vor hier sind und uns beschützen.“

„Vielen Dank für deine ausführliche Erklärung. Ich wusste zwar, dass es sich um Ahnenkult handelte aber hatte dazu keinen Bezug. Deine Erklärung hat für mich eine Brücke des Verstehens und der Verständigung geschaffen.“ „Kein Problem Denis. Es bereitet mir Freude wenn du an unserer Kultur interessiert bist.“…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

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